Donnerstag, 30. August 2018

Gemerkel 5: journalistischer Brotkrümel

Polit-Klatsch. Es geht um Volker Kauder: bleibt er oder bleibt er nicht der Vorsitzende der Unionsfraktion (Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 26.8.2018, S. 26):

"Im Bundestagswahlkampf 2002, als Edmund Stoiber sich gegen Merkel als Kanzlerkandidat durchsetzte, war Kauder auf der Seite Stoibers. Merkel, die ihre Gegner in der Regel vollkommen vernichtet, hat ihm das, anders als sonst, nicht verübelt, sondern ihn, den Konvertiten, zu ihrem Generalsekretär und 2005 zum Fraktionsvorsitzenden gemacht".

Halten wir den Relativsatz fest: "... die ihre Gegner in der Regel vollkommen vernichtet"...vollkommen vernichtet: da wüsste ich gern mehr. Jemand scheint sich auszukennen im Machtapparat unserer Kanzlerin - ohne deren Macht-Exekution zu beschreiben. Was ist an dem Relativsatz dran? Gerücht oder Beobachtung? Dass nenne ich - fehlenden - Respekt vor und Service
für das lesende Publikum. Will die Zeitung für die klugen Köpfe einen nicht klug machen?

Was ist mit der bundesdeutschen Fußballmanschaft? Lektüre des Journalismus - Beobachtung der Beobachter (75)

Am  19. Juni 2018 hieß die Antwort des Sport-Journalisten Michael Horeni von der Zeitung der klugen Köpfe noch: die gealterten Wohlfühl-Weltmeister ... verharren ... in der Welt der Selbsttäuschung, schrieb er.

Jetzt korrigierte er sich am 28. August 2018 und schob drei für das Beziehungsgefüge relevante Kontexte nach: 1. der ungeklärte Vorwurf einiger Nationalspieler an Mesut Özil, er hätte in der Nationalmannschaft Ressentiments ihm gegenüber wahrgenommen; 2. die Bevorzugung der etablierten Nationalspieler; 3. die Differenz der Lebensformen der Nationalspieler. Von den Wohlfühlspielern und von der Welt der Selbsttäuschung spricht Michael Horeni nicht mehr. Die drei Kontexte vermitteln eine Idee des dysfunktionalen Beziehungsgefüges. Viel ist das nicht, aber etwas. Das dysfunktionale Beziehungsgefüge hat Michael Horeni noch nicht verstanden.

Machen wir die Probe und lesen den letzten Satz seines Textes vom 28. August 2018 (Frankfurter Allgemeine Zeitung, S. 32).  Er schreibt: "Ob der Bundestrainer  zu einer Rückholaktion - von Mesut Özil -  aber überhaupt noch willens ist oder ob er sich angesichts der Grüppchenbildung dazu überhaupt in der Lage sieht, das sind nicht die letzten der vielen noch offenen Fragen in dieser deutschen Fußballaffäre".

Das Diminuitiv Grüppchenbildung belegt das Unverständnis und die Missachtung der weit reichenden Bedeutung der (realen) Beziehungen der Spieler, der Betreuer und der Funktionäre des DFB zueinander und der (imaginierten und realen) Beziehungen zu den Produkten und Repräsentanten der Öffentlichen Diuskussion.  Stattdessen: der maulende bundesdeutsche Journalist Michael Horeni, der mit dem Bundestrainer die komplizierten Verhältnisse personalisiert und versimpelt. Nebenbei fiel mir noch auf, dass Michael Horeni alle Fußballspieler mit ihren Vornamen nennt, nur Mesut Özil nicht: er wird einfach mit Özil adressiert - ohne Vornamen, so wie die Lehrer und Schulkameraden einen früher anrempelten. 

Freitag, 24. August 2018

Hier hört der Spaß auf - Lektüre des Journalismus (Beobachtung der Beobachter) 75

"Die Hälfte der Klimapolitik ist Psychologie", ist der erste Satz des kleinen Kommentars auf der ersten Seite der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (22.8.2018) von Joachim Müller-Jung. Und was ist mit der anderen Hälfte?

Die Rede von der Hälfte und von der Psychologie ist ein seltsamer Metapher-Gebrauch. Was meint er? Schwer zu sagen. Die Europäische Kommission will ein etwas höheres Ziel der Reduktion  von Treibhausgasen festschreiben: statt 40 Prozent - 45 Prozent Verringerung. Ihr Vorhaben hat sie, glaubt Joachim Müller-Jung, an die Adresse der polnischen Regierung adressiert: in Kattowitz findet Ende des Jahres die nächste Welt-Klimakonferenz statt. Die polnische Regierung, meint Joachim Müller-Jung, soll ihre Schutz-Versuche der eigenen Kohleindustrie revidieren. Psychologie heißt wohl:  das muss der polnischen Regierung durch die Blume gesagt werden.

Für Umwege ist keine Zeit. Inzwischen liegt (in der New York Times) Nathaniel Richs Bericht von den vergeudeten vergangenen 30 Jahre einer gelähmten Klimapolitik vor: Almost nothing stood in our way - except ourselves.  Die Aussichten sind schlecht. Buchstäblich faule Sätze sind unangebracht. Eine gute Zeitung, die wirklich besorgt ist, sollte jeden Tag den Stand der von unserer Regierung initiierten und behaupteten Klimapolitik angeben und auflisten, was sie unternommen und/oder versäumt hat.  

Mittwoch, 22. August 2018

Gemerkel 4: Abwarten, wohin der Wind sich dreht

Gemerkel ist die Technik des Sichtragenlassens von dem sich durchsetzenden, öffentlich dominierenden Affekt begründeter Empörung. Gegen den Einspruch des Gelsenkirchener Verwaltungsgerichts, Sami A. nicht nach Tunesien auszuweisen, handelte Joachim Stamp, der
NRW-Integrationsminister, mit der Anweisung, ihn ins Flugzeug nach Tunesien zu setzen. Am Mittwoch voriger Woche verfügte das Oberwaltungsgericht Münster, die sofortige Rückkehr von Sami A. zu veranlassen. Am selben Tag (erinnere ich mich richtig?) ermahnte Herbert Reul, NRW-Innenminister, die Gerichte, nicht am Rechtsempfinden der Bevölkerung vorbei zu urteilen. Woraufhin Riccarda Brandts, die Vorsitzende Richterin des Oberverwaltungsgerichts, deutlich widersprach und die Position des Rechts zurecht rückte. Herbert Reul gelobte sofort Besserung und redete um ein Missverständnis herum. Er hatte nichts missverstanden, er hatte den ersten Grundsatz unserer Verfassung für Sami A. als irrelevant erklärt.

Zwei Tage später ermahnte unsere Bundeskanzlerin die nordrhein-westfälische Regierung, sich an die Gerichtsbeschlüsse zu halten. Ihre Ermahnung, sich an die Tischregeln zu halten, kam zwei Tage zu spät und war, wie so oft, wenn es um ihr Demokratie-Verständnis geht, deplaziert und überflüssig. Herbert Reul hatte unseren Grundsatz der Würde des Menschen missachtet. Das hätte sie sofort monieren müssen.  

Montag, 20. August 2018

Neues von den betrügerischen Hütern der Heiligen Kuh: der eine kommt nicht raus, der andere nicht rein (77)

Rupert Stadler, der inzwischen von seinen Aufgaben entbundene Vorstandschef von Audi, bleibt weiterhin in Untersuchungshaft; seiner Haftbeschwerde wurde nicht nachgegeben. Die Verdunklungsgefahr und die Gefahr der Beeinflussung von Zeugen bestehen fort. Mit anderen Worten: es besteht weiterhin ein gravierender Tatverdacht des Betrugs und, gewissermaßen hinzugekommen, der gravierende Verdacht der Manipulation von Zeugen. Ein Betrug, das sagt die Alltagserfahrung, kommt selten allein. Rupert Stadler, so scheint es, hat sich, wie man sagt, reingeritten und hält an seinen Dementis fest. Das ist sein Recht.

 Als Vorstandschef ist er nicht weiter geschützt. Die Unschuldsvermutung hilft ihm nicht - schreibt Thomas Gennert in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (vom 15.8.2018, S. 16): der Vorstandsvorsitzende sei nicht nur der Angestellte einer Gesellschaft Konzerns, sondern er stünde auch mit ihr in einem Organverhältnis. Demnach hat  er die ordnungsgemäße Geschäftsleitung zu garantieren; wird in einem Strafverfahren gegen ihn ermittelt, ist seine Geschäftsleitung gefährdet, seine Abberufung muss realisiert werden. "Ob die Vorwürfe der Strafverfolgungsbehörden", so Thomas Gennert, "zutreffend sind, ist hierfür irrelevant".

Inzwischen wurde ein neuer Mann ausgeguckt und präsentiert: Markus Duesmann (Jahrgang 1969) kommt von BMW zu Audi. "Da können sie sich auf etwas gefasst machen", titelt Georg Meck in der Allgemeinen Frankfurter Sonntagszeitung (29.7.2018, S. 26). Er sieht in ihm den Nachfolger von Rupert Stadler - die Konzernleitung presst die Lippen zusammen. Kein Wort vom Nachfolger. Da können sie sich auf etwas gefasst machen: ist offenbar Mecks an den VW-Vorstand adressierte Empfehlung. Markus Duesmann, so beschreibt er ihn, hat keine Beißhemmung. Seltsamerweise lässt sich Markus Duesmann auf die Taktik der VW-Herren ein, mit Rupert Stadler auf Zeit zu spielen und abzuwarten. Vielleicht hätte ihm Georg Meck empfehlen sollen, sich auf etwas gefasst zu machen.     

Bleibt die im vergangenen Jahr (oder war es früher?) erfolgte Vertragsverlängerung der Position von Rupert Stadler: was war das? Der Abschuss einer Nebelkerze. Offenbar haben die Ermittlungsbehörden inzwischen gute Sicht.