Mittwoch, 3. März 2021

Fukushima und Angela Merkel: zehn Jahre danach im Dokumentarfilm von Inge Kloepfer in der A.R.D. bilanziert

 Ziemlich genau vor zehn Jahren hatten wir Fukushima. Fukushima ist das Sinnbild für die gewaltige menschliche, technische und politische Katastrophe geworden. Der Ort steht für die weltweite (erneute) Ernüchterung der Illusion, wir beherrschten den Umgang mit der Atomenergie. Fukushima steht für den öffentlichen Schock, für das Entsetzen unserer Öffentlichkeit, für die tiefe Beunruhigung über den Verlust unserer Sicherheit und unseres Platzes auf diesem Planeten. Fukushima steht für den Aufschrei nach einer drastischen Relativierung der Atomenergie - wobei der Aufschrei noch keine andere Energie-Politik bedeutet; denn die Frage bleibt, wie die internationale Gemeinschaft sich darauf verständigt, schnell den Raubbau, die Verschwendung natürlicher Ressourcen und das Verfeuern fossiler Brennstoffe radikal zu reduzieren, um die Erderwärmung zu drosseln. Wir müssen sehen, ob und wie die Antwort (mit oder ohne Atomenergie) gelingt.

Fukushima steht auch für die erratische, Plan- und Konzeptions-lose, EU-unfreundliche, buchstäbliche tolle Politik unserer Kanzlerin, den (von der früheren grünen und sozialdemokratischen Regierung) mit der Industrie der Energie-Versorgung ausgehandelten und abgestimmten Plan, die atomare Energiewirtschaft auslaufen zu lassen, zu kassieren, stattdessen die Laufzeiten der Anlagen wieder zu verlängern und wenige Monate später - als der Aufschrei der Empörung in der Welt-Öffentlichkeit widerhallte - eine Art Kehrtwendung durchzusetzen und dem öffentlichen Aufschrei zu folgen.

Das war populäre, bundesdeutsche Regierungskunst im Dienste öffentlicher Beschwichtigung und Beruhigung in Zeiten des Wahlkampfs in Baden-Württemberg.

Wie kam sie damit durch?

Das erzählt Inge Kloepfer in ihrem Dokumentarfilm Finale. Fukushima und der deutsche Atomausstieg. In der Frankfurter Allgemeinen  Sonntagzeitung (vom 28.2.2021, S. 23) beschrieb Inge Kloepfer ihre Rekonstruktion der fünf Tage im März 2011, in denen Angela Merkel ihre Politik korrigierte und durchsetzte; ihr Film wurde am Montag, dem 1.3.2021, kurz vor Mitternacht in der A.R.D. ausgestrahlt. Was damals vereinzelt auf den Tisch der Öffentlichkeit kam (s. meinen Blog Vielleicht. Vielleicht vom 14.3.2011), ist jetzt zu sehen und zu hören. Angela Merkel korrigierte innerhalb von fünf Tagen ihre Energiepolitik. Sie kündigte ein Moratorium des Nachdenkens, zu dem auch eine Überprüfung der ältesten Kraftwerke gehörte, an - eine Selbstverständlichkeit, die als Neuigkeit verkauft wurde.

Mit quietschenden Reifen kam Angela Merkel durch die Spitzkehre.  Sie führte die Ministerpräsidenten ihrer Partei, in deren Ländern Atomkraftwerke betrieben werden und die mit ihrer Entscheidung nicht einverstanden waren, vor: in der entscheidenden Pressekonferenz bluffte sie mit dem Wort ihrer gemeinsamen Entscheidung (die allerdings nicht abgestimmt worden war) - die Ministerpäsidenten widersprachen nicht, sie duckten sich weg. Die Öffentlichkeit als Erziehungsmittel. So macht man's. So hatte Angela Merkel es in ihrem (in der F.A.Z.  veröffentlichen Text der Aufforderung an ihre Partei, sich vom damaligen Kanzler Helmut Kohl zu ermanzipieren) im Winter 1999 getan.  

Übrigens spielte das Argument der Brückentechnologie (der Atomkraft) für die allmähliche Aufgabe der fossilen Brennstoffe offenbar keine Rolle für Angela Merkel. Die Frage der Kosten der Ausgleichszahlungen an die Atomindustrie  wurde offenbar vertagt. Der Aufforderung des Bundesverfassungsgerichts, diese Frage neu zu regeln, ist die Bundesregierung noch nicht nachgekommen. Die Kosten für den Wahlkampf in Baden-Würtemberg sind immens. Wer trägt sie demnächst? 

Inge Kloepfers Fukushima und der deutsche Atomausstieg steht in der Mediathek der A.R.D.  bis Anfang März 2022 zur Verfügung. Dort resümieren  Jürgen Trittin, Renate Künast, Sigmar Gabriel,  Klaus-Dieter Maubach (E.On-Vorstand) und Peter Bannas (F.A.Z.) den Fukushima-Coup.  Jürgen Trittin: "Die Wahlen in Baden-Württemberg waren damals möglicherweise einer der Gründe,  nicht angreifbar zu werden. Uns wurde natürlich der Boden weggezogen in dem Moment, wo Frau Merkel entschieden hatte: Jetzt gibt's erst'mal ein Moratorium"". Renate Künast: "In dem Augenblick hat Merkel gerechnet, in der Mischung zwischen Wahlen in Baden-Württemberg, Überzeugung der Gesamtbevölkerung und: was wird wohl in den nächsten Wochen und Monaten passieren....das hat sie alles zusammengepackt. Frau Merkel funktioniert so. Frau Merkel hat an manchen Stellen gar nicht - für meine Begriffe - den Zugang, was sie als Erstes ihrer eigenen Überzeugung umsetzt, sondern sie fragt sich: Was will das Land?" Sigmar Gabriel: "...dass die Lösung, die Angela Merkel gefunden hatte, am Ende des Weges teurer ist....das ist die Ironie, aber auch die Bitterkeit für die Steuerzahler". Klaus-Dieter Maubach (E.On-Vorstand): "Ich habe an diesem Tag erlebt, wie aus politischer Motivation heraus der Rechtsstaat in Deutschland gedehnt wurde".  Peter Bannas bilanziert Angela Merkels Politik-Verständnis: "...die wesentlichen Entscheidungen, die sie getroffen hatte in ihrer Amtszeit, die großen Politik-Felder, da war sie selten wirkliche Akteurin".  

Nachtrag. Meldung der F.A.Z (5.3.2021) auf der ersten Seite: Bund zahlt 2.4 Milliarden an Energieversorger. Zur Entschädigung für 2011. It's only money.

 

 

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