Donnerstag, 30. April 2020

Die "Tagesthemen" am 27.4.2020: Matchball für VW. Es spielten auf dem öffentlichen Viereck: Ingo Zamparoni und Herbert Diess

"Welche innovative Idee kommt denn von Ihnen jetzt?" war Ingo Zamparonis erste Frage an Herbert Diess, den Konzernchef von Volkswagen. Kein freundlicher Auftakt. Das Adverb denn ist eine Kränkung. Den damit verbundenen Subtext kennen wir: Was willst du denn, duuu... ? Die Frage lässt einen vor den sprichwörtlichen Koffer laufen. Ingo Zamparoni versuchte, wie im Tennis mit einem Ass-Aufschlag den ersten Punkt zu machen. Welche innovative Idee kommt denn von Ihnen jetzt? heißt übersetzt: Was wollen Sie? Ihnen fällt doch nichts Neues ein. 

Machte Ingo Zamparoni seinen ersten Punkt?

Nein. Der Mann aus Wolfsburg hatte sich vorbereitet; er war gewappnet. Er wußte: dieses Gespräch ist kein Gespräch, sondern Werbung für seinen Konzern. Die Zukunft von Volkswagen ist unsicher. Die Attraktivität des Autos als Statusausweis und als Transportmittel bröselt. "VW strebt an, bis 2025 global führend in der Elektromobilität zu werden", sagte er vollmundig  2019 (s. meinen Blog von 5.3.2020 VW und sein Batterielieferant Samsung). Die Kosten des massiven Betrugs sind noch nicht abgetragen. Die Verfahren stehen noch aus. Die riesigen Investitionen des  Konzerns in die Infrastrukturen der künftigen Produktion, die gewaltige Anstrengung des Ausbaus und der Integration der digitalen Technik in die Praxis des Autofahrens sind angesichts der unklaren (globalen) Marktchancen der elektrisch angetriebenen Modelle und der Veränderungen der Mobilität  wie ein ungedeckter Scheck auf die Zukunft. Der langfristige Einfluss der Corona-Pandemie ist nicht abzusehen. Herbert Diess stand mit schwerem Gepäck vor der Kamera.

Er antwortete: "Ja, ich glaube, dass wir dringend ein Konjunkturprogramm brauchen. Das Automobil bietet sich an. Es hängen viele Arbeitsplätze dran. Wenn Autos verkauft werden, geht die Bestellwelle los und setzen ein ganzes System in Bewegung. Arbeitsplätze beim Handel, beim Hersteller, beim Zulieferer sind gesichert. Dann natürlich die Materialketten. Stahl, Kunststoff und der Maschinenbau bekommt neue Aufträge".

Das Automobil bietet sich an, sagte Herbert Diess. Er gab keine Antwort auf die Frage. Er sagte indirekt: Es bleibt alles beim alten. Er pflegte die Taktik der Untertreibung. So ein Satz Das Automobil bietet sich an, muss man vermuten, fällt einem vor der Kamera bei einem Millionenpublikum nicht ein. Über diesen Satz haben einige Leute intensiv nachgedacht. Der Satz gibt Auskunft über die Strategie der Leute von VW: Keine Forderung stellen! Sich nicht einlassen auf die Existenzsorgen des Konzerns! Sich für eine Rettung anbieten!  Herbert Diess retournierte Ingo Zamparonis Aufschlag. Das Automobil bietet sich an. Dagegen kann doch niemand etwas haben.

Dagegen kam der Mann von den Tagesthemen nicht an. Ingo Zamparoni bekam alle Bälle zurück. Er machte den Versuch, auf einer Forderung von Fahrzeugen mit Klima-freundlichen Antrieben zu bestehen - er sagte nicht, welche. Herbert Diess antwortete mit freundlicher Zustimmung und verwies auf die kommende, wenige Schadstoff ausstoßende Modellstaffel. Das Automobil bietet sich an. Ingo Zamparoni sprach ihn  auf die geplanten Gewinn-Ausschüttungen und auf den Widersinn von Dividenden und staatlicher Unterstützung an. Nun ja, natürlich, so Herbert Diess, geht es auch darum, "das Geld auch zu verteilen. Viel davon geht auch an den Staat zurück".

Hinsichtlich des Kurzarbeitergeldes? Herbert Diess: "Das sind Beiträge, die wir einbezahlt haben, die Mitarbeiter und das Unternehmen, hälftig über 10 Milliarden. Wir haben davon wenig beansprucht. Und ich glaube schon, dass es in solchen Krisenzeiten erlaubt sein muss, auch Kurzarbeitergeld zu beanspruchen". Wer sagt's denn. It's only money. Geld ist genug da. Wir verbrennen Milliarden. Wir beanspruchen Milliarden. Wir haben Anwaltskosten in Milliardenhöhe. Geld spielt keine Rolle. Die Großspurigkeit der deutschen Herren. Leider war Ingo Zamparoni miserabel vorbereitet. Er wandte sich der Aufnahme der Produktion zu. "Ja, wir versuchen, die Krise bestmöglichst zu meistern", so Herbert Diess. "Wir stehen auf der Bremse beim Geldausgeben, bereiten uns auf den Wiederanlauf vor. Aber das ist natürlich auch ein Grund, dass wir sagen: Wir müssen jetzt die Wirtschaft in Bewegung bringen. Und eine Absatzhilfe für Autos würde dabei sehr gut dabei helfen".

Ingo Zamparoni: " Sagt der Konzernchef. Vielen Dank für dieses Gespräch, Herr Diess".
Herbert Diess: "Ich bedanke mich". Das war ein ironisches Ass.

Was sagt uns dieser Gesprächsversuch? Das Automobil bietet sich an war die  mehrfach wiederholte Formel des für Volkswagen unnachgiebig drängenden Konzernchefs. His offer you can't refuse.  Ingo Zamparonis naive Technik der direkten (kränkenden) Konfronation brachte den Konzernchef nicht von seiner Linie ab; lächelnd spielte er mit der Routine des von vielen Trainern gut eingeübten, freundlichen Zustimmens seine Punkte zusammen. Man bekommt eine Idee von der Macht  des Wolfsburger Konzerns.

(Überarbeitung: 1.5.2020)


Mittwoch, 29. April 2020

Covid-19 und die idolisierte und verachtete/gefürchtete Position von Wissenschaft

Wissenschaftlich ist in unserer öffentlichen Diskussion ein Adelsprädikat, Wissenschaftlichkeit ein Fremdwort. Eine wissenschaftliche Studie geht mit ihren Befunden häufig einfach durch, die Qualität ihrer Wissenschaftlichkeit gilt unbesehen. So erhalten beispielsweise Meinungsumfragen enormes Gewicht; mit den durch die  Sonntagsfrage der A.R.D. ermittelten Prozentanteilen der Bundesparteien besetzen die Leute von den Tagesthemen die Agenda der öffentlichen Aufgeregtheit. Die Art und Größe der Stichprobe, die Kennzeichen der Repräsentativität, die Formulierung der einzelnen Fragen, den Typus der Befragung (offen oder standardisiert, Dauer, telefonischer oder direkter Kontakt, Quote der Verweigerung) erfahren wir nicht - eine Chance, deren Wissenschaftlichkeit selbst abschätzen zu können, bekommen wir nicht. Eine Umfrage ist eben eine wissenschaftliche Umfrage.

Seit einigen Jahren beobachte ich den inflationären Gebrauch des Begriffs Theorie. Sie taucht in vielen Kontexten auf und hat viele Konnotationen. Eine Theorie kursiert in Schrumpf-Form als: Gerücht, Behauptung, begründete oder unbegründete Vermutung, Hypothese. Nur nicht als Theorie. Gegenwärtig hat die Verschwörungstheorie Konjunktur. Was ist eine Verschwörungstheorie? Ein beklopptes Wort. Ursprünglich, wenn ich mich richtig erinnere, ironisch gemeint, ist der spöttische Klang verschwunden; jetzt ist es salonfähig geworden. Was verbirgt es? Den mehr oder weniger monströsen Verdacht eines Schlaumeiers. Den aufgeblasenen Testballon eines Intriganten. Die aggressiv aufgeladene Projektion eines verbohrten Übellaunigen nach dem vertrauten Motto: Haltet den Dieb! Wenn der Begriff der Theorie vom kursierenden Sprachgebrauch so planiert wird, leidet das Bild von Wissenschaftlichkeit.

Das konnte man letzten Sonntag (28.4.2020) in der Sendung Anne Will beobachten, als der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet und der Partei-Vorsitzende der Freien Demokraten Christian Lindner über die willkürliche Expertise einiger Virologen und Epidemiologen klagten und damit Auskunft gaben über ihr Missverständnis von Wissenschaftlichkeit und über ihr arrogantes Herrschaftsgebahren über die Wirklichkeit: sie soll einfach und zweifelsfrei sein. Von Komplexität wollten die Herren Laschet und Lindner nichts wissen. Sie sind die Getriebenen bedrängender Interessen. Weshalb sie von Wissenschaftlern  Zuarbeit - sprich: Unterwerfung verlangten , aber nicht Verständnis der Wirklichkeiten. Die im Grundgesetz verbriefte Freiheit der Forschung (Artikel 5) war ihnen zuviel oder zu schwer auszuhalten. Dabei sind die Korrekturen und Revisionen der (plausibel und gut) begründeten Vermutungen und Hypothesen der Epidemiologen und Virologen gerade Ausdruck ihres kontrollierten, konzeptgeleiteten wissenschaftlichen Vorgehens in den verschiedenen Phasen des verunsichernden Nicht-Wissens vom Verlauf des pandemischen Prozesses.

Kann sich ein Laie auch schlau machen? Sie oder er kann. Voraussetzung ist: die Erläuterungen der Fachleute aufnehmen und nach dem Gefühl für Plausibilität und Evidenz abschätzen.  Einfache, grelle Bilder als Übersetzungshilfen für die Komplexität machen mich misstrauisch. Christian Drostens geduldige, ausführliche Erläuterung und Übersetzung der Struktur des Viruses - Beispiel: 30.000 Basen-Paare des Genoms lassen sich auslesen und identifizieren (2. Podcast) - , seine penible, systematische Lektüre der aktuellen, internationalen Forschungsliteratur waren und sind Werbung für sein Fach und Ausweis seines wissenschaftlich begründeten Vorgehens.  Inzwischen liegen die Podcasts des N.D.R. mit Christian Drosten auch transkribiert zugänglich vor. Eine strapaziöse, lohnende Lektüre. Ich empfehle sie als Pflichtlektüre.      


Die Gesichtsmaske und der Sicherheitsgurt

Vor 50 Jahren hatten wir eine ähnlich laute, allerdings nicht so tief beunruhigte Aufgeregtheit der öffentlichen Diskussion. 1970 war das Jahr der gut 19.000 tödlich verunglückten Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer. Die Bundesregierung  unternahm zwei Schritte: die Einführung einer Geschwindigkeitsbegrenzung und die Einführung einer Anlegepflicht von Sicherheitsgurten. Der öffentliche Aufschrei hallte durch die Republik. Er war enorm. Die Geschwindigkeitsbegrenzung auf Landstraßen (100 km/h) wurde gegen Riesen-Getöse durchgesetzt, auf Autobahnen nicht - offenbar für politischen Mut: unmöglich. Die Kompromißlösung war die Empfehlung von 130km/h. Der Sicherheitsgurt war äußert unbeliebt. Eine Minderheit votierte für das Anlegen des Gurtes. Die Mehrheit lehnte es ab. Das Gurtanlegen setzte eine Anstrengung voraus: weil der Gurt vor den gravierenden Folgen eines Unfalls schützen sollte, musste er mit der Überzeugung einer Unfall-Möglichkeit angelegt werden. Mit der Anstrengung, diese Vorstellung aufzubringen, zeigten die Motivstudien zum Anlegen, stieg man damals ungern in sein Fahrzeug - sie ging einem buchstäblich gegen den Strich der Freude am Fahren.

Der Gesetzgeber führte die gesetzliche Anlegepflicht Mitte der 70er Jahre ein; die versäumte Pflicht wurde nicht sanktioniert. Anfang der 80er Jahre wurde ein Bußgeld erhoben; seitdem wird die Anlegepraxis kontrolliert und gegebenenfalls geahndet. Damals setzte sich der Gesetzgeber gegen die Ablehnung der Mehrheit durch. Er hatte die Unfallforschung gewissermaßen auf seiner Seite. Der australische Staat Victoria hatte die wissenschaftliche Vorarbeitet geleistet: der Sicherheitsgurt reduzierte dort für die Autofahrerinnen und Autofahrer äußerst effektiv die Unfallfolgen. Victoria wurde für die westdeutsche Verkehrspolitik zum Vorbild. Das Anlegen wurde bei uns zur Selbstverständlichkeit. Das Tempolimit bleibt dagegen unsere Heilige Kuh, deren Bewegungsspielraum bislang keine Regierung anzutasten wagte.

Jetzt haben wir die Pflicht, in den öffentlichen Räumen der Geschäfte und des Nahverkehrs eine Gesichtsmaske anzulegen. Ihre Schutzfunktion ist umstritten. Die Forschung favorisiert den Gebrauch der Masken. Was wollen wir mehr? Offenbar die Gewissheit des Nicht-Zweifeln-Müssens. Dabei sind wir, wie wir jetzt wieder erfahren, vor Überraschungen nicht sicher: im Leben geht viel daneben. Diese Lebenserfahrung ist trivial. Man muss sich dennoch regelmäßig dran erinnern. Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste, lautet eine unserer vielleicht abgedroschenen, vergessenen Alltagsweisheiten. Im Flugverkehr  - der im Augenblick allerdings nicht verkehrt -  ist sie noch immer die Regel und hat sich bewährt. Erstaunlich, nicht? Dort war auch das Anlegen des Gurtes keine Frage. Die mütterliche Konnotation der Alltagsweisheit sollte uns nicht bockig machen. Die Covid-19 Pandemie lehrt uns die Vorsicht und die Notwendigkeit, unsere Lebensformen zu überdenken. Wer auf Sicht fährt, wie die Berliner Politiker ihr tastendes Entscheidungs-Tempo hinsichtlich der Pandemie umschreiben, muß langsam fahren und behutsam steuern.


Mittwoch, 22. April 2020

Angela Merkels "Öffnungsdiskussionsorgie" - ihr Aufschrei der Überlastung



Die Covid 19-Pandemie zwingt zur Inventur unserer demokratisch legitimierten Lebensformen, erfordert eine schnelle Abstimmung und Zustimmung zu den staatlich verordneten Interventionen und verlangt ein solidarisches Engagement. Unsere Kanzlerin muss das Paket einführen, erläutern und behaupten. Die Pandemie lässt wenig Zeit. Wer den Clint Eastwood-Film Sully (U.S.A. 2016) kennt, weiß: Flugkapitän Chesley Sullenberger hatte gut 200 Sekunden Zeit, seine Entscheidung der Wasser-Notlandung auf dem Hudson zu treffen, zu prüfen und zu realisieren. Mit seinen Fluggästen hätte er über andere Ideen und Vorschläge schlecht diskutieren können.

Nun ist Angela Merkel nicht Chesley Sullenberger. Sie hat es nicht ganz so eilig. Aber ihren verabredeten Kurs diskutiert, relativiert und sich bedrängt zu sehen - kann sie offenbar schlecht ertragen. So verstehe ich ihre Formel von der Öffnungsdiskussionsorgie (ihrer Ministerpräsidenten und Ministerpräsidentinnen)  - als ihren (berechtigten)  Aufschrei der Überlastung angesichts der Ungeduld mancher Kolleginnen und Kollegen, das Experiment der Bewegungs-Einschränkungen durchzuhalten und dessen Auswertung abzuwarten. Bislang genügte ihr Hinweis auf die Alternativlosigkeit (die ein Missverständnis der Alternative war) oder auf ihre Kränkbarkeit, um ihre Politik durchzusetzen - aber jetzt sind die Not und die Beunruhigung über die pandemischen Ungewissheiten enorm: äußerst schwer erträglich.  Ihr Es ist ernst. Nehmen Sie es auch ernst ist zu wenig - für die Diskussion der Abschätzung und für die Kommunikation der möglichen Vernichtungsspur, die die Pandemie in unserem psychosozialen Gefüge zu hinterlassen droht.

Dienstag, 21. April 2020

Jens Spahn, Jürgen Habermas und Christian Drosten: Kommunikationsformen über Covid-19

Gesundheitsminister Jens Spahn bilanzierte am Freitag, dem 17.4.2020, auf der Pressekonferenz zusammen mit Lothar Wieler vom Robert Koch-Institut:
"Der Ausbruch ist, Stand heute, wieder beherrschbar und beherrschbarer geworden".
Die gute Nachricht: der Infektionsfaktor ist (statistisch) kleiner als eins geworden. Ist die Pandemie deshalb wieder beherrschbar und beherrschbarer geworden? Wohl kaum. Das Verbum beherrschen impliziert das Gefälle eines Machtverhältnisses. Zu einem Virus, der einen natürlichen Prozess unterhält, gibt es kein Machtverhältnis: wenn wir gut ausgerüstet sind, sind wir entweder ausreichend immunisiert oder wir können uns immunisieren (lassen). Soweit sind wir noch lange nicht. Das müsste Jens Spahn wissen. Er steigert das Adjektiv beherrschbar in beherrschbarer. Ich nenne das den kalmierenden Komparativ: die Technik der Beschwichtigung. Jens Spahn glaubt, uns mit einer Illusion einlullen zu müssen. Er steht offenbar unter immensem Druck und versucht, sich mit einem heiklen Manöver zu entlasten.

Jürgen Habermas sagte am 10.4.2020 in der Frankfurter Rundschau (https://www.fr.de/kultur/gesellschaft/juergen-Habermas-coronavirus; abgegriffen am 13.4.2020, 12:52):
"So viel Wissen über unser Nichtwissen und über den Zwang, unter Unsicherheit handeln und leben zu müssen, gab es noch nie".
Diese Unsicherheit ist nicht neu. 1985 kam Jürgen Habermas mit dem Suhrkamp-Büchlein Die neue Unübersichtlichkeit heraus. Damit war er nicht weit von heute entfernt. Von Niklas Luhmann stammt die Faustregel: Wissenschaft erzeugt ebenso Wissen wie Nichtwissen. Der Fortschritt schreitet nicht einfach fort. Die Erfahrungswissenschaften erzeugen keine Beton-festen Gewissheiten, sondern vorläufige Annäherungen an die Wahrheiten von Wirklichkeiten.  Normalerweise werden die Grenzen des wissenschaftlich generierten Wissens  verschwiegen. Man muss sich nur die robuste Politik von Wissenschaft vor Augen halten:  Aquisition (von Forschungsgeldern) betreiben, Macht gewinnen, Ungewissheit vertreiben. Wissenschaft, in ein paar Minuten in den Tagesthemen und in anderen, ähnlichen Programm-Sparten des Fernsehen verkündet, soll zum guten Schlaf beitragen.  Das Adverb nie liegt außerhalb der Reichweite seiner Erkenntnismittel; es sollte nicht zum Wortschatz eines Sozialwissenschaftlers gehören - Jürgen Habermas nähert sich dem Trost-Kitsch.

Das Antidot dazu ist  Christian Drosten, den der Radiojournalist Adrian Feuerbacher  und die Radiojournalistinnen Korinna Henning, Katharina Mahrenholz und Anja Martini zu dem N.D.R.-Podcast-Projekt einluden, zur Covid-19-Pandemie virologische Theorien und Forschungspraxen sowie epidemiologische Konzepte ausführlich in einem unaufgeregten, nicht bedrängenden Gesprächsrahmen zu erläutern. Das war ein glänzender Einfall und ein Glücksgriff in einem. Christian Drosten vertritt das Ideal der redlichen und nüchteren Wissenschaftlichkeit; an der Korruption durch den Glamour  der Aufgeregtheit ist er desinteressiert. Das Format des Podcast genügt ihm. Das zehnköpfige Team des Senders unterstützt ihn in seinem Engagement, ein angemessenes, realistisches Bild des Virus und des pandemischen  Prozesses zu zeichnen, und stellt die Texte der Gespräche mit einem Schlagwort-Register zur Verfügung. Inzwischen wurde Christian Drosten mit dem Sonderpreis für herausragende Kommunikation der Wissenschaft in der Covid 19-Pandemie von der Deutschen Forschungsgemeinschaft und des Stifterverbandes ausgezeichnet (F.A.Z., 21.4.2020, S. 9). Eine Auszeichnung, die wir feiern sollten. Die Mannschaft der Hamburger Radioleute sollten wir einschließen. Ein Hoch auf alle Beteiligten!