Freitag, 11. Oktober 2024

Robert Habeck taugt nix

 Der Aufmacher der Frankfurter Allgemeine, am 10.10.2024, Zeitung für Deutschland:

"Habeck sieht trotz Rezession ein Land voller Stärken. Der Wirtschaftsminister rechnet mit einem Rückgang um 0,2 Prozent". Die Autorin ist Jutta Löhr. Die Präposition trotz macht die Melodie der Verachtung: der Wirtschaftsminister pflegt offenbar einen mangelhaften Realitätskontakt. Darüber kann man natürlich streiten. Die Rezession ist eine unscharfe Vokabel.  Sie stammt vom lateinischen recessus ab und bedeutet: Zurückgehen, Zurückweichen, Rückgang. Wodurch der Rückgang verursacht wird, sagt das hübsche Fremdwort nicht. Sind 0,2 Prozent Rückgang eigentlich viel oder wenig? Muss man sich große Sorgen machen? Der Wirtschaftsminister versucht zu beruhigen. Kann man ihm das vorwerfen?

Bezogen auf unser Bruttojahresprodukt sind 0,2 Prozent Rückgang ganz schön viel. Aber sicherlich nicht mehr als der gute zweistellige Milliardenbetrag, den VW für weltweite Strafzahlungen und Anwaltkosten aufbringen musste für den ingeniösen Wolfsburger Einfall, mit einer schlauen, leider betrügerischen Ingenieursleistung den Automobilmarkt zu erobern. Dummheit kommt vor dem Fall, sagen wir. Das trifft auf den Wolfsburger Konzern sicherlich zu. Dafür kann Robert Habeck nichts. Er kann auch nichts dafür, dass andere Autohersteller ihre Fahrzeuge ungewohnt schlecht verkaufen.

"Die Autokrise trifft BMW und Mercedes mit voller Wucht. Selbst Luxusautos finden nur noch wenige Käufer", kann man heute, am 11.10.2024, in der F.A.Z. lesen (S. 25). Jetzt ist Zahltag - für die Dummheit unserer großen Autohersteller, deren leitende Herrschaften lieber tagträumten  im Einvernehmnen mit einer saumseligen Verkehrspolitik als sich der Realität zuzuwenden. Wahrscheinlich müssen  auch die landläufigen wirtschaftwissenschaftlichen Konzepte endlich gründlich durchdacht werden. Die Idee vom gewissermaßen natürlichen Funktionieren des Marktes ist  eine enorm teure Illusion. Wir können sie uns nicht mehr leisten. Was wir uns künftig leisten können, müssen wir nüchtern diskutieren. Ohne das Vokabular des Kitsches. Erster Vorschlag: wir nehmen unsere Sprache ernst und benutzen sie nicht zum Einschlafen. Krise ist ein präzises Fremdwort aus dem Griechischen. Es bedeutet: Entscheidung, entscheidende Wendung. Entscheidende Wendung. Das hat Robert Habeck verstanden.


Freitag, 23. August 2024

Barack Obama auf dem Parteitag der Demokraten am 21.8.2024: "Yes, she can". Kamala Harris kann. Was können wir?

Das war ein zu Tränen rührender Coup des ehemaligen Präsidenten Barack Obama. "Ich bin stolz, Joe Biden meinen Präsidenten zu nennen": Barack Obama scheute auf dem Chicagoer Parteitag keine gewichtigen Worte, elegant gesprochen. Das war natürlich Klasse und beflügelte die Delegierten enorm. Das Gefühl der Lähmung angesichts des fragil gwordenen Joe Biden gegenüber dem unkontrollierten, ungeheuer grollenden Donald John Trump war verflogen, und Kamala Harris' Kandidatur die tiefe, kräftige und begründete Hoffnung auf ein Ende des MAGA- Alptraums.

Während die U.S.A.-Demokraten mächig aufleben, geht bei uns das (Hoffnungs-arme oder Hoffnungs-schwache) Mäkeln & Nörgeln weiter.  Das aktuelle Stichwort fürs öffentliche Rätseln: Übergangskoalition - eine selbstverständliche, aber dennoch sofort vernichtend ausgelegte Vokabel vom endgültig nahen Ende der Regierung.. Es ist die alte Geschichte, die immer wieder ausgeblendet wird: unser Land, die Bundesrepublik Deutschland, war nie gut genug: als ein in seinem Größen-Ideal komplett deklassiertes Land (unterschiedlich) Scham-beladener Bürgerinnen und Bürger, mit ungenügend abgerechneter, unklar gebliebener Schuld, einer die Generationen bindenden Verantwortung für unsere Geschichte und mit der Sehnsucht eines diskriminierten Aufsteigers nach Anerkennung und Befriedung einer tiefen Unzufriedenheit. Damit lässt sich schlecht leben. Davon kann man sich nur langsam erholen und nur langsam eine Zuversicht gewinnen - was, wenn ich richtig sehe, eher den jungen Generationen gelingt, wie es Norbert Elias einmal (1985) imaginierte, gelassen sagen zu können: "Hitler? Ja, gewiß, das war einmal. Aber heute sind wir anders". Uns fehlt ein hoffnungsvolles Bild wie der melting pot - in dem die Differenzen über Jahrhunderte in einem äußerst schwierigen Prozess nach & nach (hier & da) eingeschmolzen werden. Im Augenblick wird in den U.S.A. die Wirksamkeit des Bildes des melting pot bestätigt & gefeiert. Leider fürchten unsere regierenden Eliten unsere braune buckelige Verwandtschaft immer noch sehr. Leider ist für Viele immer noch: Verwandtschaft ist Verwandtschaft.Aber man kann, wenn man es für richtig hält, den eigenen  Eltern & Verwandten  Adieu! sagen. Man muss sie, wenn sie nicht gut waren, nicht lieben.


(Überarbeitung: 27.8.2024)

Mittwoch, 7. August 2024

"And how often in the world do you make that bastard wake up afterward and know that a black woman kissed his ass, sent him on the road?" (Tim Walz)

Endlich. Endlich. Das Trump-Geröhre - bei uns mit lahmer Empörung & Sorge fast täglich zitiert - hat seinen verdienten Namen bekommen: "bekloppt" (meine Übersetzung des Tim Walzschen weird). Jetzt können die bundesdeutschen Redaktionen sich angewöhnen, dem Stuss eines derangierten Mannes nicht mehr die Ehre einer politischen Aussage zu erweisen. Jetzt sollten das Lügen & Krakeelen doch langsam ins Leere laufen.  

(Überarbeitung:8.8.2024)

Freitag, 26. Juli 2024

Die große Verschwendung: "Elektromobilität"

Der Plan der Kanzlerin -  bis 2020 eine Million Elektroautos für den privaten Verkehr - war planlos. Angela Merkel, immer besorgt um ihr Überleben als CDU-Kanzlerin, hatte ihren Beitrag des politischen Larifari geleistet. Gründliches Nachdenken über die Voraussetzungen und Implikationen dieses Projekts wäre nicht schlecht gewesen. Stattdessen die verschwenderische Idee des Austauschs der Antriebsform. Unglaublich teures Blech. Ging es auch ein paar Nummern kleiner mit den Mitteln und den Materialien, die wir hier haben und produzieren können? Ging es auch mit einer gut durchdachten Verkehrspolitik?

Wir erleben den vertrauten Tagtraum ein zweites Mal: nach der unerschöpflichen Atomkraft die unerschöpflichen Kräfte des Windes und der Sonne. Das Paradies der preiswerten & sauberen Mobilität (einer alten, offenbar unerschütterlichen Parxis) wartet (immer noch oder erneut, wie man es sieht). Die Fantasie der Unendlichkeit und der Unvergänglichkeit. Eine Menge Leute laufen besoffen von den Möglichkeiten der Verschwendung und Ausbeutung durch die Republik. Wenn nur nicht  die Frage der Speicherung der unendlichen Energie und der Batterien wäre. Neue Wünsche, neue Produkte, neuer Markt. Der Planet gehört weiterhin uns. Wir lassen die Sektkorken knallen. Nur können nicht Alle mittrinken.

 

(Überarbeitung: 108..2024)

Donnerstag, 25. Juli 2024

Mäkeln ist die bundesdeutsche Parade-Disziplin

Im Morgenmagazin WDR 5 hörte ich heute Morgen (25.7.2024), dass der amtierende US-Präsident in seiner Fernsehansprache nur unpersönliche Sätze zu seiner Entscheidung gesagt hätte, den Versuch, ein zweites Mal zu kandidieren, aufzugeben. Worüber hätte er noch Auskunft geben sollen? Was fehlte der Rundfunkjournalistin Brandt? Womit war sie unzufrieden? Das öffentliche Forum ist keine psychotherapeutische Gruppe. Man muss nicht persönlich werden. Man muss auch in einer psychotherapeutischen Gruppe nicht persönlich werden. Man darf sich schützen. Evan Osnos, Autor der Zeitschrift The New Yorker, kommentierte Joe Bidens Entschluss mit den Worten: "But, in stepping out of the race, he took one more step to protect the system he has devoted his life". Das war genug und sagt genug.

 

Mittwoch, 24. Juli 2024

Wo sind die Töne des Aufschreis der Erleichterung und des Auflebens über Joe Biden und Kamala Harris in unserer öffentlichen Diskussion?

Kein lauter ARD- und ZDF-Jubel über das baldige Ende des Raubaukentums von Donald John. Stattdessen ungläubige, muffelnde Skepsis gegenüber der am 20. Oktober 1964 geborenen Kamala Harris. Hat sie überhaupt Chancen? Werden die Republikaner sich dennoch behaupten mit ihrem Salonlöwen?

Werden sie nicht. Donald John Trump weiß nicht, wohin. Er fürchtet sich - ausgelacht zu werden von der erfahrenen Staatsanwältin, die angekündigt hat, den "Trump Typus" zu kennen  aus einer Vielzahl von Verfahren. Das Vergnügen am Holzhacken wird ihm vergehen. 

Aber ganz so zurückhaltend ist unsere öffentliche Diskussion auch nicht. Vor ein paar Tagen rutschte Constantin Schreiber in den ARD-Nachrichten die Formel vom missglückten Attentat heraus. Die  Fehlleistung einer vertrauten Ambivalenz. Wir kennen sie seit den 80er Jahren, als Franz-Josef Strauss und Helmut Schmidt im Bild des Boxringes von einer feixenden Öffentlichkeit aufeinander zugeschoben wurden: nicht schlecht, wenn einer einmal mit einer dicken Backe zu Boden geht. Wir können uns jedenfalls trauen, uns zu freuen über den US-amerikanischen Aufschwung an Zuversicht. Die USA bleiben die USA. Die kriegen das mit ihrer Befürchtung vor ihrer enormen ethnischen Vielfalt  demokratisch hin. Der melting pot arbeitet weiter mit hoher Temperatur.  

 

(Überarbeitung: 25.7.2024)

Freitag, 21. Juni 2024

"Kippt die Ampel?" titeln auf ihrer ersten Seite die Leute von der "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" am 16. Juni 2024

Roter Grund auf der oberen Hälfte der Titelseite. Es brennt, sagt uns die Sonntagszeitung. Wie soll da das Frühstück schmecken? Wir befinden uns, sagt die Titel-Zeichnung von Jan Feindt, in einem knallroten Raum. Glüht unsere Welt schon? Christian Lindner, Robert Habeck und Olaf Scholz scheint die Gluthitze nichts auszumachen. Sie tragen Anzüge wie bei einer Pressekonferenz.  Christian Lindner kratzt sich mit seiner Linken am Hinterkopf, Olaf Scholz reibt sich die Hände, Robert Habeck hat den Kopf geneigt und seine Hände auf seine Hüfte gestützt. Sie stehen sich in der Formation eines Dreiecks gegenüber,  offenbar sprachlos. Christian Lindner an der Spitze des Dreiecks, Robert Habeck und Olaf Scholz auf der unteren Linie des Dreiecks; zwischen ihnen liegt das Ungetüm einer mehrfach geknickten, schwer beschädigten Ampel, aus deren oberes Ende weißer Qualm entweicht. Die Ampel liegt zu ihren Füßen. Unbrauchbar. Schrott. Was haben wir angerichtet? scheinen sich die drei Politiker zu fragen.

Die Frage Kippt die Ampel?  ist entschieden. Die Ampel-Politiker haben keine funktionierende Ampel mehr. Wird die Regierung ausgetauscht? Ist das die Neuigkeit am Sonntagmorgen? Was soll die Titel-Frage? Alter Kaffee, sage ich mir. Von Beginn an wurde der Koalition der drei Parteien das Regierungsgeschäft nicht zugetraut (s. meine Blogs dazu). Einer Regierung beim Scheitern zuzuschauen und sie mit ihrem Scheitern zu konfrontieren , war und ist der vergnügliche, spannende Subtext  des öffentlichen Kopfschüttelns der Verachtung. Verständnis für die unglaubliche Last der Regierungsaufgabe wurde selten aufgebracht.  Die enorme Dringlichkeit der Transformation galt und gilt wenig. Die Union schäumt, was das Repertoire der Klischees und Vorwürfe hergibt, um nicht erinnert zu werden an ihre Versäumnisse und Fehlkalkulationen der Merkel-Zeit. Die AfD feixt, versteht nicht so richtig, was läuft und hat Mühe mitzuhalten. Jetzt ist Fußball-Zeit, die Olympiade kommt, dann die Sommerferien, und im Herbst ist Notre-Dame restauriert.  Nur die Lebensaufgaben bleiben unerledigt.  Die Resultate der Wahl zum europäischen Parlament machen Kopfzerbrechen. In Frankreich wird erneut gewählt: was dann? Ungarn übernimmt den fälligen Wechsel im EU-Vorsitz: was wird?  Für Unterhaltung ist jedenfalls ausreichend gesorgt. 


(Überarbeitung: 25.6.2024)

 

 

Freitag, 7. Juni 2024

Ist es in Ordnung, wenn ein Verwandter des Mörders sich bei der Beerdigung des Opfers unter die Trauergemeinde mischt?

Wie war das jetzt in der französischen Normandie am 6. Juni 2024, achtzig Jahre nach der  enormen Anstrengung der allierten Soldaten der fünf Länder Frankreichs, Großbritanniens, Kanadas, Polens und der U.S.A., die deutschen Usurpatoren zurückzudrängen?

"Zum 80.Jahrestag stellt sich auch die Frage nicht mehr, ob der Bundeskanzler seinen Platz unter den ehemaligen westlichen Siegermächten hat. Olaf Scholz' Präsenz ist so selbstverständlich, dass Präsident Macron ihn nicht in einer eigenen Zeremonie würdigt", schreibt Michaela Wiegel in ihrem Text mit dem Titel "Einst Hitler, heute Putin" (F.A.Z. am 7.6.2024, S. 3, Nr. 130).  Ist die Anwesenheit des Bundeskanzlers selbstverständlich? Die Verschiebung - Putin in die Gegenwart der Ansprachen, Hitler in den Subtext der Ansprachen - ist (politische) Freundlichkeitstaktik, die es dem deutschen Bundeskanzler (und uns natürlich) nicht schwer machen soll. Sie ist nicht selbstverständlich. Das riesige, unendliche Leid, von Deutschen zugefügt, ist nicht vergessen und wird nie vergessen. In der BBC-Serie Fawlty Towers (der 70er Jahre) instruiert Basil Fawlty (John Cleese) seine Angestellten für den Umgang mit den westdeutschen Gästen: Don't mention the war! Don't mention the war! Natürlich kommt der Krieg der deutschen Regierung  zur Sprache - übrigens zur Empörung der westdeutschen Gäste. Olaf Scholz hätte sich nicht mit dem Schweigen abfinden müssen; er hätte etwas sagen können zur deutschen Scham und zum deutschen Dank. Er blieb auf Basil Fawltys Linie und folgte dessen Verachtung und verpasste die Chance, etwas zur schwierigen bundesdeutschen Identität zu sagen. 


(Überarbeitung: 24.6.2024)

Freitag, 31. Mai 2024

"America has never had a convicted felon as a major-party nominee": David Remnick von "The New Yorker" am 31.5.2024

Die fünf Frauen und sieben Männer des New Yorker Geschworenen-Prozesses haben Donald John Trump in 34 Anklage-Punkten für schuldig befunden. Der felon, wie es im amerikanischen Englisch heißt, kandidiert (bislang) noch für die Wahl des Präsidenten. Ob er  als Kandidat präsentiert und gewählt wird, werden wir sehen. Ich kann es mir nicht vorstellen. Eine auf ihre demokratische Verfasstheit stolze Nation wird sich heute ihren Staat von einem Bankrotteur nicht zerstören lassen. Die Trump-treuen Mitglieder der Grand Old Party werden aufschreien  & wüten. Die heimlichen und nicht so heimlichen Freunde der Abrissbirne können sich zurückziehen. Donald John Trump ist havariert. Nüchternheit & Ambivalenzlosigkeit sind gefordert. 


Dienstag, 26. März 2024

So ein Milliardär hat's schwer - der arme Donald John

Donald John Trumps Takelage ächzt und schwankt. Die New Yorker Justiz strapaziert den Skipper sehr. Muss man ihn in Schutz nehmen? Winand von Petersdorff, Korrespondent der Zeitung für die Klugen, versucht es am 25.3.2024 (F.A.Z., S.15)  erneut (nach dem 23.11.2016, als er schrieb: "dass Trump vielleicht doch nicht so realitätsblind ist, wie es bisher schien"; s. meinen Blog vom 23.11.2016) mit diesen Sätzen:

"Viele teilen die Empfindung, dass Trump es nicht besser verdient hat. Das mag so sein. Trotzdem ist das Urteil fragwürdig. Es fußt auf der innovativen Anwendung eines speziellen Gesetzes des Bundesstaates New York aus den Fünfzigerjahren, das den Zweck hatte, vor allem ältere Mitbürger vor wiederholten Betrugsmaschen von Unternehmen zu schützen". 

Der arme Skipper. Er muss die Suppe auslöffeln, die er gar nicht angerührt hat. Ein erstaunliches, merkwürdig verdrehtes Rechtsverständnis des F.A.Z.-Journalisten. Was hat er in den Vereinigten  Staaten von Amerika zu suchen? Aber bleiben wir beim Auslöffeln und schmecken dessen Prosa nach:

"Das ganze Verfahren wird den Geschmack nicht los, dass politische und andere sachfremde Motive eine Rolle spielen. Einige Generalsstaatsanwälte machten auf dem Fundament solcher öffentlichkeitswirksamer Fälle Karriere und wurden Gouverneur in New York.

Eine Lehre aus dem Fall lautet, dass man besser nicht  in die Fänge der New Yorker Justiz gerät, speziell wenn man deren politische Ideologie nicht teilt".

Kennen wir den Tonfall dieses sehr deutschen Ressentiments nicht? So klagten die leitenden Herren von VW über die nordamerikanische Justiz,  als sie die Kosten für die missglückte Ingenieursleistung ihrer betrügerischen Auspuffsysteme realisieren mussten. So klagten die leitenden Herren der deutschen Industrie, als sie sich 1945 in den Nürnberger Prozessen zu rechtfertigen suchten. Um mit dem (paraphrasierten) Titel einer alten Schulfunksendung des WDR aus den 50er Jahren zu enden: Nichts Neues in Waldhagen. Nicht nur die Partei mit dem verunglückten Namen Alternative für Deutschland hält alte Ressentiments lebendig.

      

Montag, 26. Februar 2024

"Deutschland schmiert ab" titelt die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" (25.2.2024). Ist es so schlimm? (Das methodische Problem des Journalismus; Beobachtung der Beobachter, 103))

Das Verbum abschmieren habe ich schon lange nicht mehr gelesen oder gehört. Ich kenne es aus dem Schülertalltag: etwas wird abgekupfert/abgeschrieben. Ein Diebstahl in Not. Wenn ein Flugzeug abschmiert, ist es in Not, und es ist unwahrscheinlich, dass der Pilot oder die Pilotin es abfängt. Aus dem Hollywood-Kino der 50er wissen wir: es klappt. Tom Cruise kann es auch. Aber die Bundesrepublik Deutschland? Abschmieren? Es gibt noch das Abschmieren im produktiven Sinne: das Auftragen & Einfetten empfindlicher Verschleißteile des Automobils. Das ist allerdings aus der Mode gekommen. Heutzutage sind die empfindlichen Bereiche verkapselt. Die Hände bleiben sauber. 

Der Autor des alarmierenden Befundes ist Patrick Bernau. Er kennt die Praxis der fettigen Hände nicht mehr. Möglicherweise ist er zuviel ins Kino gegangen. So schreibt er:  Unserer Wirtschaft geht es schlecht. Daran ist nicht nicht nur die Politik schuld. Stimmt das? Die Prognose für das Wirtschaftswachstum in diesem Jahr beträgt laut der Einschätzung unserer  Regierung: 0,2 Prozent. Ist das Abschmieren? Wohl kaum. Patrick Bernau hat einen Text der Besorgnis geschrieben. Warum schlägt er einen solchen Ton an?

Die Printmedien sind unter Druck. Sie sind teuer - das Jahres-Abo der F.A.Z. kostet mit der F.A.S. runde eintausend Euro - und schrumpfen. Die Konkurrenz ist enorm: Wer ist der erste mit den schlechten Nachrichten? Die journalistischen Medien sind in der Krise: sie sind eingestimmt - natürlich mit Ausnahmen - auf das miserable Votum für die Arbeit unserer Regierung. Sie lamentieren und jammern die Grundmelodie: Wir wissen nicht mehr weiter; unsere Gegenwart ist zu komplex; wir haben keine Idee von unserer Zukunft. Das methodisch gepflegte Bescheidwissen zerbröselt. Unsere Zukunft ist offen. Wer trifft die besten Entscheidungen?  Das wissen wir nicht. Wir müssen gründlich überlegen. Anders geht es nicht. Unsere schlauen Journalisten müssen die Klappe halten und nicht den Anschein Bescheid zu wissen weiter hochhalten. Das geht natürlich gegen das Geschäft. Sie sollten Fragen stellen. Das reicht.

Abschmieren wäre nicht schlecht - im übertragenen Sinne: Es ist an der Zeit, die Merkel-Jahre gründlich abzurechnen und zu verstehen, wie sie journalistisch durchgewunken wurden: wie die idiotische Alternativlosigkeit durchgehen konnte und wieso an unsere Zukunft so wenig gedacht wurde. Die Planlosigkeit der alten Regierung ist skandalös. Für deren Durchwurschteln zahlen wir jetzt. Redliche Handarbeit ist von nöten. Ohne sich die Hände schmutzig zu machen, kommt man nicht voran.  Mogeln gilt nicht. Wer sagt es? Wir warten auf die Wahrheit. Es wird teuer und ungemütlich. Eine Überholung steht an. Wer macht sich richtig schmutzig und holt sich fettige Hände?


(Überarbeitung: 8.4.2024)


 

Montag, 29. Januar 2024

"Wie wollen Sie die Politiker knacken, Frau Miosga?", fragte Anke Schlipp von der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (vom 7.1.2024) die Fernsehjournalistin zum Studio-Wechsel am 21.Januar 2024

 

Drei Wochen ist es her, dass Anke Schlipp in der Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung ihren Text "Wie wollen Sie die Politiker knacken, Frau Miosga?" veröffentlichte (am 7.1.2024). Der Text kommt so selbstverständlich daher. Klar, Menschen sind keine Nüsse; Nüsse-knacken macht Spaß. Aber Menschen-Knacken? Politiker-Knacken?  Das Talk-Vergnügen mit den Fantasien eines Tribunals, einer  Folter, eines  Geständnisses und einer  Hinrichtung einer (im Augenblick besonders) unbeliebten, für Projektionen empfänglichen Berufsgruppe  ist ausgesprochen. Ob die Redaktion der Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung einen Schrecken bekommen hat über das veröffentliche Zugeständnis eines sadistischen Vergnügens? Und was ist mit dem Programm-Machern der A.R.D. ? Publizistische Stille (mein Eindruck). Schweigen ist eine gut dosierte Antwort.

 Wie war nun die erste Sendung Caren Miosga am 21.1.2024? Friedrich Merz, Führer der Unionsopposition im Bundestag, war der Politiker der Sendung. Er konnte sich in seinen grammatikalisch gelungenen, langen Sätzen sonnen; interpunktiert von einem freundlichen Nachfragen und Konfrontieren mit alten Sätzen, die Caren Miosga parat hatte. Eingeladen waren die ZEIT-Journalistin  Anne Hähnig und der Soziologe Armin Nassehi, der zwei Beschreibungen der  gegenwärtigen politischen Praxis beisteuerte: die Politik-Simulation und die Inkompetenz-Erwartungen. Diese beiden Beschreibungen zu diskutieren, erwies sich als schwierig. Caren Miosga verabschiedete sich in ihrer ersten Sendung Caren Miosga  von ihrem Millionenpublikum mit dieser Fehlleistung: "Ich darf mich begrüßen". Vielleicht war sie mit sich zufrieden. Geknackt wurde niemand. 


(Überarbeitung: 30.1.2024)

 

 

 


Montag, 22. Januar 2024

Die unklare Melodie der KI

Eine Vokabel, die, einmal ausgesprochen, ein Vorverständnis und gemeinsames (innerliches) Kopfnicken erzeugt, nennen die Angelsachsen: buzz word. Es leuchtet blitzartig ein, ohne daß man sagen kann, was wie einleuchtet. Es leuchtet ein, verbreitet aber kein Verständnis. Die künstliche Intelligenz. Wie funktioniert sie? Per Algorithmus. Wie? Algorithmus? Na klar. Ist eine Rechenoperation. Wie ein Rezept (man nehme...). Ein Rezept? Eine Rechenopration? Gestern las ich: 

"Start-ups verwenden Künstliche Intelligenz, um nach neuen Medikamenten zu forschen: Dann muss man nicht mehr Tausende verschiedene Substanzen testen, ob die gegen eine Krankheit wirken, so ist die Hoffnung, sondern der Computer ahnt von vornherein, welche Substanz wirken könnte" (Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 21.1.2024, S. 17) . 

Tolle Sache: der Computer ahnt. Das meint der Autor Patrick Bernau sicherlich nicht ernst. Aber er macht die KI  zum Passepartout-Wort für Unsinn. Wie soll die Digitalisierung vorankommen, wenn ein Journalist das buzz word so hinschludert und kein Verständnis vermittelt?

 

(Überarbeitung: 11.10.2024)

Der schlecht gelaunte, mäkelnde Reinhard Müller von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 22.1.2024

Klar, als Leser kommt man nicht mit. Man kann sich nur wundern und kurz inne halten. Reinhard Müller in seinem Leitartikel auf der ersten Seite der F.A.Z. (vom 22.1.2024): Kein Ersatz für Politik ist der  Titel des kleinen Texts. Er bezieht sich auf die vielen Demonstrationen am Wochenende mit dem - sagen wir: Abscheu gegen die braune Soße. "Demokratenfront" nennt Reinhard Müller diese verabredeten Zusammenkünfte des gemeinsamen, öffentlichen Sprechens. Eine Front ist nicht zu erkennen, wohl eine Vielzahl plakatierter, unpersönlich adressierter Einsprüche. Die Demonstrationen, gibt Reinhard Müller zu verstehen, sind Herausforderungen eines Gegners, der nicht auftaucht. Lustig, nicht wahr?

Seinen Spott gibt er nicht zu. Gravitätisch schreibt er:

"Man sollte aber nicht den Eindruck erwecken, Versammlungen mit dem Gütesiegel von Staats- und Parteispitzen wären ein zwingender Widerstandsakt. Denn der setzte ja ein Unrechtsregime voraus. Das rechtzeitige Aufstehen soll offenbar das Sitzenbleiben früherer Generationen ausbügeln. Das ist anmaßend. Aber man fühlt sich gut dabei und satt. Auch das ist eine Gefahr".

 Aber man fühlt sich gut dabei und satt. Woher weiß der gute Mann das? Mit wie vielen Leuten hat er gesprochen? Sagt er nicht. Seine abfällige Bemerkung begründet er nicht. Freut er sich nicht?