Mittwoch, 13. April 2016

Journalismus-Lektüre XIV: Dresche für Draghi

Am 3.4.2016 las ich der Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung (S. 21) den Text von Rainer Hank: "Wer kann Mario Draghi stoppen?" Untertitel: "Ausgerechnet die Deutschen kritisieren heute die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank. Dabei haben doch  gerade wir immer größten Wert auf diese Unabhängigkeit gelegt. Was ist passiert?"

Der Mann macht, was er will. Rainer Hank: "Selbstbewusst und trotzig pocht er auf seine Unabhängigkeit - und verspielt sie doch, seit er sich von den Staaten immer stärker in die Rolle des Staatsfinanziers drängen lässt. Jetzt zeigt sich, dass die zum Tabu erklärte Unabhängigkeit der EBZ nicht frei von Risiken und Nebenwirkungen ist".

Der letzte Satz ist das Spiel mit Klischees. Welche Intervention - welche Handlung -  ist "frei von Risiken und Nebenwirkungen"? Der Text ist lang und gewunden. Der unabhängige Chef der EBZ
bleibt unabhängig. Die beiden letzten Sätze von Rainer Hank: "Viel wahrscheinlicher ist, dass kein Verantwortlicher es wagen wird, die Verfassung der EBZ zur Disposition zu stellen. Das haben wir
Deutschen jetzt davon".

Wovon? Von unserer Großzügigkeit und Blauäugigkeit. Der Autor spielt mit unserer Geschichte. Davon abgesehen: wo kommt der Konsensus her - dass Draghi Dresche verdient? Wie kommt es,
dass der Mann und sein Team, die sicherliche gute Begründungen haben, so eingeschätzt wird?
Merke: wenn Viele einen verprügeln wollen, stimmt etwas nicht. Wo sind die Gegenstimmen? Wo ist die Erörterung der Konzepte? Der Hypothesen? Der Prognosen? Darüber müsste man sich doch
verständigen können - wenn Journalisten ausreichend übersetzen oder ein Forum einrichten, wo Fachleute ihre Konzepte und Hypothesen übersetzen.

Eine Woche später, in der Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 10.4.2016 (S.22) - ohne den riesigen Aufmacher  Wer kann Mario Draghi stoppen? - der Beitrag von sieben bundesdeutschen Autorinnen und Autoren mit dem Titel "Kritik an Draghi ist noch keine Lösung. Wo bleibt die konstruktive Abtwort auf die Krise Europas?"

Sie und resümieren und schreiben: "Die EBZ muss nicht weniger, sondern Europas Politik muss mehr tun. Die Politik, auch die deutsche, darf sich nicht länger ihrer Mitverantwortung für die gegenwärtige wirtschaftliche Lange in weiten Teilen Europas entziehen. Benötigt werden eine wachstumsfreundliche Fiskalpolitik, Strukturreformen zur Öffnung neuer Märkte und eine Konsolidierung des Finanzsektors. Dabei müssen vor allem wir in Deutschland uns den Spiegel vorhalten, denn die meisten Reformen benötigen wir genauso dringend wie unsere europäischen Nachbarn".
Das ist ein Wort. Also kein wohliges Bad im warmen Wasser der Empörung und des Unverständnisses. Natürlich ließ Rainer Hank das Wasser nicht uneigennützig einlaufen. Die Einstimmung in den affektiven Konsens soll auch der Auflage und der Empörungs-geneigten Leserschaft dienen. Kein Grund, sich über Panama zu mokieren.

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