Freitag, 10. Januar 2020

Der hämische (armselige) Dünkel des Beobachters - Lektüre eines Journalismus (96)

Der Qualitätsjournalismus plustert sich bei uns - nach den Erfahrungen meiner jetzt bald zehnjährigen (einstündigen) Frühstückslektüre (die Nachbearbeitung benötigt natürlich viel mehr Zeit)  - ganz schön auf; was er an Nickeligkeiten, Klischees, Verdrehungen und Fehlleistungen produziert, wird meines Wissens nicht systematisch untersucht - das wäre natürlich ein riesiges Forschungsprojekt zum Problem der öffentlich (intuitiv) abgestimmten, die Diskussion dominierenden Wahrheiten. Das Konzept der Wahrheit ist in Verruf geraten; der demagogische Vorwurf der  fake news macht es sich einfach; er suggeriert eine schnelle Identifikation und Verständigung über eine Wahrheit. Wahrheit ist aber das Produkt der gründlichen Diskussion einer Annäherung, nicht einer raschen Behauptung.

Hier das Beispiel von Freitag, dem 10.1.2020. Trumpisten im  Zwist heißt der kurze Kommentar von Andreas Ross in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (10.1.2020, S. 8, Nr. 8). Die Überschrift bezieht sich auf die Kontroversen innerhalb der U.S.-Republikaner hinsichtlich des bislang nicht substanziierten, nicht vorgelegten Plans des Präsidenten, den iranischen General auf irakischem Boden - gegen das Völkerrecht - ermorden zu lassen. Die Kontroversen, prognostiziert Andreas Ross, werden abklingen, das republikanische Interesse an der Wiederwahl des amtierenden Präsidenten, wird dominieren. Das ist die schlichte Lesart. Es ist komplizierter. Denn der Prozess des Impeachment-Verfahrens, bei dem alle  Beteiligten auf ihre Unparteilichkeit eingeschworen werden und dessen Vorsitz John Roberts, der Vorsitzende Richter des Obersten Gerichtshofs der Vereinigten Staaten (der neulich den Präsidenten hinsichtlich der Unabhängigkeit der obersten Richter belehrte),  einnimmt, hat noch nicht begonnen. Die Wahrheit ist das höchste demokratische Gut. Sie wird im Impeachment-Verfahren verhandelt. Sie steht auf dem Spiel. Das Verfahren wird es den republikanischen Senatoren nicht einfach machen: sie werden gezwungen, sich für oder gegen die Wahrheit zu entscheiden. Meineid ist in den U.S.A. eine schwere Straftat.

Den zweiten Absatz seines Kommentars beginnt Andreas Ross mit diesem Satz:
"Sofern die Zeichen im amerikanisch-iranischen Konflikt erst einmal auf Deeskalation stehen bleiben, dürften die Demokraten nicht weit mit ihrem Versuch kommen, das Entsetzen über Trumps riskanten Befehl zur Tötung Soleimanis politisch zu melken".

Die Formel Politisch zu melken ist  offenbar Ausdruck einer sich zynisch gebenden Ausgebufftheit. Andreas Ross spottet über den Versuch, die Substanz des Entscheidungsprozesses der (völkerrechtlich) widerrechtlichen Exekution innerhalb oder außerhalb des Impeachment-Verfahrens zu klären. Er unterschätzt den U.S.- Präsidenten und er unterschätzt die nordamerikanische Not,  den korrupten, verlogenen und deshalb gefährlichen Regierungschef, der das fundamentale Konzept demokratisch ausgehandelter Wahrheiten zu zerstören droht,  aus dem Amt zu entfernen.  

Wie schwierig das sein wird, lässt sich beispielsweise aus dem Desinteresse der Frankfurter Zeitung an Trumps Ansprache an die Nation (vom 8.1.2020) ableiten: sie ging bei den Leuten des Qualitätsjournalismus einfach durch und fand keine angemessene journalistische Reaktion. Kein Wort zu dem unglaublichen  Polit-Kitsch von Donald John Trump. Kein Aufschrei. Keine Empörung. Keine Analyse seines nachträglichen Verdrehens und Lügens. As long as I'm the President begann er seine Rede und positionierte sich zugleich gegen das Impeachment-Verfahren als eine für ihn angesichts seiner riesigen Verdienste unerträglichen Ungeheuerlichkeit.

In seiner Rede wechselte er (als der besorgte Retter der Nation) zwischen dem rührseligen Triumph, der alle Fehler seines Vorgängers korrigiert im Dienste der Sicherheit seiner Landsleute, und der kräftigen Drohung an die Regierungen Europas, Chinas und Rußlands.

Es ist die Frage, wie sein Drängen auf die verlogene Bestätigung seiner Großartigkeit ankommt oder abstößt. Sie fiel der Redaktion der Zeitung für die klugen Köpfe offenbar nicht richtig auf. Die kitschige Verlogenheit muss auf die Titelseite - wie auch die die Verlogenheit der engsten Mitarbeiter des Präsidenten. Eine Zeitung wie die Frankfurter Allgemeine müsste deutlich gegenhalten und die Wahrheit gegen die Lüge hoch halten - und sich nicht wegducken mit einer arroganten Geste.

Wahrscheinlich ist  Nancy Pelosis Taktik klug, sich an die Realität des Impeachment-Verfahrens zu halten; sie sagte gestern (9.1.2020), sie wolle zuerst sehen, wie die Regeln der Arena gestaltet würden, bevor sie ihre articles of impeachment einbringe; sie erwarte vom Verfahren: documentation, witnesses, facts, truth. Das ist eine andere, deutliche Sprache. Die Verständigung über die Wahrheit, kein Melken, wird ist auch hier bei uns auf eine alarmierende, beunruhigende Weise schwierig.


(Überarbeitung: 12.1.2020)  

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