Dienstag, 19. Juni 2018

Der selbstgefällige Journalist II - Lektüre des Journalismus (73)

Die bundesdeutsche Fußball-Nationalmannschaft hat gegen Mexiko 0:1 verloren. Es geht ganz normal zu: wir sind in einem Weltmeisterschaftsturnier. Wer sich an die vergangenen Turniere erinnert, weiß: meistens war es eine Holperei; meistens waren die Spiele knapp. Nur beim letzten Turnier ging es - Ausnahme war das Spiel gegen Algerien, das Manuel Neuer für uns umbog - für den Zuschauer vergleichswerise glatt und angenehm zu. Der Normalfall waren Zitterpartien mit Nägelkauen.

Heute Morgen lese ich den langen Riemen von Michael Horeni (Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 19.6.2018, S. 36) mit den Überschriften:

"War's das schon? Die ersten Anzeichen deuten darauf hin, dass die gealterten Wohlfühl-Weltmeister trotz des Fehlstarts gegen Mexiko in der Welt der Selbsttäuschung verharren wollen. Bundestrainer Löw zieht sich auf sich selbst zurück".

Die gealterten Wohlfühl-Weltmeister sind ein Wort der aufgeblasenen Herablassung. Michael Horeni hat die alten Turniere (1954, 1958, 1962, 1966) nicht miterlebt - er ist, wie das Internet angibt, Jahrgang 1965. Sein größtes Interesse, ist dort zu lesen, gilt dem Fußball. Dann  müsste er es besser wissen. Wieso bringt er  so wenig Verständnis auf? Sicherlich fühlen sich unsere Fußballer jetzt nicht wohl. Sie wissen, wie sie gespielt haben. Sie wissen, was auf sie zukommt. Sie waren, wenn man ihr unglückliches Spiel etwas anders versteht, offenbar gelähmt  -  man kann vermuten, dass der immense, unbarmherzige Erwartungsdruck vom künftigen Weltmeister, der seinen Erfolg wiederholt, mächtig auf ihnen lastete. Michael Horeni wirft ihnen vor: Selbsttäuschung. Woher weiß er das? Hat er mit ihnen ausführlich gesprochen? Haben sie ihm genaue Auskunft gegeben?

Nein. Michael Horenis Vorwurf der Selbsttäuschung ist: erschlossen; behauptet. Journalismus als Bluff. Sein Vorwurf passt zur (hier & da anzutreffenden, in meinen Blogs beschriebenen) Redaktions-Politik der Frankfurter Allgemeinen Zeitung: Journalismus als Haltung der beobachtenden, unbeteiligten Selbstgefälligkeit.

Zum Glück lassen sie Niko Kovac zu Wort kommen; er hat einige gute Argumente für unsere Nationalmannschaft.


(Überarbeitung: 9.7.2018)


 

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