Dienstag, 16. November 2010

Die öffentliche Diskussion ist leider keine Großgruppe

Manchmal empfiehlt es sich, auf eine alte psychoanalytische Regel zu achten: Wenn etwas gesagt wurde, kann man sich fragen, was nicht gesagt wurde. Gestern, am 15.11.2010, machte die SZ auf der unteren Hälfte ihrer ersten Seite auf: "CDU-Spitze schart sich um Schäuble". Redaktionen teilen uns ja nicht mit, wie sie zu ihren Überschriften kamen; sie sagen uns auch nicht, ob sie etwas sagen wollten, aber sich nicht zu sagen trauten. Das Verbum scharen ging mir nach. Was deutete die Redaktion mit diesem Wort an? Eine Szene. Eine Gruppe schützt einen Bedürftigen; sie verteidigt ihn; sie tröstet ihn; sie stützt ihn. Was stand im Text? Der erste Satz lautet: "Unmittelbar vor dem Beginn des CDU-Parteitags am Montag und Dienstag in Karlsruhe ist die Parteiführung Gerüchten über einen bevorstehenden Abschied von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble entgegengetreten". Seine Verdienste wurden gelobt, seine Präsenz im Amt wurde gewünscht. Von seinem Vergnügen an der Beschämung eines Untergegebenen war nicht die Rede.  Das Verbum scharen legt ein weiteres Bild nahe: Eine Gruppe rückt zusammen - Schuld-bewusst, aber entschlossen, nichts nach außen dringen zu lassen. Ob die Redaktion uns das sagen wollte: Eine Gruppe von Politikern, allesamt vereidigt für ein öffentliches Amt, beißt ihre Zähne zusammen und knurrt ihre Absicht heraus,  sich von den Website-Besuchern, die diese Szene eines fröhlichen deutschen Sadismus anklickten, nichts sagen zu lassen? Leider sitzen wir alle nicht in einem Raum. Weder können wir die Redakteure der SZ fragen, noch dem verdienstvollen bundesdeutschen Politiker unseren Eindruck sagen. Dabei wäre noch viel zu dem zu sagen, was nicht gesagt wurde.

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