Sonntag, 16. Dezember 2018

Demokratie-Unverständnis - Journalismus-Lektüre (Beobachtung der Beobachter) (80)

Das Landgericht Augsburg ist zu dem Urteil gekommen: der Fahrer eines Golf erhält den Kaufpreis sowie die Zinsen des Betrags zurück - vermeldete die F.A.Z.  am 14.12.2018 (S. 24, Nr. 291). Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Der oder die Autorin der Meldung schrieb: "Diese Entscheidung ist nicht rechtskräftig". Er oder sie hat das zur juristischen Sprachregelung gehörende Adverb noch ausgelassen. Denn natürlich hat dieses Urteil eine gewisse Rechtskraft: es schärft zumindest die Argumente für oder gegen einen Einspruch und liefert die Vorlage für die Erarbeitung und für das  Aushandeln einer Sicht von Gerechtigkeit.

Im letzten Absatz der Meldung wagt sich der Autor oder die Autorin hervor. "Wie zu erwarten war", schrieb sie oder er, "wittern die Klägeranwälte nach der Entscheidung aus Augsburg Morgenluft. Sie erwarten, dass das Urteil eine Signalwirkung für weitere Fälle hat". Morgenluft: die Anwälte wittern ein Geschäft. Das ist sicherlich nicht falsch - auch Anwaltskanzeleien wollen gut leben -, aber dennoch schäbig: es ist ein tückischer, anti-demokratischer Vorwurf. Was ist mit der Frage der  Gerechtigkeit?  Wie soll ein Betrogener entschädigt werden? Und inwieweit soll Rücksicht auf den oder die Betrüger genommen werden? Oder werden sie geschont und nicht zur Verantwortung gezogen? Kennen wir diese Figur des Argumentierens nicht aus der Zeit nach 1945?

Neues von den Hütern der Heiligen Kuh: sie jammern und jammern und jammern(80)

"Hatz auf die Autofahrer", überschrieb  am Freitag, dem 14.12.2018, Holger Steltzner seinen Kommentar auf der ersten Seite der F.A.Z. zum Einspruch des Gerichts der Europäischen Union gegen den sogenannten Durchführungsrechtsakt der EU-Kommission, für Autos der Norm 6 Übergangsregelungen einzuräumen - sie müssen jetzt gründlich ermittelt und festgelegt werden. Ja, und was ist?

Erst einmal gar nichts. Es muss weiter nachgedacht werden. Die Verwaltungen von Brüssel, Madrid und Paris haben schon entschieden: die Pforten zur Einfahrt in die Städte werden für den Autoverkehr geschlossen oder stark reguliert geöffnet. Die Pläne liegen griffbereit. Wird nun zur Hatz geblasen? Wir hatten die Treibjagd, jetzt haben wir die Hatz. Warum diese Vokabel der Verfolgung?

Hatz ist ein schwerer Vorwurf und soll von der eigenen Verantwortlichkeit entlasten. Holger Steltzner schreibt: "Was die Umweltaktivisten hoffen und jubeln lässt, wäre für die große Mehrheit eine Katastrophe. Die meisten sind auf das Auto angewiesen, sie haben den Versprechen der Hersteller geglaubt und Politikern vertraut, die der individuellen Mobilität das Wort redeten, gleichzeitig aber den Ausbau des öffentlichen Nachverkehrs auf die lange Bank schoben. Wem können die Autofahrer noch trauen? Was sollen Millionen Pendler tun?"

Erstaunlich, dass Holger Steltzner so kitschig argumentiert. Glauben & Trauen: ?  Seit wann sollen wir wie Kinder aufschauen und uns keine eigenen Gedanken machen? Seit den 1970er Jahren ist ziemlich klar: unsere Ressourcen gehen zur Neige.  Damals wurden tatsächlich kleine Autos gekauft. Diese Haltung wurde aber wenig später aufgegeben. Während andere Länder die freie Fahrt in einer Demokratie anders verstanden, legten wir erst richtig los. Seit den 1990er Jahren liegt die Literatur zur bedrohlichen Erderwärmung vor. Kann man seitdem noch unbeschwert ins Auto steigen? Und so fahren, wie man glaubt, fahren zu können? Seit Jahrzehnten werden andere Formen der Mobilität diskutiert. Seit Jahrtzehnten wird die Vorfahrt für das eigene Automobil verbissen behauptet. Holger Steltzner, der die Sorgen der Millionen Pendler im Blick zu haben vorgibt, ist der Propagandist des immobilen Status quo. Ob sich  nicht viele Sorgen der Millionen Pendler von einem vernünftig organisierten, großzügigen Öffentlichen Verkehr ausräumen lassen? Statt zu jammern sollten die Wege zur Arbeit präzise erforscht werden.

Donnerstag, 6. Dezember 2018

Gemerkel 8: Hilflosigkeit im Quadrat

Die EU zerbröselt, die Bundesrepublik zerbröselt, der anspruchsvolle Plan der deutlichen Reduktion der Klima-schädlichen Abgase ist zerbröselt - das planlose Ausrufen der drastischen Transformation der Energieversorgung und die naive Idee, eine Millionen-starke Flotte von Fahrzeugen mit Elektroantrieb anordnen zu können, ohne gründlich über andere Formen der Mobilität nachdenken zu können/müssen; die verquere, halbherzige Europa-Politik der letzten acht Jahre: langsam wird der Preis dieser Kanzlerschaft deutlich.

It's only money. "Berlin gibt fast zwei Milliarden Euro zur Verhinderung von Fahrverboten", titelte die Zeitung für die klugen Köpfe (4.12.2018, S.1). Grund, sich zu freuen? Ja doch, meint Jasper von Altenbockum in seinem Kommentar auf der ersten Seite, den er mit unverhältnismäßig überschrieben hat.

Was ist unverhältnismäßig? "Die Farce einer ideologischen Treibjagd auf Industrie, Politik und Autofahrer", schreibt er. Endlich handele die Kanzlerin dagegen. Schon wieder eine Treibjagd - der Journalist kommt ihrer (kürzlichen) Wortwahl entgegen. Treibjagd ist der (projektive) Ausdruck des schlechten Gewissens und der Lähmung. Natürlich sind's die anderen. Wir lassen's einfach weiter laufen. Solange das Geschäft läuft, läuft's. Irgendwer wird schon irgendwie eingreifen. Vor 77 Jahren waren es die allierten Streitkräfte. Die fallen jetzt aus wegen eigener Überbeschäftigung.