Donnerstag, 21. Mai 2015

Der kontrollierte Autofahrer und die kontrollierte Autofahrerin

Schlechte oder gute Zeiten für den Mann und die Frau am Steuer? Heute Morgen las ich auf der ersten Seite der Süddeutschen Zeitung (21.5.2015) die Notiz:

"Ein Schritt zum gläsernen Autofahrer".

Die Autofahrerin muss sich offenbar keine Sorgen machen. Es geht um den Plan der Versicherungswirtschaft, unsere Personenkraftwagen mit einer Art Black Box auszurüsten; wer sich dazu bereit erklärt, soll die Versicherungsprämie reduziert bekommen. Der Kommentar auf der vierten Seite von Helmut Martin-Jung singt die Melodie, so der Titel des Textes, vom vermessenen Menschen: die bekannte Befürchtung vom schrumpfenden Raum unserer Intimität. Das Konzept, das diesem Vorhaben zugrunde liegen könnte, diskutiert er nicht. Der Fahrtschreiber im Lastkraftwagen ist vertraut; er registriert Geschwindigkeiten und Fahrzeiten; im Fall einer Kontrolle oder eines Unfalls werden die Daten zur Rekonstruktion des Fahrverhaltens herangezogen. Der Kasten im Pkw soll mehr können: er registriert Tempo, Lenk- und Bremsmanöver; seine Daten können mit den jeweiligen Strecken abgeglichen werden. Die Idee ist: mit den Daten lässt sich ein Fahrverhalten erschließen. Ob sich aus einem Fahrverhalten eine Unfall-Wahrscheinlichkeit ableiten lässt, erscheint plausibel, ist aber nicht belegt; denn Unfälle sind, statistisch betrachtet, seltene  und komplexe Ereignisse. In den 70er Jahren wurde die Unfall-Persönlichkeit gesucht - und (meines Wissens) nicht gefunden. Sicher gibt es Unfall-begünstigendes Verhalten: Alkohol-Konsum, hohe Geschwindigkeit, geringe Abstände, Ausreizen der Spielräume beim Fahren. Ob und wann ein solches Verhalten in der Interaktion mit anderem Fahrverhalten in einem Unfall kumuliert, müsste man aufwändig erforschen.

Was soll dann eine Aufzeichnung der Daten des Fahrverhaltens? Meine Vermutung: abgesehen vom Vorteil einer erleichterten Unfall-Rekonstruktion des verantwortlichen Fahrverhaltens -  eine Reduktion der Unfall-Kosten und, vielleicht indirekt, eine Verlangsamung des Verkehrssystems. Mit dem Aufzeichnungskasten im Auto fährt man wahrscheinlich vorsichtiger. Sollten sich die Unfallzahlen günstig verändern, wäre das ein enormer Gewinn. Autofahren ist öffentliches Handeln. Das Klagen über die kontrollierte Intimität ist das falsche Argument. Jetzt versucht die Versicherungswirtschaft zu intervenieren und eine Tempo-Reduzierung zu initiieren - was der Gesetzgeber sich bislang nicht traute.  


(Überarbeitung: 22.5.2015)

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