Donnerstag, 30. September 2021

Der Coup ist gelungen: Die Tanz-Partner lächeln in die Öffentlichkeit und schweigen

Zuerst ein Foto. Oder ein selfie, wie man heute sagt. Wolfgang Wissing, Annalena Baerbock, Christian Lindner  und Robert Habeck lächeln uns an: Wir haben uns verabredet. Die erste Botschaft der Vier, die sich zusammen gefunden haben und ansonsten keine Auskunft geben. Ein glänzender Einfall - wem auch immer der eingefallen ist. Annalena Baerbock genoss es offenbar, beredt die Tür zur Öffentlichkeit geschlossen zu halten. Ingo Zamperoni jaulte auf: wir müssen draußen bleiben! In seiner schrecklich schrillen Stakkato-Manier bedrängte er Ria Schröder von der F.D.P. nach dem Motto: Nun sagen Sie doch endlich, wo das Haar in der Suppe ist! Sie sagte es nicht; sie blieb freundlich und hielt den A.R.D.-Mann lächelnd auf Distanz. Zum Tanzen kam er nicht in Frage. Ein neuer Ton dieser (vergleichsweise) jungen, neuen Abgeordneten des Deutschen Bundestages. Dagegen wirkte der Mann (* 1974)  aus Hamburg ganz schön alt.

Mittwoch, 29. September 2021

Die Weisheit der Wählerschaft vom 26.9.2021: Aufforderung zum Tanz

Endlich. Die politischen Satzschleifen der guten Vorsätze werden nicht mehr geflochten. Endlich.

Die beiden großen Parteien sind eng beieinander; zum ersten Mal benötigen sie für ihre Koalitionen im Bundestag jeweils zwei Parteien, die sich zudem (noch) nicht grün sind. Für ihre Verhandlungen gibt es nur ein Vorwärts, kein Zurück.  Die Zeit der Damenwahl  ist vorbei. Auf dem Parkett wird gerangelt, geschubst, gestritten und getreten.  Die Herren müssen sich anstrengen und blaue Flecken ertragen. Ein anderer, federnder Tanzschritt muss her. Wir werden wir sehen, welchen Tanz sie zustande bringen. Die jungen Leute wollen  sehen, was sie können.

Donnerstag, 23. September 2021

Wer nicht hören will, muss fühlen: der seltsame (rachsüchtige) Triumph politischer Hilflosigkeit

Diesen Satz habe ich schon lange nicht mehr gehört. Er war die Paradenummer des Repertoires sadistischer elterlicher Praktiken. Du bleibst solange sitzen, bis du deinen Teller leer gegessen hast. Er ist die Paradenummer hilfloser Eltern, die ihren Ärger dem Kind auszahlen - die pseudo-pädagogische Rationalisierung des Vergeltens: wie du mir so ich dir.  Diese Interaktionslogik hat in Beziehungen nichts zu suchen. Auch nicht in politischen. Wenn man die Impfpraxis der individuellen Entscheidung versichert, kann die individuelle Entscheidung, sich gegen das Corona-Virus nicht impfen zulassen, nicht sanktioniert werden  durch das Aussetzen der Gehaltsfortzahlungen im Fall der Quarantäne einer oder eines Noch-Nicht-Geimpften. Den Bruch des Versprechens mit dem Konzept der Fairness zu bemänteln ist ein forsches oder freches Missverständnis eines wendigen Gesundheitsministers.

Wer mit dem Impfen zögert, hat verstehbare Gründe. Man muss sich dafür interessieren. Eine Frau, deren Mann in der Nachfolge einer Corona-Impfung verstarb, hat verständlicherweise Angst, sich impfen zu lassen.  Die jetzt dröhnend (vor Selbstgerechtigkeit) propagierte Regelung der Aussetzung der Gehaltsfortzahlungen ist vor allem ein Beleg für das politisch hilflose, nicht durchdachte, altmodische (rachsüchtige) Konzept, Leute  zu vergraulen & auszuschließen anstatt einzuladen & zu gewinnen  mit einer großzügigen Haltung, die darauf setzt, dass die meisten sich nach & nach impfen lassen werden und die Zahl der Noch-Nicht-Geimpften weiter und ausreichend schrumpft. 

Die Entscheidung, die komfortablen Orte des einfachen Impfens aus Kostengründen Ende September zu schließen, gehört zu dieser Interventions-Logik; zudem eine Milchmädchenrechnung, wie man sagt. Kein Signal der Einladung und Befriedung. Die politische Herrschaft verteilt weiter ihre Kränkungen. Sie lernt schlecht dazu.

 

(Überarbeitung: 1.10.2021)


Mittwoch, 15. September 2021

"40 Prozent der Wähler noch unentschieden"

 "Zwei von fünf Deutschen, die an der Bundestagswahl teilnehmen wollen", lese ich heute (15.9.2021) auf der ersten Seite der Frankfurte Allgemeine, "haben sich noch nicht entschieden, wem sie ihre Stimme geben wollen. Nach einer repräsentativen Umfrage des Insituts für Demoskopie Allensbach im Auftrag der F.A.Z. ist die Zahl der unentschiedenen Wähler damit höher denn je so kurz vor dem Wahltermin".

Junge, Junge. Was sagt uns das? Immer diese Vorwürfe. Wir haben die Unentschiedenen beim Impfstoff, jetzt haben wir die Unentschiedenen bei der Bundestagswahl. Das ist doch nur gut.  Die Wahl-Entscheidung fällt offenbar schwer: man hält sie sich offen. Die Auskunft über die Wahl-Entscheidung fällt schwer: vielleicht sind die Unterschiede undeutlich. Die Leute geben nicht mehr so gern am Telefon Auskunft über ihre Wahl-Entscheidung: sie ist ihre Sache. Sie wollen sich nicht drängen lassen. Sie haben keine Lust, Auskunft zu geben. Sie speisen die Interviewerin oder den Interviewer mit einer ungefähren Antwort ab. Die Leute nehmen ihre Wahl-Entscheidung ernst: sie lassen sich Zeit und wägen ab. 

Mit anderen Worten: die Leute sind vorsichtig und lassen sich am Telefon nicht festlegen. Das ist natürlich schrecklich für die Strategen der Parteien, die jetzt tüfteln müssen, was sie ihren Auftraggebern raten können, und schrecklich für die schreibende, berichtende, dröhnende Zunft, die weiterhin bis zum 26.9. rätseln und ihr Vergnügen am Polit-Klatsch dosieren muss. "Herr Laschet, was werden Sie machen, wie wollen Sie den Trend umkehren?"

Am besten ist dem Rheinländer aus Aachen zu raten: Abwarten & Tee trinken. Nach dem 26.9.2021 wird's schrecklich. An ruhigen Schlaf ist nicht mehr zu denken. Außerdem, letzter Gedanke, Meinungsforschung ist, wie man sehen kann, Auftragsforschung. Was sagt uns das? 

Dienstag, 14. September 2021

"Der fühlende Wähler"

Vom fühlenden Wähler war die Rede in Oliver Georgis Text in der Sonntagszeitung der Frankfurter Allgemeinen (12.9.2021, S.8). Gemeint ist die Wählerschaft, die ihren Gefühlen folgt:

"Wofür steht Olaf Scholz? Was unterscheidet ihn von Annlena Baerbock? Und was zeichnet Armin Laschet aus? Viele Wähler dürften auf diese Fragen keine sach-politische Antwort haben. Aber eine gefühlte".

Was ist eine gefühlte Antwort?

Weiß keiner. In so genannten Meinungsumfragen - ein luftiges Wort - wird schon mal nach dem (geschätzten) Grad der Sympathie gefragt. Wer ist sympathischer? Armin oder Olaf? Und wie sieht es mit Annalena aus? Sympathie: was ist das? Weiß auch keiner. Wir sind bei den (nicht bewussten) komplexen interaktiven Prozessen, in denen wir uns buchstäblich blitzartig versichern, mit wem wir es bei unserem Gegenüber zu tun haben. Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen. Es ist natürlich komplizierter. Wir sind bei unserem Gegenüber so sicher, weil er oder sie uns bekannt/vertraut vorkommt, weil wir sie oder ihn abgeglichen haben (ohne es zu wissen) mit den (unendlich) vielen Leuten, mit denen wir zu tun hatten, die uns begegnet sind, und von denen wir gehört oder gelesen haben.

"Schon früher bildeten sich die Wähler ihre Meinung über Politiker oft aus dem Bauch heraus und nicht nur nach deren Programmatik. Doch Emotionalisierung und Personalisierung der Politik haben längst so zugenommen, dass sie die Sachfragen und politischen Lösungsansätze mitunter völlig zu überlagern scheinen".

Ja, mei. Hier überzieht einer mit der Gewissheit seiner Verachtung. Natürlich haben wir alle einen mehr oder minder komplexen und begründeten Vorrat an sach-politischen Antworten. Oliver Georgi: Längst so zugenommen, dass sie die Sachfragen und politischen Lösungsansätze mitunter völlig zu überlagern scheinen. Oh je. Noch eine Krise. Überlagern! War das nicht schon immer so? Wie war das mit Adenauers Keine Experimente? Wie war das mit Willy Brandt alias Frahm, dem außerhalb einer legalisierten Ehe geborenen Sohn (4. Bundestagswahlkampf)? War der CDU-Schmutz nicht größer? Schon immer wurde mit den Vorurteilen gespielt. Mit der öffentlichen Häme. Schon immer folgten wir unseren Vorurteilen, die allerdings eine komplizierte Geschichte haben - und die zu überprüfen und zu korrigieren eine Lebensaufgabe ist. Stuss wird uns ständig serviert. Man muss gut aufpassen und ist dauernd überfordert. Das soll so sein. Es geht um Herrschaft. Nur ja keine Antwort schuldig bleiben: das lernen wir von klein auf. Was ich nicht weiß, wird weg-gelärmt. Nebenbei oder etwas mehr als nebenbei geht es auch um die Sache der Demokratie. Wer weiß das schon genau. Was sind denn politische Lösungsansätze? Wer lacht da? Es ist doch immer ein Gewurschtel, ein Aufschieben, ein Vertagen, ein Herummogeln um die Wahrheit. Morgen ist auch noch ein Tag.  Stimmt. So gesehen, haben wir noch viel Zeit. Wer die Arbeit kennt und sich nicht drückt, der ist ist verrückt. Stimmt auch. Ein Leben reicht nicht für unsere Lebensaufgaben. Was soll man machen?  Früher hieß der Satz der ausweichenden Unwahrheit dazu: Da bin ich überfragt.  Das sagt heute keiner mehr. Wer heute gefragt wird, antwortet. Die Antwort ist das Unglück der Frage,  sagt Walter Boehlich. Unbeantwortete Fragen sind offenbar schwer zu ertragen. Lieber Antworten als Schweigen.

Emotionalisierung und Personalisierung der Politik, schreibt Oliver Georgi,  Was ist das? Der Aufschrei nach Echtheit - nach Wahrheit. Sagt das der Journalist  Oliver Georgi? Nein. Sieht er, an welchem Betrug er mitstrickt? An seinem Text ist das nicht zu erkennen. Der beschwert sich brav über die Neugier des fühlenden Wählers.  Vielleicht sagt er's abends beim Bier. Nehmen wir ein anderes Beispiel. Die Politikerin gibt in einer Pressekonferenz Auskunft. Alle wissen: ihr Auskunftstext ist nicht ihr Text. Wer hat alles  an dem Text der Auskunft mitgearbeitet? Welche Interessen sind eingegangen? Wer ist der Adressat? Aber die Politikerin wird hofiert und befragt, als wäre sie die Autorin des Textes. In meinem Leben wäre das Betrug. In der politischen Öffentlichkeit nicht.  Der TV-Journalist spricht ins Mikrophon vor einer Kamera. Wir sehen nicht den Teleprompter, von dem er abliest. Wir wissen nicht, wie der Text entstanden ist. Wir wissen nicht, was seine Redaktion ihm geraten hat zu sagen. Wie wissen nicht, wie sie ihn instruiert hat zu fragen. Wir wissen nicht, welche Interessen die Leute von der Redaktion verfolgen. Die Show schiebt sich dazwischen. Das elektronische Medium lebt vom Versprechen der Echtheit. Live! Live ist inszeniert, abgesprochen und geplant. Können wir das erkennen? Wenn die Titelmusik der Tagesthemen abläuft, die Kamera auf die Moderatorin zufährt, die sich mit den Kollegen noch kurz abstimmt, dann ihr Pult beobachtet für ihren Einsatz, schließlich  hochschaut und mit ihrer Begrüßung einsetzt - läuft die Inszenierung ab. Sehen wir die Inszenierung? Die Falschheit der Zuwendung? Ein bißchen, wenn man drauf achtet. Wer hilft uns beim Orientieren? Unser Empfinden für Echtheit und Unechtheit. Leider laufen wir häufig mit unserem affektiven Tasten ins Leere. Der fühlende Wähler ist in seiner Wahrnehmung eingeschränkt. 

Es gibt einen tiefen Wunsch die Wahrheit zu erfahren. Selten bekommen wir ihn erfüllt. Stattdessen kriegen wir die schale Show serviert - neuerdings mit dem kleinen Buchstaben l garniert. Schmeckt's? 

Donnerstag, 9. September 2021

Wo sind wir? Die Leute von der Redaktion der "Tagesthemen" sind irritiert

Am 7.9.2021 begann Caren Miosga von der A.R.D. so ihre Moderation der Tagesthemen:

"Das war mal 'was im Bundestag. Das war wahrscheinlich die letzte Sitzung dieser Wahlperiode....."  

Halt! Muss es nicht heißen: Legislaturperiode? Was hat das Parlament mit dem Zeitraum, so unser DUDEN über die Wahlperiode, für den ein Gremium, eine Körperschaft, eine Person in ein Amt gewählt wird, zu tun? Es geht nach der letzten Sitzung in die Sommerpause, wie es so schön heißt, und dann ist die Wählerschaft dran. Erst dann beginnt die Wahlperiode.

Hatte Caren Miosga sich versprochen? Schwer zu sagen. Jedenfalls ist sie gut eingestimmt auf unsere Bundeskanzlerin, deren präzisester Satz (meiner Einschätzung nach) lautet: Es ist immer Wahlkampf. Das ist der Kern ihres politischen Grund(miss)verständnisses: politisches Handeln hat ständig den Machterhalt im Blick und orientiert sich am affektiven Pegelstand der öffentlichen Aufregung. Caren Miosga, kann man sagen, war am Dienstag, dem 7. September, die brave, mit ihrer Kanzlerin identifizierte Moderatorin. Ihre Verwechslung passt zu Angela Merkels Handeln, die an diesem siebten September  am Rednerpult die Katze aus dem Sack ließ und vor dem (offenbar) befürchteten Wahlsieg der Sozialdemokraten und den daraus folgenden Koalitionen  warnte und den Kandidaten der Union anpries. Sie meinte, sie würde eine Wahrheit aussprechen. War das in Ordnung? Wohl kaum. Ihr Amtseid als Bundeskanzlerin, im parlamentarischen Kontext relevant, verpflichtet sie darauf, das bundesdeutsche Volk im Blick zu halten. 

Caren Miosga war damit einverstanden. Endlich war Leben in der Bude. Angela Merkel war in der Defensive. Nach den demoskopischen Umfragen sahen die Chancen für ihre  Partei schlecht aus - wobei wir am 26. September sehen werden, wie groß der Veränderungswunsch tatsächlich ist. Bei Umfragen gibt man sich manchmal gern progressiver, als man zugibt. Abgerechnet wird zum Schluss. Bleibt die Frage, ob der letzte Auftritt der Bundeskanzlerin tatsächlich zur deutlichen Ernüchterung der bisherigen Idealisierung ihrer Amtsführung beiträgt  und zu einer Veränderung der politischen Machtverhältnisse führt. Ich kann es mir nicht vorstellen. Bislang war Angela Merkel mit ihrer gekonnt inszenierten politischen Treuherzigkeit erfolgreich . Sogar Caren Miosga, neulich für ihre beste Moderation mit dem Deutschen Fernsehpreis  prämiiert, ist auf sie hereingefallen. 

 

 

Die Impfkampagne stockt. Die Impfkampagne, die Impfkampagne....

Ein blödes Wort. Wer brachte es in Umlauf? Eine Kampagne hat etwas Kriegerisches, Gewalttätiges. In der Kampagne steckt etymologisch das Feld (im Französischen campagne), auf dem ein Feldzug ausgetragen wird. Kein Wunder, dass Manche mit ihrem Oberarm wegzucken. Die Impfkampagne ist der Beleg für eine unglückliche, nicht gut bedachte, unsystematische Kommunikation, die in der Not der Pandemie den Experimentcharakter und damit die Ambivalenz des Impfens in einer Formel verdichtet, die eine latente Zögerlichkeit ausspricht - wie Eltern, die sich ihrem Kind gegenüber durchringen, auf einer Forderung in einem Tonfall zu bestehen, der anklingen lässt, dass die Eltern nicht ganz einverstanden sind mit ihrem Handeln. 

Man braucht sich nicht zu wundern. Der Ungeduld angesichts der von der Pandemie erforderten   Einschränkungen und der Ungeduld angesichts der Unkenntnis eines sich selbst korrigierenden wissenschaftlichen Vorgehens wurde (in meiner Beobachtung) in der öffentlichen Diskussion ständig nachgeben und damit bestätigt. Die Virologen kamen an den Pranger, die Modellierer wurden verhöhnt, das politische und journalistische Personal nahm mit einer  Nonchalance (hier & da, soweit mir zugänglich) das auf, was ihm entgegenkam .... während sich die besonnenen Fachleute die Haare rauften....immerhin wurde Christian Drosten für sein Engagement am N.D.R.-Podcast ausgezeichnet...ist dessen Redaktionsteam leer ausgegangen?

Vor den Sommerferien sagte Christian Drosten (jedenfalls habe ich ihn noch im Ohr) voraus, dass demnächst alle  Ungeimpften sich mit der Delta-Mutante anstecken werden. So ist es mit der Zuverlässigkeit einer (mechanischen) Schweizer Uhr gekommen. Warum wurde Drostens Prognose nicht ausreichend aufgenommen? Weil öffentliche Diskussionsformen unzureichend forschend begleitet & reflektiert werden. Vorwürfe sind schnell erhoben, Etiketten schnell verteilt; Nachdenklichkeit findet schlecht Platz.

 

Freitag, 3. September 2021

"Don't depend on markets to fix our mess"

Der Satz stammt von Kim Stanley Robinson aus der Financial Times. Bill McKibben hat ihn gefunden. Er zitiert ihn in seinem letzten Blog auf der website der Zeitschrift The New Yorker  (vom 2.9.2021). Der Markt gehört zum Vokabular des Verschleppens. Klimaschutz, Emissionshandel & Klimaneutralität sind unsere kursierenden Neologismen - die süßen Lutschbonbons der öffentlichen Diskussion. 

Das Beispiel Emissionshandel: wie kann man mit Emissionen handeln? Jemand pustet sie in die Atmosphäre und entrichtet für eine grobe Schätzung einen Preis; die Idee ist, dass der Preis einen zwingt, das Auspusten zu reduzieren. Ein Feigenblatt. Ausgepustet wird. Der Dreck ist in der Welt. Die Rede vom Emissionshandel unterschlägt die Erörterung der Zeit, die der Handel braucht, um wirksam zu werden, und die Erörterung des Ausmasses der Reduktion. Die Klimaneutralität ist, neben der gelegentlichen Verwechslung mit dem Emissionshandel, ein unscharfer Begriff; seine Erfinder verstehen darunter eine Art nachsteuernder, komplexer Balance: Gesellschaften stoßen nicht mehr Kohlendioxyd aus, als die natürlichen Prozesse aufnehmen können; dieses Verhältnis muss ständig austariert und reguliert werden. Wie soll das gehen? Wer will das wie  kontrollieren und herstellen? Ausgepustet wird weiterhin. Nationale wie internationale Institutionen müssen hinterherlaufen. Aber weder haben wir die Zeit noch können wir die Geduld aufbringen, einem solchen zähen, ungeklärten Prozess einer allmählichen Transformation zuzusehen.

Bill McKibben schreibt in seinem Blog: "It feels to me, with each passing week, the pace of climate change destruction increases". Wir können die rasende Zerstörung sehen; sie hat uns auf drastische Weise erreicht; inwischen müssen wir auch mit den Folgen zu leben versuchen. Der öffentlich kommunizierte Trost  dazu ist gut gemeint. Aber hilft er? Was tun die, die großherzig trösten? Sie denken an den Wahlkampf. Wie sehr, lässt sich nicht sagen. Sie sagen nicht die Wahrheit. Die, die mit dem Vokabular der Neologismen sich und ihr Publikum einlullen, betreiben das Gerede des Aufschiebens im Dienste ihres Geschäfts. Weiter so! Wir haben es nicht eilig.  Wir haben die Macht und das Geld. Am 26. September 2021 wird über die Zukunft des kursierenden Zynismus entschieden. Wir werden sehen, was wie ernst gemeint ist.