Dienstag, 30. Oktober 2018

Gemerkel 7: Viel Lärm & Kitsch um eine Selbstverständlichkeit

Respekt äußerte gestern der Tagesthemen-Kommentator Rainald Becker vom Südwestrundfunk. Wofür? Dass Angela Merkel nach der Landtagswahl in Hessen ihre Position als Parteivorsitzende aufgibt. Wurde  nicht endlich Zeit, das politische Parteien-Gemauschel im Bundeskanzleramt (und anderswo) aufzugeben?

Artikel 21 unseres Grundgesetzes besagt: "Die Parteien wirken bei der Willensbildung des Volkes mit". Sie wirken mit, aber sie betreiben keine Regierungspolitik im Dienste der Parteipolitik zur Sicherung ihres Machterhalts. Regierungspolitik sollte sich am Prinzip der Notwendigkeit und der Vernünftigkeit orientieren; ob sie von der Mehrheit später honoriert wird, ist eine andere Frage. Der Satz der Kanzlerin - es ist immer Wahlkampf -  verhöhnt und verletzt ihren Amtseid. Wenn sie dauernd an den Wahlkampf denkt, woran denkt sie noch?

Ihr Satz vom permanenten Wahlkampf ist durchgegangen - wie andere problematische Sätze der Kanzlerin auch. "Das Bild, das die Regierung abgibt", sagte sie gestern am 29.10.2018 in ihrer Rede zur Begründung der Veränderung ihres Arbeitsvolumens, "ist inakzeptabel". Wieso spricht sie vom Bild? Kein Wort der Entschuldigung oder des Zugeständnisses - auch ein gaaanz kleines wäre nicht schlecht gewesen -  ihrer eigenen, von ihr initiierten erratischen, kostspieligen, planlosen Politik: die Transformation der Energieversorgung, die Veränderung der Mobilität im Kontext der Klimakatastrophe, die Verringerung der Verteilungsungerechtigkeit im Kontext einer großzügig realisierten Einwanderung - ohne Plan und ohne Abstimmung mit den Regierungen der europäischen Union. Alleingänge als Politik. Was sagt sie dazu?

Sie spricht von einer ihren persönlichen Ansprüchen nicht genügenden Arbeitskultur. Klingt schön - die Klage über die störrischen Polit-Rabauken, mit denen sie zu tun hatte, während sie sich ins Zeug legte - , passt aber nicht zu ihrem Amtsauftrag. Es sind die anderen, die nicht fleißig sind. So beklagten sich früher in der Schulklasse die Fleißigen über die Nicht-Fleißigen. Die Maut kommt nicht, sagte sie vor der vorletzten Bundestagswahl. Sie kam und sie kam nicht. Kommt sie? Who knows? Drei Jahre ließ sie sich Zeit für deutliche, an die Chefs der Autoindustrie adressierte Worte. Forderungen stellte sie nicht. Wohl dachte sie laut über Gesetzesveränderungen zugunsten der Autoindustrie nach. Das war kurz vor der Hessischen Landtagswahl. Damals kurz vor der Baden-Württembergischen Landtagswahl boxte sie mit einem Überraschungs-Punch das Moratorium des Nachdenkens über die Energie-Versorgung und das Ende der Atomkraft durch. Ist Manipulation oder Aufschieben oder Weinerlichkeit: Arbeitskultur?
      

Donnerstag, 25. Oktober 2018

Zu viel Diesel im Kopf - Lektüre eines Journalismus (Beobachtung der Beobachter) 75

"Diesel-Wahl" ist der Titel des Kommentars von Jasper von Altenbockum heute am 25.10.2018 auf der ersten Seite der Zeitung für Deutschland (F.A.Z., Nr. 248). Es geht um die Hessische Landtagswahl.

Der erste Satz:
"In die Umfragewerte zur Hessenwahl ist nicht nur durch die schrillen Töne aus der großen Koalition in Berlin Bewegung gekommen, sondern auch und vor allem durch das Urteil zum Diesel-Fahrverbot in Frankfurt".

Jasper von Altenbockum sollte das, was er hört (schrille Töne),  ernst nehmen: unsere Regierung ist gereizt, unruhig, ängstlich, hilflos. Deren konzeptloses Merkeln hastiger Lenkbewegungen (vor allem im Dienste des Machterhalts) geht den Leuten ganz schön auf den Senkel. Der Transformationsversuch unserer Energieversorgung war planlos initiiert worden; wie die Transformation die ambitionierte Reduktion der von unseren aufwendigen Lebensformen produzierten Umweltschäden zustande bringt,  war nicht durchdacht worden - was auch bedeutet hätte, dass wir endlich beginnen, intensiv und zügig über andere, Umwelt-vernünftige Formen unserer Lebensbewegungen nachzudenken. Stattdessen Abwarten und Aufschieben. Einem Privatmann oder einer Privatfrau, der oder die so die eigenen Lebensaufgaben anzupacken vermeidet, würde man eine Arbeitsstörung attestieren.

Das ist natürlich für den gesellschaftlichen, politischen Kontext zu einfach gedacht. Aber seit beinahe 50 Jahren - in meiner Erinnerung - haben sich die für die Erörterung und Durchsetzung der relevanten politischen Entscheidungen verantwortlichen Akteure darauf verständigt, unsere Lebenswirklichkeit zu leugnen. In den 70er Jahren wurde das Ende unserer fossilen Energievorräte und das Ende des Konzepts des Wachstums heftig diskutiert  - die Diskussion wurde abgekürzt mit der Fantasie auf die Aussicht einer buchstäblich ewig strahlenden Energiequelle. Wieso soll man sich zurücknehmen, wenn die Welt so einfach erscheint?  Seit den 70er Jahren lassen unsere Regierungen (und unsere zaghafte, Komplizen-bereite, den Hausfrieden sichernde öffentliche Diskussion) die Automobilindustrie machen, was sie will. Was will sie?

Vierrädrige Kutschen verkaufen - mit oder ohne Verbrennungsmotor. Was anderes ist ihr egal. Die Gesundheit der Leute ist ihr egal. Die Verschwendung unserer Ressourcen ist ihr egal. Was aus unserem Planeten wird, ist ihr egal. Es ist nicht nur die Autoindustrie. Welches andere Geschäft probiert, ohne die Fantasie vom (ordentlich) Gewinn abwerfenden Wachstum auszukommen? Wer denkt daran, unseren Reichtum im globalen Kontext fair zu verteilen?

Die Fragen drängen. Der  Diesel ist nicht unser Problem. Das Problem sind das Vergnügen  an der Macht der Drehmomenten starken, Turbo-aufgepumpten Motoren  und das Vergnügen an der Verleugnung unserer Lebenswirklichkeit - der Spaß an der bundesdeutschen Party, von der, wenn wir uns umsehen, bei uns eine Reihe Leute ausgeschlossen sind oder ausgeschlossen werden,  wird langsam schal.   

Montag, 8. Oktober 2018

Gemerkel 6: Mit der Empörung manipulieren

"Gleichzeitig sieht sich die deutsche Autoindustrie scharfen Vorwürfen aus der Politik ausgesetzt",
lese ich heute in der F.A.Z. (8.10.2018, S. 15). "Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) griff die Hersteller am Wochenende ungewöhnlich scharf an. In Sachen Schadstoffreduzierung habe die Branche 'gelogen und betrogen'", sagte Merkel während eines Treffens der Jungen Union.

Na, so was.
Der Vorwurf der Bundeskanzlerin kommt drei Jahre zu spät. Noch im letzten Jahr scharwenzelte sie  auf der Frankfurter Automobilmesse um die Herren der Branche, sprach von den Fehlern, aus denen man lernen müsste, davon, dass die Herren "Regelungslücken exzessiv ausgenutzt... nicht nur sich selbst Schaden zugefügt, sondern auch Verbraucher, Behörden getäuscht und enttäuscht" (s. meinen Blog vom 16.9.2017 über die süße Korruption).

Ihre Rede kann nicht scharf genug sein. Leider pflegt sie weiterhin den Kitsch der Empörung und vernebelt ihre eigene Verantwortung - so lange zu warten, bis die Umfragewerte ihr grünes Licht geben, sich zu empören (vermute ich) und so zu tun, als teile sie die Sorgen der Bürgerinnen und Bürger, die nun gezwungen werden sollen, sich für ein neues Fahrzeug zugunsten der Autoindustrie zu verschulden. Ihre Sorge gilt, ein alter Hut, ihrem Machterhalt der Partei. Brave Parteivorsitzende, brave Kanzlerin. Wie war das noch mit dem Amtseid?