Dienstag, 7. Januar 2020

Das Tabu der Geschwindigkeitsbegrenzung auf unseren Autobahnen

Gegen Ende des auslaufenden Jahres schlugen Repräsentanten der S.P.D.  vor, was die Niederländer (im März) zu tun gedenken: den Ausstoß des Treibhausgases C02  zu verringern, indem sie die Geschwindigkeit von 130 km/h oder 120 km/h auf ihren Autobahnen auf 100 km/h begrenzen.
Eine einfache, plausible Regelung. Je schneller gefahren wird, umso mehr qualmt der Auspuff. Das war schon 1973 das Argument, als die (westliche) Welt-Öffentlichkeit darüber erschreckte, dass unsere Öl-Ressourcen endlich sind und dass man sie besser bedacht ausschöpft. So wurden weltweit für den Straßenverkehr Geschwindigkeitsbegrenzungen festgelegt. Unserer damaligen S.P.D.-geführten Regierung gelang, vier so genannte autofreie Sonntage und eine so genannte Richtgeschwindigkeit von 130 km/h auf Autobahnen durchzusetzen und einzuführen. Das war eine Art weicher Gesetzgebung - nach einem mächtigen öffentlichen Protest, dessen  blitzartig zu belebendes Dröhnen jede nachfolgende Regierung eingeschüchtert hat und weiterhin einschüchtert. Dass unser gegenwärtiger Verkehrsminister mitdröhnt und sich aufplustert wie der Fachmann an der Kneipentheke, gab es meiner Erinnerung nach allerdings bislang nicht.

Jedenfalls war die Richtgeschwindigkeit von 130 km/h auf Autobahnen der Freibrief für die enome Hochrüstung unserer Personenkraftwagen, die nicht als bizarre Verschwendung  und als beispiellose nationale Egozentrik - gegenüber den übrigen Mitgliedern der Europäischen Union - verstanden, sondern als Erfolgsgeschichte unserer unverfrorenen Autoindustrie gefeiert wurde. Willy Brandts Versprechen für die Bundesrepublik, mit dem er seine Kanzlerschaft aufnahm, ein guter Nachbar zu sein, begann, verhallte.

Hat sich seitdem etwas geändert?  Einen einfachen Gedanken geduldig zu diskutieren, geht heute noch immer nicht. Reflexartig schnappt die Rhetorik der 70er ein. Ein Beispiel:

"Aber brauchen wir wirklich einVerbot des Schnellfahrens? Statistisch passieren die meisten schweren Unfälle auf Straßen, auf denen schon eine Geschwindigkeitsbegrenzung gilt. Nicht Tempo 180 gefährdet zwangsläufig andere, sondern die Absicht einiger Drängler, dies rücksichtslos durchzusetzen. Diese soziale Kompetenz fehlt auch jenen, die rote Ampeln missachten, da sie diese nur noch als Verhaltensvorschlag verstehen", schreibt Kerstin Schwenn (F.A.Z. vom 27.12.2019, S. 1, Nr. 300).

Ist das nicht eine gelungene (demagogische) Verdrehung? Sie beginnt mit der süßlichen Frage: Brauchen wir wirklich....? Natürlich müssen wir  uns nicht mehr so schnell bewegen (dürfen). Das ist keine Frage, wenn wir wirklich die im Straßenverkehr erzeugten Treibhausgase reduzieren wollen. Jede Möglichkeit einer Reduktion sollte uns recht sein - auch wenn sie möglicherweise gering ist, was wir noch nicht wissen.  Kerstin Schwenns zweiter Satz:  Statistisch passieren die meisten schweren Unfälle... Wie selbstverständlich verschiebt sie den Kontext. Unbestritten ist: je schneller man fährt, umso mehr pustet der Fahrer oder die Fahrerin aus dem Auspuff heraus. Dieser Tatsache gibt Kerstin Schwenn nicht die Ehre einer Wahrheit. Stattdessen behauptet sie: Schnellfahren auf Autobahnen ist nicht schlimm; auf anderen Straßentypen ist es schlimmer. Autofahren ist gefährlich, Unfälle passieren eben. Was haben Treibhausgase mit Unfällen zu tun?


Zuerst einmal gar nichts.
Kerstin Schwenn wechselt die Perspektive. Die Treibhausgase interessieren sie so sehr nicht. Sie verteidigt das Schnellfahren. Unfälle passieren, schreibt sie. Aber Unfälle passieren  nicht; sie werden von Fahrern und Fahrerinnen verursacht, die die Übersicht über die Verkehrskonstellation und /oder die Kontrolle über ihre Fahrzeuge verloren haben. Das Verbum passieren verniedlicht und entschärft die Dramatik der Verantwortung des Fahrers oder der Fahrerin, einen Unfall verursacht zu haben. Werfen wir noch einen Blick auf Kerstin Schwenns Formel die meisten schweren Unfälle (passieren) auf Straßen, auf denen schon eine Geschwindigkeitsbegrenzung gilt.....neben den meisten gibt es auf den Autobahnen also auch noch einige schwere Unfälle. Zählen die auch? Und was ist mit dem Schnellfahrenkönnen auf den Autobahnen? Diese Frage, von ihr eingeschmuggelt,  lässt Kerstin Schwenn mit diesem Satz wie eine heiße Kartoffel fallen: "Vernunft im Straßenverkehr lässt sich nicht an einem Tempolimit messen".

Vier Tage später. Martin Gropp publiziert seinen Text mit den Titeln (Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 31.12.2019, S. 17, Nr. 303): "Der unklare Nutzen des Tempolimits. Mehrere Institutionen wollen ein Tempolimit wissenschaftlich prüfen lassen. Tatsächlich ist die Datenlage schwach".

Martin Gropps Satz Tatsächlich ist die Datenlage schwach ist die Behauptung eines Schelms.  Die Frage, wie man dem Ausstoß der Treibhausgase beikommt, spart er aus. Er laviert. "Unstrittig ist zumindest", schreibt er, "dass zwischen der Durchschschnittgeschwindigkeit und der Zahl der Unfälle ein Zusammenhang besteht: Je schneller ein Fahrzeug fährt, desto mehr Unfälle geschehen. Umgekehrt könnte eine Verringerung der Durchschnittsgeschwindigkeit um 5 Prozent die Zahl der Unfälle mit Verletzten um 10 Prozent senken und die Unfälle mit Todesfolge gar um 20 Prozent, wie mehrere wissenschaftliche Unterrsuchungen nahelegen. Berechnungen des Dresdner Verkehrspsychologen Bernhard Schlag zufolge wären unter bestimmten Annahmen 80 Todesfälle im Jahr auf deutschen Autobahnen vermeidbar".

Das reicht nicht? Der ADAC, so Martin Gropp,  hat Bedenken; dessen Forschung hat hinsichtlich der Unfälle keinen Unterschied ausgemacht  zwischen Tempo-limitierten und nicht limitierten Strecken. Aber was ist - beispielsweise -  mit dem hervorragend ausgebauten Streckenabschnitt auf der A 4 Düren-Aachen, auf dem bequem 200 km/h schnell gefahren werden konnte mit allerdings besonders krachenden Unfallfolgen, so dass dieser Abschnitt inzwischen mit 130 km/h begrenzt befahren werden kann? Nein, die Datenlage ist nicht schwach. Eine generelle Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen hat andere Folgen: es wird, was jeder beobachten kann, wenn er oder sie im europäischen Ausland das Auto bewegt, anders gefahren (s. meine Blogs vom 30.1.2019 Unsere Bundesregierung verwirft, vom 11.9.2019 Heulen & Zähneklappern, vom 19.11.2019 Die Niederländer reduzieren ihre Tempolimits):  das Bolzen und dichte Auffahren verschwinden, die Macht-Demonstrationen werden unnötig, die Fahrmanöver weniger ängstigend, die Geschwindigkeits-Differenzen nivelliert. Mit anderen Worten: die Anstrengungen und Gefährdungen des Autobahnfahrens sind gut erforscht; die Unfallfolgen sind bekannt. Die Daten liegen leider unzugänglich in den Schubladen der Behörden und Institutionen, geschützt vor einem Einblick der Öffentlichkeit im Dienste der Koalitionäre des Geschäfts. Unser Parlament hat seit den 70ern nicht mehr ernsthaft eine Geschwindigkeitsbegrenzung diskutiert. Die Autoversicherungen haben einen präzisen Überblick über das Unfallgeschehen; ihre Daten hüten sie zum Schutz ihres Geschäfts. Deshalb ist deren Vorschlag einer gründlichen Erforschung der treuherzige Abschuss einer Nebelkerze. Die Datenschätze müssten nur von mutigen, unabhängigen, nicht für das Geschäft der Autoindustrie tätigen Journalisten gehoben werden.









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