Mittwoch, 14. Januar 2015

Zum Unwort des Jahres 2014

Das Unwort des Jahres ist ein Unding. Sicher, es macht aufmerksam auf die sprachlichen Fehlleistungen, deren Produzenten diese oder jene fröhliche Verachtung - die für die Adressaten gar nicht fröhlich klingt - preisgeben: aber es transportiert auch viel pompöse Moral, den Zeigefinger und den Appell zum richtigen Benehmen (möglichst kein falsches Wort!) in unserer bundesdeutschen Demokratie, in der unklar ist, ob man am besten auf Zehenspitzen geht. Andererseits: die Auszeichnung des unfreundlich verallgemeinernden Wortes Lügenpresse verstärkt die Ablehnung derer, die sich den Pegida-Gängen durch Dresden anschließen, und betreibt das Geschäft ihrer Exklusion. Man müsste über die Bedeutung des Wortes ins Gespräch kommen. Es im nationalsozialistischen Kontext zu platzieren, ist nicht hilfreich; denn es scheint anders gemeint zu sein. Man braucht für die  Zufriedenheit der eigenen demokratischen Identität die Gewissheit, in der öffentlichen Diskussion durch ein Medium (gedruckt oder elektronisch) vertreten zu sein - sonst fühlt man sich ausgeschlossen. Offenbar ist das Wort von der Lügenpresse der Ausdruck für den Groll, sich nicht repräsentiert zu fühlen. Das ist übrigens so neu nicht; lange Zeit galt der Kölner W.D.R. als der rote Sender - ein Kampfwort mit ähnlichem aversiven Affekt, wenn auch im anderen Kontext.

Gestern bestätigten eine Journalistin (Frankfurter Rundschau) und ein Journalist (Süddeutsche Zeitung)
in einem Interview der Tagesschau oder der Tagesthemen (ich erinnere den Sendeplatz nicht) ihre Zustimmung zur Wahl des Unding-Wortes: es würde den Diskurs verhindern. Wenn ich ein Wort aus einem Gespräch ausschließe, es wörtlich nehme und den Subtext überhöre, mache ich das Gleiche. Das Bestehen auf einer Kleider-Ordnung schließt die aus, die nicht über das vorgeschriebene Textil verfügen, und beschämt sie. Womit wir im Kreislauf angelangt sind, der die Pediga-Leute Pediga-Leute sein lässt.

Christoph Butterwege, der Kölner Sozialwissenschaftler (oder Menschenwissenschaftler, zu dem Kontext der öffentlichen Taubheit:

"Rassismus, Antisemitismus und Nationalsozialismus sind keine mentalen 'Restbestände' der Nazizeit, sondern primär ein Produkt der Gegenwart, das sich aus Fehlentwicklungen in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft speist" (5.12.2014).

Im übrigen transportiert unsere Sprache - gewissermaßen dem Wörterbuch des Unmenschen zum Trotz - nationalsozialistische Vokabeln und Subtexte (zum Beispiel Flakhelfer und Machtergreifung) und Akronyme (wie Gestapo und SS) in ihrer alten Schneidigkeit.   

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen