Samstag, 26. März 2011

Nebelige Kontexte und vernebelnde Wörter

In der zweiten Hälfte der 50er Jahre nahmen wir uns manchmal vor, die Latein-Hausaufgaben bis zur Vergasung zu pauken. Wir dachten uns nichts dabei. Der Subtext fiel uns nicht auf. Er fiel mir viele Jahre später auf. Das ist noch gar nicht so lange her. Die Formel von der Vergasung deutet an, welches Wissen über nationalsozialistische Verbrechen sich in der Alltagssprache niedergeschlagen hatte, die weit in die Nachkriegszeit hinein kursierte. Vom Traum-Text sagte Sigmund Freud (in den Vorlesungen zur Einführung), dass dessen Träumer nicht wüsste, dass er wüsste, was sein Traum bedeuten würde. Vom Sprechen und der Sprache kann man Ähnliches sagen: Wir sagen mehr, als wir beabsichtigen zu sagen; wir überschauen nicht, was wir sagen und was wir wissen, wenn wir etwas sagen. 


Gestern, am Freitag, den 25.3.2011, interviewte eine WDR-Journalistin einen Gewerkschaftler, der zu der Gesprächsrunde gehören wird, die die Bundesregierung vor Tagen unter dem Namen Ethikkommission einberief . Die Journalistin benutzte das Fremdwort Moratorium. Sie machte den Kontext, in dem die Vokabel vor wenigen Tagen in der öffentlichen Diskussion aufgetaucht war, nicht deutlich. Die Bundeskanzlerin und der Bundesaußenminister hatten sie am Montag, den 21.3.2011,  in der Pressekonferenz als eine dreimonatige Phase des Nachdenkens eingeführt - neben der Entscheidung,  sieben Atom-Kraftwerke für diese Zeit zurückzufahren. Das war erstaunlich, weil sich die Bundeskanzlerin   am Abend zuvor in dem Interview mit Ulrich Deppendorf von der ARD sehr zurückhaltend zu ihrer Energiepolitik geäußert und keinen Grund gesehen hatte, sofort zu handeln. Dieser Kontext der taktischen Kehrtwende versickerte buchstäblich in der Vokabel vom Moratorium als der Phase des Aufschubs und des Nachsinnens, wie der Kluge dessen Etymologie angibt - die überstürzte Entscheidung bekam den Anstrich einer soliden, durchdachten Überlegung. Wer dieses schöne Wort lateinischer Herkunft fraglos benutzt, platziert sich auf die Seite der Bundesregierung und wiederholt deren kosmetische Operation. Häufiger Gebrauch nebelt ein und lässt die Schminke vergessen. Die nationalsozialistische Regierung war darin Meister.

Freitag, 18. März 2011

Dummheit kommt vor dem Fall

Erinnern wir uns: In ihrer Verteidigung des ehemaligen Verteidigungsministers Herrn Baron zu Guttenberg argumentierte unsere Bundeskanzlerin, dass sie einen tüchtigen Minister, aber keinen wissenschaftlichen Assistenten in ihrem Kabinett haben wollte. Das Argument war skandalös und deutete ihr Missverständnis, ihre Unsicherheit und ihre Verachtung an - für die Wissenschaft, über die sie sich mit dem Bild des Assistenten mokierte, für die Politik, für die offenbar wissenschaftlich differenzierte Auffassungen nicht notwendig sind. Ihr Argument war angesichts der komplexen Aufgaben der Legislative unglaublich. Jetzt fällt ihr Argument auf sie zurück. Denn die Bundeskanzlerin Frau Merkel versucht, sich mit ihrer Überraschung herauszureden: "Wenn, wie in Japan, das scheinbar Unmögliche, das absolut Unwahrscheinliche Realität wurde, dann verändert das die Lage", wird sie heute am 18.3.2011 in der SZ auf der dritten Seite zitiert.

Der Satz ist eine Lüge; denn es gab Harrisburg (1979) und Tschernobyl (1986). In ihrer Dissertation, lässt sich dem Titel ihrer Arbeit entnehmen, arbeitete sie mit "quantenchemischen und statistischen Methoden". Statistische Verfahren prüfen Wahrscheinlichkeiten - das ist das Erste, was man lernt, wenn man sie sich aneignet. Würde sie redlich argumentieren, würde Frau Merkel ihre Ziffer für das absolut Unwahrscheinliche angeben und ihre Fehleinschätzung diskutieren. Sie tut aber so, als hätte sie es nicht gewusst. Wenn sie es nicht weiß, stimmt etwas mit ihrem Status als Wissenschaftlerin nicht. Wenn sie es weiß, wovon ich ausgehe, versucht sie sich an das anzupassen, was ihre Berater ihr angesichts der kommenden Landtagswahlen raten: "Entscheidungsfähigkeit zu zeigen", wie sie das am 2.3.2011 nannte (s. meinen Blog Die Crux mit dem Zeigen vom 3.3.2011). Leider sind ihre Berater schlecht beraten. Ein wissenschaftlicher Assistent würde zumindest für substantielle Argumente sorgen.

Dienstag, 15. März 2011

Doch! Doch! Doch!

Wenn es jemand eilig hat, sollte man das Tempo drosseln - um sich zu besinnen, zu orientieren oder zu erinnern. Erinnern wir uns. Am Sonntagabend sagte die Bundeskanzlerin Frau Merkel zu Ulrich Deppendorf, dem Mann von der ARD, sinngemäß, dass die bundesdeutschen Atom-Kraftwerke sicher seien - anderenfalls müsste sie sofort ihrem Amtseid folgen und die Anlagen abschalten lassen. Das war ein treuherziges Argument auf dem Niveau des Arguments meiner Großmutter, die Zweifel an ihren Behauptungen mit der Drohung begegnete, dass sie tot umfallen wollte, sollte sie Unrecht haben. Gegen dieses existenzielle Argument war schwer anzukommen. Gestern begründete die Kanzlerin die Revision ihrer umstrittenen Entscheidung aus dem vorigen Jahr, die Laufzeiten der Kraftwerke zu verlängern, mit den Worten (SZ vom 15.3.2001, S. 1): "Die Ereignisse in Japan haben uns gelehrt, dass Risiken, die für absolut unwahrscheinlich gehalten wurden, dennoch eintreten". Dieses Argument sollte einer promovierten Physikerin nicht über die Lippen gehen.

1. Eine Wahrscheinlichkeitsaussage sagt nichts über den tatsächlichen Eintritt eines Ereignisses.
2. Die Ereignisse in Japan lehren uns nicht, dass der G.A.U. eintreten kann. Das war schon lange vorher bekannt. In den 70er Jahren wurden alle relevanten Argumente  im Kontext der zunehmenden Verknappung der Ölvorräte vorgelegt und diskutiert. Es gab eine Phase engagierter Nachdenklichkeit. Autoren wie Robert Jungk, Klaus Traube oder Bodo Manstein hatten eine große Öffentlichkeit. Es gab, als Sparmaßnahme, an vier Sonntagen im Herbst 1973 von der sozialdemokratischen Regierung verordnete leere Autobahnen. Ausländische Regierungen führten auf ihren Schnellstraßen Geschwindigkeitsbegrenzungen ein. Die Bundesrepublik führte eine empfohlene Geschwindigkeit auf Autobahnen - die so genannte Richtgeschwindigkeit - ein, worauf die bundesdeutsche Autoindustrie mit einer Hochrüstung ihrer Fahrzeuge reagierte. In kurzer Zeit ließ die Nachfrage nach sparsamen Wagen nach. Die Phase der Nachdenklichkeit war zu Ende. Es begann die Phase mächtigen Fantasierens vom wirtschaftlichen Wachstum. Nachdenken war nicht mehr gefragt.
3. Die atomare Technik wurde eingeführt  und etabliert als Trostmittel und Versprechen, dass wir uns über die natürliche Endlichkeit keine großen Gedanken machen müssen.
4. Es ist Zeit zu realisieren, dass Naturwissenschaftler dann fantasieren, wenn sie sich keine substantiellen existenziellen Gedanken machen - sondern ihre Fähigkeit und Kontrolle unüberschaubarer Prozesse behaupten. In der heutigen Ausgabe der SZ wird Ralf Güldner, der Präsident des deutschen Atomforums, mit den Worten zitiert: "Nein, die Situation in Japan ist ein einmaliges Ereignis... Eine solche Verkettung ist in Deutschland nicht vorstellbar. Möglicherweise müssen aber Auslegungswerte gegen Ereignisse wie Erdbeben oder Überflutung überprüft werden" (S. 5). Ralf Güldner argumentierte wie unsere Bundeskanzlerin am Sonntag. Seine Fantasielosigkeit sollte nicht als Realitätseinschätzung durchgehen.
5. Unsere Regierung argumentiert Substanz-los. Man muss befürchten, dass taktische Überlegungen dominieren. Weshalb drei Monate zum Nachdenken ausreichen sollen, ist unklar. Der erste Schritt einer substanziellen Politik wäre das Eingeständnis einer Fehleinschätzung und die Modifikation des gemeinsamen Fantasierens.

  


       

Montag, 14. März 2011

Der Bluff mit der Präzision

Sigmund Freud war überzeugt, dass sich die leise Stimme der Vernunft, wie er das nannte, durchsetzen würde. Manchmal hat er recht. Die Vorzüge der Psychotherapie als eines nicht-invasiven Verfahrens sprechen sich herum.  Dazu wurde ein Interview mit Mathias Berger, Chef der Psychiatrischen Klinik der Universität Freiburg, in der SZ vom 12./13.3.2011 (S. 24) abgedruckt. Gefragt nach dem Fortschritt der Psychiatrie, antwortete Berger: 
"In der Pharmokotherapie passiert so gut wie nichts, obwohl wir seit zwei Jahrzehnten 'Dekaden des Gehirns' feiern. Dafür aber hat seit Mitte der 1990er Jahre die Psychotherapie eindrucksvoll ihren Einzug in das Fach gehalten - und sie entwickelt sich beständig weiter".
Mathias Berger erläuterte:
"Der wichtigste Trend ist, dass die großen therapeutischen Schulen sich auflösen. Wir behandeln zunehmend störungsspezifisch, indem wir die besten Bausteine aus kognitiver Verhaltenstherapie, psychodynamischen oder sonstigen Verfahren herausnehmen und daraus maßgeschneiderte Therapien für die jeweilige Störung entwickeln - sei es eine Schizophrenie, eine Angsterkrankung oder eine Depression". 
Drei Aspekte dieser zwei Sätze will ich aufgreifen.
1. Die großen therapeutischen Schulen lösen sich nicht auf, sondern fressen sich auf. Psychoanalytische Konzepte werden kannibalisiert. Das Konzept der Abwehr oder der Übertragung wird übernommen, ohne auf deren Autor - in diesem Fall: Sigmund Freud - zu verweisen. Berger spricht von den sonstigen Verfahren, mit denen er die Psychoanalyse meint.
2. Von jedem das Beste. Aus der Kinderstube wissen wir, dass die Märklin-Bauteile nicht mit Lego-Bauteilen verschraubt werden können. Das Gleiche gilt für psychotherapeutische Verfahren, die unterschiedliche Konzepte haben und unterschiedliche Haltungen voraussetzen. Die Baukasten-Fantasie berücksichtig nicht oder verachtet die Architektur von Konzepten.
3. Die Rede von der maßgeschneiderten Präzision  enthält ein Missverständnis. Psychotherapie ist die asymmetrische Begegnung zweier Menschen, die eine gemeinsame Sprache des Austauschs finden müssen mit dem Ziel, sich über eine Lebensgeschichte angemessen zu verständigen. Das geht nicht schnell. Das seelische System lässt sich auch nicht ausmessen. Eine fremde Lebensgeschichte zu verstehen ist schwierig. Die maßgeschneiderte Psychotherapie möchte davon absehen; sie möchte niemanden verschrecken. Sie möchte den Einruck erwecken, es ging so einfach zu wie beim Messen des Blutdrucks. Sie suggeriert eine Trennschärfe der Diagnosen. Dabei ist eine psychiatrische Diagnose eine  lockere Beschreibung der Symptome oder des Störungsbildes - keine Erklärung, die ein Verständnis voraussetzen würde.
Psychotherapie ist ein hilfreiches und sogar Kosten-günstiges Verfahren. Aber es ist kein einfaches, zügiges Verfahren.

Vielleicht. Vielleicht

Gestern, am Sonntagabend, sagte die Bundeskanzlerin Frau Merkel zwei relevante Sätze zu Ulrich Deppendorf, dem Leiter des Berliner ARD-Studios - dem ZDF gab sie kein Interview - : Sie wird sehen, was man vielleicht von den japanischen Erfahrungen lernen kann. Vielleicht. Und sie wird dafür sorgen, dass die Sicherheitsstandards der Atomkraftwerke überprüft werden. Das Adverb vielleicht schränkte ein: Wahrscheinlich, gab sie zu verstehen, betrifft uns die japanische Katastrophe nicht; wir müssen keine Lehren daraus ziehen. Der zweite Satz mit der Ankündigung der Überprüfung besagte: Wir machen weiter; unsere Technik ist sicher.

Mit anderen Worten: Sie lehnte die Diskussion der Implikationen der Katastrophe ab. Ulrich Deppendorf stand auf verlorenem Posten. Warum? Die Laufzeiten unserer Kraftwerke wurden verlängert. Dazu gibt es eine entsprechende Gesetzesänderung. Frau Merkel sagte uns gestern, ohne es zu sagen: Das können wir so schnell nicht verändern; da kommen wir nicht raus; das wäre zu schwierig. Wieso kann die Bundesregierung das nicht? Nun, sie sagte auch: dass sie die Laufzeiten gar nicht ändern will. Möglicherweise gibt es eine Absprache oder einen deal mit der Energie-Wirtschaft.  Es soll eben alles beim Alten bleiben. Das Interview diente der Beruhigung ihrer Wähler, die sie möglicherweise gar nicht wählen werden Ende März.
Kein Wort der Bedenken zu der Atom-Technik. Kein Wort zur Hybris und zur Illusion, man könnte die natürlichen Prozesses ausreichend planen und prognostizieren. Kein Wort zu den ungeheuren menschlichen Kosten dieser Technik. Kein Wort zu dem Notbehelf der Atom-Technik - sie vermeidet das Verbrennen fossiler Stoffe. Kein Wort zum gemeinsamen Fantasieren, man könnte und müsste so weitermachen. Kein Wort zur Alltagsklugheit, dass man nicht alles ausprobiert, was man ausprobieren kann.

Eine gewählte Regierung sollte sich mit den Interessen ihrer Wähler befassen. Wir haben eine Regierung, die sich weigert.
 

Donnerstag, 3. März 2011

Der Fehler mit dem Fehler

Man muss auf die im öffentlichen Forum kursierenden Wörter achten - empfahl Lloyd de Mause, der New Yorker Psychohistoriker. Im Fall des Herrn Baron zu Guttenberg taucht ständig die Vokabel Fehler  auf. Der Fehler ist ein altes Wort und mit dem Verbum fehlen (täuschen aus dem Lateinischen fallere) verwandt. Im Kluge findet man, dass der Fehler um 1500 als Gegenwort zum Treffer auftauchte. So verstanden, ist der Fehler ein punktuelles Ereignis. Tauchen ständig Fehler auf, muss man von einer Unfähigkeit oder Unkenntnis ausgehen - dann sind die Fehler eine Folge dieser Unfähigkeit oder Unkenntnis. Bei einer Dissertation kann man ebenfalls nicht von (gehäuften) Fehlern sprechen, weil sie eine eigenständige Forschungsleistung darstellt - und sich eben wegbewegt von der vorliegenden Literatur, die den aktuellen Forschungsstand dokumentiert. Wenn jemand abschreibt, gibt er darüber Auskunft, dass er nicht selbständig zu forschen in der Lage ist.

Das ist die schlichte Wahrheit des ehemaligen Verteidigungsministers, der offenbar in den sieben Jahren penibler Heimarbeit sich nicht in der Lage fühlte, einer eigenen Fragestellung selbständig nachzugehen. Das sind natürlich schlechte Voraussetzungen, um ein Ministerium zu leiten. Der Skandal ist, muss man heute vermuten, dass dies im Kabinett schon länger bekannt war, aber geleugnet und vernebelt wurde durch die bekannten medialen Taktiken des Aufbauschens von Glamour und des Verbreitens verlogener Komplimente.

Die Crux mit dem Zeigen

Gestern, am 2.3.2011, bemerkte unsere Bundeskanzlerin, als sie das Revirement zweier Ministerien vor laufenden Kameras erläutert hatte, dass sie damit ihre "Entscheidungsfähigkeit gezeigt" hätte. Der Gebrauch des Verbums zeigen ist mir nach gegangen. Es gehört zum psychotherapeutischen oder kommunikativen Jargon - Muster: Zeigen Sie Ihrer Frau, dass Sie sie lieben. Wie? Laden Sie sie zum Italiener ein! Das Zeigen soll einen Eindruck erzeugen - forcierter Lebendigkeit und Aufrichtigkeit. Zeigen Sie Ihre Gefühle! Geht das? Es geht nicht. Gefühle sind keine Dinge, die ich vorzeigen kann. Im besten Fall kann ich versuchen, sie mitzuteilen, um über mich Auskunft zu geben. Entscheidungs-fähig kann ich auch nicht vorzeigen - ich bin es oder bin es nicht. Das Zeigen operiert mit der Illusion, ich hätte mein Verhalten in der Hand und könnte es, je nach Bedarf, manipulieren. Wie Schauspieler, die vor einer Kamera oder auf einer Bühne agieren. Aber Schauspieler agieren in inszenierten Situationen. Das Zeigen hat die Inszenierung und die Kontroll-Macht vor Augen. Das Zeigen gehört nicht in den lebendigen, spontanen Kontext einer Begegnung. Das Zeigen dagegen möchte mir etwas weiß machen. Das Zeigen ist - im weitesten Sinne - Menschen-Politik. Übersetzen wir den Subtext der Bemerkung unserer Bundeskanzlerin: Es ist ganz schön eng, und ich hoffe, dass Sie mir nicht ansehen, wie schwierig meine Lage ist.

Dass Frau Merkel ihre Interessen durchzusetzen versucht, ist verständlich und übliche Praxis. Man kämpft eben mit den Mitteln, die man hat. Aber dass sie diesen Jargon benutzt, ist schade - und sagt etwas über die Qualität ihrer Beraterinnen und Berater, die ihr zu dieser Formulierung rieten.

Dienstag, 1. März 2011

Ein Betrug ist ein Betrug

Vierzehn Tage dauerte der Prozess von der Veröffentlichung der Entdeckung des Betrugs, der Konfrontation mit dem Betrug, über die Dementis und skandalösen Beschwichtigungen bis zum heutigen Rücktritt des Barons zu Guttenberg. Die gute Nachricht: Mit Herrschaftsgebahren, Bluff, Dreistigkeit und Unverschämtheit kommt man nicht mehr so einfach durch. Hans Leyendecker beschrieb heute, am 1. März 2011 - dem Tag des Erfolgs der vom Internet hergestellten Öffentlichkeit - , wie sehr das Internet die Qualität und das Tempo der Auseinandersetzung mit dem akademisch geschminkten Betrug forcierte, nachdem ein Printmedium - die SZ - die Vorlage gespielt hatte. Es sind nicht mehr ein paar hundert Leute, die Zugang zum öffentlichen Forum haben, sondern viele Tausende. Die Öffentlichkeit wird in bestimmten Kontexten zu einer Großgruppe, die nicht oder nichts vergisst - und bei der man nicht mehr hoffen kann, mit dem Mittel des Aushaltens und Abwartens durchzukommen. Etwas ändert sich. Ein Versprechen des Internets, reale Öffentlichkeit, ist realisiert worden. Das alte deutsche Ressentiment des Anti-Intellektualismus, dessen Sprachrohr Bild-Zeitung das tägliche Bad im chronischen Groll und in der Rührseligkeit gestattet, hat einen kräftigen Dämpfer bekommen. Ohne gute, redliche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler läuft nichts.  Die schlechte Nachricht: Wir konnten sehen, wie unsere gewählten Repräsentanten sich aufspielten oder sich aufzuspielen versuchten in ihrer Not, ihre Macht zu erhalten mit schlechten Mitteln. Wie sie sich gegenseitig schützten ohne Rücksicht auf die ethische Substanz, die sie verhökerten. Wie sie sich entschuldigten, ohne sich zu entschuldigen. Wie schwer es  fiel, einen Betrug Betrug zu nennen und einen inkompetenten Minister, der sich herauszureden versuchte, nicht zu wissen, wie man einen Karteikasten anlegen sollte, und der treuherzig gestand, seine Situation so falsch eingeschätzt zu haben, dass er Pfusch mit seriösem Arbeiten verwechselte, inkompetent und deshalb untragbar. Aber wahrscheinlich trägt das zur Ent-Idolisierung der Leute bei, die wir ins Macht-Geschäft gesetzt haben, bei dem viel Energie darauf verwandt wird, die Fassaden zu putzen.