Freitag, 29. Juni 2018

Die bundesdeutsche Fußball-Mannschaft ist aus dem 2018er Turnier ausgeschieden

Die bundesdeutsche Fußball-Mannschaft ist ausgeschieden. Eine Katastrophe?
Nein. Die Niederlage ist der Normalfall im Sport. 1954, 1974, 1990 und 2014 gelang unseren Fußball-Mannschaften die außergewöhnliche Leistung einer Weltmeisterschaft. Jeder Gewinn hatte seine eigene Geschichte. Jedes Scheitern in den dazwischen liegenden Jahren auch.

Jetzt stimmte etwas nicht. Unsere Mannschaft strengte sich enorm an, eine Mannschaft zu sein - aber es gelang ihr nicht. Sie war keine Mannschaft - eher eine Gruppe Fremder. Eine Mannschaft ist das Beziehungsprodukt, in dem das Gefühl gegenseitiger Sicherheit jedes  Mitglied trägt und aufleben lässt in dem gemeinsam gelebten,  gelungenen aggressiven Impuls, sich durchzusetzen. Unsere Mannschaft wirkte und war verzagt  -   die Gründe dafür sind vielfältig.

1. Man darf sich um die Verletzlichkeit des eigenen Körpers nicht sorgen. Zu viele Spieler machten sich - vermutlich - Sorgen.
2. Wie die Beziehungen der Spieler zueinander waren, ist nicht bekannt. Oliver Kahn wies im ZDF auf das schwierige (mögliche) Gefälle der Spieler hin, von denen einige 2014 das Turnier gewonnen hatten, andere nicht.
3. Die Spieler müssen buchstäblich den Kopf für Beziehungen frei haben, sich in der Mannschaft und als Mannschaft entwickeln zu können. Fremde Erwartungen der Großartigkeit behindern. Die immense mediale Aufmerksamkeit im Dienste verschiedener Geschäfte verpflichtet und behindert; sich davon frei machen zu können, ist eine schwierige Leistung der Behauptung einer Autonomie. Davon abgesehen gibt es die persönlichen, freundschaftlichen und verwandtschaftlichen Verpflichtungen.

Etwas ist gelungen: die Marketing-Anstrengung der Mercedes-Leute. Rechtzeitig zum Ende des Turniers werden die neuen Modelle der so genannten C-Klasse lanciert. Der Slogan Best Never Rest mit der Betonung auf das Vau in never, das zugleich die lateinische Fünf - für den Gewinn der fünften Weltmeisterschaft - symbolisiert, verdichtet die enorme Last, die den Spielern möglicherweise aufgebürdet wurde. Man müsste die Summen dieses Geschäfts kennen. Fußball ist ein Spiel; wenn das - im weitesten Sinn - mediale Geschäft sich aufdrängt, wird das Spiel zerstört. Das ist eine Hypothese, von der ich nicht weiß, ob und wie weit sie trägt.  

Dienstag, 19. Juni 2018

Der selbstgefällige Journalist II - Lektüre des Journalismus (73)

Die bundesdeutsche Fußball-Nationalmannschaft hat gegen Mexiko 0:1 verloren. Es geht ganz normal zu: wir sind in einem Weltmeisterschaftsturnier. Wer sich an die vergangenen Turniere erinnert, weiß: meistens war es eine Holperei; meistens waren die Spiele knapp. Nur beim letzten Turnier ging es - Ausnahme war das Spiel gegen Algerien, das Manuel Neuer für uns umbog - für den Zuschauer vergleichswerise glatt und angenehm zu. Der Normalfall waren Zitterpartien mit Nägelkauen.

Heute Morgen lese ich den langen Riemen von Michael Horeni (Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 19.6.2018, S. 36) mit den Überschriften:

"War's das schon? Die ersten Anzeichen deuten darauf hin, dass die gealterten Wohlfühl-Weltmeister trotz des Fehlstarts gegen Mexiko in der Welt der Selbsttäuschung verharren wollen. Bundestrainer Löw zieht sich auf sich selbst zurück".

Die gealterten Wohlfühl-Weltmeister sind ein Wort der aufgeblasenen Herablassung. Michael Horeni hat die alten Turniere (1954, 1958, 1962, 1966) nicht miterlebt - er ist, wie das Internet angibt, Jahrgang 1965. Sein größtes Interesse, ist dort zu lesen, gilt dem Fußball. Dann  müsste er es besser wissen. Wieso bringt er  so wenig Verständnis auf? Sicherlich fühlen sich unsere Fußballer jetzt nicht wohl. Sie wissen, wie sie gespielt haben. Sie wissen, was auf sie zukommt. Sie waren, wenn man ihr unglückliches Spiel etwas anders versteht, offenbar gelähmt  -  man kann vermuten, dass der immense, unbarmherzige Erwartungsdruck vom künftigen Weltmeister, der seinen Erfolg wiederholt, mächtig auf ihnen lastete. Michael Horeni wirft ihnen vor: Selbsttäuschung. Woher weiß er das? Hat er mit ihnen ausführlich gesprochen? Haben sie ihm genaue Auskunft gegeben?

Nein. Michael Horenis Vorwurf der Selbsttäuschung ist: erschlossen; behauptet. Journalismus als Bluff. Sein Vorwurf passt zur (hier & da anzutreffenden, in meinen Blogs beschriebenen) Redaktions-Politik der Frankfurter Allgemeinen Zeitung: Journalismus als Haltung der beobachtenden, unbeteiligten Selbstgefälligkeit.

Zum Glück lassen sie Niko Kovac zu Wort kommen; er hat einige gute Argumente für unsere Nationalmannschaft.


(Überarbeitung: 9.7.2018)


 

Der selbstgefällige Journalist - Lektüre des Journalismus (72)

Rupert Stadler, der Audi-Mann, wurde verhaftet und sitzt wegen Verdunklungsgefahr ein (F.A.Z. vom 19.6.2018, S. 1). Holger Steltzner, einer der Herausgeber der Zeitung für Beschwichtigung, nimmt sich dessen Haftbefehls an. Er schreibt den ersten Satz:

"In Wolfsburg fällt eine Verteidigungslinie nach der anderen".

Wie kann Holger Steltzner von einer Verteidigungslinie sprechen? Weder sind die Leute aus Wolfsburg in einem Krieg, noch in einem Fußballspiel, noch spielen sie Schach. Was er Verteidigungslinie nennt, ist die juristische Strategie der Wolfsburger, sich zu verschanzen und unsere Öffentlichkeit regelmäßig weiter zu betrügen mit gebrochenen Versprechen der Aufklärung. Natürlich können sie im Gerichtsverfahren ihre Haut zu retten versuchen. Das ist ein anderer Kontext als die  demokratische Verpflichtung, der Wahrheit die Ehre zu geben. Holger Steltzner, das kann man dem Satz entnehmen, positioniert sich als unbeteiligter Zuschauer. Das ist er nicht. Er schweigt zu dem permanenten Wolfsburger, Stuttgarter und Ingoldstädter Angriff auf die Integrität unserer Demokratie als der unverfrorenen Fortsetzung der Korruption.

Der letzte Absatz des Kommentars:

"Die zögerliche Aufarbeitung durch VW zieht die ganze deutsche Autoindustrie in den Strudel des Diesel-Betrugs. Warum schlägt etwa BMW keine Brandschneise zwischen sich und die Betrüger von VW? So schauen die amerikanischen und chinesischen Wettbewerber genüsslich zu, wie die deutschen Premiumhersteller aus falsch verstandenem Corpsgeist erst ihren Ruf und danach ihren Vorsprung in der Motorenentwicklung verspielen. Den Rest erledigen dann aufgeregte Politiker, die Umweltlobbyisten mit Fleiß vor sich hertreiben" (S. 1).

Was hat die Frankfurter Allgemeine Zeitung zur Aufklärung beigetragen?
Nichts. Deren Redakteure haben drei lange Jahre abgewartet. Mit der Ausrede der Unschuldsvermutung haben deren Redakteure sich auf den Beobachtungsposten zurückgezogen.  Dabei haben die VW-Leute ihren Betrug zugegeben. Das journalistische Versäumnis besteht im Abwarten auf die Arbeit der Ermittlungsbehörden und im Tolerieren einer Regierung, die zusieht und wegsieht und  den Maut-Stuss betrieb. 2017 fand die Kanzlerin noch freundliche Worte zur Eröffnung der Frankfurter Automobilmesse (s. meinen Blog Die süße Korruption des gemeinsamen Fantasierens vom 16.9.2017).  Die Frankfurter Allgemeine Zeitung lieferte das freundliche Foto dazu: Angela Merkel klettert aus dem Audi Aicon, unterstützt von Rupert Stadler. Das war vor neun Monaten.

(Überarbeitung: 20.6.2018)

Radfahren in Leiden, Niederlande - die andere Mobilitätskultur

Als bundesdeutscher Autofahrer im niederländischen Leiden hat man es nicht einfach: Radfahrerinnen und Radfahrer schießen aus allen Richtungen auf einen zu - nur nicht von oben -: ein enormes Gewusel, wenn man unseren übersichtlich reglementierten Verkehr gewohnt ist.

Jetzt wechsele ich die Perspektive. Ich sitze an einer Kreuzung, durch die drei Straßen ziehen, trinke meinen Espresso und beobachte den Verkehr.

Das Gewusel, ging mir auf, ist kein Durcheinander, sondern ein elastisches System. Es gab virtuose, nicht so virtuose und etwas wackelig fahrende Radler - und dazwischen jede Menge anderer Rad-Künstler. Ich sah den jungen Radfahrer, der durch eine einen Meter große Lücke zwischen anderen Radfahrer blitzartig fuhr - von Ferne halsbrecherisch, aber exakt abgestimmt: früher oder später wäre die Lücke nicht vorhanden gewesen. Ich war begeistert: die hohe Kunst des Alltags. Das war die Spitzenleistung. Natürlich gab es weniger virtuose Rad-Piloten. Was mir auffiel: es gibt einen fließenden Rhythmus. Die Bewegungen des Radfahrens sind aufeinander abgestimmt. Die Radfahrerinnen und Radfahrer interagieren und geben sich Platz: sie geben nach, sie weichen aus, sie stellen sich aufeinander ein.

In der guten halben Stunden bremste ein Radfahrer ab und stoppte. Es wäre sonst eng geworden.  Unfälle sind selten, habe ich mir sagen lassen. Obgleich viele ihr Rad schnell bewegen.

Worum geht es in diesem System des Radfahrens? Um Kooperation und Versicherung der eigenen Virtuosität und des eigenen Könnens. Drei balancierten einen Bierkasten auf dem Lenker. Ein Mitfahrer (dieses Beispiel wurde mir erzählt) saß auf dem Gepäckträger und zog links und rechts einen Rimowa-Koffer mit. Ich habe kein Klingeln gehört. Tatsächlich haben viele keine Klingel. Sie ist nicht nötig. Niemand soll Platz machen. Die fremden Räume werden respektiert. Das Vergnügen der Freiheit wird gelebt. Fahrradfahren als Vehikel zum Aufleben, zum Pflegen einer Geselligkeit, zur Bestätigung einer Kultur des Praktischen.

Und worum geht es bei uns? Um Macht und Dominanz. Die Fahrradklingel läutet das bei uns ein. Am besten springt man zur Seite. Das ist nicht immer, aber häufig so.

Was sagt uns das? Eine andere Mobilität kriegen wir nicht etabliert, wenn wir keine andere Kultur entwickeln. Dieser Prozess dauert Generationen. Aber anfangen müssen wir, die Kultur der  Herrschaft und das Auftreten der schweren Blechkisten zu stutzen.

(Überarbeitung: 6.7.2018) 

Freitag, 15. Juni 2018

Anne Will und Angela Merkel: Beschwichtigungsgerede

Wenn's brenzlig ist, taucht Angela Merkel bei Anne Will auf und versucht, den öffentlichen Aufruhr zu beruhigen. Wie Kanzleramt und Anne Wills Firma sich abstimmen, ist das Geschäftsgeheimnis. Leider werden wir nicht informiert. Jetzt war es am Sonntag, dem 10. Juni 2018, wieder soweit; Anlass war der so genannte G 7 - Gipfel, dessen Besetzung der U.S.-Präsident drastisch korrigierte, indem er seine Bedingungen diktierte und das Treffen um einen Tag früher als seine Kolleginnen und Kollegen verließ.

Nerven Donald Trumps Twitter Sie nicht?, wollte Anne Will zu Beginn wissen. Twitter, gab Angela Merkel breit lachend zurück, nervt mich überhaupt nicht. Ein faustdickes Dementi. Es kam zu schnell, zu apodiktisch, zu wenig selbstkritisch. Ich hätte geantwortet: das kann ich mir nicht vorstellen. Anne Will äußerte keine Bedenken; sie frug nicht nach; sie ließ der Kanzlerin die Lüge des Selbstschutzes durchgehen.

So ging es weiter. Die Kanzlerin bestritt, beschönigte, redete sich raus, widersprach sich  - Anne Will ließ das Gemerkel durchgehen und setzte auf die naive, weil direkte Konfrontation. Am Ende wollte Anne Will wissen, ob die Kanzlerin, ihren Entschluss, sich für eine vierte Legislaturperiode zur Verfügung gestellt zu haben, bereute. Nein, antwortete Angela Merkel, sie hätte wenig Zeit zum Nachdenken. Anne Will wollte nicht wissen, wie viel wenig  Zeit ist - Angela Merkel hatte ja gesagt, dass sie etwas Zeit hätte. Sie explorierte nicht oder versuchte nicht die Momente zu explorieren, in denen die Kanzlerin an sich zweifelt. Selbst-Zweifel darf sie offenbar nicht zugeben; irgendjemand muss ihr irgendwann gesagt haben, dass  der politische Akteur um eine Antwort nie verlegen ist. Jetzt konnten wir sehen, wie die Kanzlerin sich in ihren Floskeln des Beschwichtigens und des Posierens verhedderte - und den Abgrund der Ratlosigkeit und Hilflosigkeit einer strapazierten, erschöpften Politikerin andeutete. Einmal wurde sie persönlich: als sie von ihrer Enttäuschung und Ernüchterung über die U.S.-Regierung sprach. Das Publikum im Studio honorierte sofort den öffentlichen Kontakt, der ihr in diesem einmaligen Augenblick (an diesem Abend) gelang. In diesem Augenblick widersprach sie (indirekt) ihrem Twitter-Dementi. Es fiel nicht weiter auf.

Es durfte offenbar nicht auffallen. Die A.R.D. hat auch ein Interesse am guten Schlaf ihres Publikums.  

Dienstag, 12. Juni 2018

Frankfurter Autowäsche - Journalismus-Lektüre (71)

1. F.A.Z. vom 12.6.2018, S. 17: im Teil Wirtschaft:
"Audi und Daimler im Sog des Dieselskandals" lautet der Titel der Nachricht, dass gegen Rupert Stadler von Audi ermittelt wird. Dieter Zetsche von Mercedes musste im Bundesverkehrsministerium Auskunft geben. Jetzt müssen Stadler und Zetsche sehen, im Sog nicht unterzugehen. Die Rede vom Sog ist schwer erträglich - die Autoren machen die noch nicht verurteilten, aber des Betrugs verdächtigen Betrügern zu Opfern der Strafverfolgungsbehörden. Was die Journalisten leugnen: der Verdacht ist gut begründet und sehr wahrscheinlich zutreffend.

Die Automobilhersteller kennen ihre Produkte gegenseitig. Sie kaufen die fremden Fahrzeuge, fahren sie und nehmen sie auseinander. Sie wissen,  wie die Konkurrenz ihre Autos baut. Zudem beziehen sie die Technik der Motorsteuerung von Bosch. Der Stuttgarter Konzern ist in Deckung gegangen. Seine Leitung wird bald herausgerufen.

2. F.A.Z. vom 12.6.2018 im Teil Technik und  Motor. Der Audi A4 Avant wird mit dem Titel beschrieben: "Endlich wird die 250-km/h-Mauer pulverisiert". Der Wagen schafft 280 km/h.

3. Dieser Journalismus ist an der Klärung desinteressiert. Seit drei Jahren mogeln sich die verdächtigten Automobilhersteller, unsere Regierung und dieser zahnlose Journalismus über die Runden - so wird eine angemessene Diskussion unserer künftigen Mobilität verhindert: drei verlorene Jahre. Rechnet man seit der Hälfte der 70er Jahre, kommt man auf gut vierzig verlorene Jahre der gemeinsamen fröhlichen und maßlosen Verschwendung und Gedankenarmut.
 

Freitag, 8. Juni 2018

Die Kanzlerin und die F.A.Z. - Journalismus-Lektüre (70)

Angela Merkel und die F.A.Z. haben eine knapp 20 Jahre - kann man das sagen? - Beziehungsgeschichte miteinander. Im Dezember 1999 veröffentlichte sie dort ihren Aufruf zur Emanzipation der Union - der ein Text zur Entsorgung des damaligen Kanzlers Helmut Kohl war. Helmut Kohl war mit seinem System unklarer Finanzen in die öffentliche Bedrouille geraten und für die Union untragbar geworden. Angela Merkel war erfolgreich. Wenig später saß sie als Parteivorsitzende im Sessel der Macht. Sie konnte schon damals gut: auf der Welle des höchsten (kursierenden) Affekts surfen.

Seitdem war ihr die F.A.Z. behilflich, was im Parlament zu vertreten angemessen gewesen wäre, außerhalb des Parlaments zu verkündigen. So war sie der F.A.Z. behilflich, Nachrichten zu erzeugen, die Schlagzeilen machten. Aktuelles Beispiel: die Frankfurter Allgemeine Sontagszeitung vom 3.6.2018, S. 2 - 3. Existenz für Europa ist der (58.5 Punkte große) Titel des Textes; der (13.2. Punkte große) Untertitel lautet: Angela Merkel will, dass die Europäer ihr Schicksal in die Hand nehmen. Hier erklärt sie, was das konkret heißt - und antwortet damit dem französischen Präsidenten Macron.

Die Zeitung als das Sprachrohr der Kanzlerin; Thomas Gutschker und Eckart Lohse, deren beider Journalisten, fragten die Kanzlerin ab. Die Zeitung hat die Veranstaltung als ein Gespräch verkauft. Ist es ein Gespräch? Ich finde: nicht.
1. Der Kontext bleibt unerwähnt: wieso treffen die beiden Journalisten die Kanzlerin jetzt?
2. Die Angabe, wann das Abfragen stattfand, fehlt. So kann man nicht sehen, wie lange der Text bearbeitet wurde, bis er veröffentlicht werden konnte.
3. Die Antworten der Kanzlerin sind glatt, knapp und unpräzis - ohne ihre vertrauten Holperigkeiten beim öffentlichen Formulieren. Ich hätte gern das Transkript des Abfragens mit dem veröffenlichten Text verglichen. 
4. Die Kanzlerin redet luftig, nicht Politik-praktisch. Ein Beispiel:
"Europa hat für seine Bürger nicht nur ein Friedens-, sondern auch ein Sicherheitsversprechen, und das müssen wir erneuern. Ich meine das im ganz umfassenden Sinn, im Blick auf unsere Grundüberzeugungen: Demokratie, Rechtsstaat, Menschenwürde, im Blick auf Sicherheit für Wohlstand und Arbeitsplätze, auf den Schutz der Außengrenzen, die Bewahrung unserer kulturellen Identität und der gemeinsamen Schöpfung". Die Reihenfolge der Liste ist bemerkenswert; die stolzierenden Begriffe sprechen von einer alarmierenden Fantasielosigkeit.

Was ist mit dem bisherigen Scheitern der verabredeten, so genannten Klimaziele? Was ist mit der Unzufriedenheit in unserer Republik? Mit der Armut und der Verteilungsgerechtigkeit hier und in den von uns ausgebeuteten Ländern? Was ist mit der Asyl- und Einwanderungspolitik? Was ist mit der Korruption der Automobilindustrie und der Kreditinstitute? Was ist mit der Unterfinanzierung unserer staatlichen Institute und Bildungssysteme? Was ist mit der Zukunft der Bundesrepublik? Was ist mit dem Zustand und der Idee des Zusammenhalts der Europäischen Union? Mit der Idee der Gemeinschaft? Mit den Beziehungen zu den U.S.A.? 
Angela Merkel gibt die Kraftlosigkeit ihrer Regierung als Zukunftsentwurf aus.

Gemerkel

Heute (8.6.2018) fand ich diesen Satz unserer Kanzlerin:
"Die Bepreisung der Daten, insbesondere von Konsumenten, ist meiner Ansicht nach das zentrale Gerechtigkeitsproblem der Zukunft".

Na, ist dieser Satz nicht gekonnt misslungen? Holger Steltzner von der Zeitung für die intelligenten Auslegungen staunte; er überschrieb seinen Kommentar (S.1, Nr. 130) mit der Formel: "Merkel auf digitalem Glatteis". Das ist nett gesagt; denn dem Satz der Kanzlerin ist nicht zu entnehmen, wo sie steht. Wahrscheinlich saß sie in ihrem Büro und schrieb ihn mit.

Ich warte auf den Moment, in dem ihr ein eigener substanzieller Satz gelingt. Wahrscheinlich warte ich vergeblich. Aber ich werde gelungene Beispiele des Gemerkels hier auflisten.

Donnerstag, 7. Juni 2018

Im Parlament wurde die Kanzlerin als Repräsentantin der Bundesregierung zum ersten Mal befragt: sie stand, sagt die F.A.Z. (Journalismus-Lektüre 71)

Die Tagesthemen der A.R.D. lieferten (6.6.2018) die Nachricht: die erste parlamentarische Fragestunde mit der Kanzlerin. Eingeleitet wurde die Nachricht mit den Bildern aus dem britischen Parlament, in dem die turbulente Konfrontation die Regel ist. Dies, so wurde der Zuschauer eingestimmt, sollte er nicht erwarten.  Mehr als ein fades Häppchen wurde dann nicht geliefert. Reinhard Müller macht der Kanzlerin in der F.A.Z. heute (am 7.6. 2018) dennoch das Kompliment: "Die Kanzlerin steht" bilanziert er ihren Auftritt in seinem Kommentar auf der ersten Seite.

"Die Kanzlerin wäre nicht die Kanzlerin, wenn sie ihre Linie nicht teflonartig verteidigt hätte", schreibt er mit einem schiefen Bild. Denn in der Teflon-beschichteten Pfanne ist es beim Kochen ziemlich heiß. Ob es Angela Merkel so heiß war, ist die Frage. Aufgeregt war sie sicher. Wie sehr lässt sich aus der Entfernung nicht sagen. Sie antwortete selten direkt, sondern leitete mechanisch ihre Antworten mit dem Adverb also ein. Damit verschaffte sie sich kommunikativen Platz, räumte die jeweilige Frage vom Tisch des Parlaments ab und bedeckte ihn mit ihren erprobten und geprobten Sätzen - eine Technik, mit der der Dialog vermieden und die Spontaneität unterdrückt werden: der Griff ins Repertoire. So entstand ein lebloser Kontakt - mehr ein Wegducken als ein Stehen. Die Kanzlerin war bei der Frage des Überstehens. Entsprechend war ihre (spontane) Erleichterung. Nichts Neues von der Kanzlerin aus Berlin.