Donnerstag, 27. August 2020

Wer hat Angst vor Donald J. Trump? Über eine schwer zu greifende (alternativlose?) Trump-Lähmung

Tabubruch nannte Majid Sattar von der F.A.Z.  (21.8.2020, S. 3, Nr. 194) Barack Obamas Rede auf dem Parteitag der Demokraten am Mittwoch, dem 19.8.2020. Sattar verstand sie als eine Brandrede, wie er schrieb. Barack Obama hatte am 19.8.2020 Donald John Trump beschrieben:

"For close to four years now, he's shown no interest in putting in the work; no interest in finding common ground; no interest in using the awesome power of his office to help anyone but himself and his friends; no interest in treating the Presidency as anything but one more reality show he can use to get the attention he craves".

Sechs! Setzen! Der Amtsinhaber ist unzureichend, zudem hat er ein schweres Selbstwertproblem - Barack Obama, könnte man sagen, bewegte sich in den bekannten Mustern der nordamerikanischen - nicht der bundesdeutschen -  kritischen Beschreibung von Donald John Trump. So weit - nicht schlecht und nicht verkehrt. David Remnick, Autor der bewegenden Autobiographie von Barack Obama und Chefredakteur der Zeitschrift The New Yorker, glaubte, beim ehemaligen Präsidenten ein gewisses Vergnügen beobachtet zu haben - er sprach, so Remnick, mit einem barely concealed relish (20.8.2020). Obama nahm keine Rücksicht. Sein Vergnügen  -  sollte Remnicks Beobachtung zutreffen -  ist verständlich. Seine Besorgnis auch.  Aber Donald Trump, der gegenwärtige Amtsinhaber, ist nur ein Teil des Problems. Donald Trump verfügt noch immer ausreichend über Mitarbeiter und Berater, die ihn stützen, schützen, informieren und wappnen - die Donald Trump zu Donald Trump machen und ihn Donald Trump sein lassen.  Bod Woodward hat mit seinem Buch Fear eine Erklärung  für diese Art von Unterstützung gegeben. Reicht sie? Wahrscheinlich nicht. Und was ist mit seinen Wählerinnen und Wählern, die ihm folgen? Barack Obama, vermute ich, kennt nicht die Arbeiten des französischen Soziologen Bruno Latour, der 2018 in einem Interview sagte: "Wir sind alle wie Trump" (Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 13.5.2018, S. 50, Nr. 19).

 Es ist, wie immer, komplizierter. Die (in meiner Wahrnehmung) seit den 60er Jahren manifeste und jetzt mehr & mehr prononcierte, tiefe, nationale wie internationale Unzufriedenheit mit den Lebensverhältnissen in demokratisch verfassten Ländern - deren Ausmaß wir nicht genau kennen - , die Leugnung und der Widerwille gegen dringend notwendige Veränderungen, der globale Verdacht der Korruption, des Zynismus und des Desinteresses staatlicher Institute und gesellschaftlicher Eliten, die Entwertung und Verachtung der Wissenschaft - sind vielleicht die unverstandene Bewegungen enttäuschter Hoffungen auf die demokratischen Versprechen nach Fairness und Gerechtigkeit in unseren Gesellschaften.  

Vor gut zwei Jahren spottete Majid Sattar über die "neue Fachdisziplin" - die "Trump-Psychologie"  (s. meinen Blog vom 23.3.2018 Lektüre einer Form von Journalismus 65). Die europäischen Regierungen rätselten, so Mattar damals, über ihren Umgang mit dem U.S.-Präsidenten; er hatte deren Überlegungen auf die Formel sanft oder robust gebracht. Das war die schlappe Formel eines journalistischen Beobachters ohne Fantasie, der sich in seiner Verachtung des U.S.-Präsidenten sicher wähnte. Sattars nordamerikanische Kollegen hatten nach dessen Wahl präzis prognostiziert, was Barack Obama damals nicht aussprach, um den Start der neuen Präsidentschaft nicht zu kontaminieren. Jetzt scheint Majid Sattar der Spaß vergangen zu sein; Tabubruch und Brandrede lassen eine Ängstlichkeit anklingen. Das ticket to hell, das Charles M. Blow in der New York Times mit der Präsidentschaft von Donald John Trump vermutete, ist möglicherweise noch für eine Weiterfahrt gültig.     

Was dann wird, müssen wir sehen. Wir müssen damit rechnen. Das Trumpsche Klima und der Trumpsche way of politics sind gefährlich:  Wahrheiten gibt es nicht mehr; jede wilde Behauptung, deren Widerlegung Zeit kostet, beansprucht Beachtung;  groteske Zweifel haben Gewicht; Drohungen verfangen. Die politische Perversion der alternativen Fakten und der fake news - die bundesdeutsche Macht-Formel unserer Regierung von der Alternativlosigkeit ist demokratisch kaum besser -  ist eingesickert als eine Art anderer Realität der Irritation, Destabilisierung und Desorientierung: vielleicht hat der Präsident doch recht. Zum Glück hält die Washington Post gegen und dessen gut 20.000 Betrügereien nach.  Trump will die Briefwahl, das neueste Beispiel seiner präsidialen Zerstörungsversuche, verhindern; er lässt offen, ob er das Wahlergebnis im November anerkennt.  Barack Obama unterschätzt  ihn nicht. Er warnt vor der Zerstörung demokratischer Kultur. Donald John Trump lässt die Abrissbirne rotieren. Scherben bringen kein Glück und sind nicht lustig.

(Überarbeitung: 24.11.2020)

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