Dienstag, 19. Juni 2018

Der selbstgefällige Journalist - Lektüre des Journalismus (72)

Rupert Stadler, der Audi-Mann, wurde verhaftet und sitzt wegen Verdunklungsgefahr ein (F.A.Z. vom 19.6.2018, S. 1). Holger Steltzner, einer der Herausgeber der Zeitung für Beschwichtigung, nimmt sich dessen Haftbefehls an. Er schreibt den ersten Satz:

"In Wolfsburg fällt eine Verteidigungslinie nach der anderen".

Wie kann Holger Steltzner von einer Verteidigungslinie sprechen? Weder sind die Leute aus Wolfsburg in einem Krieg, noch in einem Fußballspiel, noch spielen sie Schach. Was er Verteidigungslinie nennt, ist die juristische Strategie der Wolfsburger, sich zu verschanzen und unsere Öffentlichkeit regelmäßig weiter zu betrügen mit gebrochenen Versprechen der Aufklärung. Natürlich können sie im Gerichtsverfahren ihre Haut zu retten versuchen. Das ist ein anderer Kontext als die  demokratische Verpflichtung, der Wahrheit die Ehre zu geben. Holger Steltzner, das kann man dem Satz entnehmen, positioniert sich als unbeteiligter Zuschauer. Das ist er nicht. Er schweigt zu dem permanenten Wolfsburger, Stuttgarter und Ingoldstädter Angriff auf die Integrität unserer Demokratie als der unverfrorenen Fortsetzung der Korruption.

Der letzte Absatz des Kommentars:

"Die zögerliche Aufarbeitung durch VW zieht die ganze deutsche Autoindustrie in den Strudel des Diesel-Betrugs. Warum schlägt etwa BMW keine Brandschneise zwischen sich und die Betrüger von VW? So schauen die amerikanischen und chinesischen Wettbewerber genüsslich zu, wie die deutschen Premiumhersteller aus falsch verstandenem Corpsgeist erst ihren Ruf und danach ihren Vorsprung in der Motorenentwicklung verspielen. Den Rest erledigen dann aufgeregte Politiker, die Umweltlobbyisten mit Fleiß vor sich hertreiben" (S. 1).

Was hat die Frankfurter Allgemeine Zeitung zur Aufklärung beigetragen?
Nichts. Deren Redakteure haben drei lange Jahre abgewartet. Mit der Ausrede der Unschuldsvermutung haben deren Redakteure sich auf den Beobachtungsposten zurückgezogen.  Dabei haben die VW-Leute ihren Betrug zugegeben. Das journalistische Versäumnis besteht im Abwarten auf die Arbeit der Ermittlungsbehörden und im Tolerieren einer Regierung, die zusieht und wegsieht und  den Maut-Stuss betrieb. 2017 fand die Kanzlerin noch freundliche Worte zur Eröffnung der Frankfurter Automobilmesse (s. meinen Blog Die süße Korruption des gemeinsamen Fantasierens vom 16.9.2017).  Die Frankfurter Allgemeine Zeitung lieferte das freundliche Foto dazu: Angela Merkel klettert aus dem Audi Aicon, unterstützt von Rupert Stadler. Das war vor neun Monaten.

(Überarbeitung: 20.6.2018)

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