Sonntag, 16. Dezember 2018

Demokratie-Unverständnis - Journalismus-Lektüre (Beobachtung der Beobachter) (80)

Das Landgericht Augsburg ist zu dem Urteil gekommen: der Fahrer eines Golf erhält den Kaufpreis sowie die Zinsen des Betrags zurück - vermeldete die F.A.Z.  am 14.12.2018 (S. 24, Nr. 291). Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Der oder die Autorin der Meldung schrieb: "Diese Entscheidung ist nicht rechtskräftig". Er oder sie hat das zur juristischen Sprachregelung gehörende Adverb noch ausgelassen. Denn natürlich hat dieses Urteil eine gewisse Rechtskraft: es schärft zumindest die Argumente für oder gegen einen Einspruch und liefert die Vorlage für die Erarbeitung und für das  Aushandeln einer Sicht von Gerechtigkeit.

Im letzten Absatz der Meldung wagt sich der Autor oder die Autorin hervor. "Wie zu erwarten war", schrieb sie oder er, "wittern die Klägeranwälte nach der Entscheidung aus Augsburg Morgenluft. Sie erwarten, dass das Urteil eine Signalwirkung für weitere Fälle hat". Morgenluft: die Anwälte wittern ein Geschäft. Das ist sicherlich nicht falsch - auch Anwaltskanzeleien wollen gut leben -, aber dennoch schäbig: es ist ein tückischer, anti-demokratischer Vorwurf. Was ist mit der Frage der  Gerechtigkeit?  Wie soll ein Betrogener entschädigt werden? Und inwieweit soll Rücksicht auf den oder die Betrüger genommen werden? Oder werden sie geschont und nicht zur Verantwortung gezogen? Kennen wir diese Figur des Argumentierens nicht aus der Zeit nach 1945?

Neues von den Hütern der Heiligen Kuh: sie jammern und jammern und jammern(80)

"Hatz auf die Autofahrer", überschrieb  am Freitag, dem 14.12.2018, Holger Steltzner seinen Kommentar auf der ersten Seite der F.A.Z. zum Einspruch des Gerichts der Europäischen Union gegen den sogenannten Durchführungsrechtsakt der EU-Kommission, für Autos der Norm 6 Übergangsregelungen einzuräumen - sie müssen jetzt gründlich ermittelt und festgelegt werden. Ja, und was ist?

Erst einmal gar nichts. Es muss weiter nachgedacht werden. Die Verwaltungen von Brüssel, Madrid und Paris haben schon entschieden: die Pforten zur Einfahrt in die Städte werden für den Autoverkehr geschlossen oder stark reguliert geöffnet. Die Pläne liegen griffbereit. Wird nun zur Hatz geblasen? Wir hatten die Treibjagd, jetzt haben wir die Hatz. Warum diese Vokabel der Verfolgung?

Hatz ist ein schwerer Vorwurf und soll von der eigenen Verantwortlichkeit entlasten. Holger Steltzner schreibt: "Was die Umweltaktivisten hoffen und jubeln lässt, wäre für die große Mehrheit eine Katastrophe. Die meisten sind auf das Auto angewiesen, sie haben den Versprechen der Hersteller geglaubt und Politikern vertraut, die der individuellen Mobilität das Wort redeten, gleichzeitig aber den Ausbau des öffentlichen Nachverkehrs auf die lange Bank schoben. Wem können die Autofahrer noch trauen? Was sollen Millionen Pendler tun?"

Erstaunlich, dass Holger Steltzner so kitschig argumentiert. Glauben & Trauen: ?  Seit wann sollen wir wie Kinder aufschauen und uns keine eigenen Gedanken machen? Seit den 1970er Jahren ist ziemlich klar: unsere Ressourcen gehen zur Neige.  Damals wurden tatsächlich kleine Autos gekauft. Diese Haltung wurde aber wenig später aufgegeben. Während andere Länder die freie Fahrt in einer Demokratie anders verstanden, legten wir erst richtig los. Seit den 1990er Jahren liegt die Literatur zur bedrohlichen Erderwärmung vor. Kann man seitdem noch unbeschwert ins Auto steigen? Und so fahren, wie man glaubt, fahren zu können? Seit Jahrzehnten werden andere Formen der Mobilität diskutiert. Seit Jahrtzehnten wird die Vorfahrt für das eigene Automobil verbissen behauptet. Holger Steltzner, der die Sorgen der Millionen Pendler im Blick zu haben vorgibt, ist der Propagandist des immobilen Status quo. Ob sich  nicht viele Sorgen der Millionen Pendler von einem vernünftig organisierten, großzügigen Öffentlichen Verkehr ausräumen lassen? Statt zu jammern sollten die Wege zur Arbeit präzise erforscht werden.

Donnerstag, 6. Dezember 2018

Gemerkel 8: Hilflosigkeit im Quadrat

Die EU zerbröselt, die Bundesrepublik zerbröselt, der anspruchsvolle Plan der deutlichen Reduktion der Klima-schädlichen Abgase ist zerbröselt - das planlose Ausrufen der drastischen Transformation der Energieversorgung und die naive Idee, eine Millionen-starke Flotte von Fahrzeugen mit Elektroantrieb anordnen zu können, ohne gründlich über andere Formen der Mobilität nachdenken zu können/müssen; die verquere, halbherzige Europa-Politik der letzten acht Jahre: langsam wird der Preis dieser Kanzlerschaft deutlich.

It's only money. "Berlin gibt fast zwei Milliarden Euro zur Verhinderung von Fahrverboten", titelte die Zeitung für die klugen Köpfe (4.12.2018, S.1). Grund, sich zu freuen? Ja doch, meint Jasper von Altenbockum in seinem Kommentar auf der ersten Seite, den er mit unverhältnismäßig überschrieben hat.

Was ist unverhältnismäßig? "Die Farce einer ideologischen Treibjagd auf Industrie, Politik und Autofahrer", schreibt er. Endlich handele die Kanzlerin dagegen. Schon wieder eine Treibjagd - der Journalist kommt ihrer (kürzlichen) Wortwahl entgegen. Treibjagd ist der (projektive) Ausdruck des schlechten Gewissens und der Lähmung. Natürlich sind's die anderen. Wir lassen's einfach weiter laufen. Solange das Geschäft läuft, läuft's. Irgendwer wird schon irgendwie eingreifen. Vor 77 Jahren waren es die allierten Streitkräfte. Die fallen jetzt aus wegen eigener Überbeschäftigung.  

Donnerstag, 29. November 2018

Journalistische Bücklinge - Beobachtung der Beobachter (79)

"Trump entzürnt über General Motors" und "GM-Fabrikschließungen verstimmen Trump": zwei Schlagzeilen in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (28.11.2018, Nr. 277, S. 1 und S. 15). Zürnen und Verstimmen: gehören diese Verben in das Vokabular zur Beschreibung politischer Prozesse?

Nein. Sie gehören zum Vokabular zur Beschreibung familiärer Prozesse. Die Kinder beobachten ihren cholerischen Vater und gehen innerlich in die Knie und in Deckung vor ihm. Dass der U.S.-Präsident mit den Komplikationen seines Amtes hadert, wissen wir. Dass er sie schlecht erträgt, wissen wir auch. Seine Gefühlsregungen sind irrelevant. Die Politik, die seine Regierung in Gang setzt, ist relevant. Es ist naiv, aus der Beobachtung der Gefühlsregungen des Amtsinhabers die Politik seiner Regierung ableiten zu wollen: Viele reden und entscheiden mit. Wir kennen die internen (interaktiven) Prozesse der Abstimmung nicht.  Die Beobachtung der Gefühlsregungen eines Amtsinhabers ist der Versuch des Vertrautmachens unbekannter, unzugänglicher Prozesse. Mit Zürnen & Verstimmen haben wir sie noch nicht verstanden. Aber vielleicht beruhigen diese Verben: sie evozieren die vertrauten Familienstuben mit den kniffligen Beziehungsverhältnissen und machen aus dem präfaschistischen Regierungsrumoren eine Art Unterhaltungsvergnügen.

(Überarbeitung: 29.11.2018)

Dienstag, 27. November 2018

Zur journalistischen Technik der Schadenfreude - Lektüre eines Journalismus (78)


Der Nationale Klimabericht der U.S.-Regierung liegt der öffentichen Diskussion vor. Joachim Müller-Jung fragte im Feuilleton-Teil der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ( 26.11.2018, Nr. 275, S. 9):
"Hat der nationale Klimabericht also vielleicht auch das Zeug, die amerikanische Politik vor dem anstehenden Klimagipfel in Kattowitz noch einmal durchzurütteln? Trump selbst hat bisher keine Anstalten gemacht, an seiner Klimapolitik etwas zu ändern. Er blieb auch an seinem Ferienwochenende gelassen".

Hat Joachim Müller-Jung ihn dazu gesprochen und befragt? Sicherlich nicht. Sonst hätte er es gesagt/geschrieben. Wie ist er zur Beschreibung der Gelassenheit gekommen? Darüber gibt er keine Auskunft. Er behauptet sie. Die in der U.S.-Öffentlichkeit berichtete (erste) Reaktion des Präsidenten war: I don't believe it. Ist das eine gelassene Reaktion? I don't believe it ist der Angriff auf die Wahrheit der Wissenschaft. I don't believe it heißt: Ich, Donald Trump bestimme, was wahr ist.

Das ist ein schrecklicher, alarmierender Subtext. Ihn in den Kontext einer (behaupteten) gelassenen Reaktion zu platzieren, ist eine Art journalistischen Coups: das Händereiben des Autors Joachim Müller-Jung über den blinden Präsidenten, der nicht sieht, an welchem Abgrund er steht. Es gibt keinen Grund sich zu freuen. 

   
   

Freitag, 23. November 2018

Donald Trump: der Esel im Garten des Weißen Hauses - Lektüre eines Journalismus (77)

Der U.S.-Präsdident hat auf den Einspruch des  Chief Justice des Obersten Gerichtshofs der Vereinigten Staaten, John Roberts - We don't have Obama judges or Trump judges, Bush judges or Clinton judges. What we have is an extraordinary group of dedicated judges doing their level best to do equal right to those appearing before them. That independent judiciary is something we should all be thank ful for -  per Twitter geantwortet:

Sorry Chief Justice John Roberts, but you do indeed have 'Obama judges', and they have a much different point of view than the people who are charged with the safety of our country.

Andreas Ross hat in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (23.11.2018, S. 6, Nr. 273) darüber berichtet. Der Titel seines Texts lautet:

"Geteilte Gewalten. Richterschelte ist für Donald Trump nichts Neues. Diesmal aber hat der Vorsitzende Richter am Supreme Court den Präsidenten ermahnt. Doch der lässt sich nicht beirren".

Geteilte Gewalten klingt einerseits richtig. Ist es andererseits aber nicht. Das entscheidende letzte Wort hat der Oberste Richter. Dem ist auch der U.S.-Präsident - wenn ein Urteil gesprochen wird - unterworfen. Das Urteil des Obersten Gerichts ist Gesetz. Nur ein anderes, späteres Urteil des Obersten Gerichts hebt es auf. Das Wort von den Geteilten Gewalten unterschlägt diese Abhängigkeit - und kalmiert damit den enormen Skandal und das enorme Unverständnis des twitternden Präsidenten für das Recht. Dazu passt die Wahl des Verbums ermahnen, die Andreas Ross hier pflegt. John Roberts verweist auf den Rahmen der Jurisdiktion des Obersten Gerichtshofs der Vereinigten Staaten. Er markiert die konstitutionelle Grenze für Donald Trump. Das ist mehr als ein Ermahnen. Das ist, bei Licht besehen, ein dramatischer Einspruch.

Deshalb ist der letzte Satz (der Überschriften)  von Andreas Ross erstaunlich: "Doch der lässt sich nicht beirren". Ist das Verbum beirren angemessen für das Verhalten des höchsten Repräsentanten und Chefs der U.S.-Regierung? Welches Bild zeichnet Andreas Ross? Wer sich nicht beirren lässt, hält an seiner Überzeugung fest und lässt sich nicht aufhalten. Das ist manchmal für das U.S.-Kino angemessen, wenn die Zeit knapp und der Handlungsbedarf groß wird. Aber für eine Regierung? Die offenbar unangemessen regiert? Wo führt das hin? Der Skandal ist doch, dass der Repräsentant der Regierung sich mit seiner Mannschaft sicher wähnt mit seinen Ausfällen gegen den konstitutionellen Rahmen der Vereinigten Staaten. Beirren? Andreas Ross spielt mit dem (herablassenden) Bild des Präsidenten vom störrischen Esel - der allerdings kein Esel ist, sondern als ein totalitärer, bösartiger und rührseliger Politiker agiert, der erwartet, dass ihm applaudiert wird bei seinem Versuch, die Politik der vorherigen Regierung zu zerstören und den konstitutionellen Rahmen der Vereinigten Staaten zu beschädigen.

Kommt er damit durch? Die Washington Post, die mit dem bissigen Slogan Democracy dies in darkness wirbt, und die New York Times, die die Truth verteidigt,  halten - beispielsweise  - für die U.S.-Öffentlichkeit dagegen. Es ist der Kampf um die demokratisch ausgehandelte, gemeinsam geteilte Wahrheit. Sie ist bedroht. Die jetzige Regierung versucht mit ihren Mitteln, die Welt auf den Kopf zu stellen. Andreas Ross hält nicht gegen; er lässt den Skandal durchgehen. Er besorgte, am 23.11.2018,  das Geschäft der Beschwichtigung: die Weichzeichnung des U.S.-Präsidenten.

(Überarbeitung: 29.11.2018)

  

Neues von der Heiligen Kuh: Torschlusspanik? (79)

Dreißig Milliarden Euro, meldet die Frankfurter Allgemeine Zeitung (17.11.2018, S. 28, Nr. 268), lässt sich VW (die) Wende zur E-Mobilität kosten. Viel Geld für ein Autokonzern. Es ist die Entscheidung für das bekannte Konzept: Mobilität wird weiterhin in einzelnen (Kutschen-) Einheiten realisiert; nur der Antrieb wird ausgetauscht; die einzelnen Einheiten sollen so miteinander verbunden werden wie unsere mobilen Telefone miteinander verbunden sind. Damit schafft der VW-Konzern Fakten: gefordert sind gewaltige Infrastrukturen der Energie-Versorgung (jede Menge Strom für Millionen gut zugängliche Steckdosen) und der digitalen Kapazitäten einer riesigen Vernetzung (der Kutschen miteinander).

Wer soll das bezahlen? Wer hat so viel Geld? Wer hat so viel Pinkepinke? Wer hat so viel Geld? sangen wir im Karneval der Nachkriegszeit. Die Antwort versteht sich von selbst: nicht der VW-Konzern. Der liefert nur die vielen Kutschen-Einheiten aus. Merke: ein großer Konzern muss viel produzieren; die Bänder müssen laufen fürs Wachstum. Erinnern wir uns noch an Martin Winterkorn, als er laut tagträumte von den Zehn Millionen Fahrzeugen pro Jahr? Es bleibt irgendwie beim Alten. Dafür wird viel Kohle spendiert. Ob nicht eine Milliarde für ein längeres Nachdenken über den  als Fortschritt getarnten Stillstand besser ausgegeben wäre? Ein Nachdenken gegen die Eile des Ausgebens und des Festschreibens eines uralten, obsoleten Konzeptes, das finanzielle Kapazitäten (vorschnell) bindet, die besser im Öffentlichen Verkehr investiert wären? 

Freitag, 16. November 2018

Neues von der Heiligen Kuh: Was machen wir nur mit ihr? (78)

Der Aufschrei der Empörung, des Unverständnisses und des Missvergnügens schallt durch unsere Republik: Fahrverbote! Unsere Regierungen geben sich überrascht: dass die Gerichte sich an die Gesetze halten. Sofort versprechen sie (Bund, NRW), die gesetzlichen EU-Bestimmungen zu revidieren auf ein niedriges Niveau, das verhältnismäßig genannt wird. Geht das? Hoffentlich nicht.

Gerhard Schröder war mit seiner Mannschaft der erste europäische Politiker, der sich um die
Stabilitätskeriterien nicht scherte und sich eine Ausnahme genehmigte. Ausnahmen sich einzuräumen ist bundesdeutsche Praxis. Unsere Kanzlerin verspricht laufend und treuherzig die gemeinsame europäische Anstrengung - und handelt demagogisch dagegen mit dem Rechtsgrundsatz der egoistisch im Dienste der Autoindustrie ausgelegten Verhältnismäßigkeit.

Seit 2010 gibt es diese europäischen Bestimmungen - angeregt von den kalifornischen Bestimmungen, die angesichts des damaligen gewaltigen Verkehrssmogs etabliert wurden. Jetzt klagt die Deutsche Umwelthilfe auf deren Einhaltung und bekommt natürlich Recht. Seit wann darf ein Gericht gesetzliche Bestimmungen mißachten? Seit wann ist man überrascht , wenn ein Gericht sich an das Gesetz hält?

Merke: wer sich überrascht gibt, mogelt, betrügt und leistet seinen Beitrag zur Ausbreitung der Korruption.

Knapp zehn Jahre wurde verkehrspolitisch auf Zeit gespielt und gehofft, die korrupte Praxis würde schon durchgehen. Jetzt wird sie nach & nach von den Gerichten gestoppt. Was nun? Wer zahlt den Preis der Korruption? Wer ist verantwortlich für das Durchmogeln? Doch die, die das Durchmogeln ermöglichten und gestatteten, und die, die sich fürs Durchmogeln einlullen ließen. Wir sind an dem Punkt vierzigjähriger verfehlter Verkehrspolitik und vierzigjähriger Zufriedenheit mit unserer verfehlten Verkehrspolitik, die das Vergnügen am PS-Bolzen mit Turbo & Diesel oder ohne Diesel einräumte und die Fantasie My Car is My Castle mitträumte. Wir sind an dem Punkt der Entdeckung der Illusion von der sich selbst regulierenden Macht des Marktes: lässt man den Markt Markt sein, geht etwas aus dem Ruder.

Jetzt kommen die armseligen Propagandisten des Mogelns.  "Zeit für eine Rettungsgasse", konstatiert Holger Appel, der Motor-Mann der F.A.Z., in seinem Kommentar (S.1, 15.11.2018, Nr. 266), der  für die Rettung des Diesel-Motors plädiert. Sein Argument ist korrupt; er schreibt:

"Welches Abgas stört denn nun mehr?. Zu Erinnerung: Der Diesel stößt weniger CO2 aus als der Benzinmotor".

Ja, und? Die Stickoxide schädigen die Atemwege. Ist das nichts? Ja, aber anderswo wird argumentiert, müssten wir viel mehr Stickoxide einatmen. Das stimmt so nicht: an manchen Arbeitsplätzen unter bestimmten Bedingungen können wir mehr Stickoxide einatmen. Wir haben die bekannte Logik vor uns: wenn so Viele das Tempolimit nicht einhalten, brauche ich das auch nicht. Das Stickoxid schädigt uns, das CO2 erwärmt die Temperatur unseres Planeten. Beides schädigt die Lebensbedingungen unserer Umwelt enorm; beides muss dringend reduziert werden. Dazu brauchen wir eine entschlossene Verkehrspolitik, die unsere mobilen Lebensformen radikal  ändert. Das ist enorm kompliziert. Wir müssen es gründlich diskutieren. Verlogenes Haareraufen hilft nicht. Aufschieben hilft nicht.  Wir können nicht mehr warten. Unsere Zeit läuft aus.   

 


Dienstag, 30. Oktober 2018

Gemerkel 7: Viel Lärm & Kitsch um eine Selbstverständlichkeit

Respekt äußerte gestern der Tagesthemen-Kommentator Rainald Becker vom Südwestrundfunk. Wofür? Dass Angela Merkel nach der Landtagswahl in Hessen ihre Position als Parteivorsitzende aufgibt. Wurde  nicht endlich Zeit, das politische Parteien-Gemauschel im Bundeskanzleramt (und anderswo) aufzugeben?

Artikel 21 unseres Grundgesetzes besagt: "Die Parteien wirken bei der Willensbildung des Volkes mit". Sie wirken mit, aber sie betreiben keine Regierungspolitik im Dienste der Parteipolitik zur Sicherung ihres Machterhalts. Regierungspolitik sollte sich am Prinzip der Notwendigkeit und der Vernünftigkeit orientieren; ob sie von der Mehrheit später honoriert wird, ist eine andere Frage. Der Satz der Kanzlerin - es ist immer Wahlkampf -  verhöhnt und verletzt ihren Amtseid. Wenn sie dauernd an den Wahlkampf denkt, woran denkt sie noch?

Ihr Satz vom permanenten Wahlkampf ist durchgegangen - wie andere problematische Sätze der Kanzlerin auch. "Das Bild, das die Regierung abgibt", sagte sie gestern am 29.10.2018 in ihrer Rede zur Begründung der Veränderung ihres Arbeitsvolumens, "ist inakzeptabel". Wieso spricht sie vom Bild? Kein Wort der Entschuldigung oder des Zugeständnisses - auch ein gaaanz kleines wäre nicht schlecht gewesen -  ihrer eigenen, von ihr initiierten erratischen, kostspieligen, planlosen Politik: die Transformation der Energieversorgung, die Veränderung der Mobilität im Kontext der Klimakatastrophe, die Verringerung der Verteilungsungerechtigkeit im Kontext einer großzügig realisierten Einwanderung - ohne Plan und ohne Abstimmung mit den Regierungen der europäischen Union. Alleingänge als Politik. Was sagt sie dazu?

Sie spricht von einer ihren persönlichen Ansprüchen nicht genügenden Arbeitskultur. Klingt schön - die Klage über die störrischen Polit-Rabauken, mit denen sie zu tun hatte, während sie sich ins Zeug legte - , passt aber nicht zu ihrem Amtsauftrag. Es sind die anderen, die nicht fleißig sind. So beklagten sich früher in der Schulklasse die Fleißigen über die Nicht-Fleißigen. Die Maut kommt nicht, sagte sie vor der vorletzten Bundestagswahl. Sie kam und sie kam nicht. Kommt sie? Who knows? Drei Jahre ließ sie sich Zeit für deutliche, an die Chefs der Autoindustrie adressierte Worte. Forderungen stellte sie nicht. Wohl dachte sie laut über Gesetzesveränderungen zugunsten der Autoindustrie nach. Das war kurz vor der Hessischen Landtagswahl. Damals kurz vor der Baden-Württembergischen Landtagswahl boxte sie mit einem Überraschungs-Punch das Moratorium des Nachdenkens über die Energie-Versorgung und das Ende der Atomkraft durch. Ist Manipulation oder Aufschieben oder Weinerlichkeit: Arbeitskultur?
      

Donnerstag, 25. Oktober 2018

Zu viel Diesel im Kopf - Lektüre eines Journalismus (Beobachtung der Beobachter) 75

"Diesel-Wahl" ist der Titel des Kommentars von Jasper von Altenbockum heute am 25.10.2018 auf der ersten Seite der Zeitung für Deutschland (F.A.Z., Nr. 248). Es geht um die Hessische Landtagswahl.

Der erste Satz:
"In die Umfragewerte zur Hessenwahl ist nicht nur durch die schrillen Töne aus der großen Koalition in Berlin Bewegung gekommen, sondern auch und vor allem durch das Urteil zum Diesel-Fahrverbot in Frankfurt".

Jasper von Altenbockum sollte das, was er hört (schrille Töne),  ernst nehmen: unsere Regierung ist gereizt, unruhig, ängstlich, hilflos. Deren konzeptloses Merkeln hastiger Lenkbewegungen (vor allem im Dienste des Machterhalts) geht den Leuten ganz schön auf den Senkel. Der Transformationsversuch unserer Energieversorgung war planlos initiiert worden; wie die Transformation die ambitionierte Reduktion der von unseren aufwendigen Lebensformen produzierten Umweltschäden zustande bringt,  war nicht durchdacht worden - was auch bedeutet hätte, dass wir endlich beginnen, intensiv und zügig über andere, Umwelt-vernünftige Formen unserer Lebensbewegungen nachzudenken. Stattdessen Abwarten und Aufschieben. Einem Privatmann oder einer Privatfrau, der oder die so die eigenen Lebensaufgaben anzupacken vermeidet, würde man eine Arbeitsstörung attestieren.

Das ist natürlich für den gesellschaftlichen, politischen Kontext zu einfach gedacht. Aber seit beinahe 50 Jahren - in meiner Erinnerung - haben sich die für die Erörterung und Durchsetzung der relevanten politischen Entscheidungen verantwortlichen Akteure darauf verständigt, unsere Lebenswirklichkeit zu leugnen. In den 70er Jahren wurde das Ende unserer fossilen Energievorräte und das Ende des Konzepts des Wachstums heftig diskutiert  - die Diskussion wurde abgekürzt mit der Fantasie auf die Aussicht einer buchstäblich ewig strahlenden Energiequelle. Wieso soll man sich zurücknehmen, wenn die Welt so einfach erscheint?  Seit den 70er Jahren lassen unsere Regierungen (und unsere zaghafte, Komplizen-bereite, den Hausfrieden sichernde öffentliche Diskussion) die Automobilindustrie machen, was sie will. Was will sie?

Vierrädrige Kutschen verkaufen - mit oder ohne Verbrennungsmotor. Was anderes ist ihr egal. Die Gesundheit der Leute ist ihr egal. Die Verschwendung unserer Ressourcen ist ihr egal. Was aus unserem Planeten wird, ist ihr egal. Es ist nicht nur die Autoindustrie. Welches andere Geschäft probiert, ohne die Fantasie vom (ordentlich) Gewinn abwerfenden Wachstum auszukommen? Wer denkt daran, unseren Reichtum im globalen Kontext fair zu verteilen?

Die Fragen drängen. Der  Diesel ist nicht unser Problem. Das Problem sind das Vergnügen  an der Macht der Drehmomenten starken, Turbo-aufgepumpten Motoren  und das Vergnügen an der Verleugnung unserer Lebenswirklichkeit - der Spaß an der bundesdeutschen Party, von der, wenn wir uns umsehen, bei uns eine Reihe Leute ausgeschlossen sind oder ausgeschlossen werden,  wird langsam schal.   

Montag, 8. Oktober 2018

Gemerkel 6: Mit der Empörung manipulieren

"Gleichzeitig sieht sich die deutsche Autoindustrie scharfen Vorwürfen aus der Politik ausgesetzt",
lese ich heute in der F.A.Z. (8.10.2018, S. 15). "Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) griff die Hersteller am Wochenende ungewöhnlich scharf an. In Sachen Schadstoffreduzierung habe die Branche 'gelogen und betrogen'", sagte Merkel während eines Treffens der Jungen Union.

Na, so was.
Der Vorwurf der Bundeskanzlerin kommt drei Jahre zu spät. Noch im letzten Jahr scharwenzelte sie  auf der Frankfurter Automobilmesse um die Herren der Branche, sprach von den Fehlern, aus denen man lernen müsste, davon, dass die Herren "Regelungslücken exzessiv ausgenutzt... nicht nur sich selbst Schaden zugefügt, sondern auch Verbraucher, Behörden getäuscht und enttäuscht" (s. meinen Blog vom 16.9.2017 über die süße Korruption).

Ihre Rede kann nicht scharf genug sein. Leider pflegt sie weiterhin den Kitsch der Empörung und vernebelt ihre eigene Verantwortung - so lange zu warten, bis die Umfragewerte ihr grünes Licht geben, sich zu empören (vermute ich) und so zu tun, als teile sie die Sorgen der Bürgerinnen und Bürger, die nun gezwungen werden sollen, sich für ein neues Fahrzeug zugunsten der Autoindustrie zu verschulden. Ihre Sorge gilt, ein alter Hut, ihrem Machterhalt der Partei. Brave Parteivorsitzende, brave Kanzlerin. Wie war das noch mit dem Amtseid?

Donnerstag, 30. August 2018

Gemerkel 5: journalistischer Brotkrümel

Polit-Klatsch. Es geht um Volker Kauder: bleibt er oder bleibt er nicht der Vorsitzende der Unionsfraktion (Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 26.8.2018, S. 26):

"Im Bundestagswahlkampf 2002, als Edmund Stoiber sich gegen Merkel als Kanzlerkandidat durchsetzte, war Kauder auf der Seite Stoibers. Merkel, die ihre Gegner in der Regel vollkommen vernichtet, hat ihm das, anders als sonst, nicht verübelt, sondern ihn, den Konvertiten, zu ihrem Generalsekretär und 2005 zum Fraktionsvorsitzenden gemacht".

Halten wir den Relativsatz fest: "... die ihre Gegner in der Regel vollkommen vernichtet"...vollkommen vernichtet: da wüsste ich gern mehr. Jemand scheint sich auszukennen im Machtapparat unserer Kanzlerin - ohne deren Macht-Exekution zu beschreiben. Was ist an dem Relativsatz dran? Gerücht oder Beobachtung? Dass nenne ich - fehlenden - Respekt vor und Service
für das lesende Publikum. Will die Zeitung für die klugen Köpfe einen nicht klug machen?

Was ist mit der bundesdeutschen Fußballmanschaft? Lektüre des Journalismus - Beobachtung der Beobachter (75)

Am  19. Juni 2018 hieß die Antwort des Sport-Journalisten Michael Horeni von der Zeitung der klugen Köpfe noch: die gealterten Wohlfühl-Weltmeister ... verharren ... in der Welt der Selbsttäuschung, schrieb er.

Jetzt korrigierte er sich am 28. August 2018 und schob drei für das Beziehungsgefüge relevante Kontexte nach: 1. der ungeklärte Vorwurf einiger Nationalspieler an Mesut Özil, er hätte in der Nationalmannschaft Ressentiments ihm gegenüber wahrgenommen; 2. die Bevorzugung der etablierten Nationalspieler; 3. die Differenz der Lebensformen der Nationalspieler. Von den Wohlfühlspielern und von der Welt der Selbsttäuschung spricht Michael Horeni nicht mehr. Die drei Kontexte vermitteln eine Idee des dysfunktionalen Beziehungsgefüges. Viel ist das nicht, aber etwas. Das dysfunktionale Beziehungsgefüge hat Michael Horeni noch nicht verstanden.

Machen wir die Probe und lesen den letzten Satz seines Textes vom 28. August 2018 (Frankfurter Allgemeine Zeitung, S. 32).  Er schreibt: "Ob der Bundestrainer  zu einer Rückholaktion - von Mesut Özil -  aber überhaupt noch willens ist oder ob er sich angesichts der Grüppchenbildung dazu überhaupt in der Lage sieht, das sind nicht die letzten der vielen noch offenen Fragen in dieser deutschen Fußballaffäre".

Das Diminuitiv Grüppchenbildung belegt das Unverständnis und die Missachtung der weit reichenden Bedeutung der (realen) Beziehungen der Spieler, der Betreuer und der Funktionäre des DFB zueinander und der (imaginierten und realen) Beziehungen zu den Produkten und Repräsentanten der Öffentlichen Diuskussion.  Stattdessen: der maulende bundesdeutsche Journalist Michael Horeni, der mit dem Bundestrainer die komplizierten Verhältnisse personalisiert und versimpelt. Nebenbei fiel mir noch auf, dass Michael Horeni alle Fußballspieler mit ihren Vornamen nennt, nur Mesut Özil nicht: er wird einfach mit Özil adressiert - ohne Vornamen, so wie die Lehrer und Schulkameraden einen früher anrempelten. 

Freitag, 24. August 2018

Hier hört der Spaß auf - Lektüre des Journalismus (Beobachtung der Beobachter) 75

"Die Hälfte der Klimapolitik ist Psychologie", ist der erste Satz des kleinen Kommentars auf der ersten Seite der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (22.8.2018) von Joachim Müller-Jung. Und was ist mit der anderen Hälfte?

Die Rede von der Hälfte und von der Psychologie ist ein seltsamer Metapher-Gebrauch. Was meint er? Schwer zu sagen. Die Europäische Kommission will ein etwas höheres Ziel der Reduktion  von Treibhausgasen festschreiben: statt 40 Prozent - 45 Prozent Verringerung. Ihr Vorhaben hat sie, glaubt Joachim Müller-Jung, an die Adresse der polnischen Regierung adressiert: in Kattowitz findet Ende des Jahres die nächste Welt-Klimakonferenz statt. Die polnische Regierung, meint Joachim Müller-Jung, soll ihre Schutz-Versuche der eigenen Kohleindustrie revidieren. Psychologie heißt wohl:  das muss der polnischen Regierung durch die Blume gesagt werden.

Für Umwege ist keine Zeit. Inzwischen liegt (in der New York Times) Nathaniel Richs Bericht von den vergeudeten vergangenen 30 Jahre einer gelähmten Klimapolitik vor: Almost nothing stood in our way - except ourselves.  Die Aussichten sind schlecht. Buchstäblich faule Sätze sind unangebracht. Eine gute Zeitung, die wirklich besorgt ist, sollte jeden Tag den Stand der von unserer Regierung initiierten und behaupteten Klimapolitik angeben und auflisten, was sie unternommen und/oder versäumt hat.  

Mittwoch, 22. August 2018

Gemerkel 4: Abwarten, wohin der Wind sich dreht

Gemerkel ist die Technik des Sichtragenlassens von dem sich durchsetzenden, öffentlich dominierenden Affekt begründeter Empörung. Gegen den Einspruch des Gelsenkirchener Verwaltungsgerichts, Sami A. nicht nach Tunesien auszuweisen, handelte Joachim Stamp, der
NRW-Integrationsminister, mit der Anweisung, ihn ins Flugzeug nach Tunesien zu setzen. Am Mittwoch voriger Woche verfügte das Oberwaltungsgericht Münster, die sofortige Rückkehr von Sami A. zu veranlassen. Am selben Tag (erinnere ich mich richtig?) ermahnte Herbert Reul, NRW-Innenminister, die Gerichte, nicht am Rechtsempfinden der Bevölkerung vorbei zu urteilen. Woraufhin Riccarda Brandts, die Vorsitzende Richterin des Oberverwaltungsgerichts, deutlich widersprach und die Position des Rechts zurecht rückte. Herbert Reul gelobte sofort Besserung und redete um ein Missverständnis herum. Er hatte nichts missverstanden, er hatte den ersten Grundsatz unserer Verfassung für Sami A. als irrelevant erklärt.

Zwei Tage später ermahnte unsere Bundeskanzlerin die nordrhein-westfälische Regierung, sich an die Gerichtsbeschlüsse zu halten. Ihre Ermahnung, sich an die Tischregeln zu halten, kam zwei Tage zu spät und war, wie so oft, wenn es um ihr Demokratie-Verständnis geht, deplaziert und überflüssig. Herbert Reul hatte unseren Grundsatz der Würde des Menschen missachtet. Das hätte sie sofort monieren müssen.  

Montag, 20. August 2018

Neues von den betrügerischen Hütern der Heiligen Kuh: der eine kommt nicht raus, der andere nicht rein (77)

Rupert Stadler, der inzwischen von seinen Aufgaben entbundene Vorstandschef von Audi, bleibt weiterhin in Untersuchungshaft; seiner Haftbeschwerde wurde nicht nachgegeben. Die Verdunklungsgefahr und die Gefahr der Beeinflussung von Zeugen bestehen fort. Mit anderen Worten: es besteht weiterhin ein gravierender Tatverdacht des Betrugs und, gewissermaßen hinzugekommen, der gravierende Verdacht der Manipulation von Zeugen. Ein Betrug, das sagt die Alltagserfahrung, kommt selten allein. Rupert Stadler, so scheint es, hat sich, wie man sagt, reingeritten und hält an seinen Dementis fest. Das ist sein Recht.

 Als Vorstandschef ist er nicht weiter geschützt. Die Unschuldsvermutung hilft ihm nicht - schreibt Thomas Gennert in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (vom 15.8.2018, S. 16): der Vorstandsvorsitzende sei nicht nur der Angestellte einer Gesellschaft Konzerns, sondern er stünde auch mit ihr in einem Organverhältnis. Demnach hat  er die ordnungsgemäße Geschäftsleitung zu garantieren; wird in einem Strafverfahren gegen ihn ermittelt, ist seine Geschäftsleitung gefährdet, seine Abberufung muss realisiert werden. "Ob die Vorwürfe der Strafverfolgungsbehörden", so Thomas Gennert, "zutreffend sind, ist hierfür irrelevant".

Inzwischen wurde ein neuer Mann ausgeguckt und präsentiert: Markus Duesmann (Jahrgang 1969) kommt von BMW zu Audi. "Da können sie sich auf etwas gefasst machen", titelt Georg Meck in der Allgemeinen Frankfurter Sonntagszeitung (29.7.2018, S. 26). Er sieht in ihm den Nachfolger von Rupert Stadler - die Konzernleitung presst die Lippen zusammen. Kein Wort vom Nachfolger. Da können sie sich auf etwas gefasst machen: ist offenbar Mecks an den VW-Vorstand adressierte Empfehlung. Markus Duesmann, so beschreibt er ihn, hat keine Beißhemmung. Seltsamerweise lässt sich Markus Duesmann auf die Taktik der VW-Herren ein, mit Rupert Stadler auf Zeit zu spielen und abzuwarten. Vielleicht hätte ihm Georg Meck empfehlen sollen, sich auf etwas gefasst zu machen.     

Bleibt die im vergangenen Jahr (oder war es früher?) erfolgte Vertragsverlängerung der Position von Rupert Stadler: was war das? Der Abschuss einer Nebelkerze. Offenbar haben die Ermittlungsbehörden inzwischen gute Sicht.

Montag, 9. Juli 2018

Neues von den betrügerischen Hütern der Heiligen Kuh: sie müssen die Stalltür öffnen (76)

Unser Bundesverfassungsgricht hat entschieden, meldete die Frankfurter Allgemeine Zeitung (vom vergangenen Samstag, dem 7.7.2018, S. 1): "Ermittler haben Zugang zu VW-Unterlagen". Die Unterlagen enthalten die Ermittlungsbefunde der U.S.-Kanzelei Jones Day, die die leitenden Herren des Wolfsburger Konzerns unter Verschluss halten zu können behaupteten - entgegen ihres Versprechens aus dem Jahr 2015, "alles" zur Aufklärung beizutragen.

Die Strategie der Verschanzung konnte nicht aufgehen. Seltsamerweise hat unsere Öffentlichkeit sich mit den Wolfsburger Argumenten der Verschanzung drei lange Jahre abgefunden: es gibt eine Art Komplizenschaft, die ihre Komplizenschaft leugnet. Die Wolfsburger oder Ingolfstädter Maskerade aus Selbstherrlichkeit, Arroganz und Dummheit taugt nicht mehr. Bislang hat sie ganz schön viel gekostet.

Freitag, 6. Juli 2018

Gemerkel 3

Früher, als die Fahrzeugachsen noch viel Fett benötigten, hieß es: wer gut schmiert, der gut fährt. Heute glauben die Wiederwahl-Strategen des Bundeskanzleramtes und der Parteizentrale:  wer gut bützt, der gut fährt.
Leider bützt Angela Merkel regelmäßig den Falschen.
Leider verplempert sie viel Zeit mit dem Arrangieren und Exekutieren von Fototerminen fürs Drücken & Bützen.

Mittwoch, 4. Juli 2018

Gemerkel 2

Die Bundeskanzlerin sagte vor einiger Zeit - dieser Satz sollte regelmäßig erinnert werden - sinngemäß: eigentlich sei immer Wahlkampf. Im Klartext heißt das in ihrer Sicht: ich denke immer an meine Aussichten, wieder gewählt zu werden. Woran denkt sie noch? Das wissen wir natürlich (leider) nicht.

Aber wir können jetzt sehen, was ihr Missverständnis und ihre Verwechslung von politischem Amt und Vorsitz einer Partei angerichtet haben: ein heilloses Durcheinander mit einem Innenminister, der
sich als Parteivorsitzender in einem politischen Amt versteht und sich aufführt als der Kollege Parteivorsitzender, der sich nichts sagen lassen muss, weil er keine Chefin hat, sondern der Chef ist,  der sie zur Unter-Chefin gemacht hat.  Auch eine verdrehte oder verbohrte Sicht enthält eine Wahrheit  -  wahrscheinlich ist unsere Kanzlerin ihm verpflichtet.

Dass sie nicht unterscheidet zwischen dem verfassungsrechtlich gesicherten Institut des Amts des Bundeskanzlers und dem Vorsitz einer politischen Partei, sagt viel über Angela Merkels  Politik-Verständnis. Dass sie als Regierungschefin ihren Innenminister Horst Seehofer nicht zurückzupfeifen sich traut, sagt viel über ihr Amtsverständnis und ihre parteipolitische Gebundenheit.  Es wird Zeit für einen Misstrauensantrag.  Leider haben manche der Parteien unseres Bundestages zuviel Scheu - wie man so sagt - vor dem Beifall von der falschen Seite: vor den Repräsentanten der Alternative für Deutschland. Den muss man - darf man - nicht haben: sie sind legitime Mitglieder des Bundestages.


Freitag, 29. Juni 2018

Die bundesdeutsche Fußball-Mannschaft ist aus dem 2018er Turnier ausgeschieden

Die bundesdeutsche Fußball-Mannschaft ist ausgeschieden. Eine Katastrophe?
Nein. Die Niederlage ist der Normalfall im Sport. 1954, 1974, 1990 und 2014 gelang unseren Fußball-Mannschaften die außergewöhnliche Leistung einer Weltmeisterschaft. Jeder Gewinn hatte seine eigene Geschichte. Jedes Scheitern in den dazwischen liegenden Jahren auch.

Jetzt stimmte etwas nicht. Unsere Mannschaft strengte sich enorm an, eine Mannschaft zu sein - aber es gelang ihr nicht. Sie war keine Mannschaft - eher eine Gruppe Fremder. Eine Mannschaft ist das Beziehungsprodukt, in dem das Gefühl gegenseitiger Sicherheit jedes  Mitglied trägt und aufleben lässt in dem gemeinsam gelebten,  gelungenen aggressiven Impuls, sich durchzusetzen. Unsere Mannschaft wirkte und war verzagt  -   die Gründe dafür sind vielfältig.

1. Man darf sich um die Verletzlichkeit des eigenen Körpers nicht sorgen. Zu viele Spieler machten sich - vermutlich - Sorgen.
2. Wie die Beziehungen der Spieler zueinander waren, ist nicht bekannt. Oliver Kahn wies im ZDF auf das schwierige (mögliche) Gefälle der Spieler hin, von denen einige 2014 das Turnier gewonnen hatten, andere nicht.
3. Die Spieler müssen buchstäblich den Kopf für Beziehungen frei haben, sich in der Mannschaft und als Mannschaft entwickeln zu können. Fremde Erwartungen der Großartigkeit behindern. Die immense mediale Aufmerksamkeit im Dienste verschiedener Geschäfte verpflichtet und behindert; sich davon frei machen zu können, ist eine schwierige Leistung der Behauptung einer Autonomie. Davon abgesehen gibt es die persönlichen, freundschaftlichen und verwandtschaftlichen Verpflichtungen.

Etwas ist gelungen: die Marketing-Anstrengung der Mercedes-Leute. Rechtzeitig zum Ende des Turniers werden die neuen Modelle der so genannten C-Klasse lanciert. Der Slogan Best Never Rest mit der Betonung auf das Vau in never, das zugleich die lateinische Fünf - für den Gewinn der fünften Weltmeisterschaft - symbolisiert, verdichtet die enorme Last, die den Spielern möglicherweise aufgebürdet wurde. Man müsste die Summen dieses Geschäfts kennen. Fußball ist ein Spiel; wenn das - im weitesten Sinn - mediale Geschäft sich aufdrängt, wird das Spiel zerstört. Das ist eine Hypothese, von der ich nicht weiß, ob und wie weit sie trägt.  

Dienstag, 19. Juni 2018

Der selbstgefällige Journalist II - Lektüre des Journalismus (73)

Die bundesdeutsche Fußball-Nationalmannschaft hat gegen Mexiko 0:1 verloren. Es geht ganz normal zu: wir sind in einem Weltmeisterschaftsturnier. Wer sich an die vergangenen Turniere erinnert, weiß: meistens war es eine Holperei; meistens waren die Spiele knapp. Nur beim letzten Turnier ging es - Ausnahme war das Spiel gegen Algerien, das Manuel Neuer für uns umbog - für den Zuschauer vergleichswerise glatt und angenehm zu. Der Normalfall waren Zitterpartien mit Nägelkauen.

Heute Morgen lese ich den langen Riemen von Michael Horeni (Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 19.6.2018, S. 36) mit den Überschriften:

"War's das schon? Die ersten Anzeichen deuten darauf hin, dass die gealterten Wohlfühl-Weltmeister trotz des Fehlstarts gegen Mexiko in der Welt der Selbsttäuschung verharren wollen. Bundestrainer Löw zieht sich auf sich selbst zurück".

Die gealterten Wohlfühl-Weltmeister sind ein Wort der aufgeblasenen Herablassung. Michael Horeni hat die alten Turniere (1954, 1958, 1962, 1966) nicht miterlebt - er ist, wie das Internet angibt, Jahrgang 1965. Sein größtes Interesse, ist dort zu lesen, gilt dem Fußball. Dann  müsste er es besser wissen. Wieso bringt er  so wenig Verständnis auf? Sicherlich fühlen sich unsere Fußballer jetzt nicht wohl. Sie wissen, wie sie gespielt haben. Sie wissen, was auf sie zukommt. Sie waren, wenn man ihr unglückliches Spiel etwas anders versteht, offenbar gelähmt  -  man kann vermuten, dass der immense, unbarmherzige Erwartungsdruck vom künftigen Weltmeister, der seinen Erfolg wiederholt, mächtig auf ihnen lastete. Michael Horeni wirft ihnen vor: Selbsttäuschung. Woher weiß er das? Hat er mit ihnen ausführlich gesprochen? Haben sie ihm genaue Auskunft gegeben?

Nein. Michael Horenis Vorwurf der Selbsttäuschung ist: erschlossen; behauptet. Journalismus als Bluff. Sein Vorwurf passt zur (hier & da anzutreffenden, in meinen Blogs beschriebenen) Redaktions-Politik der Frankfurter Allgemeinen Zeitung: Journalismus als Haltung der beobachtenden, unbeteiligten Selbstgefälligkeit.

Zum Glück lassen sie Niko Kovac zu Wort kommen; er hat einige gute Argumente für unsere Nationalmannschaft.


(Überarbeitung: 9.7.2018)


 

Der selbstgefällige Journalist - Lektüre des Journalismus (72)

Rupert Stadler, der Audi-Mann, wurde verhaftet und sitzt wegen Verdunklungsgefahr ein (F.A.Z. vom 19.6.2018, S. 1). Holger Steltzner, einer der Herausgeber der Zeitung für Beschwichtigung, nimmt sich dessen Haftbefehls an. Er schreibt den ersten Satz:

"In Wolfsburg fällt eine Verteidigungslinie nach der anderen".

Wie kann Holger Steltzner von einer Verteidigungslinie sprechen? Weder sind die Leute aus Wolfsburg in einem Krieg, noch in einem Fußballspiel, noch spielen sie Schach. Was er Verteidigungslinie nennt, ist die juristische Strategie der Wolfsburger, sich zu verschanzen und unsere Öffentlichkeit regelmäßig weiter zu betrügen mit gebrochenen Versprechen der Aufklärung. Natürlich können sie im Gerichtsverfahren ihre Haut zu retten versuchen. Das ist ein anderer Kontext als die  demokratische Verpflichtung, der Wahrheit die Ehre zu geben. Holger Steltzner, das kann man dem Satz entnehmen, positioniert sich als unbeteiligter Zuschauer. Das ist er nicht. Er schweigt zu dem permanenten Wolfsburger, Stuttgarter und Ingoldstädter Angriff auf die Integrität unserer Demokratie als der unverfrorenen Fortsetzung der Korruption.

Der letzte Absatz des Kommentars:

"Die zögerliche Aufarbeitung durch VW zieht die ganze deutsche Autoindustrie in den Strudel des Diesel-Betrugs. Warum schlägt etwa BMW keine Brandschneise zwischen sich und die Betrüger von VW? So schauen die amerikanischen und chinesischen Wettbewerber genüsslich zu, wie die deutschen Premiumhersteller aus falsch verstandenem Corpsgeist erst ihren Ruf und danach ihren Vorsprung in der Motorenentwicklung verspielen. Den Rest erledigen dann aufgeregte Politiker, die Umweltlobbyisten mit Fleiß vor sich hertreiben" (S. 1).

Was hat die Frankfurter Allgemeine Zeitung zur Aufklärung beigetragen?
Nichts. Deren Redakteure haben drei lange Jahre abgewartet. Mit der Ausrede der Unschuldsvermutung haben deren Redakteure sich auf den Beobachtungsposten zurückgezogen.  Dabei haben die VW-Leute ihren Betrug zugegeben. Das journalistische Versäumnis besteht im Abwarten auf die Arbeit der Ermittlungsbehörden und im Tolerieren einer Regierung, die zusieht und wegsieht und  den Maut-Stuss betrieb. 2017 fand die Kanzlerin noch freundliche Worte zur Eröffnung der Frankfurter Automobilmesse (s. meinen Blog Die süße Korruption des gemeinsamen Fantasierens vom 16.9.2017).  Die Frankfurter Allgemeine Zeitung lieferte das freundliche Foto dazu: Angela Merkel klettert aus dem Audi Aicon, unterstützt von Rupert Stadler. Das war vor neun Monaten.

(Überarbeitung: 20.6.2018)

Radfahren in Leiden, Niederlande - die andere Mobilitätskultur

Als bundesdeutscher Autofahrer im niederländischen Leiden hat man es nicht einfach: Radfahrerinnen und Radfahrer schießen aus allen Richtungen auf einen zu - nur nicht von oben -: ein enormes Gewusel, wenn man unseren übersichtlich reglementierten Verkehr gewohnt ist.

Jetzt wechsele ich die Perspektive. Ich sitze an einer Kreuzung, durch die drei Straßen ziehen, trinke meinen Espresso und beobachte den Verkehr.

Das Gewusel, ging mir auf, ist kein Durcheinander, sondern ein elastisches System. Es gab virtuose, nicht so virtuose und etwas wackelig fahrende Radler - und dazwischen jede Menge anderer Rad-Künstler. Ich sah den jungen Radfahrer, der durch eine einen Meter große Lücke zwischen anderen Radfahrer blitzartig fuhr - von Ferne halsbrecherisch, aber exakt abgestimmt: früher oder später wäre die Lücke nicht vorhanden gewesen. Ich war begeistert: die hohe Kunst des Alltags. Das war die Spitzenleistung. Natürlich gab es weniger virtuose Rad-Piloten. Was mir auffiel: es gibt einen fließenden Rhythmus. Die Bewegungen des Radfahrens sind aufeinander abgestimmt. Die Radfahrerinnen und Radfahrer interagieren und geben sich Platz: sie geben nach, sie weichen aus, sie stellen sich aufeinander ein.

In der guten halben Stunden bremste ein Radfahrer ab und stoppte. Es wäre sonst eng geworden.  Unfälle sind selten, habe ich mir sagen lassen. Obgleich viele ihr Rad schnell bewegen.

Worum geht es in diesem System des Radfahrens? Um Kooperation und Versicherung der eigenen Virtuosität und des eigenen Könnens. Drei balancierten einen Bierkasten auf dem Lenker. Ein Mitfahrer (dieses Beispiel wurde mir erzählt) saß auf dem Gepäckträger und zog links und rechts einen Rimowa-Koffer mit. Ich habe kein Klingeln gehört. Tatsächlich haben viele keine Klingel. Sie ist nicht nötig. Niemand soll Platz machen. Die fremden Räume werden respektiert. Das Vergnügen der Freiheit wird gelebt. Fahrradfahren als Vehikel zum Aufleben, zum Pflegen einer Geselligkeit, zur Bestätigung einer Kultur des Praktischen.

Und worum geht es bei uns? Um Macht und Dominanz. Die Fahrradklingel läutet das bei uns ein. Am besten springt man zur Seite. Das ist nicht immer, aber häufig so.

Was sagt uns das? Eine andere Mobilität kriegen wir nicht etabliert, wenn wir keine andere Kultur entwickeln. Dieser Prozess dauert Generationen. Aber anfangen müssen wir, die Kultur der  Herrschaft und das Auftreten der schweren Blechkisten zu stutzen.

(Überarbeitung: 6.7.2018) 

Freitag, 15. Juni 2018

Anne Will und Angela Merkel: Beschwichtigungsgerede

Wenn's brenzlig ist, taucht Angela Merkel bei Anne Will auf und versucht, den öffentlichen Aufruhr zu beruhigen. Wie Kanzleramt und Anne Wills Firma sich abstimmen, ist das Geschäftsgeheimnis. Leider werden wir nicht informiert. Jetzt war es am Sonntag, dem 10. Juni 2018, wieder soweit; Anlass war der so genannte G 7 - Gipfel, dessen Besetzung der U.S.-Präsident drastisch korrigierte, indem er seine Bedingungen diktierte und das Treffen um einen Tag früher als seine Kolleginnen und Kollegen verließ.

Nerven Donald Trumps Twitter Sie nicht?, wollte Anne Will zu Beginn wissen. Twitter, gab Angela Merkel breit lachend zurück, nervt mich überhaupt nicht. Ein faustdickes Dementi. Es kam zu schnell, zu apodiktisch, zu wenig selbstkritisch. Ich hätte geantwortet: das kann ich mir nicht vorstellen. Anne Will äußerte keine Bedenken; sie frug nicht nach; sie ließ der Kanzlerin die Lüge des Selbstschutzes durchgehen.

So ging es weiter. Die Kanzlerin bestritt, beschönigte, redete sich raus, widersprach sich  - Anne Will ließ das Gemerkel durchgehen und setzte auf die naive, weil direkte Konfrontation. Am Ende wollte Anne Will wissen, ob die Kanzlerin, ihren Entschluss, sich für eine vierte Legislaturperiode zur Verfügung gestellt zu haben, bereute. Nein, antwortete Angela Merkel, sie hätte wenig Zeit zum Nachdenken. Anne Will wollte nicht wissen, wie viel wenig  Zeit ist - Angela Merkel hatte ja gesagt, dass sie etwas Zeit hätte. Sie explorierte nicht oder versuchte nicht die Momente zu explorieren, in denen die Kanzlerin an sich zweifelt. Selbst-Zweifel darf sie offenbar nicht zugeben; irgendjemand muss ihr irgendwann gesagt haben, dass  der politische Akteur um eine Antwort nie verlegen ist. Jetzt konnten wir sehen, wie die Kanzlerin sich in ihren Floskeln des Beschwichtigens und des Posierens verhedderte - und den Abgrund der Ratlosigkeit und Hilflosigkeit einer strapazierten, erschöpften Politikerin andeutete. Einmal wurde sie persönlich: als sie von ihrer Enttäuschung und Ernüchterung über die U.S.-Regierung sprach. Das Publikum im Studio honorierte sofort den öffentlichen Kontakt, der ihr in diesem einmaligen Augenblick (an diesem Abend) gelang. In diesem Augenblick widersprach sie (indirekt) ihrem Twitter-Dementi. Es fiel nicht weiter auf.

Es durfte offenbar nicht auffallen. Die A.R.D. hat auch ein Interesse am guten Schlaf ihres Publikums.  

Dienstag, 12. Juni 2018

Frankfurter Autowäsche - Journalismus-Lektüre (71)

1. F.A.Z. vom 12.6.2018, S. 17: im Teil Wirtschaft:
"Audi und Daimler im Sog des Dieselskandals" lautet der Titel der Nachricht, dass gegen Rupert Stadler von Audi ermittelt wird. Dieter Zetsche von Mercedes musste im Bundesverkehrsministerium Auskunft geben. Jetzt müssen Stadler und Zetsche sehen, im Sog nicht unterzugehen. Die Rede vom Sog ist schwer erträglich - die Autoren machen die noch nicht verurteilten, aber des Betrugs verdächtigen Betrügern zu Opfern der Strafverfolgungsbehörden. Was die Journalisten leugnen: der Verdacht ist gut begründet und sehr wahrscheinlich zutreffend.

Die Automobilhersteller kennen ihre Produkte gegenseitig. Sie kaufen die fremden Fahrzeuge, fahren sie und nehmen sie auseinander. Sie wissen,  wie die Konkurrenz ihre Autos baut. Zudem beziehen sie die Technik der Motorsteuerung von Bosch. Der Stuttgarter Konzern ist in Deckung gegangen. Seine Leitung wird bald herausgerufen.

2. F.A.Z. vom 12.6.2018 im Teil Technik und  Motor. Der Audi A4 Avant wird mit dem Titel beschrieben: "Endlich wird die 250-km/h-Mauer pulverisiert". Der Wagen schafft 280 km/h.

3. Dieser Journalismus ist an der Klärung desinteressiert. Seit drei Jahren mogeln sich die verdächtigten Automobilhersteller, unsere Regierung und dieser zahnlose Journalismus über die Runden - so wird eine angemessene Diskussion unserer künftigen Mobilität verhindert: drei verlorene Jahre. Rechnet man seit der Hälfte der 70er Jahre, kommt man auf gut vierzig verlorene Jahre der gemeinsamen fröhlichen und maßlosen Verschwendung und Gedankenarmut.
 

Freitag, 8. Juni 2018

Die Kanzlerin und die F.A.Z. - Journalismus-Lektüre (70)

Angela Merkel und die F.A.Z. haben eine knapp 20 Jahre - kann man das sagen? - Beziehungsgeschichte miteinander. Im Dezember 1999 veröffentlichte sie dort ihren Aufruf zur Emanzipation der Union - der ein Text zur Entsorgung des damaligen Kanzlers Helmut Kohl war. Helmut Kohl war mit seinem System unklarer Finanzen in die öffentliche Bedrouille geraten und für die Union untragbar geworden. Angela Merkel war erfolgreich. Wenig später saß sie als Parteivorsitzende im Sessel der Macht. Sie konnte schon damals gut: auf der Welle des höchsten (kursierenden) Affekts surfen.

Seitdem war ihr die F.A.Z. behilflich, was im Parlament zu vertreten angemessen gewesen wäre, außerhalb des Parlaments zu verkündigen. So war sie der F.A.Z. behilflich, Nachrichten zu erzeugen, die Schlagzeilen machten. Aktuelles Beispiel: die Frankfurter Allgemeine Sontagszeitung vom 3.6.2018, S. 2 - 3. Existenz für Europa ist der (58.5 Punkte große) Titel des Textes; der (13.2. Punkte große) Untertitel lautet: Angela Merkel will, dass die Europäer ihr Schicksal in die Hand nehmen. Hier erklärt sie, was das konkret heißt - und antwortet damit dem französischen Präsidenten Macron.

Die Zeitung als das Sprachrohr der Kanzlerin; Thomas Gutschker und Eckart Lohse, deren beider Journalisten, fragten die Kanzlerin ab. Die Zeitung hat die Veranstaltung als ein Gespräch verkauft. Ist es ein Gespräch? Ich finde: nicht.
1. Der Kontext bleibt unerwähnt: wieso treffen die beiden Journalisten die Kanzlerin jetzt?
2. Die Angabe, wann das Abfragen stattfand, fehlt. So kann man nicht sehen, wie lange der Text bearbeitet wurde, bis er veröffentlicht werden konnte.
3. Die Antworten der Kanzlerin sind glatt, knapp und unpräzis - ohne ihre vertrauten Holperigkeiten beim öffentlichen Formulieren. Ich hätte gern das Transkript des Abfragens mit dem veröffenlichten Text verglichen. 
4. Die Kanzlerin redet luftig, nicht Politik-praktisch. Ein Beispiel:
"Europa hat für seine Bürger nicht nur ein Friedens-, sondern auch ein Sicherheitsversprechen, und das müssen wir erneuern. Ich meine das im ganz umfassenden Sinn, im Blick auf unsere Grundüberzeugungen: Demokratie, Rechtsstaat, Menschenwürde, im Blick auf Sicherheit für Wohlstand und Arbeitsplätze, auf den Schutz der Außengrenzen, die Bewahrung unserer kulturellen Identität und der gemeinsamen Schöpfung". Die Reihenfolge der Liste ist bemerkenswert; die stolzierenden Begriffe sprechen von einer alarmierenden Fantasielosigkeit.

Was ist mit dem bisherigen Scheitern der verabredeten, so genannten Klimaziele? Was ist mit der Unzufriedenheit in unserer Republik? Mit der Armut und der Verteilungsgerechtigkeit hier und in den von uns ausgebeuteten Ländern? Was ist mit der Asyl- und Einwanderungspolitik? Was ist mit der Korruption der Automobilindustrie und der Kreditinstitute? Was ist mit der Unterfinanzierung unserer staatlichen Institute und Bildungssysteme? Was ist mit der Zukunft der Bundesrepublik? Was ist mit dem Zustand und der Idee des Zusammenhalts der Europäischen Union? Mit der Idee der Gemeinschaft? Mit den Beziehungen zu den U.S.A.? 
Angela Merkel gibt die Kraftlosigkeit ihrer Regierung als Zukunftsentwurf aus.

Gemerkel

Heute (8.6.2018) fand ich diesen Satz unserer Kanzlerin:
"Die Bepreisung der Daten, insbesondere von Konsumenten, ist meiner Ansicht nach das zentrale Gerechtigkeitsproblem der Zukunft".

Na, ist dieser Satz nicht gekonnt misslungen? Holger Steltzner von der Zeitung für die intelligenten Auslegungen staunte; er überschrieb seinen Kommentar (S.1, Nr. 130) mit der Formel: "Merkel auf digitalem Glatteis". Das ist nett gesagt; denn dem Satz der Kanzlerin ist nicht zu entnehmen, wo sie steht. Wahrscheinlich saß sie in ihrem Büro und schrieb ihn mit.

Ich warte auf den Moment, in dem ihr ein eigener substanzieller Satz gelingt. Wahrscheinlich warte ich vergeblich. Aber ich werde gelungene Beispiele des Gemerkels hier auflisten.

Donnerstag, 7. Juni 2018

Im Parlament wurde die Kanzlerin als Repräsentantin der Bundesregierung zum ersten Mal befragt: sie stand, sagt die F.A.Z. (Journalismus-Lektüre 71)

Die Tagesthemen der A.R.D. lieferten (6.6.2018) die Nachricht: die erste parlamentarische Fragestunde mit der Kanzlerin. Eingeleitet wurde die Nachricht mit den Bildern aus dem britischen Parlament, in dem die turbulente Konfrontation die Regel ist. Dies, so wurde der Zuschauer eingestimmt, sollte er nicht erwarten.  Mehr als ein fades Häppchen wurde dann nicht geliefert. Reinhard Müller macht der Kanzlerin in der F.A.Z. heute (am 7.6. 2018) dennoch das Kompliment: "Die Kanzlerin steht" bilanziert er ihren Auftritt in seinem Kommentar auf der ersten Seite.

"Die Kanzlerin wäre nicht die Kanzlerin, wenn sie ihre Linie nicht teflonartig verteidigt hätte", schreibt er mit einem schiefen Bild. Denn in der Teflon-beschichteten Pfanne ist es beim Kochen ziemlich heiß. Ob es Angela Merkel so heiß war, ist die Frage. Aufgeregt war sie sicher. Wie sehr lässt sich aus der Entfernung nicht sagen. Sie antwortete selten direkt, sondern leitete mechanisch ihre Antworten mit dem Adverb also ein. Damit verschaffte sie sich kommunikativen Platz, räumte die jeweilige Frage vom Tisch des Parlaments ab und bedeckte ihn mit ihren erprobten und geprobten Sätzen - eine Technik, mit der der Dialog vermieden und die Spontaneität unterdrückt werden: der Griff ins Repertoire. So entstand ein lebloser Kontakt - mehr ein Wegducken als ein Stehen. Die Kanzlerin war bei der Frage des Überstehens. Entsprechend war ihre (spontane) Erleichterung. Nichts Neues von der Kanzlerin aus Berlin.  

Dienstag, 22. Mai 2018

Darf ein Nationalspieler, der unsere Nationalhymne nicht mitsingt, beim nächsten Spiel dabei sein? Eine Frage an Ilkay Gündogan und Mesut Özil

Eigentlich nicht. Wer nicht mitmacht, darf nicht mitmachen. Wer sich nicht einfügt, gehört nicht zu uns. Wer hier aus der Reihe tanzt, muss gehen - oder muss zumindest, wie jetzt im Fall des Londoner Fototermins mit Recep Tayyip Erdogan, zu dem sich Ilkay Gündogan und Mesut Özil einfanden, den aber Imre Cam absagte, eine Konsequenz spüren.

Die Empörung, einer unserer öffentlichen Lieblingsaffekte, kursiert. Da fällt es schwer, die Klappe zu halten. Ich kann es auch nicht. Ich bin der Protagonist der Anti-Empörung. Unser Grundgesetz sagt nichts zur Qualität einer Aussage, die vom Recht der freien Meinung geschützt ist. Die Empörung ist ein verführerischer Affekt - (häufig) die selbstgerechte Erlaubnis, mit dem Finger auf jemanden zu zeigen und sich aufzuspielen. Im Fall unserer Fußballspieler sind wir normalerweise nicht so pingelig - Franz Beckenbauer, der einen Schiedsrichter (Luigi Agnolin) zum psychiatrischen Fall erklärte (29.10.1986), kam damit unbehelligt durch. Die Orte der Stadien für Weltmeisterschaften waren auch nicht so wichtig. Fußball ist doch Fußball. Klar doch. Aber es gibt Unterschiede.

Jetzt folgt die aktuelle Empörung der Empörung vor einem Jahr, als es um die Aufregung der Beteiligung unserer Bürgerinnen und Bürger (mit bundesdeutschen oder türkischen oder beiden Pässen) am türkischen Referendum ging. Das Muster des damaligen Vorwurfs: hier demokratisch leben und dort für undemokratische Verhältnisse votieren - geht nicht! Jetzt kann zudem für die Verweigerung des Mitsingens ein Exempel gefordert werden (Ausschluss von der WM im Juni).

Die Geschichte dieser Empörung ist uralt. In der Bundesrepublik wurde oft über die Enge im Land geklagt. In Deutschland war es auch eng. Die Fremdheit unserer Bürgerinnen und Bürger mit anderen als den uns vertrauten (kulturellen und familiären) Bindungen und deren Expansion in der Republik sind manchmal oder oft - wer weiß es genau? -  schwer erträglich. Der Fototermin in London und die Fußballweltmeisterschaft in Russland liefern uns die Gelegenheit für bundesdeutsche Selbst-Erfahrung (s. meine Blogs Hart, aber unfair und Recep Tayyip Erdogan, das Referendum und die öffentliche Heuchelei vom 17.3. und  21.4.2017).

Dienstag, 15. Mai 2018

Der verdrehte Journalist - Beobachtung der Beobachter(69)

"Der Dieselskandal hat Volkswagen fest im Griff", schreibt Sven Astheimer in seinem Text Skandal ohne Ende (Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 14.5.2018, S. 15, Nr. 110). Nicht nur VW - auch den Journalisten Sven Astheimer. Der Dieselskandal hat Volkswagen fest im Griff - ein Satz der besonderen Art: wieso ist der Dieselskandal das Subjekt - der Akteur - dieses Satzes? Sven Astheimer entschuldigt die Leitung des Wolfsburger Konzerns - der Skandal rüttelt. Dabei ist es doch anders herum: die Leitung des Konzerns hat massiv strafrechtlich betrogen und muss sich verantworten. Müssen wir Mitleid haben?

Sven Astheimer bedauert den neuen Chef Herbert Diess, den die nordamerikanischen Ermittler zu den Verantwortlichen rechnen. "Ausgrechnet Diess", so Astheimer, "der zu seinem Amtsantritt noch Demut versprochen und für einen Neuanfang geworben hatte". Ausgerechnet. Will uns Sven Astheimer weismachen, er sei überrascht? Will er uns weismachen, er könne es nicht glauben?

Ich wünsche den Tag herbei, an dem die journalistische Unschuldsvermutung in dieser Zeitung von diesem Journalisten nicht mehr so langmütig gepflegt wird.     

Montag, 14. Mai 2018

Journalismus-Lektüre - Beobachtung der Beobachter (68): die Trivialisierung der Komplexität

Neulich las ich Winand von Petersdorffs Text Wahrheit scheibchenweise (Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 5.4.2018, S.2). Gemeint war die Mitteilung des kürzlich angeheuerten Beraters Rudy Guliani, dass der U.S.-Präsident seinem Anwalt Michael Cohen den Betrag von $ 130.000,- doch zugesteckt hätte - obgleich Donald Trump bestritten hatte, von dem Geld etwas zu wissen; inzwischen hat Donald Trump - umständlich mit einigen Finten  - zugegeben, den Betrag bezahlt zu haben. Deshalb: Wahrheit scheibchenweise.

Was besagt diese Redeformel? Wer so spricht, behauptet seine Vermutung oder sein Bild von der ganzen Wahrheit, wie wir sagen; sonst könnte er ja nicht sagen, dass sie nach und nach - eben: scheibchenweise - zugestanden wird. Was ist im Fall des U.S.-Präsidenten für Winand von Petersdorff die ganze Wahrheit? Donald Trump lügt und betrügt. 

Das ist nicht neu; das ist seit langem bekannt. Diese Wahrheit hilft nicht. Wir sind nicht in einem Strafverfahren. Wir erleben und erfahren den massiven Angriff auf die demokratisch verfasste Gesellschaft der Vereinigten Staaten:  auf die Zuversicht, sich auf eine Wahrheit verständigen zu können. Diese Zuversicht erodiert seit geraumer Zeit - nicht nur in den U.S.A.,  auch bei uns und in Europa. Man könnte auch sagen: diese für eine demokratisch verfasste Gesllschaft notwendige Übereinkunft, sich auf eine Wahrheit verständigen zu wollen, und die damit verbundene Zuversicht, sich auf eine Wahrheit verständigen zu können, werden seit einiger Zeit mit den Füßen getreten. Die Logik der Geschäftsinteressen dominiert. Gehört das nicht zur gegenwärtigen, unvollständig erfassten und verstandenen Wahrheit?

Montag, 7. Mai 2018

Neues von den betrügerischen Hütern der Heiligen Kuh (65): Alles beim alten

Herbert Diess ist der neue Chef des Volkswagen-Konzerns. Ob seine Sprache neu oder anders ist, kann man prüfen. Wir müssen anständiger werden, forderte er - mit einer Aufzählung ähnlicher Komparative -  in seiner Antrittsrede (F.A.Z. vom 4.5.2018  S. 22, Nr. 103). Anständiger klingt gut - wie ein Eingeständnis vertrauter Unanständigkeit. Davon sprach er allerdings nicht. Anständiger gehört zu einer oft benutzen Sprachfigur, die ich kalmierenden Komperativ genannt habe (Psychologie Heute November 1997): der kalmierende Komperativ ist eine umgekehrte Steigerungsform. Beispiel: um das Adjektiv alt zu vermeiden, wird jemand als älter bezeichnet. Das mildert den Schrecken des Alters. Älter ist die umgekehrte Steigerungsform von jung; die Sequenz der Steigerung lautet: jung, älter, alt. Die Sequenz der Steigerung von anständiger lautet: unanständig, anständiger, anständig.

Hätte Herbert Diess gesagt: wir müssen anständig werden - wäre ich zufrieden. Das wäre ein klares Wort gewesen. Herbert Diess spricht weiterhin, lässt sich aus seiner Rede ableiten, das verlogene VW-Kauderwelsch des Beschwichtigens, Vernebelns und Vertröstens. Die Kultur des Betrugs wird fortgesetzt. Nichts Neues aus Wolfsburg.

    

Journalismus-Lektüre (67) - Beobachtung der Beobachter: Was ist klug, wenn die richterliche Anordnung der Verhaftung gegen einen vorliegt?

Gegen Martin Winterkorn wurde Anklage vor dem Detroiter Gericht erhoben; seine Verhaftung angeordnet.

Was droht Winterkorn?, fragen Corinna Budras, Rainer Hank und Georg Meck in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom 6.5.2018 (S. 32).

Martin Winterkorns Verhandlung vor Gericht würde, orakeln sie, von dem "strengen Vorsitzenden Richter Sean Cox" geleitet. Von dem strengen Richter.  Corinna Budras, Rainer Hank und Georg Meck weisen darauf hin, dass für die Verhandlung des Verfahrens Martin Winterkorns Anwesenheit Voraussetzung ist. Sie schreiben:

"Damit ist nicht zu rechnen. Martin Winterkorn hält sich derzeit in Deutschland auf. Das ist auch klüger so. Solange er das Land nicht verlässt, wird er nicht ausgeliefert".

Die Autoren benutzen mit ihrem klüger ebenfalls den kalmierenden Komparativ (s. meinen Blog vom selben Tag). Klüger ist die Steigerungsform von unklug; die Steigerungssequenz lautet: unklug, klüger, klug. Die Autoren beschwichtigen: bleibe im Lande und ernähre dich unredlich! Sie mogeln sich durch ihren Text. Sie pflegen ein seltsam dubioses Rechtsverständnis. "Unbehelligt von der Justiz", bedauern sie den von dem nordamerikanischen Gericht Beschuldigten, "lebt Winterkorn freilich nicht mal in der Heimat.  Gegen ihn wird auch hierzulande eifrig ermittelt". Eifrig? Sind sie unzufrieden mit unseren Ermittlungsbehörden?

Donnerstag, 19. April 2018

Kurze depressive Einbrüche im Halbfinale B. Leverkusen vs. B. München

Eine alte Fußballer-Weisheit lautet: Du spielst nur so gut, wie es der Gegner zulässt. Was schlicht bedeutet: der Fußballkick ist ein interaktives Geschehen; die Mannschaften beeinflussen sich gegenseitig. Das ist nichts Neues. Interessant sind die sublimen Wirkungen. Auch sie sind bekannt, werden aber manchmal übersehen. Wettbewerbe entscheiden sich dadurch, dass die Spiel-Form vom Gegner oder von der gegnerischen Mannschaft zerstört wird - oder, das ist schwer von außen zu entscheiden, die jeweilige Mannschaft sich nicht ausreichend dagegen wehrt, sich ihre Spiel-Form zerstören zu lassen. Es geht darum, dass  eine Mannschaft ihre Zuversicht erhält. Das ist eine schwierige interaktive Leistung ihrer einzelnen Mitglieder.

Manchmal kann man es sehen: im Halbfinal-Spiel Bundesrepublik vs. Brasilien 2014. Oder im Testspiel zuvor: Bundesrepublik vs. Schweden, als die bundesdeutsche Manschaft mit 4:0 führte und dann in der zweiten Halbzeit einbrach. Schweden gelang nach der Pause schnell der Anschlusstreffer; der Erfolg stärkte die Zuversicht der schwedischen und erschreckte offenbar die bundesdeutsche Mannschaft, die auf den schnellen (ersten) Erfolg ihrer Gegner verzagt ohne Gegenwehr reagierte. Dieser Einbruch war offenbar enorm lehrreich; denn im Finale 2014 gegen Argentinien hielt die bundesdeutsche Mannschaft ihre Zuversicht auch in der Verlängerung hoch.

Und nun die Leverkusener am 18.4.2018. Kurz nach der Pause hatten sie zwei sehr aussichtsreiche Chancen, die Sven Ulreich, der Torhüter der Münchener, zunichte machte. Das Scheitern in diesen beiden Momenten bestärkte die Leverkusener Mannschaft nicht in ihrer Zuversicht, nah an ihrer Chance zu sein, sondern hatte einen destabilisierenden Effekt: von da an wehrte sie unzureichend - als würde sich in der Mannschaft der Gedanke ausbreiten: wir haben keine Chance mehr  -   mehr kriegen wir nicht hin. Es war zu sehen: die Mannschaft ergab sich. Sie wählte, könnte man salopp sagen, die depressive Lösung. Das ist, wie im nicht-sportlichen Leben auch, eine schlechte Lösung.

Real kann kommen, titelte heute triumphierend Roland Zorn von der Zeitung für die klugen Köpfe (19.4.2018, S. 28, Nr. 91). Das 6:2 - Resultat der Münchener Mannschaft ist ein Hinweis auf den Einbruch der Leverkusener Mannschaft, nicht der Beleg einer anderen (dominierenden) Klasse. Ob die Madrilener Truppe sich aus ihrer Spiel-Form bringen lässt, werden wir sehen.  Jupp Heynckes, der Real Madrid auch trainiert hat, wird das wissen.     


      

Mittwoch, 18. April 2018

Der Anfang vom Ende? Adam Davidson über die Präsidentschaft des Donald Trump

Adam Davidson kommentierte im Blog des The New Yorker (vom 14.4.2018) die Bedeutung der Razzia der Büros von Michael Cohen, dem personal lawyer des U.S.-Präsidenten. Michael Cohen kennt und hat die weltweiten Geschäfte Donald Trumps dokumentiert - damit werden sie bald der Öffentlichkeit zugänglich mit der Folge, so Adam Davidson, dass die korrupte Schäbigkeit illegaler Geschäfte die bislang kursierende Geschichte vom erfolgreichen Milliardär verdrängen und ersetzen wird. Inzwischen ermittelt die U.S.-Staatsanwaltschaft des Southern District of New York; die Gerichtsbarkeit des Staates New York ist damit beschäftigt und hat mit der Genehmigung der Razzia gegen den Präsidenten entschieden. Die rote Linie, die Donald Trump zur Drohung an den special counsel adressiert hatte, wurde von diesen Behörden überschritten. Deren Ermittlungen können von ihm nicht mehr ausgesetzt werden - selbst, wenn er Rod Rosenstein (Deputy Attorney General) und Robert Mueller die  Ämter entziehen, der Kongress dies tolerieren würde - die mit dem Fall Cohen befasste Staatsanwaltschaft würde weiter ermitteln. Donald Trumps Interventionen - wie immer sie platziert sein werden - können die Staatsanwaltschaft nicht stoppen.


Adam Davidson: "We are now in the end stages of the Trump Presidency".




Montag, 16. April 2018

Lektüre einer Form von Journalismus (Beobachtung der Beobachter) (66): Wiederkäuen aus Ängstlichkeit und Hilflosigkeit

Journalismus, stelle ich mir vor, liest die sorgfältig polierten, uns in Pressekonferenzen (beispielsweise) präsentierten Wirklichkeiten konzeptionell gut ausgerüstet gegen den Strich und bürstet mit einem aggressiven Druck kräftig nach. Leider schreiben manche Journalisten  nur brav mit und und reichen ihre Notizen zur öffentlichen Nachlese weiter. Wie in diesen beiden Beispielen.

1. Volkswagen wird kräftig umgebaut, titelten Carsten Germis und Rüdiger Köhn ihren Text über die Leitungswechsel im Konzern (Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 13.4.2018, S. 22, Nr. 86); der Untertitel: Turbulente Tage für den Autohersteller: Die Politik mischt bei den Vorstandspersonalien ordentlich mit. Wir kennen das: beim Bauen wird Beton angemischt. Was wird umgebaut? Matthias Müller geht, Herbert Diess kommt. Die zwölf Marken des Konzerns werden zu drei Einheiten umsortiert. Das kennen wir von unseren Rechnern: aus 12 werden drei Dateien. Und jetzt?

Who knows?  Herbert Diess lächelt ein schiefes Lächeln in die Kameras. Er soll jetzt so cheffig sein wie ehemals Martin Winterkorn. Ist der Personal-Wechsel ein Umbau? Wie kann man überhaupt einen Konzern umbauen? Die Idee ist naiv, die Vokabel eine Anmaßung. Die Leute eines Konzerns (Eigentümer wie Angestellte) bewegen sich in dessen Geschichte - in dessen Kultur mit ihrer Philosophie, Moralen, Regeln und Verpflichtungen, in dessen riesigem Beziehungsgefüge, den Hierarchien und Machtverhältnissen, Arbeitsabläufen, in den sichtbaren und unsichtbaren Räumen. In Wolfsburg bei Volkswagen, das wissen wir seit dem SPIEGEL-Interview mit Matthias Müller (s. meinen Blog vom 28.3.2018), gibt es eine strikte Hierachie, ausgestanzte Machtverhältnisse - immerhin hält jetzt der Aufzug nicht nur auf den Etagen der Herren, sondern auch auf den Etagen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter - und eine Kultur des Kotaus. Man könnte das auch Korruption nennen. Das soll jetzt umgebaut werden? Wer lacht da - nicht?

Die Leitung von Volkswagen steckt in der Klemme: das Produkt des vierrädrigen Autos mit Verbrennungsmotor hat eine unsichere Zukunft. Sie hat sich viel - vielleicht zu viel - aufgeladen. Die strafrechtlichen Klärungen des massiven Betrugs kommen noch; bislang sollen sie 25 Milliarden Euro gekostet haben. Was ist mit den Anwaltskosten? Was wird aus den Verbrennungsmotoren? Was aus dem Elektroantrieb? Was aus dem Rechner-gesteuerten Fahren? Was wird aus unserer Mobilität - freie Fahrt für freie Bürger? Verdient das Autofahren demnächst noch das Präfix auto?

Who knows? Was hat Matthias Müller, der Propagandist der Treuherzigkeit (Dieselthematik), falsch gemacht? Natürlich: er hat geplaudert und geplappert; offenbar wusste er nicht, wie laut er laut denken darf. Der Konzern, muss man vermuten, schlingert- auch wenn er gut verdient; seine leitenden Herren und Damen sind hilflos. Welche Pläne haben sie? Welche Konzepte für unsere künftigen Lebensbewegungen? Das zu erfahren wäre doch nicht schlecht. Stattdessen kriegen wir die alte,  aufgewärmte Soße vom familiären oder pseudo-familiären Streit der leitenden Herrschaften geboten  - als eine Geschichte von Kränkung und  Unterwerfung zur Erklärung der Personen-Rochade (Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 16.4.2018). Herbert Diess vergräzte den leitenden Gewerkschaftsmann, dann küsste er ihm (und Gunnar Kilian) die Füße; jetzt hat Bernd Osterloh nichts mehr gegen ihn einzuwenden. Geht es so zu in Wolfsburg und Umgebung? Wer kümmert sich um die Zukunft des Konzerns?


2.  Die Deutsche Bank braucht wieder Jägermentalität, titelte die Frankfurter Allgemeine Zeitung am Dienstag (10.4.2018, S. 1, Nr. 83) auf ihrer ersten Seite die Nachricht vom Leitungswechsel: John Cryan geht, Christian Sewing kommt. Er ist der Propagandist der Jägermentalität. Was ist eine Jägermentalität? Das Wort ist ein Witz - wie kann der Chef einer Bank es in den Mund nehmen? Die Deutsche Bank ist ein Konzern wie Volkswagen - mit eigener Kultur der Korruption, mit einer langen Geschichte der Macht, der Hierarchien etc. Was soll der Auftritt des jagenden Bankiers? Er soll die Hilflosigkeit, die Aufgeregtheit und die Orientierungslosigkeit vertreiben und die Geldgeber ein weiteres Mal vertrösten - bis die ihren Langmut verlieren. Schwer vorzustellen, dass noch immer die Kunden gehetzt werden sollen mit faulen Versprechungen und kostspieliger Munition. Milliarden wurden an Aktienkapital vernichtet; Milliarden mussten an Strafzahlungen geleistet werden. Die Leute stehen bis zum Hals im Wasser und spucken immer noch große Töne. Und das ist die Nachricht auf der ersten Seite wert? Weiter hinten auf Seite 22 erfährt man: Der neue Vorstandsvorsitzende wendet sich schwungvoll an seine Mitarbeiter. Wichtig ist ihm Teamgeist. Aber die Kritik am Aufsichtsrat wächst. 

Teamgeist! Die Kritik wächst! Wo kommt der Langmut her? Was wissen die Aktionäre, was ich nicht weiß? Kann man Geld gewinnen, wenn man Geld verliert? Was ist mit der Deutschen Bank und ihrer  deutschen Großartigkeit? Vielleicht ist ganz einfach. Die Deutsche Bank hat zuviel Schulden - zu viele unklare Kredite. War nicht im Oktober 2016 von 35 Billionen Euro an verbuchten Derivaten die Rede (s. meinen Blog Journalismus-Lektüre 40: die Deutsche Bank und die journalistische Idolisierung)? Inzwischen habe ich gelesen, dass das so genannte Derivatenbuch Finanzgeschäfte im Wert von 48 Billionen Euro aufweist. Da muss man sich aber nicht so viele Sorgen machen, erläutert (sinngemäß) James von Moltke, Finanzvorstand der Bank: "Bloß weil unser Derivatenbuch groß ist, heißt das nicht, dass es auch riskant ist. Viele Positionen darin sind mit Liquidität oder Forderungen von der Gegenseite hinterlegt" (Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 17.4.2018, S. 22, Nr. 89).  Wer sagt's denn. Die Bankenaufseher der EBZ, die jetzt die Geschäfte der Deutschen Bank prüfen, werden nichts finden.

Alles in Ordnung? Wir werden sehen. Vielleicht muss die Bank noch eine Weile gepäppelt werden, damit diese oder jene Billion herausgepresst werden kann. Im kleinen Maßstab lernten wir dieses Prinzip im Umgang mit Griechenland kennen. Aber was sind die griechischen Milliarden gegen die Billionen der Deutschen Bank? Wer hat schon Billionen Schulden? Nur Staaten. Die Bundesrepublik soll mit vier Billionen Euro verschuldet sein, die Vereinigten Staaten mit 14 - die Zahlen habe ich aufgeschnappt und sind wahrscheinlich nicht aktuell. Und wer kümmert sich nun auf welche Weise um die Zukunft dieser Bank? Das mit der Jägermentalität wird nicht mehr so genau genommen. Hauptsache, die Bank läuft.      

Dienstag, 3. April 2018

Lektüre einer Form von Journalismus (Beobachtung der Beobachter) (65): Dicketun auf Bundesdeutsch

Du bist krank, sagt der eine Jugendliche zum anderen Jugendlichen - und macht ihm sein Unverständnis zum Vorwurf. Die U.S.A sind krank, schreibt der Journalist Bernd Ulrich und macht  den Vereinigten Staaten sein Unverständnis zum Vorwurf :

"Trump stellt das Symptom eines schwer erkrankten Landes dar, fast alle seine persönlichen Widersprüche sind in Wahrheit die politischen Widersprüche der USA" ("Der Patient" ist der Titel des Textes, erschienen in der DER ZEIT vom 28.2.2018, S. 1). Seit wann sind politische Widersprüche in einer demokratisch verfassten Gesellschaft - eine Krankheit? Wie können persönliche Widersprüche politische Widersprüche sein?

Hier ist die Kostprobe des Musters der Argumentation:
"Wenn der Präsident heute die Waffengesetze ändern will und es morgen unterlässt, dann entspricht das exakt der Gespaltenheit des Landes in dieser - wie in allen anderen Fragen".

Nein, die Taktik des Präsidenten, ein öffentliches Zugeständnis zu machen und es wenig später versickern zu lassen, ist die Politik-Technik des Kalmierens und Erstickens eines öffentlichen Einspruchs. Sie hofft und rechnet mit dem Spektrum an Auffassungen, Überzeugungen und Haltungen zum Besitz und Gebrauch von verschiedenen Waffen, in dem der öffentlich in einem bestimmten Ausmaß repräsentierte Einspruch erlahmt.  Der Präsident ist an seinem politischen Überleben interessiert und an einer angemessenen Repräsentation der Einsprüche desinteressiert. Er glaubt, dass ihm ausreichend Wählerinnen und Wähler zustimmen. Was ist daran krank? Und wieso passt die Technik des Präsidenten exakt? Das Adverb exakt ist Bluff. Wenn man drüber nachdenkt, verflüchtigt sich die behauptete Genauigkeit. 

Die zweite Kostprobe:
"Auch die berühmten Checks und Balances wurden in Wirklichkeit noch nicht richtig getestet. Dass Trump mit der einen oder anderen Verrücktheit noch nicht durchgekommen ist, liegt weniger an den
Gegenkräften als an seiner fehlenden Konzentration und Organisation".

Wovon spricht Bernd Ulrich? Der Special Counsel Robert S. Mueller III wurde beauftragt. Er erledigt seine Untersuchung zur Frage der Behinderung der Justiz durch den Präsidenten. Die kritische gedruckte Öffentlichkeit verfolgt penibel die Schritte des Präsidenten. Es wird mächtig gecheckt & balanciert. Ist das nicht genug?  Ein Autor der New York Review of Books schrieb von der konstitutionellen Krise des Landes - nicht von einer Erkrankung. Die Metapher vom Patienten ist Angeberei. Bernd Ulrich lässt die Komplexität schrumpfen. Er scheint sich in seiner Verachtung sicher zu fühlen.
 
Thomas Gutschker, Journalist für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, springt ihm mit einem langen Riemen (1.4.2018, S. 2, Nr. 13) bei. "Bleiben Sie dran!", fordert der 58.5 Punkte große Titel auf. Die Unterzeile: "Donald Trump feuert einen Mitarbeiter nach dem anderen. Und er wechselt seine Überzeugungen rasend schnell. Ist das schon Politik - oder noch Reality TV?" Ja, sagt Thomas Gutschker, es ist eine Politik in der Machart der Fernsehen-Produktionen von Donald Trump.  Gutschkers Frage (am Ende seines Textes) an die Leserinnen und Leser: Ist Donald Trump der politische Zerstörer oder der alte Entertainer, der den Erwartungen seines Publikums folgt?
Gutschkers Antwort:
"Das muss jeder Zuschauer für sich entscheiden. Trump würde sagen: 'Stay tuned!' - Bleiben Sie dran!"

Während viele Nordamerikaner sich die Haare raufen und sich schämen über ihre Regierung im Weißen Haus, können wir, wenn wir der Einladung des Frankfurter Journalisten folgen, ordentlich vor dem Bildschirm lachen und in der offerierten Verachtung für den TV-Blödel baden. Diese falsch adressierte Einladung - es geht nicht um die Zuschauer, sondern um die Bürgerinnen und Bürger -  ist ebenfalls ein starkes Stück - der Verachtung. Die Verachtung gehört in den bundesdeutschen Angst- und Scham-Kontext.  Ich vermute: wir wissen ganz gut, dass zum Baden noch immer die Entspanntheit fehlt. Ich vermute: eine Reihe Leute tönen fürs Geschäft der Beruhigung herum, sind aber sprachlos. Weil wir in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts mit Adolf Hitler den Regierungschef hatten, der im Nu mit der Hilfe unserer willfährigen Elite den Staat der Weimarer Republik korrumpierte, umbaute und zerstörte - diese Katastrophe ist weder ausreichend verstanden noch verkraftet. Sie spukt durch die Köpfe der beiden Autoren. Der Unterschied vom damaligen Berlin zum heutigen Washington ist: die nordamerikanische Regierung kann die institutionellen Fundamente der Vereinigten Staaten nicht aushebeln. Die checks & balances halten. Wohl kann sie nationale und internationale Gefüge (halbwegs oder einigermaßen) funktionierender politischer Beziehungen aufs Spiel setzen - sie korrumpieren und lähmen. Wir haben keinen Grund, uns sicher und überlegen zu fühlen. Abgesehen davon -  müssen  die bundesdeutschen Techniken der Macht-Erhaltung noch gut beschrieben und verstanden werden.


(Überarbeitung: 5.4.2018)   






 

Mittwoch, 28. März 2018

Vertrautes von den betrügerischen Hütern der Heiligen Kuh (64): der Chef von VW wird gepampert

"Die zwei Gesichter des Matthias Müller", ist der Text von Carsten Germis überschrieben - erschienen in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung am 27.3.2018 (S. 20, Nr. 73). Matthias Müller ist der Chef des Wolfsburger Konzerns, der beharrlich die Sprachregelung für die Verniedlichung des massiven Betrugs, die Abgasvorschriften zu verletzten, durchgesetzt hat: als Dieselthematik. Dessen  zwei Gesichter sind: seine "analytische Arbeitsweise" einerseits und seine "undiplomatische" Redeweise andererseits. Undiplomatisch nennt man in unserer Umgangssprache, wie man so sagt, eine ehrliche Haut. Mit dem Klischee spielt Carsten Germis. Aber Matthias Müller ist keine ehrliche Haut. Er  sagt das, was die Konzernleitung ihm aufgetragen hat zu sagen; ansonsten klagt er  über die Ungerechtigkeit, dass ihm hier und da ein Betrug vorgehalten wird.

Carsten Germis reagierte auf das SPIEGEL-Gespräch, das Susanne Amann und Simon Hage mit Matthias Müller geführt hatten (SPIEGEL Nr. 13 vom 24.3.2018, S. 84 - 87). Das Gespräch ist glatt - Neues erfährt man kaum. Es ist schade, dass der SPIEGEL nicht veröffentlicht, welche Fragen nicht gestellt werden durften und wie oft der Text zwischen Hamburg und Wolfsburg hin und her ging in Sachen Bügeln & Glätten. Was man erfährt: sich der Öffentlichkeit aussetzen zu müssen, ist eine Zumutung für den Mann aus Wolfsburg; der strafrechtlich relevante Betrug war ein Fehler - also eine Kleinigkeit; die Belastung der Städte mit den Auspuffgasen haben sie unterschätzt - passiert schon mal. Was man nebenbei erfährt: das stattliche Gehalt bekommt Matthias Müller der immensen Verantwortung wegen und, jetzt wird es interessant, weil man als "Konzernchef" ...."immer mit einem Fuß im Gefängnis steht". Das ist doch was. Der Chef von VW spricht ein geläufiges rechtsstaatliches Ressentiment von den willkürlich exekutierten Gesetzen aus, die einem eine Rechtsposition nicht zubilligen: wenn man drankommt, kommt man dran. Mit etwas Fantasie kann man sich die Herren in der Zentrale des Konzerns vorstellen, wie sie über den Rechtsstaat feixen - weil sie sich ausnehmen. Man darf sich nur nicht erwischen lassen. Dann ist man arm dran und muss sich rechtfertigen. Offenbar haben die Haus-Juristen den Interview-Text nicht gegen gelesen; so  kann man doch seinen Chef nicht über unsere demokratische Verfasstheit sich verplappern lassen.

Auch das ist nicht so neu. Wir kennen das Klagen der Herren aus den Nürnberger Prozessen. Wir kennen das Feixen eines Herrn (mit Schweizer Pass) aus dem Düsseldorfer Prozess, als der ehemalige Deutsche Bank-Chef sich mit seiner Victory-Geste sehr sicher wähnte. Wirklich neu (für mich) war Matthias Müllers Beleg für die Veränderung der Konzern-Kultur:

"Wir haben die Aufzugssteuerung verändert, der hält jetzt auch für normale Mitarbeiter an, wenn der Vorstand ihn benutzt".

Junge, Junge, in Wolfsburg tut sich was: an der Herren-Kultur wird gefeilt. Die Herren fühlen sich offenbar nicht so wohl in ihrer Status-aufgeblähten Haut. Das würde Matthias Müller nicht zugeben; man muss es erschließen. Dieser Satz muss hier als Beleg ausreichen: "Mein Ziel ist, dass meine Mitarbeiter Hierarchien akzeptieren, sie aber nicht überinterpretieren". Klar doch, die Herren geben sich freundlich, lassen aber weiter antreten; Murren über die Status-Pingeligkeit der Herren ist nicht gestattet. Wer will unter solchen Macht-besoffenen Herren arbeiten? 

Bleibt noch die Frage: welche Sorgen macht sich der Journalist Carsten Germis von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung mit seinem Kotau vor dem Mann aus Wolfsburg?  

Freitag, 23. März 2018

Lektüre einer Form von Journalismus (Beobachtung der Beobachter) (65): Erziehungsfragen in der Außenpolitik

Der sich selbst preisende Qualitätsjournalismus neigt hier & da zur Aufgeregtheit. Das  ist die Folge seiner Desorientierung. Politische Prozesse in das Format eines Klassenzimmers zu pressen, ist unangemessen. Die Feuerzangenbowle, unser nationalsozialistischer Schmuggel-Film vom Vergnügen an der Demontage einer demokratischen Institution, spukt durch diesen oder jenen Kopf. Aber der Reihe nach. Heute schrieb Majid Sattar seinen Kommentar in der Zeitung für die klugen Köpfe - Titel: Sanft oder robust (23.3.2018, S. 1, Nr. 70). "Die Trump-Deuter in den Regierungsapparaten europäischer Hauptstädte", so Sattar, "raufen sich die Haare". Das ist ein weit reichender, ausgreifender, deprimierender - wenn er zutreffen sollte -   Satz. Vermutlich rauft sich Majid Sattar die Haare. Das sagt er nicht. Er spottet über die neue "Fachdisziplin", wie er sagt: die "Trump-Psychologie".  Er sieht Politiker, die sich die Haare raufen und sich ihre Strategie gegenüber der U.S.-amerikanischen Regierung überlegen: sanft  oder robust? Das ist die hilflose Frage, die sich früher Lehrer stellten, die mit aufsässigen Schülern zu tun bekamen und glaubten, sie könnten ihr Verhalten konzeptionslos variieren und Einfluss nehmen.

Wie ist das mit einer Regierung, die nicht regiert? Das Nachdenken über die Psychopathologie des derzeitigen Präsidenten hilft nicht. Deren relevante Strukturen sind in einigen Zeitungen und Zeitschriften der U.S.A. beschrieben. In Otto F. Kernbergs Büchern kann man sich ausreichend über den "malignen Narzissmus" informieren. Viel wichtiger ist, den Kommentar in der New York Times von Charles M. Blow ernst zu nehmen, der geschrieben hatte: die Wahl von Donald Trump sei ein ticket to hell (s. meinen Blog vom 21.3.2017: "In Frankfurt am Main und in New York City - welche Wirklichkeit zählt"). Donald Trump ist als Inhaber des Präsidenten-Amtes Chef eines großen Regierungsapparats, der sich dadurch auszeichnet, dass er nicht funktioniert und dass sich bislang noch Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen finden, die dessen Dysfunktionalität am Leben halten.

Was mit  ihrem Präsidenten geschieht, müssen die U.S.-Amerikaner ausmachen: wie lange sie dessen flackernde, korrupte Inkompetenz ertragen wollen. Möglicherweise wird er nicht mit seiner Entscheidung durchkommen, dem Sonder-Ermittler Mueller den Auftrag zu entziehen - die Risiken soll Donald Trump derzeit abzuschätzen versuchen, wozu er wahrscheinlich nicht die Geduld haben wird.  Sollte er damit durchkommen, stünde das Land mit der ältesten demokratischen Tradition vor einer konstitutionellen Katastrophe. Das wäre für alle demokratisch verfassten Länder ein Test der eigenen Überzeugungen und institutionellen Gewissheiten. Im Augenblick - nach der Kündigung seines Chef-Juristen John Dowd und seines Sicherheitsberaters Lt.Gen. H.R. McMaster - torkelt der Präsident im Oval Office. Wie lange er sich auf den Beinen hält, werden wir sehen.

Den Europäern bleibt nur, eine vernünftige Politik beharrlich und freundlich zu behaupten. Die Füße des U.S.-Präsidenten sollten sie nicht zu küssen versuchen. Sie sollten sich verständigen, die vereinbarten und geforderten Preise zu zahlen (die 2%-Beteiligung an den militärischen Kosten; Ausgleich des Handelsdefizits) und den Preis dafür zu zahlen bereit zu sein, keine (wirtschaftlichen und andere) Machtkämpfe aufzunehmen. Der Preis der (möglichen) Zölle ist ungewiss; wie lange sie bestehen bleiben, ebenso. Eine gemeinsame Politik wäre vernünftig; sie müsste wirklich gemeinsam sein. Geduldiges und nachdrückliches Verhandeln wäre doch gut. Der mächtige (europäische) Nettozahler, der sich so gern an die vermeintlich altruistische Brust klopft, sollte dazu endlich seinen Beitrag leisten. Dass das Vereinigte Königreich im europäischen Verbund wirklich fehlen sollte als ein schweres politisches (Gegen-) Gewicht, fällt mir vorzustellen schwer. Der  Verlust wäre die unglaubliche Fehlleistung einer europäischen Krämer-Politik, die sich nicht imstande sah, die Schnapsidee des "Brexit" auszubalancieren.