Montag, 14. Mai 2018

Journalismus-Lektüre - Beobachtung der Beobachter (68): die Trivialisierung der Komplexität

Neulich las ich Winand von Petersdorffs Text Wahrheit scheibchenweise (Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 5.4.2018, S.2). Gemeint war die Mitteilung des kürzlich angeheuerten Beraters Rudy Guliani, dass der U.S.-Präsident seinem Anwalt Michael Cohen den Betrag von $ 130.000,- doch zugesteckt hätte - obgleich Donald Trump bestritten hatte, von dem Geld etwas zu wissen; inzwischen hat Donald Trump - umständlich mit einigen Finten  - zugegeben, den Betrag bezahlt zu haben. Deshalb: Wahrheit scheibchenweise.

Was besagt diese Redeformel? Wer so spricht, behauptet seine Vermutung oder sein Bild von der ganzen Wahrheit, wie wir sagen; sonst könnte er ja nicht sagen, dass sie nach und nach - eben: scheibchenweise - zugestanden wird. Was ist im Fall des U.S.-Präsidenten für Winand von Petersdorff die ganze Wahrheit? Donald Trump lügt und betrügt. 

Das ist nicht neu; das ist seit langem bekannt. Diese Wahrheit hilft nicht. Wir sind nicht in einem Strafverfahren. Wir erleben und erfahren den massiven Angriff auf die demokratisch verfasste Gesellschaft der Vereinigten Staaten:  auf die Zuversicht, sich auf eine Wahrheit verständigen zu können. Diese Zuversicht erodiert seit geraumer Zeit - nicht nur in den U.S.A.,  auch bei uns und in Europa. Man könnte auch sagen: diese für eine demokratisch verfasste Gesllschaft notwendige Übereinkunft, sich auf eine Wahrheit verständigen zu wollen, und die damit verbundene Zuversicht, sich auf eine Wahrheit verständigen zu können, werden seit einiger Zeit mit den Füßen getreten. Die Logik der Geschäftsinteressen dominiert. Gehört das nicht zur gegenwärtigen, unvollständig erfassten und verstandenen Wahrheit?

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen