Donnerstag, 11. April 2019

Das Brexit-Konzert: Encore, Encore, Encore? Noch mal, noch mal, noch mal!

Jede Besucherin und jeder Besucher eines Konzerts weiß: die Zugaben am Ende sind begrenzt. Irgendwann sind die Künstlerinnen und Künstler erschöpft und müssen nach Hause. Nur das Brexit-Konzert findet kein Ende, weil die Künstlerinnen und Künstler sich nicht entscheiden können zwischen In & Out und offenbar über enome (unerschöpfliche) Reserven verfügen.  Vielleicht muss oder kann diese Frage gar nicht entschieden werden. Vielleicht bleiben die Engländer - die Schotten sind sich ja mehrheitlich einig, was sie wünschen -  weiterhin Mitglieder auf dem Sprung, was sie schon immer waren: einverstanden und nicht einverstanden; das full English Breakfast zählt eben mehr als das (schmale) Continental Breakfast. Was soll's? Geduld, Nachsicht und Großzügigkeit sind zu empfehlen: viele Beziehungen halten, weil die Partner sich ständig mit ihrer Trennung beschäftigen. Das ist belebend, mühselig, lästig und kränkend. That's life.

Wie wär's mit einer anderen Form von Mitgliedschaft? Es gibt die volle Mitgliedschaft und jede Menge relativierter Mitgliedschaften. Es ist die Frage, was wir wünschen. Die Frage ist offen: Wie wollen wir die EU gestalten? Vielleicht sind die Diskussion und die Klärung dieser Frage wichtiger als das Rätseln um die Vereinbarkeit von In & (not so) Out. Wir brauchen Zeit.

Gut, dass die Briten im Mai mitwählen müssen. Weitere Zugaben im Brexit-Konzert können erwartet werden.

(Nachtrag: 15.4.2019)  

Mittwoch, 10. April 2019

Gemerkel 9: spät kommt sie, aber sie kommt

Die Proteste der jungen Leute, freitags zur Zeit des Unterrichts, findet unsere Kanzlerin "gut": gut, dass Sie (oder sie) uns erinnern. Und ein "radikaler Wandel der Verkehrspolitik" müsse auch her, sagt sie. Reichlich spät. Trösten wir uns mit dem englischen Sprichwort: better late than never. Es ist das alte Muster: wenn es die Spatzen von den Dächern pfeifen, trällert Angela Merkel nach, verkündet den in den Tagesthemen zum Gemeinplatz gewordenen öffentlichen Konsensus wie selbstverständlich, als hätte sie es schon immer gesagt. Hat sie in ihrer Planlosigkeit nicht. Erstaunlich ist, dass sie mit dieser Taktik der Treuherzigkeit durchkommt.

Drittes Beispiel. 2016, als der britische Premier seine Idee der Aufkündigung der Mitgliedschaft in der EU zu realisieren gedachte, hatte offenbar niemand Angela Merkel gesagt, dass diese Idee eine
(schreckliche) Schnapsidee ist. Nach dem Referendum war sie die erste (meines Wissens), die die an die britische Regierung gerichtete Drohung aussprach und damit eine Handlungsanweisung angab: keine Rosinenpickerei...wenn schon, denn schon...wer nicht hören will, muss fühlen... bekannte deutsche Sozialisationstöne. Gestern empfing sie Theresa May mit offenen Armen -
sie wolle "alles tun", um einen Vertrags-losen Austritt zu verhindern: sagte sie vorgestern. Was tat sie in den letzten drei Jahren? Wann wird sie mit der schlingernden Politik ihrer Konzeptionslosigkeit konfrontiert?

The lastest News: We Call the Whole Thing off - sagt Theresa May

Sagt sie nicht. Leider. Sie könnte - mit einem Satz - die Idee der Aufgabe der Mitgliedschaft rückgängig machen. Der Europäische Gerichtshof hat ihr den Weg geebnet. Sie könnte sagen: Ich halte den plötzlichen Austritt für überstürzt, schädlich und unklug. Großbritannien bliebe Mitglied der EU. Sie könnte auch noch  - und Viele würden ihren Mut honorieren -  sagen: Der frühere Premier hat sich verkalkuliert; das Referendum ist nicht bindend.

Wahrscheinlich wird sie den Weg der Rückkehr nicht gehen.  Dabei spricht die Zerstrittenheit der britischen Parlamentarier doch eine eindeutige Sprache: wenn man nicht übereinkommt, eine Schnapsidee zu realisieren, gibt man die Schnapsidee auf. Wieso dürfen die Parlamentarier nicht nachgeben?



Greta Thunbergs Widerworte

Der Protest der jungen Leute, die wegen ihrer Überzeugung der Dringlichkeit des sofortigen Handelns angesichts der sich ausbreitenden Klima-Katastrophe freitags an ihrem Schulunterricht nicht teilnehmen, ist ein Segen. Der erste laute Aufschrei - abgesehen von den tapferen Klimatologen, die seit den 50er Jahren die aufkommende Katastrophe erforschen - gegen die weit verbreitete Leugnung und Apathie der hilflosen Erwachsenen.

Und die hilflosen Erwachsenen reagieren mit dem Vorwurf des Schule-Schwänzens. Vom Schule-Schwänzen haben wir, die Erwachsenen jeder Generation, immer geträumt. Nie habe ich ein Hitze-Frei erlebt. Der Vorwurf des Schule-Schwänzens ist wie früher die Ermahnung und Drohung der Erwachsenen, die sich bedrängt fühlten in ihrem Status: Keine Widerworte!

Der Vorwurf des Schule-Schwänzens ist falsch. Die jungen Leute bummeln nicht und schlagen die Zeit tot, sondern riskieren ihre Zeit, die Erwachsenen an die dringlichste Aufgabe unserer Zeit zu erinnern. Sollen sie dafür bestraft werden? Wie früher die Kinder, die zu widersprechen wagten?