Dienstag, 26. November 2019

Wie ein massiver Betrug kleingeredet wird - Journalismus-Lektüre (Beobachtung der Beobachter: 94)

Der massive, strafrechtlich relevante Betrug der VW ist noch nicht geklärt, aber die bisher angefallenen Kosten sind bekannt: ungefähr dreißig Milliarden Euro. Das ist nicht so viel, aber auch nicht wenig. Was haben die VW-Leute eigentlich unternommen, diesen Betrag einzusparen, indem sie vor ihrem Betrug eine buchstäblich saubere Lösung gefunden hätten? Mit anderen Worten: Wieso, muss man vermuten, wurde niemand von den VW-Leuten gehört, der oder die darauf hinwies, dass der geplante Betrug enorm teuer werden würde? Wieso nicht?

Das ist die tabuisierte Frage. Sie darf nicht gestellt werden, weil sie die Wolfsburger Kultur der Korruption berührt. Die Journalistin Corinna Budras und der Journalist Holger Appel umgehen sie in ihrem Text (Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 24.11.2019, S. 26) mit dem schönen Titel: "Der Teufel steckt im Tank".

Nein, er steckt in Wolfsburg.

Corinna Budras und Holger Appel erläutern ihren Titel: "Die Ermittlungen im Diesel-Skandal zeigen, auf welch windige Ideen VW-Ingenieure kamen, weil sie am Ad-Blue-Tank sparen wollten". Hat denn keiner der VW-Leute eingewandt, dass die Ingenieure am falschen Ende sparen würden, wollten sie das Additiv zur Reduktion des Stickstoffs und damit den dafür notwendigen Tank einsparen?  Nein, sagen Corinna Budras und Holger Appel, sie waren so verbohrt. Ja, aber wieso?

Die VW-Leute wollten ihren Kunden ersparen, regelmäßig das Additiv nachfüllen zu müssen. Autofahren muss bequem sein. Dafür riskierten die VW-Leute Milliarden Euro. Dieses Argument präsentieren Corinna Budras und Holger Appel als Erklärung für den schweren Betrug. Dieses Argument dient der Verteidigung, dem Gericht die Harmlosigkeit des Betrugs - alles nur gut gemeint im Dienste des Kunden -  zu verkaufen. Was schreiben Corinna Budras und Holger Appel?

Ich nehme ihren ersten und ihren letzten Satz:
"Der Ursprung eines großen Übels ist manchmal ganz erstaunlich banal".
"Hätte man nur dem Harnstoff seinen Platz gegeben". Der Platz wäre ein Tank gewesen.

Wie sieht der Teufel in Wolfsburg aus? Einmal dürfen Sie raten. Einen Tipp gebe ich: Erinnern Sie die Nürnberger Prozesse. 

Journalistische Verachtung und journalistischer Klatsch - Zeitungslektüre 93 (Beobachtung der Beobachter)

Die Ermittlungen zur Frage der Amtsenthebung des U.S. Präsidenten laufen. Sie sind teils öffentlich, teils nicht öffentlich. Majid Sattar, Journalist der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, hat sie neulich für die Sonntagsausgabe beschrieben (F.A.S. vom 24.11.2019, S. 7). Der Titel seines Textes: "Der Fürst und der Ringer". Der Untertitel: "In den Anhörungen gegen Donald Trump wird mit harten Bandagen gekämpft. Ein Demokrat und ein Republikaner prügeln sich für ihre Parteien".

Prügeln sich Adam Schiff, der Kongreßabgeordnete der demokratischen Partei, und Jim Jordan, der Kongreßabgeordnete der republikanischen Partei? Sich zu prügeln ist die Beschreibung aus der Position dessen, der distanziert auf das kindliche oder jugendliche Entwicklungsniveau herabschaut - ob sich dieser Erwachsene auch amüsiert?

Was sagt Majid Sattar über Adam Schiff?

"Er zelebriert seine Rolle. Die Geschäftsordnung weist dem Vorsitzenden eine mächtige Stellung zu. Die 'Ausschussfürsten', wie sie früher genannt wurden, dominieren das Verfahren". Irgendwie irgendwo hat Sattar den Fürsten aufgeschnappt.

Majid Sattar:

 "Als Schiff wieder einmal Jordan zurechtweist, klagt dieser: 'Sie können andere so oft unterbrechen, wie Sie wollen, aber wir....' Er kommt gar nicht dazu, den Satz zu beenden, da Schiff wieder zum Hammer greift. Handwerklich reicht dem Demokraten keiner das Wasser. Kühl steuert der 59 Jahre alte frühere Staatsanwalt die Ermittlungen".

Halten wir fest: kühl führt Adam Schiff den Vorsitz. Was sagt Majid Sattar noch?

"Schiffs Stärke ist aber auch seine Schwäche. Mit stets zu weit geöffneten Augen liest er die Manuskripte ab, die seine Mitarbeiter für ihn verfasst haben. Alles an ihm wirkt einstudiert. Echte Emotionen zeigt er so gut wie nie".

Majid Sattar legt einen Maßstab für Verhalten zugrunde: zu weit geöffnete Augen, alles einstudiert, echte Emotionen so gut wie nie. Was meint er damit? Majid Sattar unterschätzt den strapaziösen Prozess der Ermittlungen. Kann er sich schlecht einfühlen in die Protagonisten? Offenbar. Er hält Adam Schiff für: überheblich. Dann beschreibt er seine Beobachtung vom vergangenen Donnerstag (21.11.2019): "Schiff setzt an zum Schlusswort. Sein Gesicht ist gerötet, die Stimme nicht mehr so fest wie an den Tagen zuvor". Was sagt ihm seine Beobachtung?

Nichts.



Dienstag, 19. November 2019

Ironie statt Klartext - Zeitungslektüre (92)

Seit einiger Zeit denke ich: man hört nichts mehr von unserem Verkehrsminister Andreas Scheuer. Seine Berater müssen ihm empfohlen haben, was die Berater des nordamerikanischen Präsidenten Donald John Trump ständig empfehlen: keep a low profile. Jetzt registriert Hendrik Wieduwilt in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (19.11.2019, S. 8) des Verkehrsministers "Gelassenheit angesichts des ständigen Bebens in seiner Umgebung".

Gelassenheit. Das nenne ich die Ironie des journalistischen Beobachters, der sich über Andreas Scheuers Schmallippigkeit amüsiert und ihn aus sicherer Entfernung als "bebensicher und gelassen" bezeichnet. So tritt man jemandem unterm Tisch ans Bein. Das ist journalistisch - armselig.

Die Niederländer reduzieren ihre Tempo-Limits auf Autobahnen - Unerhörtes vom möglichen Umgang mit der Heiligen Kuh (91)

Die Niederländer planen, die gegenwärtigen Tempo-Limits auf ihren Autobahnen wieder (von 120 und 130 km/h) auf 100 km/h in der Zeit von 9.00 bis 19.00 Uhr zu reduzieren.  Ihre Begründung: zur Verringerung des CO2-Ausstosses. Die neue Regelung soll im Dezember 2019 eingeführt werden.

Was ist bei uns?
So weit ich sehe: abwartendes Schweigen. Was macht unsere Regierung? Schwer zu sagen. Wie war das noch mit der Dringlichkeit der Interventionen? Angela Merkel sprach neulich bei der Präsentation des ausgehandelten Pakets an Interventionen: vom Paradigmenwechsel. Womit sie sich in ihrer Wortwahl verhob und seitdem öffentlich verstummte. Wahrscheinlich hat sie das Buch Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen vom Erfinder des wissenschaftlichen Paradigmas, Thomas Samuel Kuhn, nie gelesen.

Dabei wäre ein Tempolimit bei uns hilfreich - es müsste allerdings  mehr eingreifen: 80 km/h  auf unseren Autobahnen wären nicht schlecht. Sie würden in mehreren Hinsichten (Verringerung  von Staus und schweren Unfällen, Beruhigung des Verkehrs) helfen - wie viel müsste man sehen. Dazu brauchten wir eine Regierung, die sich vor dem Aufschrei derer, die weiterhin so fahren möchten wie bisher, nicht fürchtet. Sie müsste sich auch der veröffentlichten Meinung entgegen stellen, die so daher kommt - ich zitiere  Holger Appel von der  Allgemeinen Frankfurter Sonntagszeitung (17.11.2019, S. 41):

"Die Rahmendaten stehen. Vom kommenden Jahr an dürfen Neuwagen im Durchschnitt nur noch 95 Gramm CO2 je Kilometer ausstoßen, das entspricht rund vier Liter Benzinverbrauch auf einhundert Kilometer. Bis zum Jahr 2030 muss dieser Wert um weitere 37,5 Prozent sinken. Wegen Anpassungsrechnungen lässt sich das Ziel noch nicht genau vorhersagen, die Industrie wird in Bereichen um 60 bis 70 Gramm landen müssen, also zwischen 2,5 und 3 Liter Benzinverbrauch. Das ist, nach allem, was die Ingenieure bislang wissen, nicht zu schaffen".

Das ist nicht zu schaffen - was wohl die Kanzlerin dazu sagen würde?

Wir fahren einen Mercecedes C Transporter mit einem 2 Liter Benzinmotor. Wenn er warm gefahren ist - nach 80 bis 100 Kilometern - , verbraucht er bei 1500 Umdrehungen (das sind 80 km/h) knapp fünf Liter. Der Wagen ist gute 1600 kg schwer. Ein 1000 kg schweres Fahrzeug sollte die 4 Liter bei 80 km/h gut erreichen können. Was die Ingenieure bislang nicht wissen - wissen sie  nicht, weil sie nicht zugeben dürfen, dass es geht. VW hatte schon einmal ein Drei-Liter-Auto als einen Marketing-Coup präsentiert, von dem die VW-Leute wahrscheinlich annahmen, dass er nie realisiert werden und sie nie in die Verlegenheit kommen würden, einen solchen Winzling zu bauen und zu verkaufen. Mit anderen Worten: die Möglichkeit, kleine Fahrzeuge zu bauen, wurde und wird nicht in Betracht gezogen. Das Geschäft soll mit großen Autos laufen. Der CO2 Ausstoß der stattlichen Limousinen soll mit den von Elektromotoren angetriebenen Fahzeugen verrechnet werden. Eine andere Politik lassen die Herren des automobilen Geschäfts nicht gelten. Anders rentiert  das Geschäft sich nicht.

Die  Dringlichkeit, sofort etwas zu tun für die Veränderung unserer Bewegungs- und Lebensformen - jeder Tag der Passivität ist ein verlorener Tag - , ist noch nicht verstanden worden. Wir haben auch keine Öffentlichkeit, die Tag für Tag nachhält, wo wir uns befinden im Prozess der Transformation der Mobilität und der Reduktion der Treibhausgase. Unsere niederländischen Nachbarn haben die Dringlichkeit des Handelns schon seit längerem gut verstanden. Die Herren der deutschen Autoindustrie pokern. Schummeln fällt auf und macht einen schlechten Eindruck, haben sie herausgefunden. Jetzt spielen sie in der Gegenwart die Karte der besorgten Treuherzigkeit. An der Zukunft ihrer Nachfahren sind sie weiterthin desinteressiert. Sie sind gut eingestimmt auf die zähe Verleugnung der Dringlichkeit.