Donnerstag, 26. Oktober 2023

Die westdeutsche Rivalität und die ostdeutsche Dauerkränkung

Wie man's macht, ist's verkehrt - sagt die gekränkte (westdeutsche) Unschuld, die nicht weiß, was sie angerichtet hat. Weiß sie's wirklich nicht? Natürlich weiß sie das - sie muss sich nur erinnern. Wer weiß noch, wie's in den 50er Jahren zuging? Wie die ostdeutsche Republik adressiert wurde?  Wie über sie gespottet wurde? Nehmen wir das Beispiel von Friederike Haupt von der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (vom 5.3.2023, S. 5; Nr. 9) mit ihrem Interview von Dirk Oschmann, dem Mann aus Leipzig mit dem Bestseller Der Osten: eine westdeutsche Erfindung. Friederike Haupt stellte ihm diese (dritte) Frage:

"Was ist den Deutschen aus dem Osten Ihrer Meinung nach angetan worden, das eine solche Empfindlichkeit rechtfertigt?"

Was für eine Frage der Gefühllosigkeit! Wann ist eine (solche) Empfindung gerechtfertigt?

Die Formel eine solche Empfindlichkeit kennen wir - sie gehört in das Repertoire des herablassenden und freundlich gemeinten, aber böswilligen Stubses: Komm, hab' dich nicht so. Stell dich nicht so an. Ist doch nicht so schlimm. Es ist die Formel der Verachtung.

Friederike Haupt erinnert offenbar die gängigen Töne der 50er Jahre nicht, die bei uns in der Bundesrepublik Deutschland kursierten. Es begann mit den Namen der beiden Republiken. Für die ostdeutsche Republik hatten wir nur das schwerfällige Akronym DDR übrig, wir hatten für uns das stolze Wort Bundesrepublik Deutschland. Wobei der erste Teil des Namens für uns in der Alltagskonversation die gängige Vokabel war; der komplette Namen war für die besonderen Gelegenheiten reserviert. Das ostdeutsche Akronym transportierte das Ungenügen, den Status-Unterschied mit den Läden der ostdeutschen Handels-Organisation mit den langen Schlangen der Leute, die nicht kaufen konnten, was sie wollten, sondern kaufen mussten, was vorrätig war. Manche westdeutschen Sprechakte probierten eine Art Fairness der Akronyme; dann wurde neben der DDR die BRD adressiert; aber dieser Gebrauch war mit dem Verdacht des Verfassungsfeindes konnotiert, deshalb unpassend. So gab es eine Schieflage; das Akronym war eine Dauerkränkung; die armen ostdeutschen Verwandten. Unsere Brüder und Schwestern. Ein Hohn.

Gegen Ende der 50er Jahre meldeten die Zeitungen vom Verlagshaus Springer zunehmend täglich die Zahl der ostdeutschen Bürgerinnen & Bürger, die ihr Land verließen und in der westdeutschen Republik ihren Platz suchten. Das waren bis zum 13.August 1963, dem Tag, an dem die ostdeutsche Regierung ihr Land verbarrikadierte, täglich eine stattliche, wachsende Anzahl. Der genüßlich ständig veröffentlichte Pegelstand der Ausreisen war eine Dauerkränkung - so wie der Name ihres Landes DDR in den Zeitungstexten aus dem Hause Springer stets von Gänsefüßchen dekoriert wurde. Die Außenpolitik unseres Landes pflegte das Niveau einer Apartheid: Länder, zu denen die ostdeutsche Republik diplomatische Beziehungen aufnahm, kündigte die westdeutsche Republik ihre diplomatischen Beziehungen auf. Diese großprotzige Politik trug den Namen Hallstatt-Doktrin - den Name des Erfinders Walter Hallstein - : der Euphemismus für eine politische Beschämung. 

Die 50er Jahre waren turbulente Jahre. 1989 war das für kurze Zeit vergessen. Das riesige Hallo der Begrüßung an den Grenzübergängen schallte durch die westdeutsche Republik. Es gab sogar in einem Anfall der Großzügigkeit ein so genanntes Begrüßungsgeld von einhundert Mark - eine seltsame Geste, wenn man es heute bedenkt. Der Jubel über das Ende der Nachkriegszeit verklang, als die westdeutschen Geschäftsleute ihre kannibalistischen Tätigkeiten mit hohem Tempo aufnahmen.

 

 

Dienstag, 24. Oktober 2023

Wenig hilfreicher, übel gelaunter Behauptungsjournalismus

Heute Morgen, am 24.10.2023, begann Thomas Gutschker, Journalist der F.AZ., seinen Kommentar auf der ersten Seite ("Europas Kakophonie zu Nahost") mit diesem Satz:

"In ihrer Reaktion auf den Hamas-Terror gibt die Europäische Union ein jämmerliches Bild ab". Ein jämmerliches Bild ist das deftige Bild eines sonst, wie ich ihn erinnere, besonnenen Journalisten. Warum dann jämmerlich? Eine Vokabel der Verachtung, nicht des Verständnisses für die unglaublich schwierige Lage unserer Politikerinnen und Politikerinnen. Die Komplexität der Verhältnisse, das unglaubliche Leid, die Rage der Vergeltungslust - wie können unsere Politikerinnen und Politikerinnen da einen klaren Gedanken fassen und schlafen? Vielleicht geht es Thomas Gutschker ähnlich - und er erträgt es nicht. Wenn man selber zu wüten beginnt, sollte man eine Auszeit nehmen. Wüten erzeugt nur weiteres Wüten.   

Who's Afraid of the ChatGPT?

Zur Zeit haben wir den Aufschrei der Besorgnis über die Technik des ChatGPT,  die die Autorenschaft von Texten obsolet zu machen droht. Künstliche Intelligenz  ist auch hier heiße Luft: Sie ist die ungenaue Floskel - was hat sie mit Intelligenz zu tun? - zum Bluffen im Dienste der Akquisition Milliarden-schwerer Forschungsprojekte. Sie ist nützlich zum Management  und zur Untersuchung der gewaltigen Datenmengen, die in einem gesellschaftlichen Gefüge  anfallen, im Dienste der Durchsicht unserer durch Häufigkeiten beschriebenen Wirklichkeiten. So bekommt man einen Überblick über die relevanten Prozesse; verstanden sind sie damit noch längst nicht.

Ich habe ChatGPT dreimal getestet. Zugegeben: ein wilder Test der Texte-Produktion von ChatGPT.  

1. Ich bat ChatGPT , mir den Grundgedanken von  Erwin Straus' Buch Vom Sinn der Sinne zu beschreiben. Heraus kam der Stuss einer Nicht-Lektüre; vom Grundgedanken keine Spur. 2. Ich wollte den Sinn des Satzes von Pauline Kael, der US-amerikanischen Filmkritikerin, erläutert bekommen: "When the lights go down and all our hopes are concentrated on the screen". Kein Wort zum Kino und zu den hopes. 3. Ich wollte Theodor Wiesengrund Adornos Satz erläutert bekommen: "Aus jedem Besuch des Kinos komme ich bei aller Wachsamkeit dümmer und schlechter wieder heraus".  ChatGPT schrieb diesen Satz Heinrich oder/und Thomas Mann zu. Ein Verständnis-Versuch wurde nicht unternommen. Im Falle Thomas Manns war diese Zuschreibung Unsinn. Denn Thomas Mann war in seinen kalifornischen Jahren ein regelmäßiger und begeisterter Kinogänger. Ob Heinrich Mann ein Fan des Kinos war, weiß ich nicht.

Was folgt daraus? In den drei Beispielen druckst ChatGPT wie ein Abiturient herum, der seine Unkenntnis mit Geschwafel ausfüllt. Wozu ist dann ChatGPT gut? Zur Erzeugung von Schwafel und Stuss. Brauchen wir das? Wir brauchen gute Autorinnen und Autoren, die in der Lage sind, unsere Lebenswirklichkeiten präzis zu beschreiben. Wir brauchen keine Autorinnen und Autoren, die mit ihren weitläufigen Praxen des Abkupferns und Aufsaugens der Schreib- und Sprechakte des mainstream unsere Zeit stehlen.


(Überarbeitung: 24.10.2023)

 

Montag, 23. Oktober 2023

Die ARD-Journalistin Sandra Maischberger bestürmt Robert Habeck am 12.10.2023 mit der ChatGPT-Technik

Die ChatGPT-Technik ist ein alter Hut. Wir kennen sie aus unserem Alltag. Ein Beispiel: Sie sprechen mit jemanden, der oder die Sie nicht ausreden lässt, indem er oder sie Ihre Sätze unablässig mit vermuteten oder erratenen Redewendungen beendet. Wir haben ein Gespür und ein Gedächtnis für die vertrauten sprachlichen Pfade, die in unserer Sprachkultur ausgelegt sind und zur Verfügung stehen: Formeln, Klischees, Sprachfiguren. Wir verfügen über eine Art natürlichen ChatGPTs. Es funktioniert nicht schlecht; nicht immer, aber häufig. ChatGPT macht (im Prinzip) nicht viel anderes; allerdings errät es nicht, sondern errechnet aus Millionen oder Milliarden Sätzen buchstäblich blitzschnell die Wahrscheinlichkeit, mit der ein bestimmtes Wort auf ein anderes folgt.

So schnell war die ARD-Journalistin Sandra Maischberger nicht; aber sie war schnell genug, unseren Wirtschaftsminister Robert Habeck zu bedrängen mit ihrem hastigen Einholen & Überholen. Das Muster des Erratens und des ungebetenen Komplettierens fremder Sätze folgt der Unhöflichkeit des Vordrängelns und Drängens.  Sandra Maischberger beherrschte das Muster perfekt: schamlos unnachgiebig. Im Austausch mit Robert Habeck versuchte sie, den Minister für Wirtschaft und Klima festzulegen, dass seine Interventionen im nächsten Winter greifen werden. "Ist das ein Versprechen?", setzte sie nach. "Ein Plan", antwortete Robert Habeck, der ihn geduldig erläuterte. "Ein Plan ist kein Versprechen", behauptete Sandra Maischberger schnell & unnachgiebig. Robert Habeck erläuterte stoisch die Überlegungen seines Plans, unser Land mit ausreichender Energie zu versorgen. Sandra Maischberger ließ die Erläuterung  nicht gelten: ein Plan sei kein Versprechen. 

Natürlich enthält ein Plan ein zumindest implizites Versprechen. Sandra Maisberger dachte nicht nach. Was wollte sie wissen? Wollte sie überhaupt etwas wissen? Offenbar nicht. Sie wollte ihn überwältigen und zu einem Geständnis zwingen.  

Irgendjemand muss ihr irgendwann gesagt haben, dass effektiver Journalismus in der verständnislosen und erbarmungslosen Konfrontation besteht. Depotenziere den Politiker! Zeig' ihm, was eine Harke ist! Wir sind objektiv! Jemand in der A.R.D., mächtig genug, diese Politik auszugeben, hat den journalistischen Auftrag gründlich missverstanden und lässt die Unkultur des Anrempelns pflegen.  

Die Sendung kann in der Mediathek der  A.R.D. bis zum 11.10.2024 aufgerufen werden.


 

 

Mittwoch, 11. Oktober 2023

Der Qualitätsjournalismus träumt nach nach der Wahl in Hessen am 8.10.2023 vor sich hin

Die AfD ist im kommenden hessischen Landtag gut vertreten. Was kann man machen? Carsten Knop, der Schlauberger der Frankfurter Zeitung für die klugen Köpfe, schlägt eine Deutschland-Koalition vor  (Ausgabe vom 11.102023, S.1) - bestehend aus der Union, der SPD und der FDP. Deren Protagonisten brauchten sich dann nicht mehr mit den Abgeordneten von der AfD herumzuschlagen; die wären dann gewissermaßen sprachlos. Und was ist mit den Abgeordneten der Grünen? Carsten Knop: "Man könnte Abstand nehmen von der in weiten bürgerlichen Kreisen inzwischen verhassten Politik der Grünen, man könnte sich pragmatischer auf Wirtschaftsthemen konzentrieren, welche die Wähler mindestens so sehr bewegten wie die Migrationsfrage. Doch auch bei diesem Thema würde man in dieser Runde wohl eher zusammenfinden".

Frage: in weiten bürgerlichen Kreisen verhasste Politik - woher weiß Carsten Knop das? Wie groß sind die Kreise und und wie groß ist der Hass? Er weiß es nicht. Er blufft mit seiner Behauptung. Der Hass ist nicht untersucht - wie auch? So sät man Zweifel und diskreditiert die grüne Politik der Dringlichkeit. Ich hatte in meinen Blogs vom 18.4.2023 und vom 14.7.2023 vermutet: unsere jetzige Regierung soll scheitern. Carsten Knop (*1969) ist der Mann, der vom Projekt des Scheiterns tagträumt und seinen Beitrag leistet.