Dienstag, 8. Februar 2022

Die Impfpflicht. Die Impfpflicht? Das Beispiel für kopflose Kommunikationen. Merke: Wer sich immer im Wahlkampf wähnt, merkelt.... Ingeborg Bachmann meinte: die Wahrheit ist den Leuten zuzumuten

Politiker versprechen häufig zu viel zu schnell. Sie versuchen reflexartig zu beschwichtigen und zu beruhigen. Sie halten die Not des Bedrängtwerdens in der Öffentlichen Diskussion nicht aus und geben dann zu früh eine - je nach der Bedrängnis ihres Geständniszwangs - indirekte, unscharfe, verdruckste Auskunft im Zuschnitt: Eine Impfpflicht kommt nicht in Frage. Dabei kommt sie in Frage und liegt in der Schublade vorläufig abgelegter Vorhaben. Ein Dementi ist (eine Faustregel) meistens  eine Bestätigung: die Ankündigung dessen, was man ungern ausspricht. Manchmal ist ein Dementi auch ein kalkulierter Testballon.

Von Beginn der Pandemie an wurden eindeutige Worte vermieden. Man hätte mit ein paar nüchternen Sätze für Klarheit sorgen können: 1. Die Pandemie ist hochgefährlich; wir müssen uns schützen. 2. Die Schutzmaßnahmen werden unbequem sein. 3. Es nicht abzusehen, wie die Pandemie sich entwickeln wird; wahrscheinlich wird sie zu unserem Alltag gehören als Folge des gewaltigen industrialisierten, globalen Eindringens in unsere natürlichen Umwelten im Dienste unserer westlichen Lebensformen. 4. Die Schutznahmen - Reduzierung und Verfremdung unserer vertrauten Begegnungen und Beziehungen, hygienisches Verhalten und das Tragen von Masken - sind notwendig und lästig und müssen solange bestehen bleiben, solange die Pandemie fortschreitet. 5. Globale Forschung erarbeitet die Herkunft, die Art der Viren und die Muster ihrer Verbreitung sowie  Impfstoffe zur Prävention und zum Schutz vor gravierenden Infektionsverläufen. 6. Forschung arbeitet bedächtig und tastend mit kleinen und großen Stichproben in unterschiedlichen Feldern und Wirklichkeiten der Pandemie. 7. Forschung arbeitet einerseits mit bewährten Konzepten, andererseits, davon abgeleitet, mit vorläufigen Annahmen und Vermutungen, die nach & nach überprüft und korrigiert werden. 8. Forschung trifft auf komplexe, widersprüchliche Wirklichkeiten; sie zu verstehen und zu sortieren, braucht ihre Zeit. 9. Wissenschaft widerspricht sich; das ist ein gutes, weil redliches Zeichen. 10. Die ständige Impfkommission orientiert sich nur am Prozess der Forschung; sie gibt dann eine Handlungsempfehlung, wenn die Wissenschaft  sich auf tragfähige Konzepte und Befunde verständigt hat; der Prozess der Verständigung unterliegt wissenschaftlichen Regeln der Überprüfbarkeit & der Validität. 11. Es ist zu empfehlen, der Forschung Zeit zu lassen und Raum zu geben.

Es ist versäumt worden, sich auf einen tragfähigen Bestand an Aussagen zu verständigen, um die öffentliche Diskussion differenziert und angemessen zu bestreiten. Es ist versäumt worden, sich auf diese Haltung zu verständigen: Gegenzuhalten gegen die Ungeduld und das journalistische Drängen. Es ist versäumt worden, die Praxis von Wissenschaft zu verteidigen. Es ist versäumt worden, den journalistischen Nachrichten-Schleifen und den Frage-Schleifen geduldig zu begegnen. Stattdessen: der regelmäßige Kotau vor den Damen und Herren der publizierenden Zunft: Ich danke Ihnen - obgleich kurz zuvor herablassend gefragt worden war.  Es ist versäumt worden, die stereotypen Fragen aufzuzählen und nachzuhalten: 1. die baldige Rückkehr zur Normalität? 2. die genaue Angabe von Zeiträumen der Lockerung? 3. die ständige Diskreditierung von Wissenschaft: mal hüh, mal hott ? 4. Deren vermeintliche Widersprüchlichkeit. Es ist versäumt worden, den Charakter des Experiments einer Impfung zu verschweigen; der Ausgang einer individuellen Behandlung ist immer unsicher - in den meisten Fällen, sofern ausreichende Erfahrung vorliegt, geht es gut, kann man mit gutem Gewissen vorhersagen; in den zumeist seltenen Fällen nicht. Es ist versäumt worden, sich für die Motive derer angemesssen zu interessieren, die es nicht riskieren wollen, sich impfen zu lassen; stattdessen vorwurfsvolle Exklusion und Herablassung. So gewinnt man keine Leute.   

Von Anfang an war die Absage an die Impfpflicht im Kontext der Bundestagswahl 2021 defensiv gemeint. Sie klang nobel, war aber unklug und unaufrichtig: das Drohen mit dem Zwang Wer nicht hören will, muss fühlen (s. meinen Blog Wer nicht hören will....vom 23.9.2021). Das Dementi schmuggelte den Zwang der Notmaßnahme der Impfpflicht ein und machte sie Empörungs-fähig. Damit wurde unter dem Mikroskop der Öffentlichkeit die Notwendigkeit des Impfens  diskreditiert. Gleichzeitig wurden die, die schwankten oder zögerten oder warteten oder nicht informiert waren und  nicht sofort in den Umfragen zustimmten, bekämpft, woraus der öffentliche Kreislauf der Empörung & der Aufregung & Gegen-Empörung wurde. 

Und nun? Versuchen wir, die Scherben aufzukehren. 

Warum wurde eigentlich die Erfolgsgeschichte des Anlegens der zuerst heftig bekämpften und umstrittenen und inzwischen in der Mehrzahl akzeptierten Sicherheitsgurte und der Pflicht ihres Anlegens nicht noch einmal erzählt? Christian Drosten deutete sie einmal in seinem Podcast an.