Freitag, 19. November 2021

Hart, aber großkotzig

 Die A.R.D. -Sendung Hart, aber fair vom vergangenen Montag (15.11.2021) hatte den Titel: Ist unsere Politik beim Impfen zu feige?

Unsere gewählten politischen Repräsentanten seien beim Management der gegenwärtigen Pandemie nicht mutig, sagt die Redaktion der Sendung Hart, aber fair. Wo sind sie nicht mutig? Bei der Installation einer Impfpflicht. Das explizite, mehrfach öffentlich gegebene, noble Versprechen der Bundesregierung lautet seit geraumer Zeit:  keine Impfpflicht einzuführen. Ist sie feige, wenn sie ihr ausdrückliches Versprechen nicht bricht? Die andere Frage ist, ob es klug war, ein Versprechen zu geben zu einer Zeit, als der Verlauf des pandemischen Prozesses nicht übersehen werden konnte; ein Versprechen sollte man geben, wenn man sicher oder überzeugt ist, es einlösen zu können. Versprechen sollte man nicht zur Beruhigung geben; was man nicht weiß, muss man zugeben; es empfiehlt sich, Stellungnahmen offen zu formulieren.    

Davon abgesehen: öffentliche (politische) Versprechen lassen sich wie andere ritualisiert gegebene Versprechen auch nicht einfach brechen. Unsere Verfassung enthält eine Reihe von Versprechen. Sie zu modifizieren, bedarf eines parlamenarischen Prozesses des Aushandelns; Revisionen sind nur unter bestimmten Bedingungen möglich; manche Verfassungs-Versprechen sind von Revisionen ausgeschlossen. Die jugendliche Vokabel der Feigheit hat hier nichts zu suchen. Sie einzuführen, ist großkotzig -  die Ethik der Verpflichtung eines Versprechens wird übergangen, der Artikel zwei unseres Grundgesetzes (Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden) ist offenbar Nebensache. Die naßforsche Großzügigkeit passt zu dem ungenügenden Realitätsgeschäft eines großen Teils unserer öffentlichen Diskussion, dem es nicht gelang, unsere führenden politischen Repräsentanten ausreichend mit den Einschätzungen und dem Rat der Wissenschaftler zu konfrontieren; stattdessen folgte sie dem Prozess der Verleugung und der Verschiebung, der Beschwichtigung und der Empörung, indem die neuen Feinde der Pandemie ausgemacht und angeprangert wurden: diejenigen, die ihre zügige Impfbereitschaft vermissen ließen und die endlich gezwungen werden sollen. 

So folgte auch diese Sendung der öffentlich legitimierten, konfusen und ungeduldigen Unbarmherzigkeit. Der Knüppel ist ein schlechtes Argument. Das Interesse für die zögernde Impfbereitschaft wurde nicht aufgebracht. Mittel, wie für das Impfen schwer erreichbaren Leute zu erreichen sind, wurden nicht erörtert. Die Stadt Köln hatte es mit einem Impf-Bus im Stadtviertel Chorweiler vorgemacht - das (erfolgreiche) Experiment musste aufgegeben werden, als die Vakzine aufgebraucht waren und Nachschub offenbar nicht zur Verfügung stand. Wieso? Müsste nicht geklärt werden, weshalb die Wege, die Leute fürs Impfen zu gewinnen und zu erreichen, nicht entschlossen & großzügig erprobt werden? Soll das nicht sein? Stattdessen schwang der aufgebrachte Moderator das verbale Bügeleisen. Die Tür zur Verständigung blieb geschlossen. Die unausgesprochene Frage der Sendung - was hemmt unsere Regierungen? - blieb unbeantwortet. Am Ende herrschten bei Hart, aber fair die hilflose Sprachlosigkeit und das Dunkel der Hoffnungslosigkeit. Gute Nacht, Johanna!  Mal sehen, wie wir uns vorwärts tasten.

 

(Überarbeitung: 26.11.2021)  

 

Mittwoch, 10. November 2021

Alle Jahrzehnte wieder - streiten wir uns über die Atomenergie: Kleine Brötchen oder große Brötchen?

Der von unserer (im Moment noch) geschäftsführenden Kanzlerin Hals über Kopf durchgesetzte Wahlkampf-Coup im Frühjahr 2011 - genannt Energiewende - war ein planloses Panik-Manöver im Dienste der nationalen Beruhigung und Beschwichtigung: zum Machterhalt . Ein halbes Jahr zuvor hatte sie den Betrieb der Atommeiler verlängert. Erstaunlich war und ist, dass Angela Merkels Manöver die öffentliche Diskussion passierte. Es paßte zur Stimmung der (aktuell) weit verbreiteten Ablehnung der atomaren Energiegewinnung bei uns.

Das war vor 50 Jahren etwas anders. 

Die Ablehnung der atomaren Energiegewinnung auf Grund ihrer enormen Gefährlichkeit war Anfang der 70er Jahre groß, aber nicht groß genug, um das Experiment mit den Atommeilern zu verhindern. Jemand verglich es damals mit dem Versuch, ein Flugzeug zu starten, ohne über ausreichende Landebahnen zu verfügen. Die Zeit war anders. Damals war die Verfügung über die Ressource Erdöl ungewiss. Damals war die Frage: backen wir künftig kleine oder große Brötchen?

Die westlichen, Wachstums-getriebenen Gesellschaften entschieden sich für das Versprechen großer Brötchen. Wer wollte dagegen etwas haben? Jedenfalls nicht die Mehrheit der westlichen Bevölkerungen. Atomenergie lebte vom Versprechen eines irdischen Paradieses, mit dem man sich hinwegfantasieren konnte von den mörderischen Orgien der Vernichtung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Heute breitet sich die Ernüchterung aus. Das irdische Paradies ist nicht gekommen. Die großen Brötchen der Ausbeutung und der Vernichtung unserer Lebensgrundlagen schmecken nicht mehr richtig. Die Erderwärmung und die Pandemie, realisieren wir (vielleicht) allmählich, sind der reale Preis der großen Brötchen. Aber sie locken weiter. Jetzt stehen wir wieder vor der Frage: geht es auch kleiner? Mit bescheidenen Mitteln, die wir noch in der Hand haben? Die Atomenergie steht für die großen Brötchen - Wohlstand für alle heißt die politische Lüge. Die Frage, wie wir die weltweite Armut reparieren, bleibt unbeantwortet. Wir werden, wollen wir unsere Lebensverhältnisse global reparieren, um sie nicht herum kommen. Verteilung steht an. Die Erderwärmung wird dabei mit (herunter)geregelt.




Unbarmherzige öffentliche Schadenfreude: die Grünen kriegen's in den Koalitionsverhandlungen nicht hin...sie haben sich verhoben...(Journalismus-Lektüre 101. Beobachtung der Beobachter)

"Im Fahrwasser der Machtpolitik", überschreiben Helene Bubrowski und Rüdiger Soldt ihren Text vom Eindruck einer grünen Unzufriedenheit: "Unter Grünen wird die Kritik an den Koalitionspartnern lauter" (F.A.Z. vom 9.11.2021, S. 2). Es war klar, dass es schwer werden würde. Jetzt feixen manche journalistische Beobachter - Annalena Baerbock hatte in einem Brief an die Umweltverbände um öffentliche Hilfe gebeten und sich dabei, wie wir umgangsprachlich genau sagen, eine Blöße gegeben.  Der Brief, so Helene Bubrowski und Rüdiger Soldt, machte einen schlechten Eindruck. "Doch die Grünen wirken dabei etwas hilflos; sie bekräftigen so das Narrativ, sich gegen die beiden anderen Parteien nicht durchsetzen zu können", schreiben Helene Bubrowski und Rüdiger Soldt.

Das Narrativ,  ein hübsches Passpartout-Wort für viele Kontexte, ist auch das Verdeck-Wort für die öffentliche, medial beförderte Einstimmung auf ein ambivalentes, voyeuristisches Klatsch-Interesse, das mit dem Scheitern der Verhandlungen flirtet. Da hört der Spaß auf. Es geht nicht um eine fröhlich vermittelte Erzählung im Kleid journalistischer Besorgnis, sondern um die Verabredung einer existenziellen, uns alle betreffenden, dringlichen Politik. Fürs Klatschen haben wir keine Zeit.