Freitag, 31. Mai 2019

Gemerkel 11: Unsere Bundeskanzlerin hielt in Harvard, Boston, U.S.A., eine schlappe Rede: ungenügend! Setzen!

Es war eine vertraute Rede unserer Kanzlerin:  rührselig, ungenau und indirekt adressiert. Sie begann mit Hermann Hesses Wort vom Anfang, der einen Zauber hat - sinngemäß zitiert; Hermann Hesses Wort war zugleich die durchlaufende Metapher und das Leitmotiv ihrer Rede. Den Zauber habe ich noch nie erlebt; ich habe ihn bislang als eine schlechte Beschreibung für eine schwierige Lebenssituation des Übergangs gehalten; ob ein Übergang sich als ein Anfang erweist, stellt sich vielleicht erst im Hinterher heraus. Mit einem Wort: Angela Merkels Rede ist nicht aus der Perspektive einer Frau gehalten, die ein enorm schwieriges Amt ausübt.

Drei Belege.

1. Angela Merkel empfahl, sich bei Entscheidungen die folgende Frage vorzulegen:  tue ich etwas, weil ich es für richtig halte, oder tue ich etwas, weil ich es für möglich halte? Das ist das Tagesgeschäft einer Politikerin, die abzuwägen versucht, was vernünftig ist und was sie glaubt,  den Repräsentanten ihrer Partei und/oder ihrer Wählerschaft zumuten zu können. Über diesen täglichen Konflikt im politischen Alltag, für den seit Bill Clintons Zeiten mehr und mehr demoskopische Studien in Auftrag gegeben und zu Rate gezogen werden, sagte sie kein Wort darüber, wie sie ihn von Fall zu Fall löst oder nicht löst.

2. Angela Merkel (Jahrgang 1954) gab ihr Versprechen, dass sie sich mit ganzer Kraft (ihre Worte) für die Klimaneutralität im Jahr 2050  einsetzen (ihr Wort) will. Sie kann sich in ihrem Amt nur noch bis 2021 mit ganzer Kraft einsetzen. Was kommt danach? Was will sie dann tun? Sie wurde in Hamburg am 17. Juli 1954 geboren - 13 Tage nach unserem heimlichen Nationalfeiertag (unserem eigenen Independence Day), dem Gewinn der Fußballweltmeisterschaft im Schweizerischen Bern -,  2050 wäre sie 96 Jahre alt. Ihr Versprechen trägt nicht weit.

3. Den gegenwärtigen U.S.-Präsidenten erwähnte sie mit keinem Wort. Aber im Subtext ihrer Rede war er adressiert. In ihrem Text beschrieb sie die Notwendigkeit einer fairen, abgestimmten, gemeinsamen Politik der Redlichkeit - und verwarf eine Politik, die Wahrheiten Lügen und Lügen Wahrheiten nennt.

Das war indirekt, aber deutlich. Das war nicht falsch und klang gut. Aber sie sparte ihr Problem aus, wie sie mit Donald Trump gemeinsame, vernünftige Politik zu machen versucht. Sie rechnete für ihren Gratismut mit dem Einverständnis ihrer akademischen Zuhörerschaft, aber sie schloss die nicht einverstandenen, abwesenden Bürgerinnen und Bürger der Vereinigten Staaten aus. War das taktvoll und angemessen?  Sie verletzte das von ihr so propagierte Ideal der Gemeinsamkeit. Wie so oft löste sie mit ihrer Praxis des Handelns ihre Praxis der  Beschwichtigungsformeln nicht ein.

Was mir noch auffiel.
Angela Merkel beendete ihre Rede mit der caesarischen Geste des vielfachen Winkens in das Publikum - als hätte sie eine Wahlkampfrede gehalten, für die sie den Beifall der Zustimmung kassierte. Hatte sie da nicht etwas verwechselt?

Mittwoch, 29. Mai 2019

Ein junger Mann mischt auf: Rezo, der Prinz Eisenherz im Internet

Man muss die jungen Leute umarmen: Endlich!, endlich!, endlich! wird ein neuer Ton angeschlagen.
Fröhlich und polemisch rempelt er unsere Regierung an: Es geht zu langsam!, ruft er in die Kamera. Was folgt? Ein Aufschrei. Zu viele Widerworte! Zu ungenau! Zu viel eigenes Geschäft! Zu viel Parteinahme - und das vor einer Parteien -Wahl! Was folgt noch? Wir brauchen Regeln! Oder Regulierungen! Nein, nur Regeln!

Jetzt hat sich die Vorsitzende der christdemokratischen Union verheddert: Freie Meinungsäußerung schon, aber richtig - in unserem Sinne. So ungefähr. Annegret Kramp-Karrenbauer, die im Karneval als Toilettenfrau auftrat und ihre Verachtung dieser Arbeit präsentierte und ihr Unverständnis sexueller Identitäten zum besten gab, folgte einem Motto meiner Großmutter: Jeder blamiert sich, so gut er kann. 

So gut hätte sie sich nicht blamieren müssen.
 

Don't jump a queue! Lektüre eines Journalismus (88)

Der schlimmste Fehltritt im englischen Alltag ist (meiner Erfahrung nach): das soziale Gefüge der Wartenden zu missachten und sich in einer Schlange vorzudrängeln. Man wird sofort zurückgepfiffen. Demütiges Anstellen und Aushalten der letzten Position sind zu empfehlen. Gestern  (28.5.2019) las ich in der Zeitung für die vorsichtigen Köpfe (S. 15) diese Überschrift: "SPD prescht plötzlich mit Klimaschutzgesetz vor".

Das Verbum vorpreschen zu gebrauchen, ist ein journalistischer Kotau. Hier wird unserer Bundesumweltministerin Svenja Schulze (von der SPD) der Vorwurf gemacht, sich nicht an den Regierungskonsens des lähmenden, beschwichtigenden Ja-Aber derjenigen zu halten, die an der Spitze der Schlange stehen: die Truppe der Meisterin des Verschleppens - der Bundeskanzlerin. Die Zeit drängt. Wer bringt diese Truppe ans Laufen? Wer traut sich zu sagen, dass das so genannte Klimaschutzgesetz ein einlullender Euphemismus ist?

Zum Schützen ist es zu spät. Das hätte in den 70er Jahren geschehen müssen. Jetzt geht es nur um die Milderung der Folgen. Da kann man nicht genug vorpreschen. Das Tempo der Veränderung muss erhöht werden. Es geht um ein gründliches Nachdenken und Diskutieren einer zügigen Revision unserer Lebensformen. Unsere aufwendigen Bewegungsformen müssen drastisch reduziert werden.

Dafür vorzupreschen, kann man offenbar von der Zeitung für die nachsichtigen Köpfe schlecht erwarten: sie hängt fest im Geschäft der Propagierung aufwendiger Bewegungsformen - siehe die große Doppelseite der BMW-Werbung für den The 8 - ein Riesen-Cabriolet (Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 26.5.2019, S. 6 + 7).  


Gemerkel 10: die Hinterlist des Beschwichtigens - "wir wollen pfleglich miteinander umgehen"

Brüssel, gestern am 28.5.2019: nach der Europawahl und vor der Wahl des Kommissionspräsidenten.

Unsere Bundeskanzlerin nach der Sitzung des Europäischen Rats, bei der es um die Verständigung der Regierungschefs auf die Kandidatin oder den Kandidaten für das Amt des Präsidenten ging, und vor den Mikrophonen der internationalen Presse: "Wir wollen pfleglich miteinander umgehen". Wie können wir diesen Satz verstehen? Hier der Vorschlag der Interpretation des Subtextes: Kein Streiten um meinen Kandidaten!

Wenn man den Streit verbietet, wird die Auseinandersetzung um den eigenen Wunsch oder die eigene Absicht verboten; er oder sie soll nicht diskutiert, sondern akzeptiert werden. Das nenne ich die Großmutter-Technik der beschwichtigenden Umarmung mit der Absicht der Unterdrückung jedweder Anstrengung zur Differenzierung. Pfleglich ist eine Variation des Alternativlos. Hoffentlich kommt Angela Merkel damit nicht durch.

(Überarbeitung am 30.5.2019)

Montag, 13. Mai 2019

Gute Nachrichten?

An den Überschriften in der F.A.Z. (13.5.2019, S. 21, Nr. 110) bleibe ich hängen: Der Kohlendioxid-Ausstoß in der EU sinkt weiter. CO2-Ziel 2020 schon erreicht. Rückstand bei den Erneuerbaren. Die Zahlen stammen, so die Zeitung, vom europäischen Statistikbüro Eurostat. Die Reduktionsleistungen sind in der EU allerdings unterschiedlich verteilt: in Irland, Bulgarien und Portugal wurde der Ausstoß vermindert (zwischen sieben bis neun Prozent), in anderen Staaten wie Lettland und die Bundesrepublik wurden Zuwächse registriert (8,5 und 5,4 Prozent).

Insgesamt wird notiert, "hat Deutschland im Vergleich zum Jahr der Wiedervereinigung schon mehr als 30 Prozent geschafft", den Ausstoß an Kohlendioxid zu verringern. Das ist, mit 1989 verglichen, beachtlich; auf den Kontext der dringenden, stetigen Reduktion bezogen, alarmierend. Die freundlichen Überschriften trüben den Blick. Die Nachricht, gründlich erläutert, gehört auf die erste Seite.  

Mittwoch, 8. Mai 2019

Anne Will im ARD-Studio am 5.Mai 2019: das Beispiel der Gegen-Aufklärung

Der vertraute Auftakt: die Kamera fliegt auf die Sitzgruppe und dann auf Anne Will zu. Sie spricht in die Kamera:

"Hallo und guten Abend. Willkommen bei uns. Ich freue mich sehr, dass alle da sind. Wir senden live aus Berlin und haben ein freundliches Publikum bei uns. Vielen Dank!"
(Ergiebiges Klatschen)
"Die Bundesregierung muss und will in Sachen Klimaschutz liefern. Bis spätestens Ende des Jahres soll es ein Klimaschutzgesetz geben und die heißt diskutierteste Streitfrage im Moment ist: Braucht es dazu auch eine CO2 Steuer? Und wenn ja, wer zahlt dann was für den Klimaschutz? Die SPD will die Steuer mehrheitlich, die Union eher nicht, aber der Vorsitzende der Juso hat schon gesagt: Wenn es bis Ende des Jahres kein gutes Klimaschutzgesetz gäbe, würde er die Koalition platzen lassen. Bei uns ist jener Vorsitzende der Jungsozialisten: Kevin Kühnert!".

1. Begrüßungsgerede. Gehen wir es durch. Der übliche Freundlichkeitsstuss. Hat Anne Will selbst eingeladen? Kennt sie wie eine Gastgeberin alle ihre Gäste? Nein. Das machen die Leute ihrer Firma. Freut sie sich sehr, dass alle da sind? Meine Großmutter sagte in solchen Fällen (vermuteter Unaufrichtigkeit): Wer's glaubt, wird selig. Anne Will muss eine Sendung vor einem Millionenpublikum stemmen. Da will sie es geneigt stimmen. Sie arbeitet mit der leeren Zugewandtheit der TV-Protagonisten, die so sprechen, als würden sie ihr Millionenpublikum sehen. Freundlichkeit mit einem schiefen Lächeln als Angst-Beruhigung.

2. Worte-Nebel. Konzepte-Nebel. Kann man das Klima schützen? Nein, das Klima ist ein Abstraktum - ein buchstäblich luftiges Gebilde wie andere Abstrakta wie die Natur, die Seele oder die Gesellschaft: man kann sie nicht greifen oder sehen - nur ihre Repräsentationen. Was sagt uns das? Der Klimaschutz ist ein Wort-Betrug: ein hohles Versprechen, ein falscher Trost, das Produkt unzureichenden Nachdenkens. Der Klima-Kontext ist enorm komplex, äußerst schwierig und nicht für jeden (alarmierend) einleuchtend. Aber wenn wir den Begründungen der Klimatologen zustimmen (weil wir sie für plausibel und alarmierend halten), dann hat die von uns (wie auch immer) in Gang gesetzte, (wie auch immer) tolerierte, weltweit betriebene Verbrennung fossiler Energiequellen unseren Planeten in einem lebensbedrohlichen Ausmaß erwärmt; ein dafür entscheidender Grund sind die bei der Verbrennung freigesetzten, in ihrer Wirkung so genannten Treibhausgase: die Kohlendioxide. Will man direkt (und das heißt: sofort)  gegen die Erwärmung intervenvieren, muss man sich des Ausstoßes an Kohlendioxiden annehmen.  Es geht also nur um die Frage: mit welchen Mitteln wird der Ausstoß von Kohlendioxiden auf ein unschädliches Maß runterreguliert?


3. Auffordern zum Raufen. Weder interessierte Anne Will (und ihre Mannschaft und wer sonst noch bei der Konzeption der Sendung mitwirkte) diese Frage, noch war sie überzeugt (abzulesen an der Art ihrer Gesprächsgestaltung) von der immensen Dringlichkeit, sie zügig zu beantworten und zügig zu handeln. Anne Will thematisierte in ihren einleitenden Worten nur das Mittel: CO2 Steuern. Steuern auf Heizöl, Sprit und Kerosin. Steuern als die einzige Form der Intervention. Sie verdrehte am vergangenen Sonntag die Frage nach den Mitteln der Intervention zu einer Frage des Aufheizens und Empörens: wer zahlt die Steuern? Wie beim Möbelrücken wurde das Problem (ein schwaches Wort) der aufziehenden klimatischen Katastrophe und ihrer immensen Folgekosten in einen affektiv aufgeladenen Kontext verschobenen, für den die Ärmel schnell aufgekrempelt werden können: über Steuern lässt sich herrlich aufregen. So fielen die Diskutanten übereinander her und sich ins Wort: Michael Kretschmer, Ministerpräsident von Sachsen, über Kevin Kühnert und Annalena Baerbock und vice versa; Maja Göpel, Nachhaltigskeitsforscherin (so das sie präsentierende Insert), ging mit ihrem Integrationsversuch unter, und Ioannis Sakkaros, Angestellter bei Porsche, mischte seine Diskussions-unwillige Skepsis in die Runde (Was soll das?).

Das Konzept der Steuern - gewissermaßen eine Variation der von der EU im Jahr 2005 ausgegebenen Emissionszertifikate (die für Industrien vorgeschriebene Rationierung der gestatteten Verbrennung fossiler Energiequellen) - ist naiv: als ob ein höherer Preis unsere Lebenswünsche und  Lebensbewegungen ausreichend begrenzen würde. Das Konzept der Emissonszertifikate ist gescheitert; der Handel mit ihnen hat den Ausstoß an Kohlendioxiden nicht nennenswert reduziert.  Nein, Interventionen des Verteuerns sind treuherzig und kontraproduktiv; im besten Fall erzwingen sie die Anpassung und Unterwerfung, ohne zu überzeugen. Benötigt wird eine relevante, schmerzhafte, grundsätzliche Veränderung unserer aufwendigen Lebensformen. Wir benötigen ein Konzept angemessener Lebenswünsche und Lebensbewegungen. Benötigt werden eine Ernüchterung und eine Revision der westlichen, demokratisch (vermeintlich) legitimierten, aristokratischen  Fantasien vom großzügigen, beweglichen Leben. Wir können es uns nicht mehr leisten.  Der von der Talkshow Anna Will inszenierte Diskussionszirkus betrieb die Gegen-Aufklärung: Das Haus brennt, aber im ersten Stock kann man noch eine Zigarette rauchen.