Freitag, 5. August 2016

Lektüre des Journalismus (Beobachtung der Beobachter) XXXIII: Nachtreten - zur Korrektur des Fouls vom 1.7.2016

Ein Monat später, in der Ausgabe der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (4.8.2016, S. 21), wird Holger Appels Foul vom 1.7.2016 (s. meinen Blog vom diesem Datum) korrigiert. Er hatte zum Unfalltod des Tesla-Autofahrers, der die Steuerung seines Fahrzeugs den Rechnern im Fahrzeug überlassen hatte, seinen Verdacht der Interessen-geleiteten Rechtsanwendung publiziert:

"Dass Behörden und Tesla den Vorgang wochenlang verschwiegen haben, sei nur am Rande erwähnt. Hiesige Hersteller würden dafür öffentlich auseinander genommen".

Den Korrektur-Text haben Roland Lindner und Holger Appel verfasst. Der Titel lautet - dramatisch:
"In den Fänger der amerikanischen Justiz". Der Untertitel - weniger dramatisch: "Von Siemens bis Volkswagen: Deutsche Unternehmen haben die Strenge der Behörden in den Vereinigten Staaten zu spüren bekommen. Aber werden sie schlechter behandelt als einheimische Wettbewerber?"

Die Antwort - in einem Wort: Nein. Ihr Gewährsmann ist Brandon Garret, Professor an der Universität von Virginia und Autor einer Studie von über eintausend Strafverfahren (innerhalb von zehn Jahren), in denen nationale und internationale Firmen zu Geldbußen verurteilt worden waren. Die Unterschiede in der Höhe der Strafen ergab sich aus der Verfahrenspraxis: internationale Konzerne werden bei schweren Vergehen zur Rechenschaft gezogen, die nationalen Konzerne ohne Ausnahme. Volkswagens Betrugspraxis, so Garret, sei "extrem gravierend", Siemens Praxis der Bestechung der "schlimmste Fall von Auslandskorruption, den es je gab".

Was ist also mit den Fängen der amerikanischen Justiz und der Strenge der Behörden? Die Wortwahl deutet auf eine Missbilligung. Die Verachtung und Unterschätzung des nordamerikanischen Rechts habe ich seit der Nachkriegszeit im Ohr: Siegerjustiz - lautete damals der Vorwurf an die Nürnberger Prozesse und die juristische Praxis der Nordamerikaner. Es scheint noch immer nicht bekannt zu sein, dass Betrug in den U.S.A. schwer bestraft wird. Die U.S.A. sind das Land mit der längsten demokratischen Praxis. Die Demokratie lebt von der Aufrichtigkeit seiner Bürgerinnen und Bürger. Der Betrug zerstört die Demokratie - darüber gibt es ein Einverständnis. Wenn das Vertrauen korrodiert, hat die demokratisch verfasste Gesellschaft ein Problem. Davon handelt James B. Stewarts Buch Tangeld Webs. How False Statements Are Undermining America: From Martha Stewart to Bernie Madoff (Penguin Books 2011).  The Law als Redewendung kennen wir nicht; wer bei uns eine Geschwindigkeitsbegrenzung verletzt, verstößt nicht gegen das Recht, sondern überschreitet eine gesetzliche Regelung. Wenn der eine Autofahrer in der Baustelle auf der Autobahn 100 km/h fährt - dann ich ihm doch nachfahren. Oder nicht?

Bleibt noch jener Informant, der den Autoren diesen Verdacht zusteckte:

"Wenn uns das (gemeint ist der Unfalltote am Steuer eines Tesla) passiert wäre, hätten sie uns die Schiffe angekettet und kein Auto mehr ausladen lassen".

Der Informant war der Vorstandsvorsitzende eines deutschen Autoherstellers, "der nicht genannt werden wollte, gegenüber dieser Zeitung". Eine interessante Rechtsauffassung, möchte ich sagen. Das Recht wird unerbittlich und grausam ausgelegt, sagt uns dieser Herr. Warum wird er zitiert?
Als eine Art Autorität.      

Dienstag, 2. August 2016

F.A.Z.-Sprech: der Dieselskandal. Der Dieselskandal!

Häufig genügt die Lektüre einer Überschrift, um sich sehr zu wundern. Heute morgen, in der F.A.Z. im Buch der Wirtschaft (3.7.2016, S. 15): "Bayern will VW verklagen. Der Dieselskandal kostet Europas größten Autohersteller Milliarden. Nun schließt sich auch der Freistaat der Klagewelle gegen den Konzern an".

Ja, wer strafrechtlich gravierend betrügt, kommt dran. Der arme Anzeigen-Kunde. Von schwerem Betrug wird nicht gesprochen. Da ist die F.A.Z. nicht die einzige Zeitung, deren Redaktionen den Betrug calmieren. Der Skandal ist genug Ungemach. Die Welle wird größer und größer. Grausam ist die Natur des Betrugs.

Was lässt sich in einer ARD-Talkshow diskutieren?

In der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (vom 31.7.2016, S. 37-38) war das Gespräch mit Burkhard Hirsch und Gerhart Baum zum Theater-Stück Terror (von Ferdinand von Schirach) veröffentlicht worden - zusammen mit deren Empfehlung, die Inszenierung des Stückes mit der nachfolgenden Diskussion nicht zu senden (s. meinen Blog vom 31.7.2016). Heute lese ich in der F.A.Z. (2.8.2016, S. 13): Volker Herres, Programmdirektor des Ersten Fernseh-Programm der Allgemeinen Rundfunkanstalten Deutschlands, hält Baums und Hirschs Argumente nicht für stichaltig - er wird die Sendung senden (lassen). In Terror  lässt der Autor seinen Protagonisten eine Entscheidung treffen, die unser Verfassungsgericht als Verfassungs-widrig eingeschätzt hat; sie zu treffen, ist verboten. Nach dem Stück regt der Autor zu einer Abstimmung des Publikums zur Schuld des Protagonisten ein. Der Protagonist ist ein Pilot, der sich über den Befehl hinweg setzte, das entführte  Passagierflugzeug, das auf ein vollbesetztes Fußballstadion zustürzte, nicht abzuschießen. Kann eine Talkshow der ARD dieses Problem, das mit der Diskussionsabsicht unser Grundgesetz gewissermaßen zur Disposition stellt, aufgreifen und entfalten? Man braucht zumindest einen ganz schön kühlen Kopf und eine gründliche Kenntnis der juristischen, politischen, philosophischen und psychosozialen Implikationen. Die show, glaube ich, ist nicht der richtige Platz.