Montag, 27. März 2023

Regierungspolitik ist Parteienpolitik. Zu einer seltsamen Sprachpraxis. Die Rederunde "Anne Will" am 26.3.2023

Gestern, am 26.3.2023, in der A.R.D.-Sendung Anne Will. Anne Will fragte Konstantin Kuhle, den Vorsitzenden der Freien Demokraten Niedersachsen, zur Einstimmung: 

"Volker Wissing wollte, und das hat er zuletzt in Interviews immerfort und andauernd gesagt, Rechtssicherheit. Was hat die F.D.P. außer großen Ärger denn nun erreicht?" - Es geht um das Veto unseres Verkehrsministers Volker Wissing gegen das verabredete Verbot der EU, ab 2035 Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren nicht mehr zuzulassen, und um dessen Votum einer Ausnahme für Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren, die mit e-Fuels betrieben werden.

"Was hat die F.D.P. denn nun erreicht?", fragte Anne Will. Sie sprach nicht die Politik der  bundesdeutschen Regierung oder des bundesdeutschen Verkehrsministers an, sondern die Politik der  Partei der Freien Demokraten. Das ist journalistische Ausgebufftheit: Die Machtpolitik zählt, klar doch, die Sachpolitik ist das Vehikel; wer wird sich da Illusionen machen. Dass die Regierungsmitglieder ihren Eid auf ihr jeweiliges Amt leisten, nicht auf ihre Parteienzugehörigkeit - schließlich sind sie für das Deutsche Volk verantwortlich - : geschenkt. Wer wird das Grundgesetz so genau nehmen - Artikel 21: "Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit" - ja: die Willensbildung. Der Begriff ist wie weit gefasst? Das Volk soll adressiert/erreicht werden. Aber auch der oder die Wählerin? Wohl kaum.

Aber wer wird da schon penibel sein. Geschäft ist Geschäft. Und das Geschäft geht vor- Aber nett ist doch, wie Anne Will Robert Habecks Beschreibung, dass das (korrupte) politische Geschäftsinteresse den politischen Betrieb dominiert, bestätigt. Der öffentliche Aufschrei über den vermeintlichen Kontrollverlust des Wirtschaftsministers in der vergangenen Woche war Heuchelei. Robert Habeck gab zuviel Auskunft. Am Ende der Sendung Anne Will fand  Robert Habecks Wahrheit ihre Fürsprecher. Immerhin.

Freitag, 24. März 2023

"Habeck zeigt Nerven": das Beispiel eines bundesdeutschen dysfunktionalen Journalismus (Lektüre des Journalismus - Beobachtung der Beobachter 101)

"Habeck zeigt Nerven" ist die Überschrift des Kommentars von Julia Löhr in der Frankfurter Allgemeine Zeitung (24.3.2023, S. 17). Das Verbum zeigen gehört zum psychotherapeutischen und kommunikativen Jargon des Aufmunterns. Muster: Zeigen Sie Ihre Gefühle!  Geht das? Nein. Gefühle sind keine Dinge, die ich vorzeigen kann. Ich kann sie bestenfalls beschreiben und mitteilen. Das Verbum zeigen hat sich auch als naive Erkenntnistheorie etabliert: Am Zeigen des Gegenüber kann ich deren oder dessen emotionale Gestimmtheit ablesen. Muster: Mensch, bist Du wütend! Woher weiß ich,  abgesehen von seiner phänomenologischen Miskonzeption einer eindeutigen Kommunikation, dass ich das Zeigen, richtig deute? (s. meinen Blog vom 3.3.2011: Die Crux mit dem Zeigen)

Das weiß ich nicht. Ich vermute beim Gegenüber eine Gestimmtheit. Vielleicht ist es meine Gestimmtheit, die ich bei ihr oder ihm errate. Sie oder er müsste meine Vermutung bestätigen. Anders geht es nicht. Weshalb die Journalistin Julia Löhr nicht schreiben kann: "Habeck zeigt Nerven". Am Montag, dem 21.3.2023, hat Robert Habeck gegenüber Caren Miosga in den Tagesthemen Auskunft gegeben über die Disloyalität in der Regierungsarbeit: jemand hat ein noch nicht ausreichend geklärtes Regierungsprojekt weitergereicht, um es zu desavouieren. Robert Habeck  erläuterte den Vorgang:

"Hier ist der Gesetzentwurf an die BILD-Zeitung, und ich muss unterstellen, bewusst geleakt worden, um dem Vertrauen in die Regierung zu schaden, und insofern sind (unsere) Gespräche zerstört worden. Wahrscheinlich mit Absicht zerstört worden, des billigen taktischen Vorteils wegen. Deswegen bin ich ein bißchen alarmiert, ob überhaupt Einigungswille da ist. Es hat dem Vorhaben geschadet, es hat der Debatte geschadet, es hat dem Vertrauen in die Regierung geschadet. Und eine Regierung, die ihr Vertrauen verspielt, hat ihr größtes Pfund verloren. D.h. wer Transparenz so interpretiert, dass er andere Leute anschwärzt, zerstört das Vertrauen in die Regierung. Und das ist in diesem Fall passiert".

Frage der Modoratorin: "Bekommen Sie das verlorene Vertrauen wieder gekittet?"

Robert Habeck: "Davon gehe ich aus. Das Miteinander im Kabinett ist tadellos....es gibt ein gutes Einvernehmen. Wir können die Dinge ganz normal und ruhig bereden, aber wir kriegen sie nicht über die politische Ziellinie gebracht, weil dann immer wieder geschaut wird, wie ist der mediale Echoraum, was macht mein nächster Parteitag, wie hoch sind die nächsten Landtagswahlen. Eine Regierung ist ja nicht dem nächsten Parteitag oder den nächsten Landtagswahlen verpflichtet - sondern dem Land. Wir müssen uns auf uns selbst konzentrieren und klarmachen, welches Privileg es ist, in dieser Regierung zu sein, klarmachen, dass Klimaschutz eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist, dass es da keine Arbeitsteilung geben kann, dass einige quasi abgeschoben werden, diese Aufgaben zu erledigen, und andere es nicht tun. Und wenn das allen klar ist, kriegen wir auch eine gute Lösung hin. Dann werden Sie sehen, dass wir in den nächsten Wochen reihenweise Gesetze verabschieden, weil die ja alle schon geschrieben sind und quasi beschlussreif und fertig".

Frage der Modoratorin: "Haben Sie den Glauben, dass Sie in dieser Koalition beim Klimaschutz wirklich noch etwas erreichen?"

Robert Habeck: "Wir haben also viel erreicht. Und das ist in der gleichen Koalition gewesen - nur in dieser Koalition war es möglich. Ohne jetzt nachtreten zu wollen - , dass wir so einen Aufholbedarf haben, dass weder der Netzausbau noch die erneuerbaren Energien nach vorne gebracht wurden, obwohl die alte Koalition ja entschieden hat, wir steigen aus der Atomkraft und aus der Kohle aus - und hat nichts geleistet, um in irgendetwas einzusteigen. Die alte Koalition hat gesagt, Deutschland wird 2045 klimaneutral, das hat die Regierung Merkel entschieden, das ist von heute aus gesprochen, in 22 Jahren. Eine neue Heizung läuft in der Regel 30, 35, vielleicht 40 Jahre. Jetzt muss man ja nur ein bißchen rechnen. Eine Gas- oder Ölheizung, die ich jetzt kaufe, passt nicht zu den Klimazielen - das ist ein Widerspruch. Nun kann man sagen: ja, das ist ein Widerspruch, ihr habt Pech gehabt, wir leben mit Widersprüchen  -  oder man kann versuchen, diesen Widerspruch aufzulösen. Wenn man eine Regierung haben will, die die Widersprüche nicht auflöst, dann sollte man sich überlegen, was man von Politik erwartet. 

Das ist der ernste Hintergrund, warum wir mit dem - zugegebenermaßen - großen Druck, mit diesem großen Engagement jetzt voraus gehen, weil ich es persönlich nicht mit meinem Amtseid vereinbaren kann, Probleme nicht zu lösen. Und dass das unangenehm ist, das ist zu zugeben - aber zu sagen, wir wollen 2045 klimaneutral werden, Leute baut noch ein paar Gasheizungen ein, ist - eine Lüge".

Die Moderatorin: " Der Appell des Bundeswirtschaftsministers. Ich danke Ihnen herzlich für dieses Gespräch".

 Hat Robert Habeck Nerven gezeigt?

Er hat nicht gelogen. Er war mutig. Er hat sich gegen den politischen Betrieb gestellt und eine politische Praxis beschrieben: die Verweigerung von Veränderung entlang des Merkelschen Mottos eines gewaltigen demokratischen Missverständnisses : Es ist immer Wahlkampf. Er hat, wie er sagte, eine strukturelle Beschreibung des politischen Betriebs gegeben. 

Welche Bedeutung hat der in der Frankfurter Allgemeine Zeitung veröffentlichte Text von Julia Löhr? Er ist das Beispiel eines Journalismus, der zum Zeitlupentempo beiträgt und in den  Affekt der Verweigerung und Verleugnung einstimmt, weil er vor allem am Klatsch und an der Not der  politischen Machtprozesse interessiert ist, aber nicht an der Dringlichkeit  einer substanziellen Politik. Es gibt nicht nur die Korruption der hin- und hergeschobenen Geldbeträge, der betrügerischen Täuschungsmanöver und der schlechten Geschäfte, sondern auch eine Korruption des Zusehens und Schweigens und Ausbeutens einer dysfunktionalen politischen Praxis.       

      

 

    

Freitag, 3. März 2023

Hart, aber ungelenk: Konfusion am Montag, dem 27.2.2023

Frieden mit Putin: eine Illusion? war der Titel der WDR-Rederunde mit neuer  Diskussionsleitung. Der neue Mann, der Frank Plasberg ablöste, hieß Louis Klamroth. Er hatte das Gespräch nicht in der Hand. Er kam nicht zum Leiten. Die Redaktion der Sendung hatte sich verhoben. Wer diskutiert schon gern eine Illusion? Wie kriegt man seine Diskutanten eingeladen? Wer übernimmt den Part des Protagonisten der Illusion, wer den Part des Illusions-Ernüchterers? Schwieriges Geschäft. Am Wochenende hatten sich als Illusionistinnen Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht auf der Tagung in Berlin hervorgetan und in der ARD-Lesart (Tagesthemen) blamiert. In der Logik der Fernsehleute musste damit Frau Schwarzer oder Frau Wagenknecht - (öffentliche) Anklage, Konfrontation,  Tribunal müssen sein -  ins Studio: zur  Abrechnung. Wer hatte diese Konstellation auf sich genommen? Katrin Göring-Eckart, Heribert Prantl, Winfried Münkler und Marie-Agnes Strack-Zimmermann. Einziger Gegenpart: Sahra Wagenknecht. Von ihr weiß man: sie ist gut und tapfer und gibt nicht nach; sie ist ihr Honorar wert.  

Die erste Panne: jemand von der Redaktion hatte den Titel der Sendung falsch geschrieben. Ilusion konnte man lesen. Die Illusion, kann man daraus schließen, war den Fernsehleuten nicht geheuer. Ich war also gespannt, wann der Fehler korrigiert wird: in der Mitte der Sendung. Was wurde aus der Illusion? Sie war nicht zu klären. Es gab keinen Raum für einen nachdenklichen Austausch. Man hätte die Stichworte Putin, Frieden & Illusion geduldig ausbuchstabieren und zusammentragen müssen, was man weiß. Die Rederunde ging im Raufen unter. Das war schade, aber vertraut: das übliche Niveau. Louis Klamroth raufte sich vergeblich die Haare. Der Realitätsgehalt der existenziellen Bedrohung wurde nicht ausreichend zu bestimmen gesucht. Das Geschäft mit der Bedrohung ist nur auf den ersten Blick unterhaltsam; auf den zweiten verwundert die konzeptionelle Naivität - was die Leitung und die Dynamik einer Rederunde im Fernsehen angeht; auf den dritten Blick: die TV-Forschheit, die die Ängstlichkeit verdecken soll, statt genau nachzufragen: in welcher Konstellation steckt der Präsident Wladimir Putin in seiner Regierungstruppe? Was weiß man? Louis Klamroth war offenbar schlecht vorbereitet.