Donnerstag, 8. Juli 2021

"Impf-Müdigkeit" und "Impf-Schwänzen": ??!! Zum Karussell der öffentlichen Vorwürfe

Die Impfpraxis ist eingerichtet, wird aber nicht in dem Ausmaß aufgesucht wie erhofft, erwartet und geplant; zudem werden die vereinbarten Termine fürs Impfen hier & da (das Ausmaß ist unbekannt, wird aber beklagt, verspottet und scharf kritisiert) nicht wahrgenommen. Die in der Öffentlichkeit zur Verständigung über dieses unklare, vermeintlich unverständliche Verhalten kursierenden Beschreibungen lauten: Impf-Müdigkeit und Impf-Schwänzen. Das sind Vokabeln des Vorwurfs und des Spotts, die den Subtext kommunizieren: die Leute sind lahm, faul und aufsässig. Man kann den Vorwurf & den Spott zurückadressieren: an die Akteure der öffentlichen Diskussion, die sich  einmal keine Mühe geben, die Leute, die nicht wie erwartet in die Impf-Praxis strömen, zu verstehen, und die andererseits ihr eigenes, nicht zugestandenes Unverständnis wegbluffen

Ein Beispiel ist die paradigmatische Empfehlung tiefen Unverständnisses: Es ist ernst. Nehmen Sie es ernst. Wie nimmt man etwas ernst, das man nicht sehen kann? Was kann man machen? Kämpfen lautet die andere tiefgründige Empfehlung. Wie soll man kämpfen, wenn der/die/das Gegner mikroskopisch klein ist? Andererseits wird vom Virus gesprochen, als wäre es ein Riesen-Subjekt: allgegenwärtig, allmächtig und enorm schlagkräftig. Wo kommt es her? Wie weit ist es verbreitet? Wie verbreitet es sich? Und wie kann es sich verändern? Wieso in  diesem oder jenem Tempo? 

Fragen über Fragen. Wer schaut durch? Ganz wenige Fachleute. Von denen wiederum einige  sich trauen, sich in den öffentlichen Diskussionen zu bewegen und die Komplexitäten ihres Faches zu erläutern und zu übersetzen. Das aber ist eine enorme Arbeit - die jeder kennt, der versucht, Kompliziertes einfach zu sagen. Das Einfache ist eben nicht einfach. Was einfach klingt oder aussieht, ist das Produkt einer enormen Anstrengung. Der NDR Podcast mit  Sandra Cisek und Christian Drosten ist ein Beispiel für die Anstrengung des Übersetzens. Inzwischen ist er (doch) so kompliziert geworden, dass ich froh bin, wenn meine Frau, die Ärztin ist, mithört und mir Nachhilfe gibt - die, wie früher in der Schule, (etwas) hilft, aber nicht ausreicht.  Sollte man das Fach studiert haben? Wäre nicht schlecht. Aber so viel kann man nicht studieren. Wir müssen die Arbeitsteilung pflegen.

Die Pandemie lehrt auch: wir sind auf redliche Fachleute, die die Grenzen ihres Faches markieren, angewiesen. Wir sind wieder  mit unserer Unkenntnis - (mehr oder weniger) in der Schule: zurück in den Zeiten der ärgerlichen Ohnmacht über das eigene Unverständnis wie der (wütende) sprichwörtliche Ochs vorm Berg, der nix oder zu wenig begreift. Aber die Pandemie lehrt auch : wir sind auf gute Vermittler, die auch Fachleute sind, angewiesen. Das (häufige: so weit ich das mitbekommen habe) journalistische oder politische Geklapper  mit den populären Klischees, schiefen Bildern und den unverantwortlichen Trost-Formeln vom Ende des Tunnels (der Pandemie) oder der Wiederkehr zur Normalität hilft nicht, sondern verwirrt nur, verunsichert, macht ärgerlich, wütend und bockig. Die Freunde des öffentlichen Klapperns sollten sich an Ludwig Wittgenstein orientieren, von dem die Empfehlung stammt: wovon man keine Ahnung hat, sollte man nicht sprechen. Redlichkeit tut gut.  


(Überarbeitung: 1.10.2021)


 

Donnerstag, 1. Juli 2021

Der Hitze-Dom, der Regen, der Fußball und das Delta

An der U.S.-amerikanischen Wesküste steigen die Temperaturen bis in den Norden auf tropische Höhen. Ein Alptraum, dem man nicht entkommen kann.  Derweilen trommelt die  Arizona Alliance for Golf, ihren Sport zu schützen. Der Regen kommt bei uns in Sturzbächen nieder. Die Europameisterschaft wird in gut besuchten Stadien ausgetragen. Das Delta-Virus beginnt,  die Infektionszahlen zu dominieren. Es ist wie beim Fahren im Nebel mit der Frage: Verzögern oder Weiterfahren wie bisher? Es dauert meistens eine Weile, bis man sich zum Abbremsen entschieden hat. In Wirklichkeit ist es ein Kampf um die Einsicht in die Realität des Nebels...es kann doch nicht sein, dass...es geht schon gut. Nein, es geht nicht gut. In Bill McKibbens neuestem Blog in der Zeitschrift  The New Yorker heißt es: die Natur ist schneller als wir - wir hinken hinterher. Fußball zu gucken ist einfach zu schön, um wegzugucken. Ich gucke auch und reihe mich ein in die Reihe der selbstvergessenen Bekloppten, die nicht glauben können, was vor ihren Augen passiert. Von dieser Ambivalenz leben die Propagandisten der Sport-Geschäfte: sie fühlen sich bestätigt und sicher. Wie lange noch? Wenn wir nüchtern sind und uns umschauen: noch eine ganze Weile. Offenbar sind wir zu lange zuviel dressiert worden. Wer traut sich, der Vernunft (dem Verzicht) den Vorzug zu geben?