Donnerstag, 27. August 2020

Hart, aber hilflos: die Redaktion verhebt sich am 24.8.2020 um 21.00 Uhr

 Wahlkampf mit allen Mitteln: Zerbricht Amerika an Donald Trump? war der reißerische Titel der Frank Plasberg-Sendung vom 24.8.2020. Der Titel spielt mit dem Vergnügen an Katastrophenfilmen à la Mark Robson-Films Erdbeben (U.S.A. 1974). Mit anderen Worten: der Titel war nicht ernst gemeint. Wie will man diese hypothetische, enorm weit ausgreifende und weit reichende Frage in einer Rederunde besprechen und klären? Wie zerbricht überhaupt ein Land? War Deutschland 1945 zerbrochen? 1949 wurde es geteilt. 

Vielleicht sollte man den Titel variieren: ARD-Fernsehen mit allen Mitteln. Die Mittel dieser Sendung waren allerdings  bescheiden. Die Redaktion von Hart, aber fair hatte fünf Protagonisten eingeladen, um das Zerbrechen zu diskutieren; ein Protagonist war Pro-Trump, die anderen Naja-Trump bis Anti-Trump. Frank Plasberg dirigierte deren Auftritte. Des Vergnügens wegen begann er mit dem Pro-Protagonisten: mit George Weinberg, Jahrgang 1947, an der RWTH Aachen promovierter Bauingenieur und Sprecher der außerhalb der U.S.A. lebenden Republikaner. Frank Plasberg ging ihn frontal an - jemand muss den ARD-Journalisten gesagt haben, dass die direkte Konfrontation eine effektive journalistische Technik im elektronischen Forum ist, weil man da die Leute leicht in die Tasche stecken kann - und versuchte, ihn wegzukegeln:    

"Was muss man ausschalten können, wenn man Donald Trump wählen wird - Herz oder Verstand?" 

Eine ausgetüftelte, aber rührselige und naive Frage, die George Weinberg die Enge einer Alternative (Herz oder Verstand) aufzwingen wollte. Natürlich ließ er sich nicht zwingen und sprach über Donald Trumps Verdienste in der ersten Phase der Präsidentschaft; die zweite setzte mit dem pandemischen Prozess ein. Frank Plasberg ließ ihm diese Form von Weichzeichnung  durchgehen. Er war offenbar schlecht vorbereitet und erinnerte ihn nicht mit Nachdruck an die erratischen Manöver des Präsidenten der Jahre 2017, 2018 und 2019. 

Als Beispiel für die Technik des U.S.-Präsidenten, Zweifel zu säen, um zu diskreditieren, wurde ein Ausschnitt aus dessen Pressekonferenz eingespielt, in dem Donald Trump von Journalisten befragt worden war, wie er den Text eines Juristen einschätzen würde, der die Rechtmäßigkeit der Kandidatur von Kamala Harris, deren Eltern keine gebürtigen Amerikaner sind, während Kamala Harris in den Vereinigten Staaten geboren wurde, anzweifelte. Donald Trump beantwortete die Frage beschämend ausweichend - zu dieser juristischen Frage könne er, Präsident der Vereinigten Staaten, nichts sagen.

Frank Plasberg fragte George Weinberg, wie er das ausweichende Manöver des Präsidenten fand. George Weinberg hatte an der Antwort seines Präsidenten nichts auszusetzen; es war eben eine juristische Frage, die zu beantworten Donald Trump sich nicht in der Lage sah. Frank Plasberg reagierte spitz; er ging im Studio buchstäblich auf den Pro-Protagonisten zu:

"Sie wissen das ganz genau. Ich schätze Sie so ein - Sie sind intelligent und promoviert - , dass Sie das genau wissen. Wieso leugnen Sie das vor sich selbst?"

Eine treuherzige, flehende Aufforderung, wahrhaftig zu sein. Frank Plasberg machte ihm den Vorwurf, sich in die Tasche zu lügen. Das wiederum wollte  George Weinberg nicht auf sich sitzen lassen; er kam ihm entgegen mit der Unterscheidung zwischen juristischer Fachfrage - zu der er nichts sagen könnte - und eigener Meinung, die er natürlich hätte: seines Wissens ist Kamala Harris' Kandidatur in Ordnung.

So ging es weiter. Der Pro-Protagonist kam durch. Die Antwort auf die Befürchtung des Zerbrechens wurde vorläufig gegeben. Norbert Röttgen und Ansgar Graw sagten: unwahrscheinlich; die demokratischen Institutionen der U.S.A. halten. Eine Katastrophe wurde nicht beschworen. Das Erdbeben bebte nicht.   

 

(Überarbeitung: 28.8.2020)  

 

    

Wer hat Angst vor Donald J. Trump? Über eine schwer zu greifende (alternativlose?) Trump-Lähmung

Tabubruch nannte Majid Sattar von der F.A.Z.  (21.8.2020, S. 3, Nr. 194) Barack Obamas Rede auf dem Parteitag der Demokraten am Mittwoch, dem 19.8.2020. Sattar verstand sie als eine Brandrede, wie er schrieb. Barack Obama hatte am 19.8.2020 Donald John Trump beschrieben:

"For close to four years now, he's shown no interest in putting in the work; no interest in finding common ground; no interest in using the awesome power of his office to help anyone but himself and his friends; no interest in treating the Presidency as anything but one more reality show he can use to get the attention he craves".

Sechs! Setzen! Der Amtsinhaber ist unzureichend, zudem hat er ein schweres Selbstwertproblem - Barack Obama, könnte man sagen, bewegte sich in den bekannten Mustern der nordamerikanischen - nicht der bundesdeutschen -  kritischen Beschreibung von Donald John Trump. So weit - nicht schlecht und nicht verkehrt. David Remnick, Autor der bewegenden Autobiographie von Barack Obama und Chefredakteur der Zeitschrift The New Yorker, glaubte, beim ehemaligen Präsidenten ein gewisses Vergnügen beobachtet zu haben - er sprach, so Remnick, mit einem barely concealed relish (20.8.2020). Obama nahm keine Rücksicht. Sein Vergnügen  -  sollte Remnicks Beobachtung zutreffen -  ist verständlich. Seine Besorgnis auch.  Aber Donald Trump, der gegenwärtige Amtsinhaber, ist nur ein Teil des Problems. Donald Trump verfügt noch immer ausreichend über Mitarbeiter und Berater, die ihn stützen, schützen, informieren und wappnen - die Donald Trump zu Donald Trump machen und ihn Donald Trump sein lassen.  Bod Woodward hat mit seinem Buch Fear eine Erklärung  für diese Art von Unterstützung gegeben. Reicht sie? Wahrscheinlich nicht. Und was ist mit seinen Wählerinnen und Wählern, die ihm folgen? Barack Obama, vermute ich, kennt nicht die Arbeiten des französischen Soziologen Bruno Latour, der 2018 in einem Interview sagte: "Wir sind alle wie Trump" (Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 13.5.2018, S. 50, Nr. 19).

 Es ist, wie immer, komplizierter. Die (in meiner Wahrnehmung) seit den 60er Jahren manifeste und jetzt mehr & mehr prononcierte, tiefe, nationale wie internationale Unzufriedenheit mit den Lebensverhältnissen in demokratisch verfassten Ländern - deren Ausmaß wir nicht genau kennen - , die Leugnung und der Widerwille gegen dringend notwendige Veränderungen, der globale Verdacht der Korruption, des Zynismus und des Desinteresses staatlicher Institute und gesellschaftlicher Eliten, die Entwertung und Verachtung der Wissenschaft - sind vielleicht die unverstandene Bewegungen enttäuschter Hoffungen auf die demokratischen Versprechen nach Fairness und Gerechtigkeit in unseren Gesellschaften.  

Vor gut zwei Jahren spottete Majid Sattar über die "neue Fachdisziplin" - die "Trump-Psychologie"  (s. meinen Blog vom 23.3.2018 Lektüre einer Form von Journalismus 65). Die europäischen Regierungen rätselten, so Mattar damals, über ihren Umgang mit dem U.S.-Präsidenten; er hatte deren Überlegungen auf die Formel sanft oder robust gebracht. Das war die schlappe Formel eines journalistischen Beobachters ohne Fantasie, der sich in seiner Verachtung des U.S.-Präsidenten sicher wähnte. Sattars nordamerikanische Kollegen hatten nach dessen Wahl präzis prognostiziert, was Barack Obama damals nicht aussprach, um den Start der neuen Präsidentschaft nicht zu kontaminieren. Jetzt scheint Majid Sattar der Spaß vergangen zu sein; Tabubruch und Brandrede lassen eine Ängstlichkeit anklingen. Das ticket to hell, das Charles M. Blow in der New York Times mit der Präsidentschaft von Donald John Trump vermutete, ist möglicherweise noch für eine Weiterfahrt gültig.     

Was dann wird, müssen wir sehen. Wir müssen damit rechnen. Das Trumpsche Klima und der Trumpsche way of politics sind gefährlich:  Wahrheiten gibt es nicht mehr; jede wilde Behauptung, deren Widerlegung Zeit kostet, beansprucht Beachtung;  groteske Zweifel haben Gewicht; Drohungen verfangen. Die politische Perversion der alternativen Fakten und der fake news - die bundesdeutsche Macht-Formel unserer Regierung von der Alternativlosigkeit ist demokratisch kaum besser -  ist eingesickert als eine Art anderer Realität der Irritation, Destabilisierung und Desorientierung: vielleicht hat der Präsident doch recht. Zum Glück hält die Washington Post gegen und dessen gut 20.000 Betrügereien nach.  Trump will die Briefwahl, das neueste Beispiel seiner präsidialen Zerstörungsversuche, verhindern; er lässt offen, ob er das Wahlergebnis im November anerkennt.  Barack Obama unterschätzt  ihn nicht. Er warnt vor der Zerstörung demokratischer Kultur. Donald John Trump lässt die Abrissbirne rotieren. Scherben bringen kein Glück und sind nicht lustig.

(Überarbeitung: 24.11.2020)

Freitag, 14. August 2020

Was haben wir angerichtet?

Gestern im Feuilleton-Buch der F.A.Z. (13.8.2020, S. 9) der Text Dürr, dürrer, am dürrsten. Untertitel: Das Waldsterben der achtziger Jahre war im Vergleich zu dem, was gerade im Westerwald passiert, harmlos - eine Stippvisite  von Uwe Ebbinghaus.

Der Befund ist ordentlich beschrieben:

"Die Reviere kommen mit dem Fällen nicht nach. Ein Blick auf diese Baumleichen, deren Farbe in den letzten Tagen vom Braum zum Rot gewechselt ist, genügt, um zu wissen: Es wird Jahrzehnte dauern, um den Schaden zu beheben. Und es kann noch schlimmer werden. Der Klimawandel ist in der Mitte Deutschlands angekommen".

Es wird noch schlimmer werden. Der Schaden ist nicht zu beheben. 

 Der Schaden ist ein schwaches, tröstliches Wort. Vom Schaden wissen wir: es gibt immer eine Reparatur. Wie nennen wir einen Defekt, der den Normalzustand darstellt? Müssen wir noch finden. Zur Zeit lügen wir uns noch in die Tasche. Das Wort Klimaschutz ist mein Beleg.  Es ist das Wort einer schrecklichen, sogar parlamentarisch legitimierten Illusion. Das Klima können wir nicht schützen. Wir hatten und wir haben es nicht in der Hand. Wir sind Teil der Natur. Wir entkommen ihr nicht. Es ist Zahltag. Wir werden gezwungen, den Preis unserer maßlosen Expansion zu entrichten. Er wird uns nach & nach präsentiert. Die Pandemie ist der Anfang.  

Der Chor der Empörung

Das Geschäft mit der Empörung läuft. Vorgestern oder Vor-Vorgestern, ich bin mir unsicher, legte Ingo Zamparoni, unser öffentlich-rechtlicher Schlaumeier im Dienste seiner (unbekannten) Redaktion, in den Tagesthemen mit einem seiner scheußlich schrillen Anrempler los: Konnten Sie das nicht vorher wissen? - Nein, das konnte der bayrische Ministerpräsident nicht wissen. Er war zu schnell.  Ein einfacher Vorschlag, großzügig und großspurig an die politisch relevante Öffentlichkeit adressiert, erweist sich als eine schwierig zu realisierende Idee. Das wissen wir alle: die Wirklichkeit ist immer komplizierter als man fantasiert. Söders bayrische Variation des Merkelschen Wir schaffen  das ist eben nicht so einfach zu schaffen. Wir haben alle den Fehler gemacht, die Zahl der Tests zu unterschätzen, sagte Andreas Zapf, Präsident des Bayrischen Landesamtes für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit. Eine sicherlich zutreffende Auskunft (F.A.Z., 14.8.2020, S. 8) -  eine ehrliche Auskunft, würde ich sagen, nicht verpflastert mit Sätzen zum Einlullen. Das kam, so die Vermutung in der Zeitung für die klugen Köpfe, offenbar nicht gut an: Zapf wurde von Markus Söder ins Innenministerium versetzt. Der bayrische Ministerpräsident selbst entschuldigte sich vor Kameras und Mikrophonen.

Ich warte auf den Moment, an dem  Ingo Zamparoni von einem der Angerempelten ausgelacht wird mit der Antwort: Weil ich es nicht wusste. Vor dem nassforschen Fernseh-Mann gehen so Viele in die Knie und reden sich vor ihm raus - anstatt ihm zu sagen: Sie stellen schlichte Fragen, die unmöglich so einfach zu beantworten sind. Leider will ein Mann wie Markus Söder offenbar gefallen; und außerdem konkurriert er heftig. Dass er unsere Kanzlerin zu kopieren und zu übertreffen beabsichtigt, ist kein gutes Zeichen. 

Der bundesdeutsche Chor der Empörung ist auch kein gutes Zeichen. Wohl ein Beleg für die Unbedarftheit und/oder Unverfrorenheit einiger öffentlicher Berichterstatter - als seien sie noch nie in Kontakt gekommen mit der Komplexität unserer Wirklichkeiten. Sollte ihr Geschäft des Planierens sie blind gemacht haben? 

Hier ein Beleg: Jasper von Altenbockum, der Mann von jener Zeitung für die...Sie wissen schon...der sich auskennt in politischen, psychosozialen Prozessen, hat seinen heutigen Kommentar auf der ersten Seite überschrieben mit "Söders Grenzen". Ha! Er räsonniert: "Es könnte der erste Tag in seiner Amtszeit gewesen sein" - als Markus Söder sich mit einer tiefen Verbeugung entschuldigte - , "an dem ihm Bayern als Heimat tatsächlich groß genug ist". Über wen spricht Jasper von Altenbockum?  


(Überarberitung: 31.8.2020)

 


Montag, 3. August 2020

Die Zukunft unserer pandemischen Gegenwart

Der pandemische Schatten lähmt. Er wird wieder größer. Wir tappen im Hellen durchs Dunkle. Wenn wir die Haustür hinter uns schließen, ist unklar, in welcher Umwelt wir uns bewegen. In einer Wolke von Aerosolen unklaren Ausmasses ? Wer schleudert sie uns entgegen? Wer nicht? Wo und wann fühlen wir uns sicher? 

Das wissen wir nicht mehr.
Aber die wichtigsten Ungewissheiten über unsere pandemisch bedrohte Umwelt sind bekannt. Ich folge Caroline Buckee (The New England Journal of Medicine 2020; 383: 303 - 305): 1. Wir wissen nicht, wo wir uns befinden: die Zahl der Infizierten ist unklar; 2. Die Biologie des Virus ist unklar; 3. Die Wege der Infektionen sind unklar. Weshalb die Modell-Rechnungen, die prognostischen Extrapolationen und abgeleiteten Empfehlungen unscharf und ungenau sind und nur für kurze Zeiträume - im besten Fall - zutreffen. Weshalb die Verhaltensvorschläge grob sind: 1. Masken tragen; 2. distanzierte Interaktionen ; 3. Gruppen vermeiden.

Was tun?
Die erste Regel im Augenblick: dazu beitragen, die Infektionszahlen niedrig zu halten. Das ist eine vergleichsweise einfache, allerdings lästige Übung. Weitaus schwieriger ist die Inventur unserer Lebensformen und unserer Lebensgewissheiten. Die gegenwärtige Pandemie lehrt uns: die westlichen, demokratisch legitimierten Gesellschaften haben sich darauf verständigt - in einem hochkomplizierten Prozess gemeinsamen Fantasierens eigener Großartigkeit und Überlegenheit - , gegen die sieben Jahrzehnte alten Warnungen vor den sozialen Kosten und Grenzen des Wachstums und vor dem Ende der Natur buchstäblich über unsere Verhältnisse zu leben mit den bekannten Folgen einer weitreichenden, unfairen Ausbeutung und Destabilisierung unserer globalen Lebensverhältnisse. Im Augenblick haben wir kein Wort für das, was passiert. Die Vokabel Vollbremsung (unseres psychosozialen Lebens) tröstet mit der Aussicht auf das Ende des Bremswegs und spielt mit der Illusion, wir hätten das Steuer in der Hand. Das hatten wir noch nie. "Nous ne sommes jamais sortis de l'évolution", sagte Pascal Picq, Paläontologe und Anthropologe, im Interview mit Édouard Reis  (Ouest-France, 11/12.7.2020, S. 6) - wir sind abhängig von den natürlichen Prozessen.  Nach Corona wird es nicht geben. Gasgeben wird nicht helfen. Wir müssen andere Lebensformen finden.