Montag, 16. April 2018

Lektüre einer Form von Journalismus (Beobachtung der Beobachter) (66): Wiederkäuen aus Ängstlichkeit und Hilflosigkeit

Journalismus, stelle ich mir vor, liest die sorgfältig polierten, uns in Pressekonferenzen (beispielsweise) präsentierten Wirklichkeiten konzeptionell gut ausgerüstet gegen den Strich und bürstet mit einem aggressiven Druck kräftig nach. Leider schreiben manche Journalisten  nur brav mit und und reichen ihre Notizen zur öffentlichen Nachlese weiter. Wie in diesen beiden Beispielen.

1. Volkswagen wird kräftig umgebaut, titelten Carsten Germis und Rüdiger Köhn ihren Text über die Leitungswechsel im Konzern (Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 13.4.2018, S. 22, Nr. 86); der Untertitel: Turbulente Tage für den Autohersteller: Die Politik mischt bei den Vorstandspersonalien ordentlich mit. Wir kennen das: beim Bauen wird Beton angemischt. Was wird umgebaut? Matthias Müller geht, Herbert Diess kommt. Die zwölf Marken des Konzerns werden zu drei Einheiten umsortiert. Das kennen wir von unseren Rechnern: aus 12 werden drei Dateien. Und jetzt?

Who knows?  Herbert Diess lächelt ein schiefes Lächeln in die Kameras. Er soll jetzt so cheffig sein wie ehemals Martin Winterkorn. Ist der Personal-Wechsel ein Umbau? Wie kann man überhaupt einen Konzern umbauen? Die Idee ist naiv, die Vokabel eine Anmaßung. Die Leute eines Konzerns (Eigentümer wie Angestellte) bewegen sich in dessen Geschichte - in dessen Kultur mit ihrer Philosophie, Moralen, Regeln und Verpflichtungen, in dessen riesigem Beziehungsgefüge, den Hierarchien und Machtverhältnissen, Arbeitsabläufen, in den sichtbaren und unsichtbaren Räumen. In Wolfsburg bei Volkswagen, das wissen wir seit dem SPIEGEL-Interview mit Matthias Müller (s. meinen Blog vom 28.3.2018), gibt es eine strikte Hierachie, ausgestanzte Machtverhältnisse - immerhin hält jetzt der Aufzug nicht nur auf den Etagen der Herren, sondern auch auf den Etagen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter - und eine Kultur des Kotaus. Man könnte das auch Korruption nennen. Das soll jetzt umgebaut werden? Wer lacht da - nicht?

Die Leitung von Volkswagen steckt in der Klemme: das Produkt des vierrädrigen Autos mit Verbrennungsmotor hat eine unsichere Zukunft. Sie hat sich viel - vielleicht zu viel - aufgeladen. Die strafrechtlichen Klärungen des massiven Betrugs kommen noch; bislang sollen sie 25 Milliarden Euro gekostet haben. Was ist mit den Anwaltskosten? Was wird aus den Verbrennungsmotoren? Was aus dem Elektroantrieb? Was aus dem Rechner-gesteuerten Fahren? Was wird aus unserer Mobilität - freie Fahrt für freie Bürger? Verdient das Autofahren demnächst noch das Präfix auto?

Who knows? Was hat Matthias Müller, der Propagandist der Treuherzigkeit (Dieselthematik), falsch gemacht? Natürlich: er hat geplaudert und geplappert; offenbar wusste er nicht, wie laut er laut denken darf. Der Konzern, muss man vermuten, schlingert- auch wenn er gut verdient; seine leitenden Herren und Damen sind hilflos. Welche Pläne haben sie? Welche Konzepte für unsere künftigen Lebensbewegungen? Das zu erfahren wäre doch nicht schlecht. Stattdessen kriegen wir die alte,  aufgewärmte Soße vom familiären oder pseudo-familiären Streit der leitenden Herrschaften geboten  - als eine Geschichte von Kränkung und  Unterwerfung zur Erklärung der Personen-Rochade (Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 16.4.2018). Herbert Diess vergräzte den leitenden Gewerkschaftsmann, dann küsste er ihm (und Gunnar Kilian) die Füße; jetzt hat Bernd Osterloh nichts mehr gegen ihn einzuwenden. Geht es so zu in Wolfsburg und Umgebung? Wer kümmert sich um die Zukunft des Konzerns?


2.  Die Deutsche Bank braucht wieder Jägermentalität, titelte die Frankfurter Allgemeine Zeitung am Dienstag (10.4.2018, S. 1, Nr. 83) auf ihrer ersten Seite die Nachricht vom Leitungswechsel: John Cryan geht, Christian Sewing kommt. Er ist der Propagandist der Jägermentalität. Was ist eine Jägermentalität? Das Wort ist ein Witz - wie kann der Chef einer Bank es in den Mund nehmen? Die Deutsche Bank ist ein Konzern wie Volkswagen - mit eigener Kultur der Korruption, mit einer langen Geschichte der Macht, der Hierarchien etc. Was soll der Auftritt des jagenden Bankiers? Er soll die Hilflosigkeit, die Aufgeregtheit und die Orientierungslosigkeit vertreiben und die Geldgeber ein weiteres Mal vertrösten - bis die ihren Langmut verlieren. Schwer vorzustellen, dass noch immer die Kunden gehetzt werden sollen mit faulen Versprechungen und kostspieliger Munition. Milliarden wurden an Aktienkapital vernichtet; Milliarden mussten an Strafzahlungen geleistet werden. Die Leute stehen bis zum Hals im Wasser und spucken immer noch große Töne. Und das ist die Nachricht auf der ersten Seite wert? Weiter hinten auf Seite 22 erfährt man: Der neue Vorstandsvorsitzende wendet sich schwungvoll an seine Mitarbeiter. Wichtig ist ihm Teamgeist. Aber die Kritik am Aufsichtsrat wächst. 

Teamgeist! Die Kritik wächst! Wo kommt der Langmut her? Was wissen die Aktionäre, was ich nicht weiß? Kann man Geld gewinnen, wenn man Geld verliert? Was ist mit der Deutschen Bank und ihrer  deutschen Großartigkeit? Vielleicht ist ganz einfach. Die Deutsche Bank hat zuviel Schulden - zu viele unklare Kredite. War nicht im Oktober 2016 von 35 Billionen Euro an verbuchten Derivaten die Rede (s. meinen Blog Journalismus-Lektüre 40: die Deutsche Bank und die journalistische Idolisierung)? Inzwischen habe ich gelesen, dass das so genannte Derivatenbuch Finanzgeschäfte im Wert von 48 Billionen Euro aufweist. Da muss man sich aber nicht so viele Sorgen machen, erläutert (sinngemäß) James von Moltke, Finanzvorstand der Bank: "Bloß weil unser Derivatenbuch groß ist, heißt das nicht, dass es auch riskant ist. Viele Positionen darin sind mit Liquidität oder Forderungen von der Gegenseite hinterlegt" (Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 17.4.2018, S. 22, Nr. 89).  Wer sagt's denn. Die Bankenaufseher der EBZ, die jetzt die Geschäfte der Deutschen Bank prüfen, werden nichts finden.

Alles in Ordnung? Wir werden sehen. Vielleicht muss die Bank noch eine Weile gepäppelt werden, damit diese oder jene Billion herausgepresst werden kann. Im kleinen Maßstab lernten wir dieses Prinzip im Umgang mit Griechenland kennen. Aber was sind die griechischen Milliarden gegen die Billionen der Deutschen Bank? Wer hat schon Billionen Schulden? Nur Staaten. Die Bundesrepublik soll mit vier Billionen Euro verschuldet sein, die Vereinigten Staaten mit 14 - die Zahlen habe ich aufgeschnappt und sind wahrscheinlich nicht aktuell. Und wer kümmert sich nun auf welche Weise um die Zukunft dieser Bank? Das mit der Jägermentalität wird nicht mehr so genau genommen. Hauptsache, die Bank läuft.      

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