Dienstag, 26. Mai 2015

Wer lacht hier?

Gestern wurde Bei Maischberger (26.5.2015) die Glaubwürdigkeit unserer Kanzlerin diskutiert, eine Woche vorher bei Anne Will: Angela Merkel kommt dran. Dank der unermüdlichen Recherchen von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung - dreimal wurde diese Zeile in den gestrigen Tagesthemen wiederholt - wissen wir jetzt: es gibt einen Aktenvermerk, der besagt, dass unsere Kanzlerin schönes
Wetter voraussagte, obwohl sie wusste, dass Wolken aufziehen würden. Für wen ist das eine Überraschung?

Die jetzige Aufregung oder Empörung - je nach öffentlichem Forum - ist heuchlerisch. Als Angela Merkel vor gut zwei Jahren vor die Kamera trat und in die Mikrophone sprach und etwas von Freunden erzählte - das geht nicht - , musste man doch davon ausgehen, dass diese Aussage kalkuliert war: Tränen für die Presse und für uns. Im Kontext der angekündigten SPIEGEL-Veröffentlichung konnte man vermuten: die Tränen waren defensiv gemeint; die Kanzlerin versuchte, mit einer inszenierten Empörung dem Hamburger Blatt zuvorzukommen. Das nachfolgende Theater war Wahlkampf-Beruhigung. Zwei Jahre zuvor, vor der Wahl in Baden-Württemberg konnten wir das ähnliche Kalkül beobachten - das Moratorium und die Energiewende waren die Wahl-taktischen Nebelkerzen mit wirklich weitreichenden Folgen.

Zwei Folgerungen:
1. Was Edward Snowden bekannt gab, dürfte den Behörden BND und Kanzleramt - sehr wahrscheinlich - bekannt gewesen sein: man muss davon ausgehen, dass die Anfragen der N.S.A. mit ihren Filter-Gesuchen als die Produkte ihrer Ermittlungsstrategien über die Schreibtische der Chefs gingen und dass das Bundeskanzleramt darüber informiert worden war; dessen Chefin dürfte in der ihr unterstellten Behörde längst angerufen haben.

2. Das seltsame journalistische Bemühen, die Taktik des Kanzleramtes nachzuweisen. Es reicht doch, wenn Journalisten begründeten Vermutungen nachgehen, die Beteiligten konfrontieren und ihre Vermutungen hartnäckig überprüfen. Journalisten sind keine Staatsanwälte, die Anklageschriften penibel vorbereiten müssen. Es sei denn, die Journalisten wären im Dienste ihrer Auflagen an detektivischen Erzählungen aus Berlin interessiert. So wäre Watergate nicht zum (tiefen) politischen  Fall geworden; Carl Bernstein und Bob Woodward fingen ohne einen Beleg an. Mit anderen Worten: die jetzige Aufregung verdeckt das Versagen eines Journalismus, der mitschreibt, aber nicht  auflacht und aufhorcht und nachfragt.

Heute in der Frankfurter Allgemeine Zeitung (27.5.2015, S. 15, Nr. 120): der Titel Paris und Berlin wollen weniger Brüssel. Der  Untertitel: In einem gemeinsamen Papier lehnen Frankreich und Deutschland Eingriffe in ihre Souveränität ab. Damit fallen sie hinter vorherige Pläne zur Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion zurück.

Wer konfrontiert die Verantwortlichen mit dieser Form des Stillstands?



(Überarbeitung: 29.5.2015)

Freitag, 22. Mai 2015

Rette sich, wer kann

Der Bundesnachrichtendienst ist eine ungewöhnliche bundesdeutsche Behörde. Der Chef Gerhard Schindler weiß schlecht Bescheid (Süddeutsche Zeitung von heute, 22.5.2015, S. 5), der Abteilungsleiter Hartmut Pauland weiß schlecht Bescheid (Frankfurter Allgemeine Zeitung von heute, 22.5.2015, S. 4). Schindler wurde im März dieses Jahres über die so genannten, von der National Security Agency zur  Überprüfungspraxis in Auftrag gegebenen und übermittelten Suchbegriffe (Selektoren)  informiert, Pauland wurde Mitte März dieses Jahres darüber informiert, dass ein Unterabteilungsleiter einen Mitarbeiter im Sommer 2013 beauftragt hatte, die Rechtmäßigkeit dieser Überprüfungspraxis (von Telefonnummern, E-Mail- oder IP-Adressen) zu überprüfen (Frankfurter Allgemeine Zeitung von heute, 22.5.2015, S. 4).

Wieso im März 2015? Die Überprüfungsanweisung der Überprüfungspraxis geschah im Kontext der Veröffentlichungen von Edward Snowden. Hartmut Pauland war, so die Frankfurter Allgemeine Zeitung von heute, 22.5.2015, (S. 4), Mitglied einer "Art Krisengruppe", so die Zeitung, die zu der Zeit (Sommer 2013) gebildet worden war. Wie passt das zusammen? Gar nicht. Man kann sich leicht ausmalen, dass es in der  Behörde gewaltig summte unter der Anstrengung, eine Strategie zu finden, mit der die Verantwortlichen sich zu wappnen und zu schützen versuchten. Man kann sich auch vorstellen, dass der Chef , der seit 2012 Chef der Behörde ist, die Schutz-Anstrengungen minutiös verfolgt und kontrolliert hat.

Jetzt lässt sich erschließen, welche Strategie damals ausgedacht worden war: 1. wir, die Verantwortlichen, wissen wenig bis gar nichts, bis auf ganz wenige einzelne, untergeordnete Mitarbeiter; 2. wir haben nicht richtig verstanden, was die amerikanischen Kollegen in Auftrag gaben; 3. außerdem haben wir das, was wir überprüfen sollten, verschludert - so wurden, kann man in der Süddeutschen Zeitung (von heute) lesen, "zwei weitere riesige Bestände von Selektoren entdeckt".

Ja, wo denn? In der Schreibtisch-Schublade eines Schreibtisches in einem abgelegenen Raum, in dem nur noch die Besen und Putzeimer aufbewahrt werden? Und wie? Als USB-Speichermedium? Oder gab es mehrere? Sehr seltsam. Offenbar funktioniert diese Behörde völlig anders. Die Hierarchien sind bedeutungslos - die Mitarbeiter umgehen ihre Chefs. Die Chefs sind nicht misstrauisch. Die Chefs lassen es laufen. Etwas nicht zu wissen, ist ein vertrautes bundesdeutsches Argument. Damals, nach 1945, war der Chef der nationalsozialistischen Regierung der Hauptschuldige. Heute ist es umgekehrt. Ob jemand Gerhard Schindler gesagt hat, er solle auf den Monat März 2015 rekurrieren? Er solle sich als der unwissende Chef einer Behörde präsentieren, die sonst von der Aura der besonderen Kenntnisse lebt? Sich zu verleugnen, auch wenn es schwer fällt und einen schlecht aussehen lässt, kennen wir: es dient dem Schutz-Bedürfnis. Immerhin kennen wir jetzt einen wichtigen Monat: den März 2015. Was davor lief, werden wir hoffentlich bald erfahren.

Donnerstag, 21. Mai 2015

Vom Umgang mit unserer Vergänglichkeit

Manchmal traue ich meinen Augen nicht. Der Aufmacher der heutigen Frankfurter Allgemeine (21.5.2015):

"Immer weniger Zustimmung für ärztlich assistierten Suizid. Nur 63 Prozent dafür/ Angst vor dem Sterben nimmt mit dem Alter ab/EDK-Umfrage".

Dass ein Umfrage-Ergebnis als Argument für diese ungeheuer schwierige Frage aufgeboten wird, finde ich unglaublich. Die Umfrage wurde vom Sozialwissenschaftlichen Institut der Evangelischen Kirche Deutschlands durchgeführt. Der Text der Zeitung sagt nichts über Art und Qualität der Umfrage. Umfragen sind Befragungsstudien an großen Stichproben mit standardisierten oder halb standardisierten Fragebögen. Sie gestatten kein Gespräch. Ein gründliches, ausführliches Gespräch wäre aber notwendig, um überhaupt etwas Relevantes sagen zu können zur eigenen Haltung und Lebensform, die sich einstellt oder nicht einstellt auf die eigene Vergänglichkeit und eigene Bilder und Wünsche vom Lebensende imaginiert und pflegt. Dass die Angst vor dem Lebensende mit zunehmendem Alter abnehmen soll, widerspricht meiner Lebenserfahrung und meiner beruflichen Erfahrung.

Der kontrollierte Autofahrer und die kontrollierte Autofahrerin

Schlechte oder gute Zeiten für den Mann und die Frau am Steuer? Heute Morgen las ich auf der ersten Seite der Süddeutschen Zeitung (21.5.2015) die Notiz:

"Ein Schritt zum gläsernen Autofahrer".

Die Autofahrerin muss sich offenbar keine Sorgen machen. Es geht um den Plan der Versicherungswirtschaft, unsere Personenkraftwagen mit einer Art Black Box auszurüsten; wer sich dazu bereit erklärt, soll die Versicherungsprämie reduziert bekommen. Der Kommentar auf der vierten Seite von Helmut Martin-Jung singt die Melodie, so der Titel des Textes, vom vermessenen Menschen: die bekannte Befürchtung vom schrumpfenden Raum unserer Intimität. Das Konzept, das diesem Vorhaben zugrunde liegen könnte, diskutiert er nicht. Der Fahrtschreiber im Lastkraftwagen ist vertraut; er registriert Geschwindigkeiten und Fahrzeiten; im Fall einer Kontrolle oder eines Unfalls werden die Daten zur Rekonstruktion des Fahrverhaltens herangezogen. Der Kasten im Pkw soll mehr können: er registriert Tempo, Lenk- und Bremsmanöver; seine Daten können mit den jeweiligen Strecken abgeglichen werden. Die Idee ist: mit den Daten lässt sich ein Fahrverhalten erschließen. Ob sich aus einem Fahrverhalten eine Unfall-Wahrscheinlichkeit ableiten lässt, erscheint plausibel, ist aber nicht belegt; denn Unfälle sind, statistisch betrachtet, seltene  und komplexe Ereignisse. In den 70er Jahren wurde die Unfall-Persönlichkeit gesucht - und (meines Wissens) nicht gefunden. Sicher gibt es Unfall-begünstigendes Verhalten: Alkohol-Konsum, hohe Geschwindigkeit, geringe Abstände, Ausreizen der Spielräume beim Fahren. Ob und wann ein solches Verhalten in der Interaktion mit anderem Fahrverhalten in einem Unfall kumuliert, müsste man aufwändig erforschen.

Was soll dann eine Aufzeichnung der Daten des Fahrverhaltens? Meine Vermutung: abgesehen vom Vorteil einer erleichterten Unfall-Rekonstruktion des verantwortlichen Fahrverhaltens -  eine Reduktion der Unfall-Kosten und, vielleicht indirekt, eine Verlangsamung des Verkehrssystems. Mit dem Aufzeichnungskasten im Auto fährt man wahrscheinlich vorsichtiger. Sollten sich die Unfallzahlen günstig verändern, wäre das ein enormer Gewinn. Autofahren ist öffentliches Handeln. Das Klagen über die kontrollierte Intimität ist das falsche Argument. Jetzt versucht die Versicherungswirtschaft zu intervenieren und eine Tempo-Reduzierung zu initiieren - was der Gesetzgeber sich bislang nicht traute.  


(Überarbeitung: 22.5.2015)

Dienstag, 12. Mai 2015

Die Alphabet-Suppe - synchronisierte Version

Was wäre gewesen, hätte unsere Kanzlerin in der Mitte der Woche der Empörung, im Juli 2013, zwei Monate vor der Bundestagswahl, auf die angekündigte Publikation des SPIEGEL (über die Abhör-Praxis der N.S.A.) gesagt: "N.S.A., C.I.A., B.N.D., M.A.D. - wir sind alle in der gleichen Alphabet-Suppe. Die Nordamerikaner sind unsere ehemaligen Besatzer, und wir ihre politischen Zieh-Kinder. Die machen, was sie können. Ich fühle mich nicht bedroht; Wichtiges bespreche ich nur  im ganz kleinen Kreis"? Hätten ihr Viele die fröhlich-frivole Auskunft übel genommen? Ich nicht.

Sie hätte zumindest zugegeben, ihre Kontrollpflichten vernachlässig zu haben. Geht natürlich nicht - sagten damals (vermutlich)  die Berater, das wäre ein Zeichen von Schwäche. Sie gaben - stelle ich mir vor - der Kanzlerin den rührseligen Rat, an einen Freundschaftskodex zu erinnern: das macht man nicht. 

Macht man das nicht?

Jetzt musste sie wieder eine Antwort geben. Die Süddeutsche Zeitung hat in ihrer vergangenen Samstagsausgabe (vom 9./10.5.2015, S. 13 - 15) den elektronischen Brief-Verkehr ihres Beamten mit dessen Kollegin in der Regierung des U.S.-Präsidenten veröffentlicht - ein gelungener scoop, würde ich als alter Kinogänger sagen, unterhaltsam und aufschlussreich insofern, als deutlich wird, wie ein Regierungsbeamter sich für seine Chefin die Haare raufte, weil sie im September 2013 wieder gewählt und auf keinen Fall irgendeinen Schwachpunkt präsentieren wollte, von dem ihre Berater wiederum annahmen - stelle ich mir vor -, er würde, öffentlich gemacht,  Prozent-Punkte kosten. Die Veröffentlichung des Brief-Verkehrs war sicherlich vor allem ein Redaktions-Problemfall der Süddeutschen: sie fällt gewissermaßen der bislang mehr oder weniger tolerierten, rührseligen mainstream-Politik der Kanzlerin in den Rücken und riskiert den Dissens mit ihr. Er sagt wohl etwas, gut dokumentiert, über das Problem der Macht in der Demokratie: wenn Politik zum Erhalt der Macht funktionalisiert wird. Eine Tageszeitung müsste eine Tabelle führen: links stehen die politischen Projekte, die eindeutig zum Wohle unseres Volkes betrieben werden, rechts stehen die politischen Projekte, die eindeutig zum Wohle des Machterhalts betrieben werden, in der mittleren die politischen Projekte, über die man gründlich nachdenken müsste, ob sie links oder rechts platziert werden müssen.

Das ist natürlich ein naiver Einfall. Obwohl .... möglich, dass die linke Tabelle ziemlich leer aussieht ...

Der Satz von der Alphabet-Suppe stammt übrigens aus Alfred Hitchcocks North By Northwest, einem der besten U.S.-amerikanischen Filme überhaupt - finde ich - mit dem unglaublich guten Buch von Ernest Lehman aus dem Jahre 1959. Ernest Lehman wusste schon damals ganz gut Bescheid. Woher nur? Vielleicht schaut sich unsere Kanzlerin, die leider keine Kinogängerin ist, diesen Film einmal an - natürlich nicht synchronisiert (s. meinem Blog vom 12.11.2013).

Inzwischen hat unsere Bundeskanzlerin ihre Antwort gegeben: nach bestem Wissen und Gewissen hätte  sie im Juli 2013 Stellung bezogen. Das ist nun wieder eine treuherzige Auskunft. Denn die Feststellung, dass man nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt habe, kann man erst dann treffen, wenn Umstände und Kontexte der Handlung geprüft worden sind. Sie folgt dem Muster, das wir kennen: Beteuern ihrer Redlichkeit. Damals, als in Fukushima die Reaktoren zu explodieren drohten,
sagte sie noch: unsere Anlagen wären sicher - sonst würde sie ja ihren Amtseid verletzen (s. meine Blogs vom 1.3. und 15.3.2011). Substantielle Auskünfte wären nicht schlecht.