Mittwoch, 12. Oktober 2011

Die Mücke und der Elefant

Auf der Wissen-Seite der SZ von heute (S. 16) kann man einen Text lesen, dessen Überschriften lauten:
"Spülung für die Seele. Wer sich wäscht, fühlt sich auch frei von Schuld".
Der Text beginnt: "Wenn sich Menschen waschen, reinigt das auch ihre Seele". Unsere Kulturgeschichte von ein paar Tausend Jahren wird ins Spiel gebracht. Die Reinigung der Seele. 

Der zweite Satz lautet: "Mit dem Wasser verschwinden die schlechten Gefühle ebenfalls im Abfluss, berichten die Psychologen Spike Lee und Norbert Schwarz von der Universität Michigan in einer Übersichtsarbeit (Current Directions in Psychological Science, online)". Das Internet ist eine Bibliothek ohne Öffnungszeiten - leider fehlt ein umfassendes Verzeichnis. Ich habe jedenfalls die Arbeit in ihrer Kurzform mit dem Titel Washing Away Post-Decisional Dissonance (drei Seiten Text) nachgelesen. Was haben Spike Lee und Norbert Schwarz untersucht? Sie ließen 40 Studenten aus 30 CDs zehn CDs auswählen, die sie gern besitzen würden, und sie baten die Studenten, die zehn CDs in der Reihenfolge ihrer Präferenzen zu sortieren. Die jeweilige fünf- oder sechstbeliebste CD konnten sie als eine Art Anerkennung behalten. Anschließend wurden die Studenten zu einer flüssigen Seife befragt. Die eine Hälfte der Studenten beschäftigte sich nur kurz mit der Seife, die andere Hälfte wusch sich damit die Hände. Dann folgte, was die Psychologen filler task nannten - offenbar mussten die Studenten die Flaschen mit der Seife füllen - , und danach mussten die Studenten erneut die zehn  CDs in der Reihenfolge der Attraktion sortieren.

Spike Lee und Norbert Schwarz gingen davon aus, dass die Studenten, die sich entweder für die fünft- oder sechsbeliebste CD entschlossen hatten, auch gern die jeweils andere CD gewählt hätten, weswegen sie einen Konflikt erleben würden  - was Leon Festinger 1957 eine kognitive Dissonanz genannt hatte - ; sie vermuteten, dass die Studenten Anstrengungen unternehmen würden, ihre Wahl für sich zu rechtfertigen, um die Dissonanz oder den Konflikt zu mildern oder zu beseitigen. Den (vermuteten) inneren Umgang mit dem Konflikt untersuchten die Psychologen nicht. Wir erfahren nichts über die CDs und über die Wahlen der Studenten. Sie verglichen und korrelierten die Präferenz-Wahlen der Studenten, die sich mit der Seife wuschen, mit den Listen der Studenten, die die Seife links liegen ließen. Was kam heraus? Die Studenten, die die Seife nicht ausprobiert hatten, bestärkten ihre Wahlen; die Studenten, die sie benutzt hatten, nicht. Was schlossen Spike Lee und Norbert Schwarz daraus?

Sie schrieben: "Thus, hand-washing significantly reduces the need to justify one's choice by increasing the perceived differences between alternatives". Das hatten wir schon einmal. In den 60er Jahren wurde für ein Geschirrspülmittel mit der viel versprechenden Formel Pril entspannt das Wasser geworben. Dieses Mal war es Flüssigseife, und es ging um die kognitive Dissonanz, die einen umzutreiben vermutet wird, wenn man sich entscheiden muss zwischen zwei CDs, weil einem nur eine geschenkt wird. Viel Lärm um nichts. Weder prüften die Psychologen ihre Vorannahmen; ein F-Test - ein statistisches Prüfverfahren - reichte. Noch bedachten sie die Implikationen ihrer Spekulation. Und, das ist die instruktive Seite, die SZ extrapoliert die Spekulation für einen flotten, abfälligen Titel. Wir erfahren, wie Forschung ungeprüft weitergereicht wird im Betrieb der vermeintlich relevanten Nachrichten. Und wir können den Versuch sehen, die komplexe Struktur des seelischen Systems ins Waschbecken der Verachtung zu pressen (s. meinen Blog vom 11.11.2010 Die Zähigkeit des neurowissenschaftlichen Aberglaubens).    

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