Freitag, 23. März 2018

Lektüre einer Form von Journalismus (Beobachtung der Beobachter) (65): Erziehungsfragen in der Außenpolitik

Der sich selbst preisende Qualitätsjournalismus neigt hier & da zur Aufgeregtheit. Das  ist die Folge seiner Desorientierung. Politische Prozesse in das Format eines Klassenzimmers zu pressen, ist unangemessen. Die Feuerzangenbowle, unser nationalsozialistischer Schmuggel-Film vom Vergnügen an der Demontage einer demokratischen Institution, spukt durch diesen oder jenen Kopf. Aber der Reihe nach. Heute schrieb Majid Sattar seinen Kommentar in der Zeitung für die klugen Köpfe - Titel: Sanft oder robust (23.3.2018, S. 1, Nr. 70). "Die Trump-Deuter in den Regierungsapparaten europäischer Hauptstädte", so Sattar, "raufen sich die Haare". Das ist ein weit reichender, ausgreifender, deprimierender - wenn er zutreffen sollte -   Satz. Vermutlich rauft sich Majid Sattar die Haare. Das sagt er nicht. Er spottet über die neue "Fachdisziplin", wie er sagt: die "Trump-Psychologie".  Er sieht Politiker, die sich die Haare raufen und sich ihre Strategie gegenüber der U.S.-amerikanischen Regierung überlegen: sanft  oder robust? Das ist die hilflose Frage, die sich früher Lehrer stellten, die mit aufsässigen Schülern zu tun bekamen und glaubten, sie könnten ihr Verhalten konzeptionslos variieren und Einfluss nehmen.

Wie ist das mit einer Regierung, die nicht regiert? Das Nachdenken über die Psychopathologie des derzeitigen Präsidenten hilft nicht. Deren relevante Strukturen sind in einigen Zeitungen und Zeitschriften der U.S.A. beschrieben. In Otto F. Kernbergs Büchern kann man sich ausreichend über den "malignen Narzissmus" informieren. Viel wichtiger ist, den Kommentar in der New York Times von Charles M. Blow ernst zu nehmen, der geschrieben hatte: die Wahl von Donald Trump sei ein ticket to hell (s. meinen Blog vom 21.3.2017: "In Frankfurt am Main und in New York City - welche Wirklichkeit zählt"). Donald Trump ist als Inhaber des Präsidenten-Amtes Chef eines großen Regierungsapparats, der sich dadurch auszeichnet, dass er nicht funktioniert und dass sich bislang noch Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen finden, die dessen Dysfunktionalität am Leben halten.

Was mit  ihrem Präsidenten geschieht, müssen die U.S.-Amerikaner ausmachen: wie lange sie dessen flackernde, korrupte Inkompetenz ertragen wollen. Möglicherweise wird er nicht mit seiner Entscheidung durchkommen, dem Sonder-Ermittler Mueller den Auftrag zu entziehen - die Risiken soll Donald Trump derzeit abzuschätzen versuchen, wozu er wahrscheinlich nicht die Geduld haben wird.  Sollte er damit durchkommen, stünde das Land mit der ältesten demokratischen Tradition vor einer konstitutionellen Katastrophe. Das wäre für alle demokratisch verfassten Länder ein Test der eigenen Überzeugungen und institutionellen Gewissheiten. Im Augenblick - nach der Kündigung seines Chef-Juristen John Dowd und seines Sicherheitsberaters Lt.Gen. H.R. McMaster - torkelt der Präsident im Oval Office. Wie lange er sich auf den Beinen hält, werden wir sehen.

Den Europäern bleibt nur, eine vernünftige Politik beharrlich und freundlich zu behaupten. Die Füße des U.S.-Präsidenten sollten sie nicht zu küssen versuchen. Sie sollten sich verständigen, die vereinbarten und geforderten Preise zu zahlen (die 2%-Beteiligung an den militärischen Kosten; Ausgleich des Handelsdefizits) und den Preis dafür zu zahlen bereit zu sein, keine (wirtschaftlichen und andere) Machtkämpfe aufzunehmen. Der Preis der (möglichen) Zölle ist ungewiss; wie lange sie bestehen bleiben, ebenso. Eine gemeinsame Politik wäre vernünftig; sie müsste wirklich gemeinsam sein. Geduldiges und nachdrückliches Verhandeln wäre doch gut. Der mächtige (europäische) Nettozahler, der sich so gern an die vermeintlich altruistische Brust klopft, sollte dazu endlich seinen Beitrag leisten. Dass das Vereinigte Königreich im europäischen Verbund wirklich fehlen sollte als ein schweres politisches (Gegen-) Gewicht, fällt mir vorzustellen schwer. Der  Verlust wäre die unglaubliche Fehlleistung einer europäischen Krämer-Politik, die sich nicht imstande sah, die Schnapsidee des "Brexit" auszubalancieren.       

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen