Dienstag, 28. Januar 2020

Wo bleibt der Beifall für Robert Habeck?

Ich könnte Robert Habeck umarmen: endlich ein ehrliches Wort! Er nannte die Rede des U.S.-Präsidenten - in meinen Worten: Stuss. Womit er indirekt den Davoser Unsinn und die Davoser Verschwendung kritisierte.  Das kam bei uns schlecht an: Politiker der Union schüttelten den Kopf, Klaus-Dieter Frankenberger, der lauteste Leistetreter der F.A.Z.-Redaktion, schüttelte den Kopf und empfahl ihm als Vorbild der Diplomatie unsere Kanzlerin, die Meisterin des Ausweichens. Robert Habeck wurde  in Washington von Regierungsmitgliedern weniger freundlich empfangen; die Bedeutung seines Besuchs sei herabgestuft worden, hieß es.

Ist das schlimm? Schlimm war das Füßeküssen vom Siemens-Chef, als er 2017 Donald John Trump traf. Er hatte nicht verstanden, dass Füßeküssen - in welcher Verrenkung auch immer - nicht hilft. Die Repräsentanten der Bundesrepublik müssen nicht sich vor der bulldozernden U.S.-Regierung wegducken in der Hoffnung, wirtschaftlich verschont zu bleiben. Feigheit ist schlecht. Es kann nur um eine Haltung des nüchternen, unaufgeregten, festen Gegenhaltens gehen. Wenn wir Produkte herstellen, die in der Welt gebraucht werden, und kluge Konzepte der Mobilität und der Energieversorgung entwickeln, sind wir im Verbund der EU nicht wehrlos. 

Mittwoch, 22. Januar 2020

Ein Fensterleder für den Beobachter! Lektüre eines Journalismus (98)

Donald John Trump in Davos. Hubschrauber im Schnee. Großer Bahnhof.
Unwidersprochen redet er Stuss. Niemand widerspricht ihm. Später tut es Robert Habeck vor der TV-Kamera von den Tagesthemen - nachträglich.

Nachträglich schreibt Gerald Braunberger von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
(22.1.2020, S. 1):

"Richtig liegt Trump aber mit seiner These, dass die Welt auf Dauer nur vorankommt, wenn sie
mit Zuversicht in die Zukunft blickt und nicht im Pessimismus von Untergangspropheten versinkt".

Nein, nicht mit Zuversicht, sondern mit einem klaren Blick für den Rabauken im Weißen Haus, der einen einzigen Kontext kennt, an dem er interessiert ist: am Schutz seiner Grandiosität und an der Zufuhr an stetigem Beifall. Braunberger, irgendwie benebelt, anwesend/abwesend, tagträumt. Er hat noch nicht verstanden, dass er hellwach sein muss.

 

We Remember You said that (3): die kuriose Prognose eines journalistischen Beobachters (Lektüre eines Journalismus: 97)

Majiid Sattar von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung schrieb am 21.1.2020 (S. 5):

"Das dritte Impeachment in der Geschichte der Vereinigten Staaten ist ein außergewöhnliches. Sein
Ausgang steht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit fest".

Es geht nichts über gute Prognosen mit minimaler Fehlerwahrscheinlichkeit.  Die Fehlerwahrscheinlichkeit von Majiid Sattars Prognose läuft gegen Null. Dazu muss man sagen: Ein Verfahren ist ein Verfahren - zuerst einmal offen. Sattar hat seinen Text überschrieben: "Impeachment als Realityshow". Das kann er nur, weil er offenbar Vergnügen am Beobachter-Status hat und sich sicher fühlt.

Eine show findet nicht statt. Die Integrität U.S.-amerikanischer Institutionen steht auf dem Spiel. Wenn der Schwur der Unparteilichkeit aller Senatoren nichts mehr gilt, kann die U.S.-Demokratie einpacken - dann können wir auch einpacken, weil wir dann der Willkür kapitalistischer Despoten ausgesetzt sind und weil die Korruption endgültig salonfähig geworden ist und bei uns endgültig salonfähig wird. Gute Nacht!  Wir können noch hoffen, dass sich alle Senatoren an ihren Schwur und an ihren demokratischen Auftrag erinnern. 

Freitag, 10. Januar 2020

Der hämische (armselige) Dünkel des Beobachters - Lektüre eines Journalismus (96)

Der Qualitätsjournalismus plustert sich bei uns - nach den Erfahrungen meiner jetzt bald zehnjährigen (einstündigen) Frühstückslektüre (die Nachbearbeitung benötigt natürlich viel mehr Zeit)  - ganz schön auf; was er an Nickeligkeiten, Klischees, Verdrehungen und Fehlleistungen produziert, wird meines Wissens nicht systematisch untersucht - das wäre natürlich ein riesiges Forschungsprojekt zum Problem der öffentlich (intuitiv) abgestimmten, die Diskussion dominierenden Wahrheiten. Das Konzept der Wahrheit ist in Verruf geraten; der demagogische Vorwurf der  fake news macht es sich einfach; er suggeriert eine schnelle Identifikation und Verständigung über eine Wahrheit. Wahrheit ist aber das Produkt der gründlichen Diskussion einer Annäherung, nicht einer raschen Behauptung.

Hier das Beispiel von Freitag, dem 10.1.2020. Trumpisten im  Zwist heißt der kurze Kommentar von Andreas Ross in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (10.1.2020, S. 8, Nr. 8). Die Überschrift bezieht sich auf die Kontroversen innerhalb der U.S.-Republikaner hinsichtlich des bislang nicht substanziierten, nicht vorgelegten Plans des Präsidenten, den iranischen General auf irakischem Boden - gegen das Völkerrecht - ermorden zu lassen. Die Kontroversen, prognostiziert Andreas Ross, werden abklingen, das republikanische Interesse an der Wiederwahl des amtierenden Präsidenten, wird dominieren. Das ist die schlichte Lesart. Es ist komplizierter. Denn der Prozess des Impeachment-Verfahrens, bei dem alle  Beteiligten auf ihre Unparteilichkeit eingeschworen werden und dessen Vorsitz John Roberts, der Vorsitzende Richter des Obersten Gerichtshofs der Vereinigten Staaten (der neulich den Präsidenten hinsichtlich der Unabhängigkeit der obersten Richter belehrte),  einnimmt, hat noch nicht begonnen. Die Wahrheit ist das höchste demokratische Gut. Sie wird im Impeachment-Verfahren verhandelt. Sie steht auf dem Spiel. Das Verfahren wird es den republikanischen Senatoren nicht einfach machen: sie werden gezwungen, sich für oder gegen die Wahrheit zu entscheiden. Meineid ist in den U.S.A. eine schwere Straftat.

Den zweiten Absatz seines Kommentars beginnt Andreas Ross mit diesem Satz:
"Sofern die Zeichen im amerikanisch-iranischen Konflikt erst einmal auf Deeskalation stehen bleiben, dürften die Demokraten nicht weit mit ihrem Versuch kommen, das Entsetzen über Trumps riskanten Befehl zur Tötung Soleimanis politisch zu melken".

Die Formel Politisch zu melken ist  offenbar Ausdruck einer sich zynisch gebenden Ausgebufftheit. Andreas Ross spottet über den Versuch, die Substanz des Entscheidungsprozesses der (völkerrechtlich) widerrechtlichen Exekution innerhalb oder außerhalb des Impeachment-Verfahrens zu klären. Er unterschätzt den U.S.- Präsidenten und er unterschätzt die nordamerikanische Not,  den korrupten, verlogenen und deshalb gefährlichen Regierungschef, der das fundamentale Konzept demokratisch ausgehandelter Wahrheiten zu zerstören droht,  aus dem Amt zu entfernen.  

Wie schwierig das sein wird, lässt sich beispielsweise aus dem Desinteresse der Frankfurter Zeitung an Trumps Ansprache an die Nation (vom 8.1.2020) ableiten: sie ging bei den Leuten des Qualitätsjournalismus einfach durch und fand keine angemessene journalistische Reaktion. Kein Wort zu dem unglaublichen  Polit-Kitsch von Donald John Trump. Kein Aufschrei. Keine Empörung. Keine Analyse seines nachträglichen Verdrehens und Lügens. As long as I'm the President begann er seine Rede und positionierte sich zugleich gegen das Impeachment-Verfahren als eine für ihn angesichts seiner riesigen Verdienste unerträglichen Ungeheuerlichkeit.

In seiner Rede wechselte er (als der besorgte Retter der Nation) zwischen dem rührseligen Triumph, der alle Fehler seines Vorgängers korrigiert im Dienste der Sicherheit seiner Landsleute, und der kräftigen Drohung an die Regierungen Europas, Chinas und Rußlands.

Es ist die Frage, wie sein Drängen auf die verlogene Bestätigung seiner Großartigkeit ankommt oder abstößt. Sie fiel der Redaktion der Zeitung für die klugen Köpfe offenbar nicht richtig auf. Die kitschige Verlogenheit muss auf die Titelseite - wie auch die die Verlogenheit der engsten Mitarbeiter des Präsidenten. Eine Zeitung wie die Frankfurter Allgemeine müsste deutlich gegenhalten und die Wahrheit gegen die Lüge hoch halten - und sich nicht wegducken mit einer arroganten Geste.

Wahrscheinlich ist  Nancy Pelosis Taktik klug, sich an die Realität des Impeachment-Verfahrens zu halten; sie sagte gestern (9.1.2020), sie wolle zuerst sehen, wie die Regeln der Arena gestaltet würden, bevor sie ihre articles of impeachment einbringe; sie erwarte vom Verfahren: documentation, witnesses, facts, truth. Das ist eine andere, deutliche Sprache. Die Verständigung über die Wahrheit, kein Melken, wird ist auch hier bei uns auf eine alarmierende, beunruhigende Weise schwierig.


(Überarbeitung: 12.1.2020)  

Donnerstag, 9. Januar 2020

Lähmung oder Leugnung? Lektüre eines Journalismus (Beobachtung der Beobachter: 95)

"Trump will keine militärische Vergeltung für iranische Angriffe", titelt heute die Frankfurter Allgemeine Zeitung in ihren Schlagzeilen-Lettern (9.1.2020, S.1, Nr. 7). Die Le Monde titelt: "Donald Trump joue l'apaisement avec l'Iran". Die französische Redaktion spricht von jouer: spielen. Mit anderen Worten: der U.S.-Präsident feixt und lügt in seinem Interesse. Die Frankfurter Redaktion referiert seine Ausrede und übernimmt die absurde Sprachregelung aggressiver Abrechnung und riskiert nicht, das Interesse des U.S.-Präsidenten zu vermuten.

Dabei ist das doch nicht so schwer.  Donald John Trumps politisches Programm Make America Great Again ist sein grandioses Selbst-Programm. Das Amt ist sein Mittel; Taktik und Technik lassen sich mit einem Wort beschreiben: Bulldozern. Für sein Selbst-Programm tut er alles, hatte ich neulich geschrieben (s. meinen Blog I have no prejudices - I hate everybody vom 11.9.2019 ), um es und damit seine Haut zu retten. Da er politisch planlos vorgeht, schlingert er mit seinen reparativen Manövern; je nach Manöver muss seine inkomplette Mannschaft nachträglich eine Kurs-Beschreibung hinkriegen. Offenbar kommt sie häufig zu spät, um ihm beim Lenken in die Arme zu greifen. Diese Perversion der Präsidentschaft ist nicht lustig, sondern ernüchternd, deprimierend und strapaziös angesichts der Anstrengung, gegen zu halten und zu korrigieren. Sie ist, wie Charles M. Blow,  Journalist der New York Times am 17.3.2019, schrieb: a Ticket to Hell. Man sollte also höllisch aufpassen und sich keine Illusionen machen. 

Was tut der Frankfurter Qualitätsjournalismus? Er stolziert... Seit drei Jahren: beflissen, mit Angst-bereiter Unterwerfung und Identifikation mit dem präsidialen Agressor (s. meinen Blog vom 13.2.2017: Journalismus-Lektüre: Trump-geblendet). Möglicherweise hat er zu wenig Fantasie, um diese Art politischer Perversion zu verstehen, zu wenig Aggressivität, sich zu einem nüchternen Verständnis durchzuringen, und weil er Journalismus als eine Art öffentlicher Diplomatie versteht: Leisetreten statt Konfrontieren.

Das zweite Beispiel.
"VW wandelt sich doppelt", ist der Text von Carsten Germis in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung überschrieben. Worin hat sich der Konzern zweifach gewandelt? Er forciert seine Produktion von Fahrzeugen mit elektrischen Antrieben und mit aufwändigen Software-Ausstattungen. Ist das der Wandel der korrupten Kultur? Weder hat die Leitung des Konzerns den Betrug eingestanden und aufgeklärt, noch hat sie die Kunden angemessen entschädigt - und jetzt, da die Rechtslage ihr entgegen zu kommen scheint, versprochen, die Frage des Vergleichs zu erörtern.  Ein massiver Betrug geht durch, das Gefühl für Gerechtigkeit wird verletzt, das Konzept der Wahrheit korrumpiert. Alles beim Alten. Der Konzern setzt auf die Durchsetzung seiner Größe mit Millionen Fahrzeugen und auf die (erpresste) Bereitschaft der Regierung, die Infrastrukturen (wie immer schon) zu finanzieren. Für die heutigen Staus im Berufsverkehr helfen Millionen neuer Fahrzeuge nicht.  Wie sehr die Wolfsburger Leitung zur (weiteren) Ernüchterung über unsere Staatsform beiträgt, ist offenbar nicht verstanden.

(Überarbeitung: 12.1.2020)



 

Dienstag, 7. Januar 2020

Das Tabu der Geschwindigkeitsbegrenzung auf unseren Autobahnen

Gegen Ende des auslaufenden Jahres schlugen Repräsentanten der S.P.D.  vor, was die Niederländer (im März) zu tun gedenken: den Ausstoß des Treibhausgases C02  zu verringern, indem sie die Geschwindigkeit von 130 km/h oder 120 km/h auf ihren Autobahnen auf 100 km/h begrenzen.
Eine einfache, plausible Regelung. Je schneller gefahren wird, umso mehr qualmt der Auspuff. Das war schon 1973 das Argument, als die (westliche) Welt-Öffentlichkeit darüber erschreckte, dass unsere Öl-Ressourcen endlich sind und dass man sie besser bedacht ausschöpft. So wurden weltweit für den Straßenverkehr Geschwindigkeitsbegrenzungen festgelegt. Unserer damaligen S.P.D.-geführten Regierung gelang, vier so genannte autofreie Sonntage und eine so genannte Richtgeschwindigkeit von 130 km/h auf Autobahnen durchzusetzen und einzuführen. Das war eine Art weicher Gesetzgebung - nach einem mächtigen öffentlichen Protest, dessen  blitzartig zu belebendes Dröhnen jede nachfolgende Regierung eingeschüchtert hat und weiterhin einschüchtert. Dass unser gegenwärtiger Verkehrsminister mitdröhnt und sich aufplustert wie der Fachmann an der Kneipentheke, gab es meiner Erinnerung nach allerdings bislang nicht.

Jedenfalls war die Richtgeschwindigkeit von 130 km/h auf Autobahnen der Freibrief für die enome Hochrüstung unserer Personenkraftwagen, die nicht als bizarre Verschwendung  und als beispiellose nationale Egozentrik - gegenüber den übrigen Mitgliedern der Europäischen Union - verstanden, sondern als Erfolgsgeschichte unserer unverfrorenen Autoindustrie gefeiert wurde. Willy Brandts Versprechen für die Bundesrepublik, mit dem er seine Kanzlerschaft aufnahm, ein guter Nachbar zu sein, begann, verhallte.

Hat sich seitdem etwas geändert?  Einen einfachen Gedanken geduldig zu diskutieren, geht heute noch immer nicht. Reflexartig schnappt die Rhetorik der 70er ein. Ein Beispiel:

"Aber brauchen wir wirklich einVerbot des Schnellfahrens? Statistisch passieren die meisten schweren Unfälle auf Straßen, auf denen schon eine Geschwindigkeitsbegrenzung gilt. Nicht Tempo 180 gefährdet zwangsläufig andere, sondern die Absicht einiger Drängler, dies rücksichtslos durchzusetzen. Diese soziale Kompetenz fehlt auch jenen, die rote Ampeln missachten, da sie diese nur noch als Verhaltensvorschlag verstehen", schreibt Kerstin Schwenn (F.A.Z. vom 27.12.2019, S. 1, Nr. 300).

Ist das nicht eine gelungene (demagogische) Verdrehung? Sie beginnt mit der süßlichen Frage: Brauchen wir wirklich....? Natürlich müssen wir  uns nicht mehr so schnell bewegen (dürfen). Das ist keine Frage, wenn wir wirklich die im Straßenverkehr erzeugten Treibhausgase reduzieren wollen. Jede Möglichkeit einer Reduktion sollte uns recht sein - auch wenn sie möglicherweise gering ist, was wir noch nicht wissen.  Kerstin Schwenns zweiter Satz:  Statistisch passieren die meisten schweren Unfälle... Wie selbstverständlich verschiebt sie den Kontext. Unbestritten ist: je schneller man fährt, umso mehr pustet der Fahrer oder die Fahrerin aus dem Auspuff heraus. Dieser Tatsache gibt Kerstin Schwenn nicht die Ehre einer Wahrheit. Stattdessen behauptet sie: Schnellfahren auf Autobahnen ist nicht schlimm; auf anderen Straßentypen ist es schlimmer. Autofahren ist gefährlich, Unfälle passieren eben. Was haben Treibhausgase mit Unfällen zu tun?


Zuerst einmal gar nichts.
Kerstin Schwenn wechselt die Perspektive. Die Treibhausgase interessieren sie so sehr nicht. Sie verteidigt das Schnellfahren. Unfälle passieren, schreibt sie. Aber Unfälle passieren  nicht; sie werden von Fahrern und Fahrerinnen verursacht, die die Übersicht über die Verkehrskonstellation und /oder die Kontrolle über ihre Fahrzeuge verloren haben. Das Verbum passieren verniedlicht und entschärft die Dramatik der Verantwortung des Fahrers oder der Fahrerin, einen Unfall verursacht zu haben. Werfen wir noch einen Blick auf Kerstin Schwenns Formel die meisten schweren Unfälle (passieren) auf Straßen, auf denen schon eine Geschwindigkeitsbegrenzung gilt.....neben den meisten gibt es auf den Autobahnen also auch noch einige schwere Unfälle. Zählen die auch? Und was ist mit dem Schnellfahrenkönnen auf den Autobahnen? Diese Frage, von ihr eingeschmuggelt,  lässt Kerstin Schwenn mit diesem Satz wie eine heiße Kartoffel fallen: "Vernunft im Straßenverkehr lässt sich nicht an einem Tempolimit messen".

Vier Tage später. Martin Gropp publiziert seinen Text mit den Titeln (Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 31.12.2019, S. 17, Nr. 303): "Der unklare Nutzen des Tempolimits. Mehrere Institutionen wollen ein Tempolimit wissenschaftlich prüfen lassen. Tatsächlich ist die Datenlage schwach".

Martin Gropps Satz Tatsächlich ist die Datenlage schwach ist die Behauptung eines Schelms.  Die Frage, wie man dem Ausstoß der Treibhausgase beikommt, spart er aus. Er laviert. "Unstrittig ist zumindest", schreibt er, "dass zwischen der Durchschschnittgeschwindigkeit und der Zahl der Unfälle ein Zusammenhang besteht: Je schneller ein Fahrzeug fährt, desto mehr Unfälle geschehen. Umgekehrt könnte eine Verringerung der Durchschnittsgeschwindigkeit um 5 Prozent die Zahl der Unfälle mit Verletzten um 10 Prozent senken und die Unfälle mit Todesfolge gar um 20 Prozent, wie mehrere wissenschaftliche Unterrsuchungen nahelegen. Berechnungen des Dresdner Verkehrspsychologen Bernhard Schlag zufolge wären unter bestimmten Annahmen 80 Todesfälle im Jahr auf deutschen Autobahnen vermeidbar".

Das reicht nicht? Der ADAC, so Martin Gropp,  hat Bedenken; dessen Forschung hat hinsichtlich der Unfälle keinen Unterschied ausgemacht  zwischen Tempo-limitierten und nicht limitierten Strecken. Aber was ist - beispielsweise -  mit dem hervorragend ausgebauten Streckenabschnitt auf der A 4 Düren-Aachen, auf dem bequem 200 km/h schnell gefahren werden konnte mit allerdings besonders krachenden Unfallfolgen, so dass dieser Abschnitt inzwischen mit 130 km/h begrenzt befahren werden kann? Nein, die Datenlage ist nicht schwach. Eine generelle Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen hat andere Folgen: es wird, was jeder beobachten kann, wenn er oder sie im europäischen Ausland das Auto bewegt, anders gefahren (s. meine Blogs vom 30.1.2019 Unsere Bundesregierung verwirft, vom 11.9.2019 Heulen & Zähneklappern, vom 19.11.2019 Die Niederländer reduzieren ihre Tempolimits):  das Bolzen und dichte Auffahren verschwinden, die Macht-Demonstrationen werden unnötig, die Fahrmanöver weniger ängstigend, die Geschwindigkeits-Differenzen nivelliert. Mit anderen Worten: die Anstrengungen und Gefährdungen des Autobahnfahrens sind gut erforscht; die Unfallfolgen sind bekannt. Die Daten liegen leider unzugänglich in den Schubladen der Behörden und Institutionen, geschützt vor einem Einblick der Öffentlichkeit im Dienste der Koalitionäre des Geschäfts. Unser Parlament hat seit den 70ern nicht mehr ernsthaft eine Geschwindigkeitsbegrenzung diskutiert. Die Autoversicherungen haben einen präzisen Überblick über das Unfallgeschehen; ihre Daten hüten sie zum Schutz ihres Geschäfts. Deshalb ist deren Vorschlag einer gründlichen Erforschung der treuherzige Abschuss einer Nebelkerze. Die Datenschätze müssten nur von mutigen, unabhängigen, nicht für das Geschäft der Autoindustrie tätigen Journalisten gehoben werden.