Dienstag, 15. März 2011

Doch! Doch! Doch!

Wenn es jemand eilig hat, sollte man das Tempo drosseln - um sich zu besinnen, zu orientieren oder zu erinnern. Erinnern wir uns. Am Sonntagabend sagte die Bundeskanzlerin Frau Merkel zu Ulrich Deppendorf, dem Mann von der ARD, sinngemäß, dass die bundesdeutschen Atom-Kraftwerke sicher seien - anderenfalls müsste sie sofort ihrem Amtseid folgen und die Anlagen abschalten lassen. Das war ein treuherziges Argument auf dem Niveau des Arguments meiner Großmutter, die Zweifel an ihren Behauptungen mit der Drohung begegnete, dass sie tot umfallen wollte, sollte sie Unrecht haben. Gegen dieses existenzielle Argument war schwer anzukommen. Gestern begründete die Kanzlerin die Revision ihrer umstrittenen Entscheidung aus dem vorigen Jahr, die Laufzeiten der Kraftwerke zu verlängern, mit den Worten (SZ vom 15.3.2001, S. 1): "Die Ereignisse in Japan haben uns gelehrt, dass Risiken, die für absolut unwahrscheinlich gehalten wurden, dennoch eintreten". Dieses Argument sollte einer promovierten Physikerin nicht über die Lippen gehen.

1. Eine Wahrscheinlichkeitsaussage sagt nichts über den tatsächlichen Eintritt eines Ereignisses.
2. Die Ereignisse in Japan lehren uns nicht, dass der G.A.U. eintreten kann. Das war schon lange vorher bekannt. In den 70er Jahren wurden alle relevanten Argumente  im Kontext der zunehmenden Verknappung der Ölvorräte vorgelegt und diskutiert. Es gab eine Phase engagierter Nachdenklichkeit. Autoren wie Robert Jungk, Klaus Traube oder Bodo Manstein hatten eine große Öffentlichkeit. Es gab, als Sparmaßnahme, an vier Sonntagen im Herbst 1973 von der sozialdemokratischen Regierung verordnete leere Autobahnen. Ausländische Regierungen führten auf ihren Schnellstraßen Geschwindigkeitsbegrenzungen ein. Die Bundesrepublik führte eine empfohlene Geschwindigkeit auf Autobahnen - die so genannte Richtgeschwindigkeit - ein, worauf die bundesdeutsche Autoindustrie mit einer Hochrüstung ihrer Fahrzeuge reagierte. In kurzer Zeit ließ die Nachfrage nach sparsamen Wagen nach. Die Phase der Nachdenklichkeit war zu Ende. Es begann die Phase mächtigen Fantasierens vom wirtschaftlichen Wachstum. Nachdenken war nicht mehr gefragt.
3. Die atomare Technik wurde eingeführt  und etabliert als Trostmittel und Versprechen, dass wir uns über die natürliche Endlichkeit keine großen Gedanken machen müssen.
4. Es ist Zeit zu realisieren, dass Naturwissenschaftler dann fantasieren, wenn sie sich keine substantiellen existenziellen Gedanken machen - sondern ihre Fähigkeit und Kontrolle unüberschaubarer Prozesse behaupten. In der heutigen Ausgabe der SZ wird Ralf Güldner, der Präsident des deutschen Atomforums, mit den Worten zitiert: "Nein, die Situation in Japan ist ein einmaliges Ereignis... Eine solche Verkettung ist in Deutschland nicht vorstellbar. Möglicherweise müssen aber Auslegungswerte gegen Ereignisse wie Erdbeben oder Überflutung überprüft werden" (S. 5). Ralf Güldner argumentierte wie unsere Bundeskanzlerin am Sonntag. Seine Fantasielosigkeit sollte nicht als Realitätseinschätzung durchgehen.
5. Unsere Regierung argumentiert Substanz-los. Man muss befürchten, dass taktische Überlegungen dominieren. Weshalb drei Monate zum Nachdenken ausreichen sollen, ist unklar. Der erste Schritt einer substanziellen Politik wäre das Eingeständnis einer Fehleinschätzung und die Modifikation des gemeinsamen Fantasierens.

  


       

1 Kommentar:

  1. Nun gibt es auch einen Bliersbach-Blog, und das ist gut so! Nicht nur seine Bücher sind ein Genuss! Glückwunsch!

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