Donnerstag, 19. April 2018

Kurze depressive Einbrüche im Halbfinale B. Leverkusen vs. B. München

Eine alte Fußballer-Weisheit lautet: Du spielst nur so gut, wie es der Gegner zulässt. Was schlicht bedeutet: der Fußballkick ist ein interaktives Geschehen; die Mannschaften beeinflussen sich gegenseitig. Das ist nichts Neues. Interessant sind die sublimen Wirkungen. Auch sie sind bekannt, werden aber manchmal übersehen. Wettbewerbe entscheiden sich dadurch, dass die Spiel-Form vom Gegner oder von der gegnerischen Mannschaft zerstört wird - oder, das ist schwer von außen zu entscheiden, die jeweilige Mannschaft sich nicht ausreichend dagegen wehrt, sich ihre Spiel-Form zerstören zu lassen. Es geht darum, dass  eine Mannschaft ihre Zuversicht erhält. Das ist eine schwierige interaktive Leistung ihrer einzelnen Mitglieder.

Manchmal kann man es sehen: im Halbfinal-Spiel Bundesrepublik vs. Brasilien 2014. Oder im Testspiel zuvor: Bundesrepublik vs. Schweden, als die bundesdeutsche Manschaft mit 4:0 führte und dann in der zweiten Halbzeit einbrach. Schweden gelang nach der Pause schnell der Anschlusstreffer; der Erfolg stärkte die Zuversicht der schwedischen und erschreckte offenbar die bundesdeutsche Mannschaft, die auf den schnellen (ersten) Erfolg ihrer Gegner verzagt ohne Gegenwehr reagierte. Dieser Einbruch war offenbar enorm lehrreich; denn im Finale 2014 gegen Argentinien hielt die bundesdeutsche Mannschaft ihre Zuversicht auch in der Verlängerung hoch.

Und nun die Leverkusener am 18.4.2018. Kurz nach der Pause hatten sie zwei sehr aussichtsreiche Chancen, die Sven Ulreich, der Torhüter der Münchener, zunichte machte. Das Scheitern in diesen beiden Momenten bestärkte die Leverkusener Mannschaft nicht in ihrer Zuversicht, nah an ihrer Chance zu sein, sondern hatte einen destabilisierenden Effekt: von da an wehrte sie unzureichend - als würde sich in der Mannschaft der Gedanke ausbreiten: wir haben keine Chance mehr  -   mehr kriegen wir nicht hin. Es war zu sehen: die Mannschaft ergab sich. Sie wählte, könnte man salopp sagen, die depressive Lösung. Das ist, wie im nicht-sportlichen Leben auch, eine schlechte Lösung.

Real kann kommen, titelte heute triumphierend Roland Zorn von der Zeitung für die klugen Köpfe (19.4.2018, S. 28, Nr. 91). Das 6:2 - Resultat der Münchener Mannschaft ist ein Hinweis auf den Einbruch der Leverkusener Mannschaft, nicht der Beleg einer anderen (dominierenden) Klasse. Ob die Madrilener Truppe sich aus ihrer Spiel-Form bringen lässt, werden wir sehen.  Jupp Heynckes, der Real Madrid auch trainiert hat, wird das wissen.     


      

Mittwoch, 18. April 2018

Der Anfang vom Ende? Adam Davidson über die Präsidentschaft des Donald Trump

Adam Davidson kommentierte im Blog des The New Yorker (vom 14.4.2018) die Bedeutung der Razzia der Büros von Michael Cohen, dem personal lawyer des U.S.-Präsidenten. Michael Cohen kennt und hat die weltweiten Geschäfte Donald Trumps dokumentiert - damit werden sie bald der Öffentlichkeit zugänglich mit der Folge, so Adam Davidson, dass die korrupte Schäbigkeit illegaler Geschäfte die bislang kursierende Geschichte vom erfolgreichen Milliardär verdrängen und ersetzen wird. Inzwischen ermittelt die U.S.-Staatsanwaltschaft des Southern District of New York; die Gerichtsbarkeit des Staates New York ist damit beschäftigt und hat mit der Genehmigung der Razzia gegen den Präsidenten entschieden. Die rote Linie, die Donald Trump zur Drohung an den special counsel adressiert hatte, wurde von diesen Behörden überschritten. Deren Ermittlungen können von ihm nicht mehr ausgesetzt werden - selbst, wenn er Rod Rosenstein (Deputy Attorney General) und Robert Mueller die  Ämter entziehen, der Kongress dies tolerieren würde - die mit dem Fall Cohen befasste Staatsanwaltschaft würde weiter ermitteln. Donald Trumps Interventionen - wie immer sie platziert sein werden - können die Staatsanwaltschaft nicht stoppen.


Adam Davidson: "We are now in the end stages of the Trump Presidency".




Montag, 16. April 2018

Lektüre einer Form von Journalismus (Beobachtung der Beobachter) (66): Wiederkäuen aus Ängstlichkeit und Hilflosigkeit

Journalismus, stelle ich mir vor, liest die sorgfältig polierten, uns in Pressekonferenzen (beispielsweise) präsentierten Wirklichkeiten konzeptionell gut ausgerüstet gegen den Strich und bürstet mit einem aggressiven Druck kräftig nach. Leider schreiben manche Journalisten  nur brav mit und und reichen ihre Notizen zur öffentlichen Nachlese weiter. Wie in diesen beiden Beispielen.

1. Volkswagen wird kräftig umgebaut, titelten Carsten Germis und Rüdiger Köhn ihren Text über die Leitungswechsel im Konzern (Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 13.4.2018, S. 22, Nr. 86); der Untertitel: Turbulente Tage für den Autohersteller: Die Politik mischt bei den Vorstandspersonalien ordentlich mit. Wir kennen das: beim Bauen wird Beton angemischt. Was wird umgebaut? Matthias Müller geht, Herbert Diess kommt. Die zwölf Marken des Konzerns werden zu drei Einheiten umsortiert. Das kennen wir von unseren Rechnern: aus 12 werden drei Dateien. Und jetzt?

Who knows?  Herbert Diess lächelt ein schiefes Lächeln in die Kameras. Er soll jetzt so cheffig sein wie ehemals Martin Winterkorn. Ist der Personal-Wechsel ein Umbau? Wie kann man überhaupt einen Konzern umbauen? Die Idee ist naiv, die Vokabel eine Anmaßung. Die Leute eines Konzerns (Eigentümer wie Angestellte) bewegen sich in dessen Geschichte - in dessen Kultur mit ihrer Philosophie, Moralen, Regeln und Verpflichtungen, in dessen riesigem Beziehungsgefüge, den Hierarchien und Machtverhältnissen, Arbeitsabläufen, in den sichtbaren und unsichtbaren Räumen. In Wolfsburg bei Volkswagen, das wissen wir seit dem SPIEGEL-Interview mit Matthias Müller (s. meinen Blog vom 28.3.2018), gibt es eine strikte Hierachie, ausgestanzte Machtverhältnisse - immerhin hält jetzt der Aufzug nicht nur auf den Etagen der Herren, sondern auch auf den Etagen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter - und eine Kultur des Kotaus. Man könnte das auch Korruption nennen. Das soll jetzt umgebaut werden? Wer lacht da - nicht?

Die Leitung von Volkswagen steckt in der Klemme: das Produkt des vierrädrigen Autos mit Verbrennungsmotor hat eine unsichere Zukunft. Sie hat sich viel - vielleicht zu viel - aufgeladen. Die strafrechtlichen Klärungen des massiven Betrugs kommen noch; bislang sollen sie 25 Milliarden Euro gekostet haben. Was ist mit den Anwaltskosten? Was wird aus den Verbrennungsmotoren? Was aus dem Elektroantrieb? Was aus dem Rechner-gesteuerten Fahren? Was wird aus unserer Mobilität - freie Fahrt für freie Bürger? Verdient das Autofahren demnächst noch das Präfix auto?

Who knows? Was hat Matthias Müller, der Propagandist der Treuherzigkeit (Dieselthematik), falsch gemacht? Natürlich: er hat geplaudert und geplappert; offenbar wusste er nicht, wie laut er laut denken darf. Der Konzern, muss man vermuten, schlingert- auch wenn er gut verdient; seine leitenden Herren und Damen sind hilflos. Welche Pläne haben sie? Welche Konzepte für unsere künftigen Lebensbewegungen? Das zu erfahren wäre doch nicht schlecht. Stattdessen kriegen wir die alte,  aufgewärmte Soße vom familiären oder pseudo-familiären Streit der leitenden Herrschaften geboten  - als eine Geschichte von Kränkung und  Unterwerfung zur Erklärung der Personen-Rochade (Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 16.4.2018). Herbert Diess vergräzte den leitenden Gewerkschaftsmann, dann küsste er ihm (und Gunnar Kilian) die Füße; jetzt hat Bernd Osterloh nichts mehr gegen ihn einzuwenden. Geht es so zu in Wolfsburg und Umgebung? Wer kümmert sich um die Zukunft des Konzerns?


2.  Die Deutsche Bank braucht wieder Jägermentalität, titelte die Frankfurter Allgemeine Zeitung am Dienstag (10.4.2018, S. 1, Nr. 83) auf ihrer ersten Seite die Nachricht vom Leitungswechsel: John Cryan geht, Christian Sewing kommt. Er ist der Propagandist der Jägermentalität. Was ist eine Jägermentalität? Das Wort ist ein Witz - wie kann der Chef einer Bank es in den Mund nehmen? Die Deutsche Bank ist ein Konzern wie Volkswagen - mit eigener Kultur der Korruption, mit einer langen Geschichte der Macht, der Hierarchien etc. Was soll der Auftritt des jagenden Bankiers? Er soll die Hilflosigkeit, die Aufgeregtheit und die Orientierungslosigkeit vertreiben und die Geldgeber ein weiteres Mal vertrösten - bis die ihren Langmut verlieren. Schwer vorzustellen, dass noch immer die Kunden gehetzt werden sollen mit faulen Versprechungen und kostspieliger Munition. Milliarden wurden an Aktienkapital vernichtet; Milliarden mussten an Strafzahlungen geleistet werden. Die Leute stehen bis zum Hals im Wasser und spucken immer noch große Töne. Und das ist die Nachricht auf der ersten Seite wert? Weiter hinten auf Seite 22 erfährt man: Der neue Vorstandsvorsitzende wendet sich schwungvoll an seine Mitarbeiter. Wichtig ist ihm Teamgeist. Aber die Kritik am Aufsichtsrat wächst. 

Teamgeist! Die Kritik wächst! Wo kommt der Langmut her? Was wissen die Aktionäre, was ich nicht weiß? Kann man Geld gewinnen, wenn man Geld verliert? Was ist mit der Deutschen Bank und ihrer  deutschen Großartigkeit? Vielleicht ist ganz einfach. Die Deutsche Bank hat zuviel Schulden - zu viele unklare Kredite. War nicht im Oktober 2016 von 35 Billionen Euro an verbuchten Derivaten die Rede (s. meinen Blog Journalismus-Lektüre 40: die Deutsche Bank und die journalistische Idolisierung)? Inzwischen habe ich gelesen, dass das so genannte Derivatenbuch Finanzgeschäfte im Wert von 48 Billionen Euro aufweist. Da muss man sich aber nicht so viele Sorgen machen, erläutert (sinngemäß) James von Moltke, Finanzvorstand der Bank: "Bloß weil unser Derivatenbuch groß ist, heißt das nicht, dass es auch riskant ist. Viele Positionen darin sind mit Liquidität oder Forderungen von der Gegenseite hinterlegt" (Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 17.4.2018, S. 22, Nr. 89).  Wer sagt's denn. Die Bankenaufseher der EBZ, die jetzt die Geschäfte der Deutschen Bank prüfen, werden nichts finden.

Alles in Ordnung? Wir werden sehen. Vielleicht muss die Bank noch eine Weile gepäppelt werden, damit diese oder jene Billion herausgepresst werden kann. Im kleinen Maßstab lernten wir dieses Prinzip im Umgang mit Griechenland kennen. Aber was sind die griechischen Milliarden gegen die Billionen der Deutschen Bank? Wer hat schon Billionen Schulden? Nur Staaten. Die Bundesrepublik soll mit vier Billionen Euro verschuldet sein, die Vereinigten Staaten mit 14 - die Zahlen habe ich aufgeschnappt und sind wahrscheinlich nicht aktuell. Und wer kümmert sich nun auf welche Weise um die Zukunft dieser Bank? Das mit der Jägermentalität wird nicht mehr so genau genommen. Hauptsache, die Bank läuft.      

Dienstag, 3. April 2018

Lektüre einer Form von Journalismus (Beobachtung der Beobachter) (65): Dicketun auf Bundesdeutsch

Du bist krank, sagt der eine Jugendliche zum anderen Jugendlichen - und macht ihm sein Unverständnis zum Vorwurf. Die U.S.A sind krank, schreibt der Journalist Bernd Ulrich und macht  den Vereinigten Staaten sein Unverständnis zum Vorwurf :

"Trump stellt das Symptom eines schwer erkrankten Landes dar, fast alle seine persönlichen Widersprüche sind in Wahrheit die politischen Widersprüche der USA" ("Der Patient" ist der Titel des Textes, erschienen in der DER ZEIT vom 28.2.2018, S. 1). Seit wann sind politische Widersprüche in einer demokratisch verfassten Gesellschaft - eine Krankheit? Wie können persönliche Widersprüche politische Widersprüche sein?

Hier ist die Kostprobe des Musters der Argumentation:
"Wenn der Präsident heute die Waffengesetze ändern will und es morgen unterlässt, dann entspricht das exakt der Gespaltenheit des Landes in dieser - wie in allen anderen Fragen".

Nein, die Taktik des Präsidenten, ein öffentliches Zugeständnis zu machen und es wenig später versickern zu lassen, ist die Politik-Technik des Kalmierens und Erstickens eines öffentlichen Einspruchs. Sie hofft und rechnet mit dem Spektrum an Auffassungen, Überzeugungen und Haltungen zum Besitz und Gebrauch von verschiedenen Waffen, in dem der öffentlich in einem bestimmten Ausmaß repräsentierte Einspruch erlahmt.  Der Präsident ist an seinem politischen Überleben interessiert und an einer angemessenen Repräsentation der Einsprüche desinteressiert. Er glaubt, dass ihm ausreichend Wählerinnen und Wähler zustimmen. Was ist daran krank? Und wieso passt die Technik des Präsidenten exakt? Das Adverb exakt ist Bluff. Wenn man drüber nachdenkt, verflüchtigt sich die behauptete Genauigkeit. 

Die zweite Kostprobe:
"Auch die berühmten Checks und Balances wurden in Wirklichkeit noch nicht richtig getestet. Dass Trump mit der einen oder anderen Verrücktheit noch nicht durchgekommen ist, liegt weniger an den
Gegenkräften als an seiner fehlenden Konzentration und Organisation".

Wovon spricht Bernd Ulrich? Der Special Counsel Robert S. Mueller III wurde beauftragt. Er erledigt seine Untersuchung zur Frage der Behinderung der Justiz durch den Präsidenten. Die kritische gedruckte Öffentlichkeit verfolgt penibel die Schritte des Präsidenten. Es wird mächtig gecheckt & balanciert. Ist das nicht genug?  Ein Autor der New York Review of Books schrieb von der konstitutionellen Krise des Landes - nicht von einer Erkrankung. Die Metapher vom Patienten ist Angeberei. Bernd Ulrich lässt die Komplexität schrumpfen. Er scheint sich in seiner Verachtung sicher zu fühlen.
 
Thomas Gutschker, Journalist für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, springt ihm mit einem langen Riemen (1.4.2018, S. 2, Nr. 13) bei. "Bleiben Sie dran!", fordert der 58.5 Punkte große Titel auf. Die Unterzeile: "Donald Trump feuert einen Mitarbeiter nach dem anderen. Und er wechselt seine Überzeugungen rasend schnell. Ist das schon Politik - oder noch Reality TV?" Ja, sagt Thomas Gutschker, es ist eine Politik in der Machart der Fernsehen-Produktionen von Donald Trump.  Gutschkers Frage (am Ende seines Textes) an die Leserinnen und Leser: Ist Donald Trump der politische Zerstörer oder der alte Entertainer, der den Erwartungen seines Publikums folgt?
Gutschkers Antwort:
"Das muss jeder Zuschauer für sich entscheiden. Trump würde sagen: 'Stay tuned!' - Bleiben Sie dran!"

Während viele Nordamerikaner sich die Haare raufen und sich schämen über ihre Regierung im Weißen Haus, können wir, wenn wir der Einladung des Frankfurter Journalisten folgen, ordentlich vor dem Bildschirm lachen und in der offerierten Verachtung für den TV-Blödel baden. Diese falsch adressierte Einladung - es geht nicht um die Zuschauer, sondern um die Bürgerinnen und Bürger -  ist ebenfalls ein starkes Stück - der Verachtung. Die Verachtung gehört in den bundesdeutschen Angst- und Scham-Kontext.  Ich vermute: wir wissen ganz gut, dass zum Baden noch immer die Entspanntheit fehlt. Ich vermute: eine Reihe Leute tönen fürs Geschäft der Beruhigung herum, sind aber sprachlos. Weil wir in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts mit Adolf Hitler den Regierungschef hatten, der im Nu mit der Hilfe unserer willfährigen Elite den Staat der Weimarer Republik korrumpierte, umbaute und zerstörte - diese Katastrophe ist weder ausreichend verstanden noch verkraftet. Sie spukt durch die Köpfe der beiden Autoren. Der Unterschied vom damaligen Berlin zum heutigen Washington ist: die nordamerikanische Regierung kann die institutionellen Fundamente der Vereinigten Staaten nicht aushebeln. Die checks & balances halten. Wohl kann sie nationale und internationale Gefüge (halbwegs oder einigermaßen) funktionierender politischer Beziehungen aufs Spiel setzen - sie korrumpieren und lähmen. Wir haben keinen Grund, uns sicher und überlegen zu fühlen. Abgesehen davon -  müssen  die bundesdeutschen Techniken der Macht-Erhaltung noch gut beschrieben und verstanden werden.


(Überarbeitung: 5.4.2018)