Freitag, 30. Oktober 2020

Angela Merkels pandemischer Dreiklang: "geeignet", "notwendig" und "verhältnismäßig". Wie klingt er?

 Geeignet, notwendig und verhältnismäßig nannte unsere Bundeskanzlerin am 28.10.2020 in ihrer Rede im Bundestag die Politik ihres Managements der Pandemie. Drei Adjektive zur Straffung ihres Arguments gemäß ihrer vertrauten Unlogik des Alternativlosen bot sie auf. Ob die angeordneten Interventionen  zur weitreichenden interaktiven Immobilität die Inzidenzzahlen ausreichend reduzieren, ist offen. Ihre Wirksamkeit und Angemessenheit müssen sich erweisen. Angela Merkel liebt es nicht, ihre komplexen Entscheidungen gut zu begründen. Sie liebt die vertrauensselige Ansprache (Sie kennen mich) und die unscharfe, großmütterliche Ermahnung (Es ist ernst. Nehmen Sie es auch ernst), die so handlungsleitend ist wie der Appell Pass auf dich auf! Fahr vorsichtig! Am 2.11.2020 sagte sie: "Ich glaube in der Demokratie an die Kraft der Vernunft und der Verantwortung". Bravo. Ein Satz für die Ansprache zu Festtagen.

Fünfundsiebzig Prozent der Kontakte müssen unterbrochen werden, ist die vage Grundidee der vom 2.11. an geltenden Beschränkungen unserer Lebensbewegungen im Alltag. Wieso Fünfundsiebzig Prozent? Wo kommt diese Zahl her? Sind es die drei Viertel ungeklärter Infektionen? 

Wie kann man menschliche Kontakte unterbrechen? Interaktive Kontakte sind keine elektrischen Kontakte. Unsere Kanzlerin hat offenbar ein technisches Verständnis. Das Problem beginnt mit dem Wort Kontakt. Es hat in unserem Sprachgebrauch seine interaktiven Konnotationen verloren. Das lateinische contactus bedeutet: Berührung, Ansteckung, Einfluss. Das ist eine Palette von Beziehungsformen. Wie werden sie gestaltet und reguliert? Was ist ihre jeweilige Bedeutung? Es gibt unpersönliche, kollegiale, freundschaftliche und verwandtschaftliche Beziehungen unterschiedlicher Qualität und Geschichte. Was und wie viel steht auf dem Spiel, wenn man sich begegnet?  Menschliche Kontakte kann man nicht unterbrechen - man muss sie gestalten. Vermeiden kann man sie auch nicht ohne weiteres - man muss sich zumindest verabreden, sich nicht zu begegnen.

 Wie kriegt man das hin, wenn die Gesichtsmaske aufgesetzt und Distanz gewahrt werden muss? Das Aufsetzen und Zurückweichen sind Scham-besetzt, muss man vermuten; man quält sich, ziert sich, fürchtet, den oder die andere zu kränken, schief angesehen oder verachtet zu werden. Wir leben von und in unseren Beziehungen. Und jetzt sollen wir sie weiter systematisch  (und wahrscheinlich langfristig) verfremden? 

Davon abgesehen: Das Problem ist, dass nur ein gutes Viertel der Infektionen bislang rekonstruiert werden konnte - das heißt, es ist nicht ausreichend bekannt, wie und wo die Leute sich mit dem Covid -19-Virus ansteckten. Man weiß es sehr ungefähr: auf Familienfeiern, Großereignissen, geselligen Anlässen in geschlossenen Räumen, unter bestimmten Arbeitsbedingungen wie in der Fleischfabrik in Rheda-Wiedenbrück. Was ist mit den  anderen Interaktionen  im Alltag? Wie verlaufen da die Wege der Infektionen? Wie verlaufen überhaupt die Wege der Infektionen? Erst wenn wir das genau wissen, können wir klug intervenieren. Umfangreiche, großzügige Forschung dazu wäre nicht schlecht; sie könnte unsere Lebenswirklichkeiten am Laufen halten.

Im Augenblick wissen wir einiges. Die Verbreitung des Virus setzt eine Annäherung und eine Interaktion voraus. Jemand  amtet das Virus aus, ein anderer atmet es ein. Eine Wolke Tröpfchen transportiert ihn vom Wirt zum Wirt. Wie groß muss die Wolke - die Viruslast - sein? Wissen wir nicht. Wie bewegt sie sich? Können wir überhaupt von einer Wolke sprechen? Ist auch unklar. Klar ist: jemand muss einen Verbund von Aerosolen in unsere Richtung befördern. Weshalb Abstand zu wahren eine gute, allerdings grobe Handlungsanweisung ist. Die zweite Handlungsanweisung betrifft die Maske. Sie systematisch in der Öffentlichkeit zu benutzen ist so klug - allerdings nicht so einfach -  wie den Sicherheitsgurt anzulegen. Der Sicherheitsgurt schützt vor den Folgen eines (statistisch) seltenen Autounfalls. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, eine infizierende Viruslast einzuatmen? Das wissen wir noch nicht. Weshalb eine unsichtbare, allgegenwärtige, mehr oder weniger große Bedrohung in unserer öffentlichen Diskussion kursiert und beunruhigt. Christian Drosten hat das mit dem Bild eines Zigarettenrauchers zu präzisieren versucht: langsam füllt sein Qualm den Raum; irgendwann haben die Anwesenden ihn in der Nase und können ihn sehen. Ähnlich konzentriert sich die Viruslast. Deshalb ist der  Raum ein ungünstiger Ort.   

Ob die geeigneten, notwendigen und verhältnismäßigen Interventionen geeignet, notwendig und verhältnismaßig sind, müssen wir sehen. Die Kanzlerin unternimmt ein Experiment - ohne es wirklich deutlich zu sagen. Wenn man unsicher ist, muss man zugeben, dass man experimentiert, um sich schlau zu machen. Offenbar folgen Politiker dem Missverständnis, Zweifel nicht äußern zu dürfen. Die Kanzlerin und ihre Kolleginnen & Kollegen sollten uns für die Ungewissheit des Experiments zu gewinnen und zu überzeugen suchen, die Plausibilität des Experiments erläutern und die Kritik am Experiment erörtern. Schließlich befinden wir uns in einer demokratisch verfassten Gesellschaft und können erwarten, dass wir einbezogen werden.  

Außerdem können wir erwarten, nicht mit rührseligen Trostformeln abgespeist zu werden. Die Wahrheit hilft. Weihnachten wird ein anderes Fest. Die Forschung braucht ihre Zeit. Die nächsten Jahre werden schwierig. Ein happy ending ist nicht zu erwarten. Die Pandemie kriegen wir nicht besiegt. Naturkatastrophen kann man nicht bekämpfen; man kann nur die Folgeschäden reparieren. Die Natur siegt immer. Die Erderwärmung nimmt uns in den Griff. Wir werden zur Kasse gebeten. Mir graust vor der Hitze. Da hilft keine Maske. Kein Rückzug. Wir werden eine gewaltige solidarische nationale wie internationale Anstrengung aufbringen müssen, um unsere Lebensformen (Lebenswünsche und Lebensentwürfe, kulturelle Teilhabe, Konsumieren, Reisen) zu modifizieren. Diese Pandemie kommt vermutlich nicht allein.


(Überarbeitung: 4.11.2020)

Donnerstag, 8. Oktober 2020

Der Bully D.J.T. kriegt, wonach er sich sehnt: mächtig eins auf die Nase

Donald John Trump stolpert vor sich hin. Er wackelt. Erst spottete er lang & breit über die Gefahr der Covid-19 Pandemie. Dann infizierte er sich und dankte kleinlaut vor einer Kamera und einem Mikrophon für die vielen condolences - seine Vokabel -  und erkannte die Gefahr des Virus - ohne ihn chinesisch zu nennen -  an. Dann pries er die Schule des Lebens - sein Wort -  und räumte seine Begriffsstutzigkeit ein. Dann ließ er sich mit Maske in seinem gepanzerten Kasten vor dem Krankenhaus auf & ab chauffieren und kassierte die Zuneigung seiner Wählerinnen und Wähler. Dann wurde er transferiert ins traute Heim, zog auf dem Balkon des Weißen Hauses seine Maske vom Gesicht und streckte den aufgespreizten Roger!-Daumen in die Welt-Öffentlichkeit. Dann setzte er die Ausgleichszahlungen für die in besondere Not geratenen U.S.Bürgerinnen und Bürger bis nach seiner Wiederwahl aus - im Klartext: wenn Ihr was kriegen wollt, müsst Ihr mich wählen. Dumm, dümmer, am dümmsten. Es gibt offenbar immer eine Steigerung. Der Mann folgt weiter den grenzenlosen, rabiaten Impulsen seiner Bedürftigkeit und hofft auf den Hammer, der ihn erlöst.