Donnerstag, 27. Januar 2022

Monströses, journalistisch geglättet: Reinhard Müller und der Bugatti Veyron (Journalismus-Lektüre 102)

Der Besitzer eines Bugatti Veyron fuhr - auf You Tube kann man mitfahren - auf der Autobahn A 2 etwas mehr als 400 km/h schnell. Nun ja, wer ein solches hochgerüstetes Fahrzeug besitzt, möchte es auch bewegen. Vor allem möchte der Besitzer sich auch erproben. Wenn schon, denn schon. Immer nur in der Garage übers Blech streicheln, ist zu wenig. Schließlich möchte man doch auch gesehen werden. So weit, so in etwa verständlich. 

Unverständlich ist die journalistische Rationalisierung  - Reinhard Müllers Abkehr von einer nüchternen Abwägung (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 26.1.2022, S. 7): Nicht immer in der Spur. Raser am Limit des Gesetzes....hat er seinen Text getitelt.

Reinhard Müller fragt: "Aber: Ist es grob verkehrswidrig und rücksichtslos, auf weitgehend freier Autobahn ein zugelassenes Fahrzeug auszufahren...Aber wenn nichts passiert? Von welchem Tempo an setzt Rücksichtslosigkeit ein? Was für Auswirkungen hat es, wenn ein Fahrzeug mit vierfacher Geschwindigkeit an einem anderen vorbeizieht? Ist jemand, der auf der Autobahn nur 80 fährt, nicht auch gefährlich?"

Gefährlich ist, wenn jemand sich dumm stellt. Dieses Tempo ist grob verkehrswidrig & rücksichtslos. Der Bremsweg ist enorm lang: laut der im Internet verfügbaren Faustformel 1.600 Meter. Natürlich wird der Bugatti Veyron eine ausgezeichnete Bremsanlage mit einem nicht so langen Bremsweg haben. Laut auto motor sport kommt der Wagen bei einem Tempo von 300 k/mh nach gut sieben Sekunden zum Stehen. Für die 400 km/h gibt es keine Angaben. In den sieben Sekunden legt er in jedem Fall eine stattliche Strecke zurück. Sie dürfte für schnelle Ausweichmöver zu lang sein. Der Bugatti ist natürlich mit ABS  ausgestattet. Eine Vollbremsung dürfte dennoch die Fähigkeit eines Grand Prix-Fahrers voraussetzen. 400 km/h bedeuten:  über 100 Meter pro Sekunde; die 50 m - Baken an den Rändern der Autobahn werden in einer guten halben Sekunde passiert. Wer will da noch angemessen reagieren?

In der Videoaufzeichnung blieb der Bugatti-Fahrer, fuhr er allein,  auf der mittleren Spur. Passierte er andere Pkw, wechselte er auf die linke Spur; die anderen fuhren strikt auf der rechten Spur; die mittlere Spur blieb frei. Der Bugatti-Fahrer ging ein enormes Risiko ein. Unsere Straßenverkehrsordnung verbietet ein solches Fahren; sie fordert einen angemessenen, vernünftigen,  für alle Verkehrsteilnehmer vertrauten & einschätzbaren Bewegungsspielraum. Interaktive Abstimmungsprozesse sind bei diesem Tempo unmöglich. Weshalb mit einer solchen Geschwindigkeit zu überholen,  gravierend rechtswidrig sein dürfte.

Reinhard Müllers Frage Ist jemand, der auf der Autobahn nur 80 fährt, nicht auch gefährlich? ist maßlos und selbstvergessen. Er müsste sich für seine betrunkenen Sätze bei seiner Leserschaft entschuldigen. 


(Überarbeitung: 8.2.2022)

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