Mittwoch, 23. Januar 2019

Neues von der Heiligen Kuh: das Tabu der Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen (82)

Ende 1973 wurde für ein paar Wochen die Geschwindigkeit auf Autobahnen bei uns auf 100 km/h begrenzt. Die sozial-liberale Koalitionsregierung folgte  dem internationalen Konsensus, angesichts des damaligen Alarms begrenzter Öl-Vorräte den Benzinverbrauch einzuschränken und einen gemeinsamen Verzicht zu leisten. Die Bundesrepublik scherte nach kurzer Zeit und einem enorm heftigen öffentlichen Protest aus; statt der Geschwindigkeitsbegrenzung wurde eine Geschwindigkeitsempfehlung eingeführt: mehr glaubte die Bundesregierung, der Autoindustrie und ihrer Bürgerschaft nicht zumuten zu können.

Dabei blieb es. Seitdem erlauben  die (politisch) relevanten Akteure der Bundesrepublik auf unseren Autobahnen die Ausnahme - man könnte auch sagen: die großpratzige Taktlosigkeit der europäischen Gemeinschaft gegenüber -   eines Autoverkehrs für Personenkraftwagen (ohne Anhänger) und Motorräder ohne Tempobegrenzung. Seitdem haben sich die nachfolgenden Bundesregierungen dazu entschieden, die Effekte eines Tempolimits auf Autobahnen nicht weiter untersuchen, vorliegende Studien zu den benignen Effekten in der Schublade liegen zu lassen und die kollektive Leugnung der Unverhältnismäßigkeit dieses Sonderstatus aufrecht zu erhalten:
a) sich am vereinbarten Projekt der Reduktion der Emissionen halbherzig zu beteiligen und dessen Ziele zu unterlaufen;  
b) die Verschwendung der Ressourcen auf den Autobahnen fortzusetzen;
c) die Emissionen des Autoverkehrs auf den Autobahnen nicht zu reduzieren;
d) das Risiko schwerer Unfälle auf Autobahnen zu tolerieren;
e) statt eines einigermaßen gleichmäßig fließenden Verkehrs starke Geschwindigkeitsdifferenzen zuzulassen, damit kooperative Interaktionen zu erschweren, aber den möglichen Machtmissbrauch hochgerüsteter Automobile zu gestatten  und die Wahrscheinlichkeit der Stau-Bildungen zu erhöhen;
f) die maßlosen Interessen der bundesdeutschen Aumobilindustrie zu ungunsten  eines vernünftigen, großzügigen Ausbaus des Öffentlichen Verkehrs (der sich heute als unterfinanziert erweist) zu unterstützen, dem individuellen Verkehr einen unvernünftigen Vorrang einzuräumen und das Versprechen einer als grenzenlos wahrgenommenen, individuellen Mobilität zu fördern statt zu korrigieren.

Wir sehen: das seit Jahrzehnten aus dem Leugnen und dem Aufschieben der Klärung unserer Wirklichkeiten resultierende, bundesdeutsche Drama einer dysfunktionalen Verkehrspolitik im Verbund mit einer planlosen, hilflosen und möglicherweise ebenso dysfunktionalen Energiepolitik. Wozu dient das bundesdeutsche Tabu?  Es stützt und schützt das noch immer hier & da geteilte (von wem, müsste gründlich erforscht werden),  virulente (undemokratische) Grundgefühl deutscher Großartigkeit, Überlegenheit und Verachtung des Gesetzes und seiner Regeln. Belege ? Was ist mit der (auf dieser Blog-Seite hier & da beschriebenen)  Korruption einiger Führungsetagen?  Was ist mit dem Gleichmut angesichts des massiven Betrugs von VW, der (im Prozess seiner öffentlichen Entsorgung) zu einer Diesel-Thematik, Diesel-Krise oder eines Diesel-Skandals verniedlicht oder so verbogen wird, dass der strafrechtlich relevante Betrug zu einem Problem der WHO wird und die gesetzlich festgeschriebenen Grenzwerte dem Hohn preisgegeben werden? Was ist mit einem seltsamen Sprachgebrauch? Seit 1989  wird der Name unseres Landes - die  Bundesrepublik Deutschland - selten genannt; dafür hat sich das gründlich kontaminierte, vor nicht allzu langer Zeit herausgedröhnte Deutschland!  wieder eingebürgert. Vergessen wurde, wie froh und dankbar wir waren, als die Bundesrepublik im europäischen Staatenbund aufgenommen wurde. Heutzutage fahren wir vorne weg - als wären wir den Mitgliedstaaten der Europäischen Union nichts mehr schuldig.

(Überarbeitung: 24.1.2019)
 
  

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