Mittwoch, 21. April 2021

"Erfolgt ist nichts": Anne Will bilanziert und kriegt keine Antwort (am 18.4.2021): eine Hypothese zur Dynamik der Konfusion und Lähmung

Erfolgt ist nichts, begann Anne Will ihre Sendung am 18.4.2021 mit der Bilanz des Versprechens der Bundeskanzlerin vom 28.3.2021(Ich werde die nächste Zeit nicht zusehen und meinen Amtseid erfüllen). Das waren erfrischend klare Worte von Anne Will. Drei Wochen liegen zwischen diesen beiden Sendungen.  Der von Angela Merkel erzeugte Eindruck von Dringlichkeit ist verflogen.

Wieso?

Die Antwort gab Peter Altmeier, unser Finanzmister, indirekt. Erfolgt ist viel, widersprach er. Er verteidigte die Arbeit der Bundesregierung auf vertraute Weise mit langen Sätze-Perioden; interpunktiert mit seinem Lieblingswort Zweitens, das ein Drittens ankündigt, das nicht kommt - mit der Folge, dass man in seinen Satzgefügen versinkt und den Faden verliert. Wenn man da nicht hineinfährt wie Melanie Amann, die SPIEGEL-Journalistin, geht man unter; allerdings ist offenbar kein Ankommen gegen diese Art von zäher Wort-Watte. Mit anderen Worten: mit Argumenten kam man nicht weiter. Gespielt wurde bei Anne Will das Märchen vom Hasen, der vergeblich gegen das Igel-Paar anläuft. Die ganze Runde versank in der Vergeblichkeit des wattigen Austauschs. Selbst Michael Hallek, einer der Kölner Uni-Klinik-Chefs, offenbar ein Freund klarer Worte, der noch vor Tagen in den Tagesthemen darauf drängte, die Zeit nicht verstreichen zu lassen - es ist fünf nach zwölf, sagte er - , verlor seine Sprache und drechselte Sätze von altmeierischer Unschärfe.

Gestritten wurde um die untaugliche Metapher der Notbremse. Wer ist eigentlich ihr Erfinder oder ihre Erfinderin? Ein blamabler Fehlgriff missglückter politischer Kommunikation. Jetzt soll die Metapher sogar Gesetzes-Status (im Infektionsschutzgesetz) bekommen.  Gesetze als spezifische Orientierungsrahmen dienen der Klärung. Die Metapher der Notbremse hat die (seltsame) Funktion der Verklärung. Wenn die Notbremse gezogen wird, bleibt der Zug stehen; die Klärung des Notfalls und die Reparatur des Schadens können beginnen. Das Ziehen einer Notbremse, das wissen wir alle, ist ein seltenes Ereignis - ich habe es noch nie erlebt. Die Vollbremsung beim Autofahren ist ebenfalls selten. Als pandemische Intervention taugt die Vokabel nur zum Fantasieren. Der Stillstand per Notbremse fungiert im Fall der Pandemie als Illusion einer Hoffnung - er liegt aber in pandemisch weiter Ferne. Die Infektionsgeschwindigkeit einer  Pandemie lässt sich nur durch eine enorme Anstrengung verzögern oder abbremsen. Die gemeinsame Anstrengung können wir uns nicht ersparen. Diese schlichte Wahrheit wird vermieden. Stattdessen wird vom Licht am Ende des Tunnels gesprochen. Unsere Kanzlerin spricht davon; aber sie sagt nicht, wo wir uns im Tunnel befinden.

Die unbedachte Wortwahl bestimmte das Sprechen in Anne Wills Rederunde. Die  Grenzwerte der Infektionszahlen. Ab welchem Grenzwert sollte welche Intervention gewählt werden? Zur Debatte standen: 200, 100, 50 oder 35. Dabei ist diese Diskussion sinnlos.  Die Werte sind zu hoch. Zehn Infektionen sind das Ziel und die Strategie des Null-Covid-Konzepts. Erst dann lassen sich alle Infektionen identifizieren. Davon traute sich keiner der Mitdiskutanten zu sprechen.  Keiner riskierte, diese notwendige Anstrengung & Zumutung auszusprechen, auf die Illusion und die Hoffnung schneller, weit reichender  Lockerungen zu verzichten, sich auf das Konzept der Leopoldina (Null-Covid) zu beziehen und es zu verteidigen (Michael Hallek gehört zu der Gruppe). Es ging zu wie bei Harry Potter: der Name des Bösewichts durfte nicht ausgesprochen werden. Der Bösewicht der Rederunde, der nicht genannt werden durfte, war die Einsicht, dass es ohne eine drastische Zumutung und eine energische Anstregung nicht geht. Wenn die Wahrheit nicht gesagt werden darf, weil das Ausmaß und die Gefahr der Pandemie geleugnet werden, sind Konfusion, Lähmung und das Aufschieben der Bewältigung der Pandemie die Folge. Das Resultat an diesem Anne Will-Sonntagabend  waren:  Haareraufen, Resignation, Fassungslosigkeit, sublimer Ärger und fröhlicher Hohn - die Stimmung des ScherbenbringenGlück. Langsam wird das Porzellan knapp.

Mittwoch, 14. April 2021

Pandemisches Im-Kreis-herum-laufen

Am 28.10.2020 schlug Angela Merkel, als sie im Bundestag ihre Interventionen zum Management der Pandemie beschrieb, den (juristisch) nur ungefähr begründeten Dreiklang an: die Maßnahmen eines (halbherzigen) Lockdowns seien: "geeignet", "notwendig" und "verhältnismäßig". 

 10.12.2020: in den Tagesthemen der A.R.D. wurde Heyo Kroemer, Chefarzt an der Berliner Charité, zur Überlastung einer Intensivstation von Caren Miosga befragt.

Heyo Kroemer: "Wir sind an der Grenze des Machbaren".

Caren Miosga: "Es wäre also gut, das Leben vor Weihnachten noch weiter runter zu fahren?"

Heyo Kroemer: "Ich würde das nicht mit dem Wort gut verbinden, es ist meines Erachtens unbedingt notwendig zu reagieren".

13.4.2021:  in den Tagesthemen der A.R.D. wurde Michael Hallek, Direktor der Klinik I für innere Medizin an der Uni Köln, von Ingo Zamparoni befragt: "Aber geht es nur darum, dass die Situation zu kippen droht oder würden Sie sagen: in manchen Bereichen sind wir schon am Poller?"

Michael Hallek: "Es ist fünf nach zwölf".

Die beiden Chefärzte bleiben verbindlich, aber ihre Sprache und ihre Bilder deuten eine Katastrophe an. Michael Hallek spricht von der Gebirgsstraße, die mit 100 km/h befahren wird, obwohl dem Fahrer klar ist, dass er bei 30 km/h von der Straße fliegt. Es ist fünf nach zwölf, aber der Moderator hat noch die Chuzpe, das falsche Bild eines Pollers zu benutzen. Die Leugnung der Dringlichkeit der Not ist enorm. Die Leugnung des Stillstands und der Lähmung ist enorm.

 


Dienstag, 13. April 2021

Anne Will und Angela Merkel in der A.R.D. am 28.3.2021 - Klagen als Mittel der Politik der Herstellung öffentlicher Vertrautheit

Wenn unsere Kanzlerin in Anne Wills Rederunde auftaucht, ist Angela Merkel in Not. Ihre Politik bedarf einer nachdrücklichen Verteidigung. So war es beispielsweise im Sommer 2015, als der Aufruhr über die so genannte Flüchtlingskrise die öffentliche Diskussion dominierte. Angela Merkel bekam bei Anne Will die Gelegenheit, ihre Politik des Wir schaffen das einem Millionenpublikum zu erläutern.

Am Sonntagabend, dem 28.3., ging es um ihren Tage zuvor deklarierten Fehler, für den Angela Merkel in einer Pressekonferenz um Verzeihung gebeten hatte. Das war eine Art Kniefall und ein Eingeständnis vor einem Millionenpublikum der rührseligen Art gewesen: ein Flehen und Bitten, persönlich und unpersönlich, vertraut und reserviert zugleich, die Variation ihrer Grundmelodie Sie kennen mich. Wer wird der Kanzlerin  die Bitte um Verzeihung ausschlagen können?

Anne Will  frug Angela Merkel, für welchen Fehler sie sich entschuldigte. Die Antwort fiel der Kanzlerin überraschend schwer. Sie hätte viele Leute verunsichert, antwortete sie wörtlich; mit der verkündeten Osterruhe hätten sie nicht mehr gewusst, wie sie zu ihren Einkäufen kommen  sollten; das wollte sie ihnen ersparen, weshalb sie sie um Verzeihung bat und die Unruhe zuließ. Schwer vorzustellen, dass die Erfinder der Osterruhe an die praktische Seite dieser Einschränkungspolitik nicht dachten. Anne Will wollte das nicht glauben. "Ich war mir nicht sicher", beschrieb Anne Will ihren Eindruck, "ob Sie nicht um Entschuldigung bitten dafür, dass Sie am Ende Ihrer Autorität und Ihrer Durchsetzungskraft angelangt sind".

Angela Merkel widersprach: "Nein. Das glaube ich nicht. Für mich ist dieser Montag mit den langen Beratungen und diesen Pausen und vielem anderen auch eine Zäsur. Und da kann's jetzt nicht auch so ohne weiteres weitergehen". Die Wortwahl einer Zäsur lässt aufhorchen. Die Zäsur stammt vom lateinischen Wort caesura ab, das Fällen, Einschnitt, Schneise bedeutet. Die Zäsur bezeichnet ein dramatisches Ereignis. Was war in der Nacht vom 22. auf den 23.3.2021 so dramatisch? Die Sitzung war gescheitert - eine Schnapsidee (Osterruhe), eine hastig entworfene Intervention ohne Plan und Vorbereitung, war geboren,  am folgenden Tag verkauft und einen Tag später kassiert worden. Die Kanzlerin - Anne Will lag gar nicht falsch - war kopflos vor die Wand gelaufen. Dafür wollte die Kanzlerin sich entschuldigen.  Das sagte sie nicht am Tag der Bitte um Verzeihung. Sie sagte es (indirekt) am darauf folgenden Sonntag bei Anne Will, indem sie über die dysfunktionale föderale Abstimmung mit den Regierungschefs der Bundesländer klagte.  Auf der letzten Strecke dieser Pandemie, sagte sie wörtlich, funktionierten die Absprachen nicht; die Notbremse wurde nicht angetastet. Niemand zog sie richtig. Geben Sie uns auf?, fragte Anne Will. 

"Nein", antwortete Angela Merkel, "wenn das so wäre, würde ich ja meinen Amtseid verletzen". Dieses Argument hatte sie 2011 im Kontext der Fukushima-Katastrophe zur Beruhigung der Sorgen um die Sicherheit der Atomstrom-Erzeugung im Gespräch mit dem W.D.R.-Journalisten Ulrich Deppendorf (s. meinen Blog Vielleicht. Vielleicht vom 14.3.2011) verwandt. "Aber was es noch immer gibt", so Angela Merkel, (ist) "die Versuchung anzunehmen, dass uns das Testen vielleicht alleine hilft - das glaube ich zum Beispiel nicht...deshalb brauchte es zusätzliche Maßnahmen". Woran hakte es? Angela Merkel streitet ungern. Öffentlich ausgetragener Dissens ist nicht ihre Sache. Das Parlament des Bundestages ist für sie in weiter Ferne. Einfach ist das rasch gezimmerte, zügig verabschiedete Gesetz. Mit ihrer Taktik der (behaupteten, aber unmöglichen & falschen) Alternativlosigkeit drang sie bislang durch. Sie scheut energisches Handeln. Dramatische Szenen wie die Kontrolle der portugiesischen Strände per Hubschrauber, an die Anne Will sie erinnerte und worauf sie mit Abscheu reagierte, möchte sie vermeiden.  Sie folgt keinem  Konzept, das sie propagiert, übersetzt, erläutert, wiederholt und durchsetzt. Die Handlungsanweisungen ihrer Begriffe sind konturlos, unscharf und ambivalent: Notbremse, Instrumentenkasten, Shutdown oder Lockdown, Ernst-Nehmen, Kontaktbeschränkung und Bewegungseinschränkung

Seit Sommer 2020 liegt das Null-Covid-Konzept auf dem Tisch, dessen Grundgedanke Michael Meyer-Herrmann auf diese Formel gebracht hat: Man muss die Ansteckungszahlen energisch & präzis so weit drücken, dass es keine Infektion gibt, von der wir nicht wissen, woher sie kommt - die Nachverfolgung und Identifikation einer Ansteckung mit allen erdenklichen & angemessenen Mitteln sind das oberste Gebot. Nur so kann man die Kontrolle über die Covid 19-Pandemie samt ihren Mutanten erreichen. Nur wenn die Kontrolle besteht, kann man beginnen,  Lebens- und Beziehungsbewegungen in anderen Radien zu diskutieren und einzuräumen - nicht vorher oder nebenher (zum Trost & zur Beschwichtigung).  Die letzte Strecke dieser Pandemie, von der Angela Merkel bei Anne Will sprach, ist ängstliches Lavieren & Phantasieren vom Licht am Ende des Tunnels. Soweit sind wir noch nicht. Wo wir sind (im Prozeß der Pandemie), weiß keiner. Aber man kann den Leuten, ohne sie zu vertrösten oder hinzuhalten, zutrauen, die Realität der Pandemie auszuhalten. 

 

(Überarbeitung: 19.4.2021)