Mittwoch, 8. Mai 2019

Anne Will im ARD-Studio am 5.Mai 2019: das Beispiel der Gegen-Aufklärung

Der vertraute Auftakt: die Kamera fliegt auf die Sitzgruppe und dann auf Anne Will zu. Sie spricht in die Kamera:

"Hallo und guten Abend. Willkommen bei uns. Ich freue mich sehr, dass alle da sind. Wir senden live aus Berlin und haben ein freundliches Publikum bei uns. Vielen Dank!"
(Ergiebiges Klatschen)
"Die Bundesregierung muss und will in Sachen Klimaschutz liefern. Bis spätestens Ende des Jahres soll es ein Klimaschutzgesetz geben und die heißt diskutierteste Streitfrage im Moment ist: Braucht es dazu auch eine CO2 Steuer? Und wenn ja, wer zahlt dann was für den Klimaschutz? Die SPD will die Steuer mehrheitlich, die Union eher nicht, aber der Vorsitzende der Juso hat schon gesagt: Wenn es bis Ende des Jahres kein gutes Klimaschutzgesetz gäbe, würde er die Koalition platzen lassen. Bei uns ist jener Vorsitzende der Jungsozialisten: Kevin Kühnert!".

1. Begrüßungsgerede. Gehen wir es durch. Der übliche Freundlichkeitsstuss. Hat Anne Will selbst eingeladen? Kennt sie wie eine Gastgeberin alle ihre Gäste? Nein. Das machen die Leute ihrer Firma. Freut sie sich sehr, dass alle da sind? Meine Großmutter sagte in solchen Fällen (vermuteter Unaufrichtigkeit): Wer's glaubt, wird selig. Anne Will muss eine Sendung vor einem Millionenpublikum stemmen. Da will sie es geneigt stimmen. Sie arbeitet mit der leeren Zugewandtheit der TV-Protagonisten, die so sprechen, als würden sie ihr Millionenpublikum sehen. Freundlichkeit mit einem schiefen Lächeln als Angst-Beruhigung.

2. Worte-Nebel. Konzepte-Nebel. Kann man das Klima schützen? Nein, das Klima ist ein Abstraktum - ein buchstäblich luftiges Gebilde wie andere Abstrakta wie die Natur, die Seele oder die Gesellschaft: man kann sie nicht greifen oder sehen - nur ihre Repräsentationen. Was sagt uns das? Der Klimaschutz ist ein Wort-Betrug: ein hohles Versprechen, ein falscher Trost, das Produkt unzureichenden Nachdenkens. Der Klima-Kontext ist enorm komplex, äußerst schwierig und nicht für jeden (alarmierend) einleuchtend. Aber wenn wir den Begründungen der Klimatologen zustimmen (weil wir sie für plausibel und alarmierend halten), dann hat die von uns (wie auch immer) in Gang gesetzte, (wie auch immer) tolerierte, weltweit betriebene Verbrennung fossiler Energiequellen unseren Planeten in einem lebensbedrohlichen Ausmaß erwärmt; ein dafür entscheidender Grund sind die bei der Verbrennung freigesetzten, in ihrer Wirkung so genannten Treibhausgase: die Kohlendioxide. Will man direkt (und das heißt: sofort)  gegen die Erwärmung intervenvieren, muss man sich des Ausstoßes an Kohlendioxiden annehmen.  Es geht also nur um die Frage: mit welchen Mitteln wird der Ausstoß von Kohlendioxiden auf ein unschädliches Maß runterreguliert?


3. Auffordern zum Raufen. Weder interessierte Anne Will (und ihre Mannschaft und wer sonst noch bei der Konzeption der Sendung mitwirkte) diese Frage, noch war sie überzeugt (abzulesen an der Art ihrer Gesprächsgestaltung) von der immensen Dringlichkeit, sie zügig zu beantworten und zügig zu handeln. Anne Will thematisierte in ihren einleitenden Worten nur das Mittel: CO2 Steuern. Steuern auf Heizöl, Sprit und Kerosin. Steuern als die einzige Form der Intervention. Sie verdrehte am vergangenen Sonntag die Frage nach den Mitteln der Intervention zu einer Frage des Aufheizens und Empörens: wer zahlt die Steuern? Wie beim Möbelrücken wurde das Problem (ein schwaches Wort) der aufziehenden klimatischen Katastrophe und ihrer immensen Folgekosten in einen affektiv aufgeladenen Kontext verschobenen, für den die Ärmel schnell aufgekrempelt werden können: über Steuern lässt sich herrlich aufregen. So fielen die Diskutanten übereinander her und sich ins Wort: Michael Kretschmer, Ministerpräsident von Sachsen, über Kevin Kühnert und Annalena Baerbock und vice versa; Maja Göpel, Nachhaltigskeitsforscherin (so das sie präsentierende Insert), ging mit ihrem Integrationsversuch unter, und Ioannis Sakkaros, Angestellter bei Porsche, mischte seine Diskussions-unwillige Skepsis in die Runde (Was soll das?).

Das Konzept der Steuern - gewissermaßen eine Variation der von der EU im Jahr 2005 ausgegebenen Emissionszertifikate (die für Industrien vorgeschriebene Rationierung der gestatteten Verbrennung fossiler Energiequellen) - ist naiv: als ob ein höherer Preis unsere Lebenswünsche und  Lebensbewegungen ausreichend begrenzen würde. Das Konzept der Emissonszertifikate ist gescheitert; der Handel mit ihnen hat den Ausstoß an Kohlendioxiden nicht nennenswert reduziert.  Nein, Interventionen des Verteuerns sind treuherzig und kontraproduktiv; im besten Fall erzwingen sie die Anpassung und Unterwerfung, ohne zu überzeugen. Benötigt wird eine relevante, schmerzhafte, grundsätzliche Veränderung unserer aufwendigen Lebensformen. Wir benötigen ein Konzept angemessener Lebenswünsche und Lebensbewegungen. Benötigt werden eine Ernüchterung und eine Revision der westlichen, demokratisch (vermeintlich) legitimierten, aristokratischen  Fantasien vom großzügigen, beweglichen Leben. Wir können es uns nicht mehr leisten.  Der von der Talkshow Anna Will inszenierte Diskussionszirkus betrieb die Gegen-Aufklärung: Das Haus brennt, aber im ersten Stock kann man noch eine Zigarette rauchen.


  


   

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