Dienstag, 13. April 2021

Anne Will und Angela Merkel in der A.R.D. am 28.3.2021 - Klagen als Mittel der Politik der Herstellung öffentlicher Vertrautheit

Wenn unsere Kanzlerin in Anne Wills Rederunde auftaucht, ist Angela Merkel in Not. Ihre Politik bedarf einer nachdrücklichen Verteidigung. So war es beispielsweise im Sommer 2015, als der Aufruhr über die so genannte Flüchtlingskrise die öffentliche Diskussion dominierte. Angela Merkel bekam bei Anne Will die Gelegenheit, ihre Politik des Wir schaffen das einem Millionenpublikum zu erläutern.

Am Sonntagabend, dem 28.3., ging es um ihren Tage zuvor deklarierten Fehler, für den Angela Merkel in einer Pressekonferenz um Verzeihung gebeten hatte. Das war eine Art Kniefall und ein Eingeständnis vor einem Millionenpublikum der rührseligen Art gewesen: ein Flehen und Bitten, persönlich und unpersönlich, vertraut und reserviert zugleich, die Variation ihrer Grundmelodie Sie kennen mich. Wer wird der Kanzlerin  die Bitte um Verzeihung ausschlagen können?

Anne Will  frug Angela Merkel, für welchen Fehler sie sich entschuldigte. Die Antwort fiel der Kanzlerin überraschend schwer. Sie hätte viele Leute verunsichert, antwortete sie wörtlich; mit der verkündeten Osterruhe hätten sie nicht mehr gewusst, wie sie zu ihren Einkäufen kommen  sollten; das wollte sie ihnen ersparen, weshalb sie sie um Verzeihung bat und die Unruhe zuließ. Schwer vorzustellen, dass die Erfinder der Osterruhe an die praktische Seite dieser Einschränkungspolitik nicht dachten. Anne Will wollte das nicht glauben. "Ich war mir nicht sicher", beschrieb Anne Will ihren Eindruck, "ob Sie nicht um Entschuldigung bitten dafür, dass Sie am Ende Ihrer Autorität und Ihrer Durchsetzungskraft angelangt sind".

Angela Merkel widersprach: "Nein. Das glaube ich nicht. Für mich ist dieser Montag mit den langen Beratungen und diesen Pausen und vielem anderen auch eine Zäsur. Und da kann's jetzt nicht auch so ohne weiteres weitergehen". Die Wortwahl einer Zäsur lässt aufhorchen. Die Zäsur stammt vom lateinischen Wort caesura ab, das Fällen, Einschnitt, Schneise bedeutet. Die Zäsur bezeichnet ein dramatisches Ereignis. Was war in der Nacht vom 22. auf den 23.3.2021 so dramatisch? Die Sitzung war gescheitert - eine Schnapsidee (Osterruhe), eine hastig entworfene Intervention ohne Plan und Vorbereitung, war geboren,  am folgenden Tag verkauft und einen Tag später kassiert worden. Die Kanzlerin - Anne Will lag gar nicht falsch - war kopflos vor die Wand gelaufen. Dafür wollte die Kanzlerin sich entschuldigen.  Das sagte sie nicht am Tag der Bitte um Verzeihung. Sie sagte es (indirekt) am darauf folgenden Sonntag bei Anne Will, indem sie über die dysfunktionale föderale Abstimmung mit den Regierungschefs der Bundesländer klagte.  Auf der letzten Strecke dieser Pandemie, sagte sie wörtlich, funktionierten die Absprachen nicht; die Notbremse wurde nicht angetastet. Niemand zog sie richtig. Geben Sie uns auf?, fragte Anne Will. 

"Nein", antwortete Angela Merkel, "wenn das so wäre, würde ich ja meinen Amtseid verletzen". Dieses Argument hatte sie 2011 im Kontext der Fukushima-Katastrophe zur Beruhigung der Sorgen um die Sicherheit der Atomstrom-Erzeugung im Gespräch mit dem W.D.R.-Journalisten Ulrich Deppendorf (s. meinen Blog Vielleicht. Vielleicht vom 14.3.2011) verwandt. "Aber was es noch immer gibt", so Angela Merkel, (ist) "die Versuchung anzunehmen, dass uns das Testen vielleicht alleine hilft - das glaube ich zum Beispiel nicht...deshalb brauchte es zusätzliche Maßnahmen". Woran hakte es? Angela Merkel streitet ungern. Öffentlich ausgetragener Dissens ist nicht ihre Sache. Das Parlament des Bundestages ist für sie in weiter Ferne. Einfach ist das rasch gezimmerte, zügig verabschiedete Gesetz. Mit ihrer Taktik der (behaupteten, aber unmöglichen & falschen) Alternativlosigkeit drang sie bislang durch. Sie scheut energisches Handeln. Dramatische Szenen wie die Kontrolle der portugiesischen Strände per Hubschrauber, an die Anne Will sie erinnerte und worauf sie mit Abscheu reagierte, möchte sie vermeiden.  Sie folgt keinem  Konzept, das sie propagiert, übersetzt, erläutert, wiederholt und durchsetzt. Die Handlungsanweisungen ihrer Begriffe sind konturlos, unscharf und ambivalent: Notbremse, Instrumentenkasten, Shutdown oder Lockdown, Ernst-Nehmen, Kontaktbeschränkung und Bewegungseinschränkung

Seit Sommer 2020 liegt das Null-Covid-Konzept auf dem Tisch, dessen Grundgedanke Michael Meyer-Herrmann auf diese Formel gebracht hat: Man muss die Ansteckungszahlen energisch & präzis so weit drücken, dass es keine Infektion gibt, von der wir nicht wissen, woher sie kommt - die Nachverfolgung und Identifikation einer Ansteckung mit allen erdenklichen & angemessenen Mitteln sind das oberste Gebot. Nur so kann man die Kontrolle über die Covid 19-Pandemie samt ihren Mutanten erreichen. Nur wenn die Kontrolle besteht, kann man beginnen,  Lebens- und Beziehungsbewegungen in anderen Radien zu diskutieren und einzuräumen - nicht vorher oder nebenher (zum Trost & zur Beschwichtigung).  Die letzte Strecke dieser Pandemie, von der Angela Merkel bei Anne Will sprach, ist ängstliches Lavieren & Phantasieren vom Licht am Ende des Tunnels. Soweit sind wir noch nicht. Wo wir sind (im Prozeß der Pandemie), weiß keiner. Aber man kann den Leuten, ohne sie zu vertrösten oder hinzuhalten, zutrauen, die Realität der Pandemie auszuhalten. 

 

(Überarbeitung: 19.4.2021)

 

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