Freitag, 26. März 2021

Erschöpfung und Konfusion in der Willy-Brandt-Straße 1, 10557 Berlin, am 22., 23. und 24.3.2021: Drei Tage des Einblicks ins Polit-Getriebe

Montag, der 22.3.2021: Treffen zur Aussprache der Bundeskanzlerin und der Regierungschefs der Bundesländer zum Management der Pandemie in der Osterzeit. Vierzehn Stunden später, am frühen Dienstagmorgen, dem 23.3.2021, gingen  sie auseinander und trafen sich zu Dritt zu einer Runde mit den Presseleuten: Angela Merkel, Michael Müller und Markus Söder, der mit dem Stichwort Osterruhe aufwartete - womit  die drei Regierungschefs die Intervention einer fünftägigen Bewegungs- und Beziehungseinschränkung erläuterten.

Lange Sitzungen, das weiß jeder, der oder die sie einmal ausgehalten hat, sind ein Zeichen der Not und schlechter Planung: Sachverhalte kann man nur klären, wenn man frisch ist und darauf besteht, frisch zu bleiben. Zudem ist es unklug, unter der Aufsicht der draußen wartenden (ungeduldigen) Leute mit dem Notizblock und der Kamera zu diskutieren. Die Macht, sie warten zu lassen, elektrisiert die Diskutanten; aber je mehr Zeit verstreicht, um so mehr wird das Vergnügen zu einer Last und um so strapaziöser und schwieriger wird es, einen klaren Gedanken zu fassen. So verfingen sich die Akteure im  Geschäft der politischen show.  Die show, ein Missverständnis öffentlicher Kommunikation, gedacht als Demonstration politischer Entschlossenheit, verkehrte sich zu einer Veranstaltung der Lähmung. Was die show der Konferenz am Ende vermittelte, waren die leeren Taschen der Beteiligten: nichts Neues drin, nur eine neue Vokabel der Beschwichtigung: Osterruhe, der paradoxe Versuch eines energisch intendierten, aber halbherzig betriebenen Managements der Pandemie.

Stunden später am selben Dienstag hatte Caren Miosga von der A.R.D.  den Auftrag, für die Tagesthemen Michael Kretschmer, den Ministerpräsidenten von Sachsen, zu befragen. Nach dem Motto ihrer Redaktion Konfrontation ist das beste Wahrheitsmittel legte sie los:"Verraten Sie uns, wie das in der Nacht gelaufen ist. Wann wurde die Idee dieser Osterruhe geboren?"

Michael Kretschmer vermied, darauf zu antworten: "Na, das war bei Vielen, aber auch bei uns ein wichtiger Punkt. Deutschland ist sehr unterschieden. Wir haben Länder mit einer sehr hohen Inzidenz...und es gibt Länder, die sind davon verschont geblieben, vor allem die Nordländer. Ich bin sehr froh darüber,  dass es uns gelungen ist, einen gemeinsamen Weg zu finden, und wenn der eine oder andere das eher als Vorsicht empfindet als - so wie wir - eines aktiven Reagierens gegen eine Entwicklung, die gerade stattfindet ".

Michael Kretschmer wand sich,  Caren Miosga richtete sich im Hohlkreuz auf: " Wir haben gehört, diese Idee kam erst auf den Tisch, als die Verhandlungen feststeckten. Wie gut oder wie schlecht sind solche Treffen eigentlich vorbereitet, wenn solche Idee plötzlich als Verhandlungsmasse aufploppt?"

Michael Kretschmer wand sich und antwortete mechanisch - gewissermaßen aus der Tiefe seiner Sprechmaschine: "Ja, da ist natürlich der Wunsch gewesen...vieler Länder, doch Osterurlaub zu ermöglichen. Da sprach alles dagegen, was wir in anderen Bundesländern sehen. Das muss zuerst mal ausdiskutiert werden. Das ist ein großer Wert, dass so etwas gelingt, dass man sich zusammen auf einen Weg begeben kann...diese Entscheidung zu den fünf Tagen ist absolut unpopulär...es ist der Mittelweg, die Erfahrungen der letzten zwölf Monate zu nutzen; denn dieser Lockdown vor einem Jahr war unglaublich wirkungsvoll - man muss aber auch sagen: er war viel länger und viel konsequenter. Er hat uns durch einen Sommer gebracht, der sehr frei war. Diese Entwicklung können wir jetzt nicht erwarten. Wir haben jetzt hoffentlich ein Ausbremsen einer sehr unguten Entwicklung".

Abgesehen davon, dass er Caren Miosgas nassforsche Fragen natürlich unbeantwortet ließ, hatte  Michael Kretschmer kein substantielles Argument zur Verfügung. Er verteidigte die in der Sitzung verabredete Intervention und folgte seiner (partei) politischen Verpflichtung. Er machte - wer kennt das nicht? -  den Eindruck eines vor Erschöpfung platten Prüflings, der redet, um sich über die Runden seines Examens zu retten. Caren Miosga setzte - offenbar mit Vergnügen - nach: " Herr Kretschmer, Sie mögen uns nicht sagen, wie die Verhandlungen waren? Herr Woidke sagte, in der Nacht hätte das Ganze auch gut gegen die Wand fahren können. War das der Moment, als sie über den Osterurlaub im eigenen Bundesland gestritten hatten?" 

Caren Miosga erhielt keine Antwort. Der sächsische Ministerpräsident redete sich fahrig fest. Das Schauspiel einer demokratischen Tragödie fand vor unseren Augen statt: der Repräsentant eines hohen demokratischen Amtes hatte sich in seinen Aufgaben, Verpflichtungen und Loyalitäten verheddert. Man konnte den Abgrund öffentlicher politischer Dysfunktionalität sehen. Das Fernsehen mit seinem (unausgesprochenen) Versprechen, Geständnisse von den Akteuren der öffentlichen Diskussion zu erzwingen, gehört zu diesem Prozess der Entdifferenzierung dazu. Sinnvollerweise hätte Caren Miosga diese Art von Gesprächsüberfall sofort beenden müssen, als klar war, dass Michael Kretschmer sich im defensiven Kreis drehte. Aber eine Sendung wie die Tagesthemen muss ihrer ritualisierten Struktur mit ihrem Zeitraster folgen; das Gespräch mit dem sächsischen Ministerpräsidenten lag vor, lag im Kasten, Ersatz war (wahrscheinlich) nicht vorhanden, also musste es gesendet werden im Dienste eines - je nach dem, wie man aufgelegt ist - feixenden (Miß-) Vergnügens.

Desaströse Gesprächsleistungen vor den Kameras der beiden großen TV-Sender haben ihre Folgen. Das war so Mitte März 2011, als Angela Merkel am Sonntagabend, dem 13.3.2011, dem W.D.R.-Journalisten Ulrich Deppendorf gegenüber ihre Sorglosigkeit hinsichtlich der deutschen Atomkraftwerke - angesichts der schwer harvarierten Anlagen in Fukushima - ausbreitete und auf die deutschen Befürchtungen nicht einging (s. meinen Blog vom 14.3.2011 Vielleicht.Vielleicht). In dieser Nacht wurde viel telefoniert. Am Montag, dem 14.3.2011, erklärte die Kanzlerin die Revision ihrer kurz zuvor getroffenen Entscheidung, die Laufzeiten der Atomanlagen in der Bundesrepublik zu verlängern, und ein dreimonatiges Moratorium des Nachdenkens über eine rasche Aufgabe der Stromerzeugung aus der Atomenergie. 

Jetzt, am Mittwochmorgen, dem 24.3.2021, trat die Bundeskanzlerin vor die Kameras und nannte den Plan der Osterruhe:  einen Fehler. "Dieser Fehler ist einzig und allein mein Fehler. Ich weiß, dass dieser Vorgang zusätzliche Verunsicherung auslöste. Das bedauere ich zutiefst. Dafür bitte ich alle Bürgerinnen und Bürger um Verzeihung". 

Ihre Mitteilung war eine monströse, unklar adressierte Geste mit einer heiklen Wortwahl. Wie kann man 80 Millionen Leute um Verzeihung bitten?  Die Bitte um Verzeihung gehört in die Intimität einer Beziehung; erbeten wird der Verzicht auf irgendeine Form der Vergeltung. Man kann sich vielleicht für einen Fehler entschuldigen (Tut mir leid, dass ich die Kartenstiche nicht richtig nachgehalten habe) - aber der Fehler ist hier das falsche Wort. Der Ton einer kitschigen Intimität wurde angeschlagen. Es geht um das Muster einer fortgesetzt unentschiedenen, nicht ernergischen, konzeptionslosen, ambivalenten Politik des Flehens und des Drohens (zwischen Bund & Ländern), des Aufschiebens und Vertagens zwischen der Forderung nach einer Bewegungs- und Beziehungseinschränkung und dem Andeuten des Trostes einer baldigen Einschränkungs-freien Zukunft (Lockerung! von den Fesseln der Pandemie! Normalität!).  In den von der Kanzlerin geleiteten Beratungen der Regierungen  wurden den Wissenschaftlern, erzählte die Virologin Melanie Brinkmann (DER SPIEGEL Nr. 6 vom 6.2.2021, S. 94 ff) nur jeweils drei Minuten Zeit gelassen...Angela Merkel räumte ein, dass in den politischen Gremien keine gemeinsam geteilten Konzepte existierten. Offenbar drängte sie nicht darauf, sich auf ein Konzept zu verständigen. Sie ließ es, muss man vermuten, laufen. Die letzte Sitzung, räumte sie ein, war unangemessen vorbreitet. Das aber ist kein Fehler, sondern ein Stil. Er zieht sich durch ihre Regierungsarbeit. Angela Merkel drängt nicht auf Klärung. In den drei Tagen des März räumte sie ein, dass sie  in Fragen des Managements der Pandemie in einer Sackgasse steckt. Immerhin. Wenn  man weiß, dass man den Wagen nicht gewendet bekommt, muss man den Fahrersitz freimachen.  Leider ist in der Sackgasse noch genügend Platz, den Wagen etwas in die eine und andere Richtung zu manövrieren. Unsere Regierung, befürchte ich, wird weiter am Lenkrad hin- und herdrehen. 


(Überarbeitung: 3.4.2021)

 

 

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