Dienstag, 11. Januar 2011

Rente mit 67, 70 oder 80?

Das Deutsche, das hat uns Georges-Arthur Goldschmidt schön gezeigt, ist eine körperliche  Sprache. Das Verbum, mit dem wir uns über das Ende unserer angestellten Berufstätigkeit verständigen, heißt ausscheiden. Man kann es transitiv und intransitiv gebrauchen. Wir scheiden unsere flüssigen und festen Schlacken aus - kein so appetitlicher Vorgang - , und wir scheiden aus unserem Dienst oder aus irgendeinem anderen Wettbewerb oder Spiel aus - auch nicht so einfach. Die Grenze, die unsere Berufstätigkeit markiert, ist für viele Berufe, deren Ausübung keine körperliche Anstrengung erfordert, heute historisch und, wie wir sehen, beweglich geworden. Was wäre, wenn man sie - nach einer angemessenen Beruftstätigkeit -  selber wählen könnte? Was wäre, wenn wir dann auch unser Arbeitspensum wählen könnten - natürlich in einem angemessenen Umfang?

Ältere Berufstätige bücken sich ungern und setzen ihre Schritte vorsichtiger - aber sie könnten andere Aufgaben übernehmen: als Mentoren, Supervisoren, Berater, als Vermittler ihrer Erfahrungen, Ausbilder oder Lehrer (im weitesten Sinne). Dafür müsste man die Berufe durchgehen und sehen, welche sich altersgemäß organisieren lassen. Dafür müsste man die starren Grenzen abschaffen und bewegliche Regelungen finden. Es würde weniger Brüche und weniger Verluste - beruflich wie persönlich - geben. Es würde einen eher organischen Übergang in den Abschied des Alters geben. Es würde die Arbeit verändern. Es würde unsere Einstellung zur Arbeit verändern. Es würde unser Fantasieren verändern: Wir könnten die Illusion vom nachgeholten (reparierten) ungelebten Leben aufgeben oder zumindest modifizieren. Wir müssten nicht mehr fantasieren,  noch einmal richtig aufdrehen zu müssen - mit dem er-zinsten Motorboot aus den Fonds der Sparkassen. Wir könnten Theodor Wiesengrund Adornos Wort vom richtigen und falschen Leben vergessen. Wir könnten das Alter Alter sein lassen. Wir könnten uns ausruhen. Wir könnten alt werden.