Mittwoch, 3. März 2021

Unsere Bundeskanzlerin (einmal wieder) im Gespräch mit Journalisten der F.A.Z.: die Akrobatik des treuherzigen Lavierens

"Ich bin im Reinen mit mir". Diesen Satz (F.A.Z. vom 25.2.2021, S. 3)  spricht Angela Merkel im letzten Absatz  des Interview-Textes aus. Berthold Kohler und Eckart Lohse hatten sie gefragt, ob sie ihren Entschluss, das Amt des Kanzlers für eine weitere Legislaturperiode auszuüben, nicht bereut hätte. Angela Merkel antwortete: "Nein. Ich bin sehr im Reinen mit mir. Vier Legislaturperioden Bundeskanzlerin zu sein ist heutzutage eine gute Zeitspanne. Ich kann ganz frohgemut die Verantwortung in andere Hände geben. Bis dahin werde ich meine Arbeit jeden Tag sehr gerne machen".

Sehr gerne ist inzwischen unsere Standardfloskel zu allen möglichen, alltäglichen Gelegenheiten, in denen die Last oder der Widerwille von Aufgaben oder  Begegnungen geleugnet und verdreht werden. Wer bringt schon sehr gerne den Müll nach draußen oder gibt bereitwillig Auskunft, obgleich man es eilig hat? Sehr gerne ist der Kotau und die ungenaue Selbstbeschreibung, die sich weitere Fragen verbietet. Wer wird schon so bösartig sein und mit Unglauben auf ein Sehr gerne! reagieren?  Dabei lassen die vier Sätze viele Fragen offen. Im Reinen im Amt des Bundeskanzlerin? Hat sie keine Zweifel? 16 Jahre im Amt: eine gute Zeitspanne? Kein Wort zu den Aufregungen und Strapazen dieser Jahre.

Erstaunlich. Müsste man nicht nachfragen? Angela Merkel kriegt es hin, dass nicht nachgefragt wird. Gefragt, ob das Schlimmste der Pandemie überstanden sei, antwortet Angela Merkel: "Wir können darüber nachdenken, wie schrittweise Öffnungen aussehen können. Ohne die hoch ansteckenden Mutationen wäre das vergleichsweise einfach möglich. Durch sie kommen wir nun aber in eine neue Phase der Pandemie, aus der eine Welle entstehen kann. Die sogenannte britische Mutation ist aggressiver als Ursprungsvirus und wird es verdrängen. Wir müssen jetzt also klug und vorsichtig vorgehen, damit eine dritte Welle nicht einen neuen kompletten Shutdown in ganz Deutschland erforderlich macht". Eine klare Frage verqirlt sie zu einer labbrigen Antwort.

Aber was stellt unsere Kanzlerin sich vor? Der komplette Shutdown in Deutschland ist ein  anderer Begriff als der Lockdown und eine neue Aussicht. Der Shutdown ist das Herunterfahren und Stilllegen einer industriellen Anlage, einer Firma, das Verriegeln und Abschließen eines Hauses. Nur der für den Erhalt der Anlagen notwenige Betrieb wird aufrecht erhalten. Der komplette Shutdown ist ein Pleonasmus. Die missglückte Wortwahl, muss man vermuten, deutet an: diese Intervention, über die offenbar bereits nachgedacht wurde, steht bevor. Das zu sagen versucht sie zu vermeiden. Sie weiß mehr, als sie sagt. Was weiß sie mehr?

Unsere Kanzlerin liebt die luftigen Ermahnungen aus der Kinderstube. Sie empfiehlt Klugheit und Vorsicht. Wer kann dagegen etwas haben? Die beiden Journalisten gaben sich zufrieden. Sie ließen sich abspeisen. Erstaunlich.


  

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