Freitag, 14. Februar 2020

Aufruhr in Thüringen

Die Wahl des thüringischen Ministerpräsidenten (am 5.2.2020)  nannte Angela Merkel einen unverzeihlichen Vorgang und forderte energisch die Reparatur: einen neuen Ministerpräsidenten und Neuwahlen. Die thüringischen Kollegen und Kolleginnen der Union hatten sich nicht an die Parteilinie, mit den Abgeordneten der Alternative für Deutschland nicht zu kooperieren, gehalten. Zudem hatte der frisch gewählte Ministerpräsident die Wahl angenommen. Der Aufschrei in der Öffentlichkeit war groß: Tabubruch, Dammbruch und Einreißen der Brandmauern waren die kursierenden Metapher. Die offenbar falsche Wahlentscheidung wurde korrigiert; Thomas Kimmerich trat zurück; ein Kandidat für das Amt des Ministerpräsidenten wird gesucht, Neuwahlen sind beabsichtigt.

Anschließend geriet das Ämter-Gefüge der Union aus den Fugen. Annegret Kramp-Karrenbauer kündigte ihre Kanzlerin-Kandidatur und begrenzte ihr Amt als Vorsitzende der Union auf die Moderation des Übergangs und ihrer Nachfolge. Was nun? Eine Kandidatin oder ein Kandidat wird gesucht. Die Koalition der Regierung ist wiederum mit dem Manangement ihrer Arbeitsfähigkeit beschäftigt. Die Regierungsparteien suchen ihre strategische Balance. Christian Lindner entschuldigte sich für seine Führung der Freien Demokraten.

Kopflos nannte Alexander Gauland, Fraktionsvorsitzender im Bundestag für die Alternative für Deutschland, die Reaktion der Union und der Freien Demokraten. Sein Bild der Kopflosigkeit ist eine unfreundliche Metapher der Schadenfreue. Er sieht sich mit seiner Partei im Recht. Damit liegt er nicht so falsch. Er führte den demokratischen Widerpruch vor: die Abgeordneten seiner Partei, die in das Thüringische Parlament gewählt wurden, an den Verfahren des Parlaments teilhaben zu lassen , aber deren realisierte Teilhabe nicht zu akzeptieren. Alexander Gauland hat gewissermaßen den Widersinn des politischen Konzepts der Exklusion vorgeführt. Was Wunder, dass er  laut der Neuen Züricher Zeitung vom 11.2.2020 (online-Ausgabe)  Strafanzeige wegen Amtsmissbrauchs der Kanzlerin gestellt hat.  Damit hat er allerdings in seinem Triumph das falsche Register gezogen. Das Strafrecht ist nicht berührt, sondern das Verfassungsrecht, schreibt Dietrich Hölz, Vorsitzender Richter am Verwaltungsgericht Hamburg, in seinem Leserbrief an die Frankfurter Allgemeine Zeitung (18.2.2020, S. 6, Nr. 41): "Wenn  sie öffentlich und in Ausübung ihres Amtes als Spitze der Bundesregierung die Rückgängigmachung eines außerhalb ihrer Zuständigkeit liegenden Staatsorganisationsakt fordert, liegt hierin ein Verstoß gegen ein Strukturelement des Verfassungsstaates: die vertikale Gewaltenteilung".

Das muss natürlich zu denken geben. Der Hamburger Richter Heinz Uthmann hatte 2011 die Kanzlerin wegen öffentlicher Billigung eines vorsätzlichen Tötungsdelikts (§ 140 StGB) angezeigt; damals hatte sie dem U.S.-Präsidenten Barack Obama zur erfolgreichen Exekution von Osama Bin Laden mit den Worten gratuliert: "Ich freue mich" (s. meinen Blog Rache ist sauer vom 9.5. 2011). Damals wurde die Strafanzeige nicht weiter verfolgt.

Die Strategie der Exklusion ist alt und weltweit erprobt. Die nationalsozialistische Regierung installierte eine gesellschaftsweite mörderische Exklusion. Ende der 50erJahre installierte die bundesdeutsche Regierung mit ihrer so genannten Hallstein-Doktrin eine apartheidähnliche Außenpolitik im Verhältnis zur abgelehnten Deutschen Demokratischen Republik: wer mit der ostdeutschen Republik diplomatische Beziehungen aufnahm, zu dem kappte die westdeutsche Republik ihre diplomatischen Beziehungen oder nahm sie nicht auf. Apartheid oder Exklusion beabsichtigt zumindest die psychische Vernichtung der Ausgeschlossenen; sie spielt mit der Fantasie der mörderischen Vernichtung. Es ist daran zu erinnern, dass in den 50er Jahren der volle Namen der ostdeutschen Republik äußerst selten (in meiner Erinnerung) komplett in der öffentlichen Diskussion genannt wurde, während der Name der Bundesrepublik Deutschland vergleichsweise leicht über die Lippen ging. Es gab sogar die unglaubliche Praxis, die drei Großbuchstaben der ostdeutschen Republik in Anführungszeichen zu setzen. Diese Form öffentlichen Kränkens wurde glücklicherweise in der westdeutschen Öffentlichkeit nicht allzu lange hingenommen.

Die Unionsstrategie der Exklusion ist so alt wie die Bundesrepublik. In den 50er Jahren war es die Sozialdemokratische Partei Deutschlands, mit der die Union nichts zu tun haben wollte. In den 80er waren es die Abgeordneten der Partei  Die Grünen, die den Schrecken des (unionsgeführten) Parlaments repräsentierten; sie wurden von der Partei der Linke abgelöst, die für die Union allmählich salonfähig wird. Davon ist die Alternative für Deutschland noch  weit entfernt. Deren parlamentarische Zukunft ist angesichts ihres Holzhackens offen. Allerdings sollte bedacht werden, dass die undemokratische Strategie der Exklusion sie eher stützen und stärken wird, weil ausgeschlossen und nicht beachtet zu werden eine mächtige Dauerkränkung und Dauerbeschämung darstellt und eher vereint/bestätigt als differenziert.  Es ist die noch immer offene Frage, ob die öffentliche Diskussion ein wirkliches Interesse hat herauszufinden, was die Wählerinnen und Wähler dieser Partei tatsächlich bewegt.

Zur Strategie der Exklusion gehört die selbstgerechte, empörungsschnelle Gewissheit im Umgang mit der Schuld und der Verantwortung für die mörderische Hypothek der Bundesrepublik. 1952 mahnte  Konrad Adenauer, der erste Kanzler der Bundesrepublik, mit der Nazi-Riecherei aufzuhören; mit der Aufforderung, die Schuld-Abrechnungen aufzugeben, fand er ein wohlwollendes Echo und die öffentliche Toleranz für seinen Ministerialdirektor und Staatssekretär im Bundeskanzleramt Hans Globke (1898 - 1973).   Hans Globke gehörte zu den Juristen, die im Reichsinnenministerium seit 1933 den Kommentar zu den so genannten Nürnberger Gesetzen  verfaßt und die Vorarbeit für die  mörderischen Orgien der Damen und Herren in den schwarzen und grünen Uniformen geleistet hatten. Mit dem Argument, dass Hans Globke sich um die Milderung der juristischen Interpretationen bemüht hätte, blieb er Konrad Adenauers rechte Hand. Noch immer gilt diese Form der Korruption als nationale integrative Großtat. Wie erfolgfreich Hans Globke war, wissen wir heute genau.

Kopflos ist die schlechte Beschreibung des Fraktionsvorsitzenden der Alternative für Deutschland - die Repräsentanten dieser Partei irritieren, labilisieren, lähmen und bringen einen eher hier und da in Rage. Sie stellen untergründig - das ist doch gar nicht schlecht - die Frage der Sicherheit und Präzision unseres Verständnisses von Nationalsozialismus und Faschismus - und beleben die eigenen Unsicherheiten.  Das ließ sich in der Sendung Anne Will am vergangenen Sonntag (am 9.2.2020) beobachten. Alice Elisabeth Weidel, die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Alternative für Deutschland im Bundestag, war eine Teilnehmerin der Sendung. Sie feixte, empörte sich über das undemokratische Verhalten der Kanzlerin (unglaublich!, sagte sie mehrfach), eine Wahl für nichtig zu erklären - niemand in der Runde traute ihr Recht zu geben und ein Merkel-Tabu zu verletzen - , fühlte sich verständlicherweise sicher, redete drauflos und dazwischen und über die anderen hinweg, dozierte und beantwortete die Frage nicht, was sie von ihrem thüringischen Kollegen, den aus ihrer Partei auszuschließen sie vergeblich versucht hatte, halte. Sie wich aus und ließ sich nicht festlegen. Die zerstrittene und ängstliche Rederunde - auf keinen Fall derjenigen Teilnehmerin ( in einem bestimmten Kontext) zustimmen, die man ablehnt! - konnte sich nicht darauf verständigen, auf Alice Weidels genaue Auskunft zu warten. So kam sie, die mit einer Arbeit über die Zukunft des chinesischen Rentensystems promoviert wurde, leicht davon,  ohne eine substanzielle Auskunft zu geben. Man müsste sehen, was sie auf der sprichwörtlichen Pfanne hat hinsichtlich ihres Verständnisses unserer Vergangenheit und Gegenwart. Ihr einziger Einwand in der Rederunde war der  äußerst schlappe, irgendwo hervorgekramte Vorwurf einer kommunistisch-stalinistischen Argumentationsweise. Eine nüchterne, kühle, langsame Auseinandersetzung sollte eine Gesprächstaktik sein. Erst dann kann man (hoffentlich) sehen, wen man vor sich hat.


(Überarbeitung: 8.12.2020)

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