Freitag, 8. Juni 2018

Die Kanzlerin und die F.A.Z. - Journalismus-Lektüre (70)

Angela Merkel und die F.A.Z. haben eine knapp 20 Jahre - kann man das sagen? - Beziehungsgeschichte miteinander. Im Dezember 1999 veröffentlichte sie dort ihren Aufruf zur Emanzipation der Union - der ein Text zur Entsorgung des damaligen Kanzlers Helmut Kohl war. Helmut Kohl war mit seinem System unklarer Finanzen in die öffentliche Bedrouille geraten und für die Union untragbar geworden. Angela Merkel war erfolgreich. Wenig später saß sie als Parteivorsitzende im Sessel der Macht. Sie konnte schon damals gut: auf der Welle des höchsten (kursierenden) Affekts surfen.

Seitdem war ihr die F.A.Z. behilflich, was im Parlament zu vertreten angemessen gewesen wäre, außerhalb des Parlaments zu verkündigen. So war sie der F.A.Z. behilflich, Nachrichten zu erzeugen, die Schlagzeilen machten. Aktuelles Beispiel: die Frankfurter Allgemeine Sontagszeitung vom 3.6.2018, S. 2 - 3. Existenz für Europa ist der (58.5 Punkte große) Titel des Textes; der (13.2. Punkte große) Untertitel lautet: Angela Merkel will, dass die Europäer ihr Schicksal in die Hand nehmen. Hier erklärt sie, was das konkret heißt - und antwortet damit dem französischen Präsidenten Macron.

Die Zeitung als das Sprachrohr der Kanzlerin; Thomas Gutschker und Eckart Lohse, deren beider Journalisten, fragten die Kanzlerin ab. Die Zeitung hat die Veranstaltung als ein Gespräch verkauft. Ist es ein Gespräch? Ich finde: nicht.
1. Der Kontext bleibt unerwähnt: wieso treffen die beiden Journalisten die Kanzlerin jetzt?
2. Die Angabe, wann das Abfragen stattfand, fehlt. So kann man nicht sehen, wie lange der Text bearbeitet wurde, bis er veröffentlicht werden konnte.
3. Die Antworten der Kanzlerin sind glatt, knapp und unpräzis - ohne ihre vertrauten Holperigkeiten beim öffentlichen Formulieren. Ich hätte gern das Transkript des Abfragens mit dem veröffenlichten Text verglichen. 
4. Die Kanzlerin redet luftig, nicht Politik-praktisch. Ein Beispiel:
"Europa hat für seine Bürger nicht nur ein Friedens-, sondern auch ein Sicherheitsversprechen, und das müssen wir erneuern. Ich meine das im ganz umfassenden Sinn, im Blick auf unsere Grundüberzeugungen: Demokratie, Rechtsstaat, Menschenwürde, im Blick auf Sicherheit für Wohlstand und Arbeitsplätze, auf den Schutz der Außengrenzen, die Bewahrung unserer kulturellen Identität und der gemeinsamen Schöpfung". Die Reihenfolge der Liste ist bemerkenswert; die stolzierenden Begriffe sprechen von einer alarmierenden Fantasielosigkeit.

Was ist mit dem bisherigen Scheitern der verabredeten, so genannten Klimaziele? Was ist mit der Unzufriedenheit in unserer Republik? Mit der Armut und der Verteilungsgerechtigkeit hier und in den von uns ausgebeuteten Ländern? Was ist mit der Asyl- und Einwanderungspolitik? Was ist mit der Korruption der Automobilindustrie und der Kreditinstitute? Was ist mit der Unterfinanzierung unserer staatlichen Institute und Bildungssysteme? Was ist mit der Zukunft der Bundesrepublik? Was ist mit dem Zustand und der Idee des Zusammenhalts der Europäischen Union? Mit der Idee der Gemeinschaft? Mit den Beziehungen zu den U.S.A.? 
Angela Merkel gibt die Kraftlosigkeit ihrer Regierung als Zukunftsentwurf aus.

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