Freitag, 21. Juni 2024

"Kippt die Ampel?" titeln auf ihrer ersten Seite die Leute von der "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" am 16. Juni 2024

Roter Grund auf der oberen Hälfte der Titelseite. Es brennt, sagt uns die Sonntagszeitung. Wie soll da das Frühstück schmecken? Wir befinden uns, sagt die Titel-Zeichnung von Jan Feindt, in einem knallroten Raum. Glüht unsere Welt schon? Christian Lindner, Robert Habeck und Olaf Scholz scheint die Gluthitze nichts auszumachen. Sie tragen Anzüge wie bei einer Pressekonferenz.  Christian Lindner kratzt sich mit seiner Linken am Hinterkopf, Olaf Scholz reibt sich die Hände, Robert Habeck hat den Kopf geneigt und seine Hände auf seine Hüfte gestützt. Sie stehen sich in der Formation eines Dreiecks gegenüber,  offenbar sprachlos. Christian Lindner an der Spitze des Dreiecks, Robert Habeck und Olaf Scholz auf der unteren Linie des Dreiecks; zwischen ihnen liegt das Ungetüm einer mehrfach geknickten, schwer beschädigten Ampel, aus deren oberes Ende weißer Qualm entweicht. Die Ampel liegt zu ihren Füßen. Unbrauchbar. Schrott. Was haben wir angerichtet? scheinen sich die drei Politiker zu fragen.

Die Frage Kippt die Ampel?  ist entschieden. Die Ampel-Politiker haben keine funktionierende Ampel mehr. Wird die Regierung ausgetauscht? Ist das die Neuigkeit am Sonntagmorgen? Was soll die Titel-Frage? Alter Kaffee, sage ich mir. Von Beginn an wurde der Koalition der drei Parteien das Regierungsgeschäft nicht zugetraut (s. meine Blogs dazu). Einer Regierung beim Scheitern zuzuschauen und sie mit ihrem Scheitern zu konfrontieren , war und ist der vergnügliche, spannende Subtext  des öffentlichen Kopfschüttelns der Verachtung. Verständnis für die unglaubliche Last der Regierungsaufgabe wurde selten aufgebracht.  Die enorme Dringlichkeit der Transformation galt und gilt wenig. Die Union schäumt, was das Repertoire der Klischees und Vorwürfe hergibt, um nicht erinnert zu werden an ihre Versäumnisse und Fehlkalkulationen der Merkel-Zeit. Die AfD feixt, versteht nicht so richtig, was läuft und hat Mühe mitzuhalten. Jetzt ist Fußball-Zeit, die Olympiade kommt, dann die Sommerferien, und im Herbst ist Notre-Dame restauriert.  Nur die Lebensaufgaben bleiben unerledigt.  Die Resultate der Wahl zum europäischen Parlament machen Kopfzerbrechen. In Frankreich wird erneut gewählt: was dann? Ungarn übernimmt den fälligen Wechsel im EU-Vorsitz: was wird?  Für Unterhaltung ist jedenfalls ausreichend gesorgt. 


(Überarbeitung: 25.6.2024)

 

 

Freitag, 7. Juni 2024

Ist es in Ordnung, wenn ein Verwandter des Mörders sich bei der Beerdigung des Opfers unter die Trauergemeinde mischt?

Wie war das jetzt in der französischen Normandie am 6. Juni 2024, achtzig Jahre nach der  enormen Anstrengung der allierten Soldaten der vier Länder Frankreichs, Großbritanniens, Kanadas und der U.S.A., die deutschen Usurpatoren zurückzudrängen?

"Zum 80.Jahrestag stellt sich auch die Frage nicht mehr, ob der Bundeskanzler seinen Platz unter den ehemaligen westlichen Siegermächten hat. Olaf Scholz' Präsenz ist so selbstverständlich, dass Präsident Macron ihn nicht in einer eigenen Zeremonie würdigt", schreibt Michaela Wiegel in ihrem Text mit dem Titel "Einst Hitler, heute Putin" (F.A.Z. am 7.6.2024, S. 3, Nr. 130).  Ist die Anwesenheit des Bundeskanzlers selbstverständlich? Die Verschiebung - Putin in die Gegenwart der Ansprachen, Hitler in den Subtext der Ansprachen - ist (politische) Freundlichkeitstaktik, die es dem deutschen Bundeskanzler (und uns natürlich) nicht schwer machen soll. Sie ist nicht selbstverständlich. Das riesige, unendliche Leid, von Deutschen zugefügt, ist nicht vergessen und wird nie vergessen. In der BBC-Serie Fawlty Towers (der 70er Jahre) instruiert Basil Fawlty (John Cleese) seine Angestellten für den Umgang mit den westdeutschen Gästen: Don't mention the war! Don't mention the war! Natürlich kommt der Krieg der deutschen Regierung  zur Sprache - übrigens zur Empörung der westdeutschen Gäste. Olaf Scholz hätte sich nicht mit dem Schweigen abfinden müssen; er hätte etwas sagen können zur deutschen Scham und zum deutschen Dank. Er blieb auf Basil Fawltys Linie und folgte dessen Verachtung und verpasste die Chance, etwas zur schwierigen bundesdeutschen Identität zu sagen. 


(Überarbeitung: 24.6.2024)