Montag, 2. Dezember 2013

Wenn man ins Schwarze trifft, hat man noch nicht gewonnen: die Manege des Fernseh-Journalismus am Donnerstag, den 28.11.2013, Uhr 21.45

Am Donnerstagsabend, den 28.11.2013, führten die ZDF-Journalistin Marietta Slomka und der SPD-Parteivorsitzende Sigmar Gabriel in der Sendung Heute Journal ein Gespräch, das kein Gespräch war.
Sigmar Gabriel hatte in Hofheim (Taunus) vor 900 Parteimitgliedern gesprochen und wahrscheinlich (ich war nicht dabei) für die Koalition mit der Union geworben im Kontext des Mitglieder-Votums.
Die erste Frage der Fernseh-Journalistin erkundete den vermuteten "Gegenwind", dem Sigmar Gabriel jetzt ausgesetzt wäre - die Frage war: "Ein Selbstläufer wird das wohl nicht. Oder?"

Mit dem Selbstläufer war der Ausgang des Votums gemeint. Der Subtext ihrer Frage zielte auf die Verfassung des Parteivorsitzenden; man könnte ihn so übersetzen: Sie müssen ja jetzt ganz schön Manschetten haben. Wie geht's Ihnen damit?Wir kennen die Texte dieser Frage aus dem Sport: einen Tag zuvor hatte die Leverkusener Mannschaft im europäischen Wettbewerb 5:0 verloren. Die Spieler wurden natürlich auch gefragt, wie es ihnen nach dieser Katastrophe ging. Katastrophal, war die Antwort, die der mit dem Fußball Vertraute schon längst wusste. Aber natürlich ist es immer interessant, das Gesicht des Spielers zu sehen. Im Sport kann man die affektiven Folgen einer Niederlage zugeben; allerdings würde niemand einer vermuteten, antizipierten Niederlage zustimmen. Im Fußball ist alles möglich, das wissen wir.

Im politischen Kontext, wenn er in einer so genannten Nachrichten-Sendung inszeniert wird, offenbar nicht: da kann man nicht abwarten; da muss man Auskunft geben können über ein Ereignis, das noch gar nicht statt gefunden hat. Ein Selbstläufer wird das wohl nicht. Oder? Der zweite Subtext lautet übersetzt: Das wird ganz schön knapp. Denken Sie an Ihre Ablösung als Vorsitzender? Im Fußball antwortet üblicherweise auf diese Frage ein Trainer: Warten wir das nächste Spiel ab. Wie antwortete Sigmar Gabriel? "Da haben Sie aber eben hier nicht zugehört", sagte er. Er gab Marietta Slomka Recht, indem er den affektiven Subtext ihrer Frage bestritt. 1:0 für Marietta Slomka.

"Doch", sagte sie, obwohl sie gar nicht in Hofheim, sondern in Mainz war. Woanders, führte sie aus, ohne zu sagen, wo, hätte sie gehört, dass einige Mitglieder nicht einverstanden wären mit den ausgehandelten Koalitionsbedingungen; außerdem hätte man sich nicht so viel Mühe geben müssen mit den Parteimitgliedern, wäre der Ausgang längst klar gewesen. 2:0 für Marietta Slomka: Sigmar Gabriel ließ ihr doch  durchgehen. Den dritten Punkt erzielte Marietta Slomka mit dem Argument, Sigmar Gabriel eine Selbstverständlichkeit zum Nachteil auszulegen: dass sein Werben für die  Position der Zustimmung über seine Unsicherheit Auskunft geben würde.

Wie reagierte Sigmar Gabriel auf diesen Spielverlauf? Er erläuterte das Partei-interne Verfahren des Votums. "Ich finde gut, was wir machen". Ein weiteres Mal musste er den Ball aus dem Netz herausholen: 0:4.

Das letzte Mal musste er sich nach dem Ball im Netz bücken, als er auf die Abseitsregel vertraute, die im Heute Journal allerdings nicht angewandt wurde. Die Journalistin führte die verfassungsrechtlichen Bedenken mit der Frage ein: "Haben Sie sich solche verfassungsrechtliche Gedanken eigentlich gemacht?" Eigentlich. Das Adjektiv eigentlich, in einer Frage verwandt, kommunizierte den Vorwurf: Der Parteivorsitzende der SPD hat sich keine Gedanken gemacht. Den konnte Sigmar Gabriel nicht auf sich sitzen lassen. Also erläuterte er sein Politik-Verständnis. Er überzeugte die Journalistin nicht. Er widerlegte ihren Vorwurf nicht. Er gab ihm Recht, als er ihn für nichtig erklärte: "Quatsch" und "Blödsinn", sagte er. Er hatte sich Gedanken gemacht, aber er hatte sich nicht genügend Gedanken gemacht. Das Abseits der verfassungsrechtlichen Bedenken hatte er zu wörtlich genommen. Er brach den Machtkampf ab - fünf Gegentore waren eine Menge.

In der Samstagsausgabe der SZ (30.11./1.12.2013, S. 3) wurde Sigmar Gabriels Verhalten so gelesen:
"Das war der alte Gabriel, pur zu jeder Eskalation bereit. Der Mann, der in seinen heikelsten Momenten zur größten Gefahr für sich, die Partei und wohl auch eine Regierung werden kann (...) Die Frage ist, wie oft der alte Gabriel in der Regierung herauskommen wird. Und wie Merkel dann mit ihm umgehen wird... (...) ... schließlich hat Gabriel eher wie ein Raufbold gewirkt, der sich ganz gut selbst zu helfen versteht". Interessant an dieser Kollegen-Lektüre ist, dass sie die Interaktion dieser TV-Befragung nicht berücksichtigten - abgesehen davon, dass sie  die ZDF-Journalistin ungenau zitierten und die Untertöne
nicht beschrieben. Vor allem aber: wozu diente diese Art von Nicht-Gespräch? Es war der Fernseh-typische Voyeurismus, jemanden mit einer Kränkung zu konfrontieren und zu schauen, wie er reagiert. Es war, vielleicht, der Wunsch der Journalistin, echte, nicht taktische Auskünfte zu bekommen. Aber sie fragte eine Selbstverständlichkeit ab. Ich hatte den Eindruck: sie hatte sich etwas vorgenommen; sie war aufgeregt. Um was ging es? Als Zuschauer fällt einem sofort das Geschäft ein: die Konkurrenz von ARD und ZDF, das das älteste Publikum hat. Vielleicht steht die Redaktion des Heute Journal unter dem Druck miserabler Einschaltquoten und will, wie das heute so schön heißt, Profil gewinnen und Boden gutmachen. Die Zeiten, als beide Institute ihre Programme abstimmten, liegt Jahrzehnte zurück. TV-Journalismus lebt (zum Teil) von der Fantasie der schnellen Zugeständnisse, weshalb die direkte Konfrontation gesucht wird. Verhökert wird dabei die Idee des Gesprächs. Politik wird zu einem schlechten Fußballspiel.


          

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